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Justiz

Für einen Schubser gegen einen Polizisten kannst du jetzt in den Knast kommen

Der Bundestag beschloss gestern ein Gesetz, um Polizisten besser zu schützen. Kritiker halten es für "völlig unverhältnismäßig" und verfassungsfeindlich.

Eine Sitzblockade gegen Neonazis, eine Demo gegen Atomenergie oder ein Auswärtsspiel in der Bundesliga: Woche für Woche treffen Bürger in größeren Gruppen auf Polizisten. Oft kommt es da zu Handgemengen. Pfefferspray, Platzverbote, Festnahmen. Polizisten und Demonstranten schubsen sich. Wenn ein Polizist dabei falsch getroffen wird und versehentlich zu Boden geht, droht nun Gefängnis – ab drei Monaten und das, obwohl der Beamte nicht mal verletzt wurde. Das sieht zumindest ein neues Gesetz vor.

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Der Bundestag hat gestern ein "Gesetz zum besseren Schutz von Polizisten und Rettungskräften" beschlossen und einen neuen Straftatbestand geschaffen: den "tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte". Konkret heißt das: Menschen werden künftig härter bestraft, wenn sie Vollstreckungsbeamte angreifen oder sich gegen sie wehren. Zu diesen Vollstreckungsbeamten gehören aber nicht nur Polizisten oder Feuerwehrleute, sondern auch Gerichtsvollzieher, Zollbeamte, Vollstreckungsbeamte der Finanzämter und der gesetzlichen Versicherungsanstalten.


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Die größte Änderung des Gesetzes: Bisher konnte man in besonders schweren Fällen entweder eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren erhalten. Das wird sich nun ändern: Künftig kann man eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren aufgebrummt bekommen. Die Möglichkeit, mit einer Geldstrafe einem Gefängnisaufenthalt zu entkommen, soll es nun nicht mehr geben. Und schon sind wir wieder beim Beispiel mit den Demonstranten: Der von den Gerichten äußerst weit definierte Begriff des "tätlichen Angriffs" gegen Polizisten ist in der Praxis schnell erfüllt. "So könnte bereits ein einfaches Schubsen künftig zu einer Haftstrafe führen. Verletzungsfolgen oder -absichten sind hierfür nicht erforderlich", erklärt etwa der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) in einem Aufruf gegen das neue Gesetz.

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Neu ist auch, dass ein Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten nicht mehr nur bei der eigentlichen Vollstreckung – wie etwa einer Festnahme – geahndet wird. Die Regeln gelten künftig bei der gesamten Dienstzeit eines Vollstreckungsbeamten. Eine weitere Änderung dürfte nicht nur Köche und Mechaniker interessieren: Künftig liegt ein besonders schwerer Fall auch dann vor, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter "eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" dabei haben – "und zwar auch dann, wenn (noch) keine Absicht besteht, diese zu verwenden". Ein ungenutztes Messer oder ein Hammer in der Arbeitstasche kann das Strafmaß also erhöhen. Am besten sollte man auch keine Freunde dabei haben: Wenn der "tätliche Angriff" aus einer Gruppe heraus geschieht – etwa bei Demos oder Fußballspielen – soll die Strafe als "ein besonders schwerer Fall" noch mal höher ausfallen.

Politiker der Großen Koalition feiern den Gesetzentwurf: "Die Gewaltbereitschaft auf unseren Straßen nimmt leider zu – auch gegen Polizisten und Rettungskräfte. Mit dem heute verabschiedeten Gesetz setzen wir eine wichtige Forderung der Union aus dem Koalitionsvertrag um", sagte die rechts- und verbraucherpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker. Erst Anfang der Woche hatte die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) mit ihren Zahlen für das Jahr 2016 bestätigt, dass Straftaten gegen Polizisten und andere Rettungsdienste im Vergleich zum Vorjahr um 11,2 Prozent auf 67.114 angestiegen sind. Die Statistik ist jedoch mit Vorsicht zu genießen: Da die PKS "Tatverdächtige" auflistet, ist nicht klar, ob die Vorwürfe erhärtet wurden und es überhaupt zu Anklagen oder Verurteilungen kam.

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Ein Kritiker des neuen Gesetzes ist auch Andreas Hüttl, Strafverteidiger aus Hannover und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte. "Ein Gesetz, das offen damit begründet wird, bestimmten Berufsgruppen eine Art von 'Respekt' zollen zu müssen, ist meiner Meinung nach mit unserer Rechtsordnung unvereinbar", sagt Hüttl im Gespräch mit VICE. Hüttl vertritt regelmäßig Fußballfans nach Auseinandersetzungen mit der Polizei. Er kennt die teils hitzigen und schwer überschaubaren "Tatorte". Für Hüttl ist das Gesetz besonders vor dem Hintergrund von Artikel 3 des Grundgesetzes ("Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich") problematisch. "Gewalt gegen Menschen, gleich welcher Berufsgruppe, ist natürlich abzulehnen. Wenn jedoch nun Handlungen wie ein "Schubsen" als Tätlichkeit bei einem Bürger als Nötigung bewertet wird, dieselbe Tätlichkeit gegenüber einem Polizeibeamten nun aber zwingend drei Monate Freiheitsstrafe nach sich ziehen, ist dies mit meinem Verständnis des grundgesetzlich geschützten Gleichheitsanspruches nicht vereinbar." Und Hüttl ist nicht alleine. Es finden sich zahlreiche Kritiker bei Polizei, in Justizkreisen und in der Politik.

Neben dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein und der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen luden untere anderem Vereine wie die Linksjugend, die Humanistische Union oder Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen gestern zu einer Kundgebung vor dem Bundestag. Ihr Bündnis beschrieb die Gesetzesänderung als "völlig unverhältnismäßig" und sieht in der Gesetzesverschärfung "eine autoritäre Staatsauffassung seitens der Bundesregierung und Regierungsfraktionen". Auch der Deutsche Richterbund, die Neue Richtervereinigung und der Deutsche Anwaltsverein lehnten den Gesetzentwurf als "ungeeignet und nicht erforderlich" ab. Der Rechtsausschuss des Bundesrates kritisierte den Entwurf ebenfalls.

"Es ist schlicht nicht nachvollziehbar und vor allem juristisch bedenklich, bestimmten Funktionsträgern des Staates eine solche Sonderbehandlung zukommen zu lassen", erklärt Hüttl. "Hier sorgt der Schulterschluss zwischen Justiz und Polizeibehörden dafür, dass sich ein prügelnder Polizist recht sicher fühlen kann, dass seine Taten ungeahndet bleiben, während der schubsende Bürger mit überbordenden Strafen belegt werden soll." Die gegenüberliegende Seite sieht dies natürlich ganz anders. Die Gewerkschaft der Polizei bezeichnete den Gesetzesentwurf "als großen Erfolg", da nun "ein wirksames Instrument" geschaffen worden sei, "um die steigende Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte wirksamer bekämpfen zu können". Durch das Gesetz erhoffen sich Politik und Polizei nun mehr Respekt vor den Beamten. "Polizistinnen und Polizisten schlagen immer öfter Hass, Beleidigungen und Gewalt entgegen", sagt der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Christian Lange von der SPD.

Es bleibt jedoch fraglich, ob der "Respekt" vor Polizei und Rettungsdiensten durch ein härteres Gesetz wachsen kann. "Respekt verschafft man sich nicht durch eine Gesetzesverschärfung. Respekt, Respekt muss man sich erarbeiten", sagt Hüttl.

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