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Interview

„Sonst hätte ich nicht schlafen können"—Oberhausens Stadionsprecher über seine bewegende Trauerrede

Vor dem Regionalligaderby Oberhausen gegen Essen hielt Stadionsprecher Christian Straßburger eine bewegende Trauerrede zu den Anschlägen in Paris. Sie wurde zigfach geteilt. Im Interview erklärte er uns, dass er den Text in genau 10 Minuten schrieb.
Screenshot von Youtube

„Was ist aus dieser Welt geworden?" Nicht erst seit den schrecklichen Attentaten am Freitag in Paris stellt sich uns diese Frage. Ein unbedeutendes Freundschaftsspiel war für die Terroristen die perfekte Bühne, um ihr Morden in die Welt zu tragen. Was sagt uns das über Vater Fußball? Die Fußball-Welt schien nach den Angriffen wie gelähmt zu sein. Doch keine 40 Stunden nach dem Angriff fand einer für viele genau die richtigen Worte. Mit „Was ist aus dieser Welt geworden?" leitete Oberhausens Stadionsprecher Christian Straßburger seinen 2,30-minütigen Monolog vor dem Regionalliga-Derby gegen Rot-Weiß Essen ein. Überall in den sozialen Medien bekam er Lob dafür, genau den richtigen Ton getroffen zu haben. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie er die Anschläge verfolgt hat, warum er die Rede gehalten hat und wie er die Pyro- und Böllerzündenden Fans beider Vereine erlebt.

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Nochmal die bewegende Worte von — Florian Krüppel (@FKrppel)15. November 2015

Die bewegende Worte von — Florian Krüppel (@FKrppel)15. November 2015

Die bewegenden Worte von — Florian Krüppel (@FKrppel)15. November 2015

Die bewegenden Worten von — Florian Krüppel (@FKrppel)15. November 2015

Die bewegenden Worte von — Florian Krüppel (@FKrppel)15. November 2015

VICE Sports: Hast du das Spiel zwischen Deutschland und Frankreich am Freitag geschaut?
Christian Straßburger: Ich habe es zu Hause alleine geschaut. Das Spiel hat mich so nicht gepackt, da macht man dann heutzutage gerne Second Screen nebenbei. Dann hörte ich noch diese zwei Explosionen. Zuerst geht man ja von Bekloppten mit Böllern aus, bis dann klarer wurde, was passiert ist. Irgendwann habe ich zu n-tv geschaltet, weil die das Signal des französischen Senders und einen Simultan-Übersetzer hatten. Da fühlte ich mich am Besten informiert.

Fandest du auch, dass Tom Bartels, Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl in der ARD ziemlich alleine gelassen wurden?
Auf jeden Fall. Ich habe es auch auf Twitter verfolgt. Es gab da viele „Experten", die gesagt haben, wie man die Berichterstattung übernehmen soll. Irgendwann habe ich auch getwittert, dass es jetzt gut ist mit den Medienkritiken und dass die Leute jetzt Wichtigeres im Kopf haben. Außerdem haben die Drei es am Ende auch sehr souverän hinbekommen.

Als jemand, der sein Leben dem Fußball verschrieben hat, was hast du gedacht, als du realisiert hast, dass der Fußball als Bühne für den Terrorismus genutzt wurde?
Mittlerweile wissen wir auch, dass ein Attentäter mit der Bombe ins Stadion wollte. Das wäre das Ende von vielem gewesen. Dann wäre für eine sehr lange Zeit der Spaß am Fußball oder am Zusammenkommen Essig gewesen. Das wäre das Worst-Case-Szenario, was es gefühlt auch so schon war. Am Abend, als ich ins Bett gegangen bin, habe ich über das Derby am Sonntag gegen Essen nachgedacht. Da hat sich jeder drauf gefreut, aber es war natürlich so, dass es anders wird. Mir war klar, dass ich da Stellung beziehen muss.

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Screenshot von Youtube aus dem Video „RWO.tv - Das Magazin - 1. FC Köln U21 (A) & SV Rödinghausen (H)"

Solche Ansprachen sind ja äußerst selten im Fußball. Manche meinen, dass solche politischen Meinungen nichts im Sport zu suchen haben. Warum hast du es trotzdem gemacht?
Ehrlich gesagt habe ich gar nicht abgewägt. Ich hab's einfach gemacht. Ich habe die offizielle Mitteilung bekommen, dass es eine Schweigeminute geben würde, und da war mir klar: Es muss ja vorher was gesagt werden. Bei RWO ist das mein Verantwortungsbereich.Wir haben schon tausendfach Schweigeminuten erlebt und es ist toll, dass man das macht. Aber davor und danach ist es, als ob nichts passiert ist. Das wollte ich nicht und das wäre grausam für mich gewesen. Deswegen habe ich die Chance genutzt, dass zu sagen, was den Menschen aus dem Herzen kommt, mit denen ich gesprochen habe. Zum Beispiel, dass die Terroristen das aus religiösen Gründen machen würden. Das sind keine Muslime, das sind kranke, seelenlose Gestalten. Man kann nicht eine ganze Religion dafür verantwortlich machen. Das musste ich sagen, sonst hätte ich nicht schlafen können.

Hast du dich dann entschlossen, den Text zu schreiben und es dem Verein gesagt?
Das war nicht abgesprochen, bis ich am Sonntag zum Stadion kam. Ich habe die Ansprache am Samstagabend in die Notizen getippt und dann war der Text fertig. Das Internet hat natürlich seine negativen Seiten, aber es hat auch seine positiven Seiten. In der Timeline von Twitter konnte ich mir dazu viel Inspiration holen, wie zum Beispiel mit dem Zitat von Martin Luther King.

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Wie lange hast du gebraucht für den Text?
Wenn ich das sage, hört sich das blöd an. Das dauert bei mir zehn Minuten. Am nächsten Tag habe ich da drübergelesen, es nochmal korrigiert und umgebaut und dann war es fertig. Aber es ist ja auch nicht wichtig, wie lange das gedauert hat.

Nein, aber es ist ja umso beeindruckender, wenn du in so kurzer Zeit die richtigen Worte gefunden hast.
Es lag mir einfach am Herzen. Die Worte waren da und mussten einfach raus.

Hattest du nicht das Bedürfnis, dich doppelt und dreifach abzusichern, dich mit Formulierungen nicht aufs Glatteis zu bewegen? Im Fußball gibt es ja immer sofort Reaktionen auf so etwas.
Als ich am Sonntag zum Stadion gefahren bin, habe ich meinem Kollegen und Freund Max, mit dem ich den Youtube-Kanal mache, den Text gezeigt. Er fand ihn gut. Auf der Laufbahn habe ich dann noch zu unserem Präsidenten Hajo Sommers gesagt: „Hajo, wenn gleich die Schweigeminute ist, werde ich noch ein paar Worte sagen." Er hat mich angeschaut und gefragt: „Was sind das für Worte?" Dann habe ich zu ihm gesagt: „Vertrau mir." Er sagte daraufhin: „Das tue ich nicht, aber mach es." Wer Hajo Sommers kennt, weiß, dass das ein Vertrauensbeweis war. Danach gab es sehr lobende Worte von ihm, was für mich sehr wichtig war.

Das muss für dich ein Wechselbad der Gefühle gewesen sein: Zunächst die emotionale Ansprache und danach zünden die Oberhausener Pyros an und die Essener lassen Böller knallen. Die musstest du zusammenpfeifen.

Da habe ich mich auch gewundert, was es auch in dem Moment für Leute gibt, die einfach ohne Hirn rumlaufen. Die haben weder im Fußballstadion noch sonst wo einen Platz verdient. Grundsätzlich mische ich mich nicht in diese Diskussion mit Pyrotechnik ein. Das sollen andere entscheiden. Wenn du aber nach einer Schweigeminute und einem so herben Schlag für die Menschheit Böller zündest, dann sehe ich für diese Leute schwarz.

Wie erklärst du dir diese fehlende Empathie?
Ich weiß es nicht, ob die gesoffen haben bis zum Sankt Nimmerleinstag oder ob die einfach dieses Leben nicht verstanden haben. Ich weiß nicht, ob die sich cool dabei fühlen, diese Rauchbomben oder Böller abzuschießen. Das ist so schon scheiße, aber in dieser Situation kann es nicht mehr schlimmer werden. Was mit diesen Leuten ist, weiß ich nicht und will ich nicht wissen. Es gibt viel Wichtigeres im Leben, als sich mit solchen Idioten auseinanderzusetzen.

Folgt Christian (@c_stra) und Toni (@sporanovic) auf Twitter.