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Abstiegskampf in der WhatsApp-Gruppentherapie

Treffen sich ein Stuttgarter, ein Bremer und eine Frankfurterin im Abstiegskampf. Eine etwas andere Konferenz des letzten Spieltags.

Jedes Kind der Neunziger kennt diese fürchterlichen Schnulzen von Pur. Als Kind musste man sie sich auf irgendwelchen scheinbar ins Nichts führenden Autofahrten reinziehen und hat sich immer gefragt, was Hartmut Engler eigentlich damit meinte, wenn er „einer muss immer der Dumme sein, einer ist immer das arme Schwein" in unsere Ohren schmetterte. Die vergangenen Wochen hat dieses Lied für meine Studienkollegen und mich eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Einer muss immer der Dumme sein, auch im Abstiegskampf. Und ob es nun Pech oder Idiotie oder Schicksal war, irgendwie war es jedem von uns Dreien unbegreiflich, wie es diese Saison derart bergab gehen konnte. Wir sind Fans von drei echten Koryphäen des deutschen Fußballs: Dennis vom VfB Stuttgart, Wim von Werder Bremen und Löni von Eintracht Frankfurt. Wie wir den Abstiegskampf in der WhatsApp-Gruppentherapie erlebten:

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Die Frankfurterin:

6 Uhr klingelt der Wecker. Zug geht um kurz vor 8 am Frankfurter Hauptbahnhof. Nach drei Stunden Schlaf bereue ich, am Abend zuvor auf einem Weinfest gewesen zu sein und noch mehr nach dem Sieg in der Hinrunde meinen Gästen aus Bremen versprochen zu haben, am letzten Spieltag in den Norden zu fahren. Egal, für die Eintracht kann man das schon mal machen. Für die Eintracht im Abstiegskampf noch hundert Mal mehr. Ich klettere quasi aus dem Bett, in mein Trikot (Motto „Mit dem Trikot nach Bremen": check) und anschließend in den Zug Richtung Bremen. Keine Karte, scheißegal. Den Wucher auf dem Schwarzmarkt gebe ich mir nicht. Die Ausgangslage für die Eintracht ist eigentlich keine schlechte: Drei Spiele in Folge gewonnen und mit einem Punkt ist der Klassenerhalt sicher.

Der Bremer:

Der Bremer alias Wim alias ich ist noch im Reich der Träume. Abends beim Geburtstag von einem Kumpel gewesen. Als ich um halb 10 aus dem Bett falle, ist mein Gedanke seltsamerweise noch so überhaupt nicht beim Spiel. In der hintersten Ecke meines Schrankes finde ich dann schließlich mein Heiligtum. Mein erstes Werder-Trikot, beflockt mit der legendären 17 von Marco Bode, Saison 2001/2002, damals ohne Trikotsponsor. Der Kragen ist zwar ein bisschen eng, aber das passt ja auch ganz gut zum Spiel. Nachdem ich meinen ältesten Schal gefunden habe, stelle ich zufrieden fest, dass ich mir zumindest auf der Aberglaubensebene nach dem Spiel nichts vorzuwerfen habe. Mit einem Ruhepuls wie von einem Faultier steuere ich erstmal zum Bremer Hauptbahnhof. Netter kleiner Spaziergang durch den Bremer Bürgerpark. Hier ist die Idylle noch vollkommen, nichts deutet auf das wichtigste Spiel seit dem Pokalfinale 2009 hin. „Komisch", denke ich mir, „vor dem Stuttgart-Spiel war ich auf 180". Aber das kommt sicher.

Die zu Therapierenden: Dennis, Wim und Leonie

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Der Stuttgarter:

Verkatert sitze ich in der S-Bahn nach Hause. War gestern noch bei einem Konzert. Gute Ablenkung! Doch jetzt gibt es kein Zurück mehr. Keine Ausreden. In zwei Stunden werde ich wissen, woran ich nächste Saison bin. Ob die Truppe in den VfB-Trikots noch einen Funken Anstand hat und kämpft oder konsequent die nächste Pleite einfährt. Wenn ich ehrlich zu mir bin, habe ich mit dem Klassenerhalt nach dem Spiel in Bremen abgeschlossen. Doch dieses letzte bisschen Hoffnung. Schlimm!

Mein Handy vibriert, Nachricht aus Bremen. Die Diva vom Main ist im Norden angekommen und mit Wim—seines Zeichens Fischkopp—auf der Suche nach einer Kneipe, um das Spiel zu gucken. Ein paar Wortgefechte, ein paar Sticheleien, ein bisschen Trashtalk muss trotz wachsendem Pessimismus einfach sein.

Die Frankfurterin:

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Hannover bin ich endlich in Bremen. Hurra, hurra, die Frankfurter sind da. Denkt sich scheinbar auch die Polizei. Mein Kumpel Wim und ich laufen Arm in Arm (wir haben uns lange nicht gesehen) an einem Pulk von Bullen vorbei. Ob er den Schal abnehmen könne oder ich das Trikot ausziehen. Wir einigen uns auf den Schal, fragen die Polizisten, ob sie noch ganz knusper sind, und machen uns ein Bier auf. Meine Tasche laden wir bei meinem Kumpel ab und machen uns auf den Weg in eine Kneipe. Wir werden wehmütig… hätte man sich doch irgendwie ein Ticket ergaunert. Auf der „Auswärtsfahrt" stelle ich fest, dass man sein Geld auch anders investieren kann. Seit wann kostet Sanifair eigentlich ein Euro?

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Der Bremer:

Immer diese unfähigen Hessen! Da will man zeitig ins Viertel, weil ich genau weiß, wie voll die Kneipen schon um 14.00 Uhr sind. Und dann weigert die sich, mit dem Fahrrad zu fahren. „Zu betüdelt", „Ich fall auf jeden Fall vom Fahrrad", „mit Ampeln und so?". Das darf nicht wahr sein. Latida! Die Frankfurter sind da. Nicht nur die Eintracht ist eine Diva, sondern definitiv auch ihre Fans. Als wir eine Viertelstunde nach Anpfiff beim Public-Viewing an der Schlachte ankommen, geht mir so langsam die Düse. Die ersten „Was wäre, wenn's schief geht?"-Gedanken schleichen sich unvermeidlich in meine pilsgetränkte Werder-Hemisphäre. Beruhigen tun mich allerdings die Zuschauer. Kein Ton, keine Anfeuerung, alle starren mit dieser für Bremen so typischen stoischen Ruhe auf den Bildschirm.

Der Stuttgarter:

Ich komme pünktlich zum Anpfiff nach Hause. Sprint zum Kühlschrank, Bierchen auf, Glotze an, los geht's. Ich fange wie immer an, Konferenz zu gucken. Ist so ein Aberglaubensding, wobei ich zugeben muss, dass das in den letzten Wochen nicht mehr viel gebracht hat. Kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht: „Toooor in Wolfsburg". Bitte keine Torhymne, bitte keine Torhymne! Torhymne. Scheiße! Bereits nach zehn Minuten kassiert der VfB dasselbe Tor wie jede Woche. Sprint über die linke Seite, Flanke und in der Mitte netzt Arnold unbedrängt ein. Und wöchentlich grüßt das Murmeltier!

Die Frankfurterin

Ja geil, ich weiß, dass diese Idee mit der Straßenbahn auf meinem Mist gewachsen ist, aber jetzt steh ich hier, ich armer Tor, und seh' so wenig wie zuvor. Nämlich nichts. Die erste Chance habe ich schon mal verpasst, der Klassiker unter den „Ich-fahr-auswärts-und-guck-mir-das-Spiel-in-ner-Kneipe-an"-Geschichten. Anscheinend Ben-Hatira mit dem Kopf. Ein Ding und wir halten die Klasse ganz safe. Was machen diese Frau und dieser Mann da vor mir? Warum sind sie so groß und ich nicht? Und wieso steht da ein Baum rum? Ich bestelle mir ein Bier.

Der Bremer

Mittlerweile bin ich auf jeden Fall bei 160. So schießen diese Idioten nie ein Tor. Kein Tempo, nichts Überraschendes. Auf der anderen Seite haben wir auch noch kein Gegentor. Zweimal Wiedwald ganz stark! Versuche, mich mit Bier zu beruhigen. Das Vorhaben ist zwar von vornherein zum Scheitern verurteilt, aber was hilft's? Besondere Tage erfordern besondere Maßnahmen. Kann jetzt immerhin auch die einzelnen Spieler erkennen. Selbst Löni hat den Bildschirm mittlerweile lokalisieren können.

Der Stuttgarter

Immer noch 0:0 in Frankfurt und die Hessen scheinen die besseren Chancen zu haben. Ach diese verdammte Hoffnung! Ich schalte auf Einzeloption, um zu sehen, wie sich meine Mannschaft noch mal den Arsch aufreißt. Zwei Tore für uns, eins für die SGE und wir mogeln uns in die Relegation. Doch dazu wäre es auch mal gut, einen Zweikampf anzunehmen. Nach zehn Minuten schalte ich wieder auf Konferenz, es tut weh!

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Die Frankfurterin

Zu viele Bremer in der Stadt. Und in der eigenen Hälfte. Diese Eintracht macht mich wahnsinnig. Wenigstens kriegt Werder auch nichts auf die Kette und vertändelt immer wieder den Ball. Die Abwehr macht ihre Aufgabe ganz gut und Hradecky (so wird er nämlich richtig geschrieben) ist zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Ansonsten la(h)me erste Hälfte.

Der Bremer

Es ist wirklich nix los auf dem Feld. Stimmung ist zwar überragend, aber das ist in Bremen ja beinahe schon Standard. Das Spiel hingegen lässt durchaus Platz, um meinem Gast aus der Mitte Deutschlands ein paar elementare Dinge zu erklären: „Warum sind hier eigentlich so viele Leute aus Heilbronn?" „Warum Heilbronn?" „Na ja, die Autos. HB halt." „HB steht schon für Hansestadt Bremen. Wir haben nicht zufällig Unmengen von ‚Heilbronnern' zu Gast."

Der Stuttgarter

Endlich Halbzeit! Leck mich fett… Der VfL Wolfsburg—eine „Mannschaft", für die es um nichts mehr geht—dominiert einen völlig überforderten VfB nach Belieben. Es sieht nicht danach aus, als würde irgendwer die Klasse halten wollen, steht ja auch eh schon 2:0. Billigst ausgekontert! Normalerweise würde ich jetzt auf eine brennende Kabinenansprache hoffen. Die Spieler werden bei ihrer Ehre gepackt und gehen raus und schaffen das Wunder. Aber hey… Man will Kramny auch nicht überfordern! Ich könnte mal ein Bier aufmachen…

Die Frankfurterin

Highlight der Halbzeit: Eine Frauengruppe vor uns bestellt Glühwein. Jeder wie er will, aber so nicht…Wetter ist wie Stimmung: unterkühlt. Das Spiel geht genauso weiter wie vorher. Mit anderen Worten: Wir mauern und Bremen ist fast nur in unserer Hälfte. Ein 0:0 würde uns reichen. Muss die Eintracht nur über die Zeit retten. Ich kenne unsere Spezialisten…

Der Bremer

Endlich geht's weiter! Wer hat eigentlich diese unsägliche Halbzeit erfunden? Egal, Frings wird denen in der Kabine schon nochmal die Hölle heiß gemacht haben. Tatsächlich, sieht etwas besser aus. Obwohl das auch nur heißt, dass Frankfurt nicht mehr aus der eigenen Hälfte kommt. Gas geben jetzt! Ein Kumpel kommt mit einem Pitcher zurück. Trinken für den Klassenerhalt. Na ja, wenn's hilft…Regenwälder sollen auch schon gerettet worden sein.

Der Stuttgarter

EIN WUNDER!!! Nach sechs Jahren verwandelt der VfB einen direkten Freistoß. Jetzt, wo alles vorbei scheint. Dass der Torschütze auch noch Daniel Didavi heißt, ist die Pointe eines ziemlich schlechten Witzes. Ich hoffe, er wird noch viele tolle Freistoßtore schießen… nächste Saison dann… in Wolfsburg. Der letzte erfolgreiche VfB-Freistoßschütze war übrigens Zdravko Kuzmanovic. Er traf damals bei einer 1:4-Niederlage gegen Leverkusen. Damals waren wir Tabellenletzter. Oh glory days.

Die Frankfurterin

À propos glory days…mit der Eintracht bin ich auch gut gealtert. Mittlerweile muss ich um die 120 sein. Abstiege, Aufstiege, Europa League—ich habe in meinen jungen Jahren schon einiges mitgemacht. Ich wünsche mir einen Jan Åge Fjørtoft herbei, der hier mal alles klarmacht. Stattdessen kommt Chandler, verstehe, wer will.

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Der Bremer

Es wird so langsam Zeit, Kinder! Man kann der Truppe nicht vorwerfen, dass sie nicht alles versucht, aber man sieht halt auch, warum wir in dem Schlamassel stecken. Kommen ums Verrecken nicht in den Strafraum und die verfluchten Standards, die einstige „Bremer Waffe", werden von Junuzovic unfassbar ungefährlich hereingegeben. Dann setzt der Typ den Ball auch noch mit links meilenweit am Kasten vorbei. Den Linken hat er wirklich nur, damit er nicht umfällt.

Der Stuttgarter

Tor in Bremen. Tor für Bremen. Das war es dann wohl endgültig. Arme Löni! Muss sich jetzt Feiergesänge anhören, während ihr Verein aber immerhin noch die Relegation schafft. Der letzte Strohhalm ist abgebrochen, mein VfB wird absteigen. 3:1 Wolfsburg, ach komm, hör auf!

Die Frankfurterin

Alter! Ernsthaft???? Bremen kriegt es die ganze Zeit nicht gebacken und jetzt zwei Minuten vor Schluss fangen wir uns eine Kiste? Im Ernst? Maaaan!!! Glaub' ich einfach nicht, immer derselbe Rotz. Zweite Liga, tut schon weeeeeh, scheißegal (okay, nicht ganz), oh SGE. In meinem Kopf spinne ich Szenarien…unschöne Szenarien…wir Relegation gegen Nürnberg. Muss nicht sein.

Der Bremer

JAAAAAAAAAAAAAAAAAA! Ich hab's gewusst! Unglaublich. Djilobodji, du Wahnsinnskerl. Hochverdient. Aber jetzt bloß aufpassen. Wehe, ihr kriegt das nicht über die Zeit. Hatten wir schon oft genug. Geil! Das Trikot ist so gut wie gekauft. Da hauen die jede Flanke völlig uninspiriert über die Köpfe aller hinweg und in der 88. klappt's dann. Was für Szenen. Hab den Skripnik noch nicht ansatzweise so emotional erlebt. Niemals zweite Liga, niemals, niemals….

Der Stuttgarter

Das Spiel ist vorbei. Kramny heult, Stuttgart heult, ich heule. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch einmal so hart werden würde, wenn der Abstieg feststeht. Wie gesagt, eigentlich hatte ich mich ja bereits damit abgefunden. Aber dass der enttäuschenden Saison ein noch erbärmlicherer Abschluss aufgesetzt wird, habe ich wohl nicht erwartet. Die Stuttgarter Fans singen „Wir sind Stuttgart, ihr seid's nicht!" Ich denke: „Recht haben sie!", und gehe ins Bett.

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Die Frankfurterin

Spiel ist vorbei. Ich bin angepisst. Umso angepisster, je mehr sich die Bremer um mich herum freuen. Das ist ungefähr so, als hättest du als Einzige/r aus deinem Jahrgang das Abi nicht geschafft, aber müsstest trotzdem zur Feier. Und als wäre das nicht genug, pöbeln von gegenüber noch zwei Werder-Fans zu mir rüber. Ich beschließe, meinen Ärger nicht herunterzuschlucken und offensiv zu werden. Zumindest offensiver als die Eintracht heute Nachmittag und gehe auf sie zu. Was das soll, frage ich sie, und ob sie das echt nötig haben, die einzigen beiden Eintracht-Fans auf dem Gelände dumm von der Seite anzumachen. Man habe es nicht so gemeint. Die Rede ist von ein, zwei Bier. Immerhin. Den Frust betäuben. Over and out.

Der Bremer

AUS, AUS, AUS. Werder ist Weltmeister, schlägt Frankfurt mit 1:0! Zumindest fühlt es sich so an. Herrlich! Wie man für so eine Scheißsaison mit nur einem Spiel so entschädigt werden kann… Egal, ist halt Fußball! Und Löni ist auch in der Niederlage immer noch die Beste. Schon wieder dabei, neue Alkoholquellen aufzutun. Heute wird gesoffen, Kinder! Diese Stadt geht niemals noch mal runter. Seit 35 Jahren erstklassig. Womit? Mit Recht!

Die Jungs, mit denen Löni sich angelegt hat, entpuppen sich als friedfertige Menschenfreunde, die gern mal einen ausgeben. Während wir die erste Runde kippen, zerreißt unser Sponsor erstmal einen grün-weißen Fünf-Euro-Schein mit der Bemerkung „Ist doch auch nur Papier!" Der ganz normale Wahnsinn hat mich und diese Stadt wieder.

von Dennis Just (VfB oh weh, oh weh), Wim Wessel (Fischkopp seines Zeichens) und Leonie Hain (Diva vom Main)