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Veganismus

Immer mehr Sportler ernähren sich vegan

Du glaubst, von Gemüse und Obst kann man keine popeye-esken Muckis bekommen? Dann erzähl das mal Tim Shieff, einem Weltklasse-Freerunner, der sich komplett vegan ernährt.
Photo via Flickr user Ian Ransley

Wenn du an ein typisches Sportler-Menü denkst, kommen dir wahrscheinlich Eiweiß-Shakes, Fleisch und haufenweise Eier in den Sinn. Und manchen Spinnern sogar Delikatessen wie Zebra-Popo.

Schließlich kannst du von Gemüse und Obst allein wohl kaum popeye-eske Muckis und einen steinharten Waschbrettbauch bekommen, oder? Denn Athleten brauchen einfach ihre tägliche—und nicht zu knappe—Eiweiß-Dosis. Muskeln müssen schließlich gefüttert werden. Das ist auch der Grund dafür, warum Karnivore weiterhin das Sagen haben, während Veganer nur am Rand stehen und ihre Linsensuppe aus Styroporbechern—die jeder Fleischesser mit seinen Blicken zermalmen könnte—löffeln. Richtig?

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Falsch.

Witze über zartbesaitete Veganer sind langweilig und längst überholt. Dass du auch ganz ohne Fleisch so richtig zupacken und zu Höchstleistungen fähig sein kannst, zeigt uns ein atemberaubendes PETA-Video mit einem der weltbesten Freerunner, Tim Shieff.

Shieff entschied sich für eine vegane Lebensweise, nachdem er sich Gary Yourofskys Youtube-Video angeschaut hatte. „Vor allem der ethische Aspekt—warum sollen für meine kulinarischen Freuden und meine Fitness Tiere leiden—hat mich sofort angesprochen. Und als ich es dann einmal ausprobiert habe, konnte ich feststellen, dass mein Körper äußerst positiv auf die Ernährungsumstellung reagiert hat."

Das wirklich Interessante an Shieffs Ernährungsplan ist nicht etwa, dass er auf Proteine verzichtet, sondern vielmehr, wie er sie ersetzt. Er ist der Auffassung, dass das übliche Eiweiß-Training-Muster Ausdruck von jener „unwissenschaftlichen Propaganda" ist, mit der uns unsere Medien fleißig füttern.

In einer idealen Woche stehen bei Sheiff—der früher eigens einen Protein-Sponsor an seiner Seite hatte (was ihm mittlerweile extrem peinlich ist)—fast gar keine Proteine mehr auf dem Speiseplan. Und die, die er noch zu sich nimmt, sind alle pflanzlichen Ursprungs. Konkret heißt das eine halbe bis ganze Wassermelone zum Frühstück, gefolgt von ein paar Datteln und einem Smoothie aus zehn Bananen (ja, du liest richtig). Zum Abendessen winkt dann ein Festmahl aus Süßkartoffeln, Reis, gedünstetem oder gekochtem Gemüse und/oder eine Gemüsepfanne mit Kokosnussöl.

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Ein buchstäblich weltmeisterliches Frühstück. Foto: Liz West via Flickr.

Das hört sich vielleicht für so manchen (Fleischfanatiker) nach einer ziemlich strikten und traurigen Diät an. Dafür ist sie aber hundertprozentig natürlich. In der Küche dieses Mannes wirst du auf alle Fälle vergeblich nach Eiweißpulvern oder Ergänzungsmitteln in Pillenform suchen. „Kalorien kannst du über Kohlenhydrate, Fette oder Proteine aufnehmen. Diese sind in allen Obst- und Gemüsesorten enthalten, wenn auch unterschiedlich hoch dosiert. So besteht etwa eine Wassermelone zu acht Prozent aus Eiweiß, bei grünem Gemüse liegt der Eiweißanteil hingegen schon bei bis zu vierzig Prozent. Und am meisten Eiweiß findest du in Spinat oder Brokkoli."

Doch es geht hierbei nicht nur um eine durchdachte Auswahl der richtigen Lebensmittel. So erzählt uns Sheiff, dass ihn seine bewusstere Lebensweise, die mit einer veganen Ernährung einhergeht, mittlerweile dazu gebracht hat, auch andere Aspekte in seinem Leben zu überdenken, vor allem was er über seinen Erholungs- und Regenerationsbedarf zu wissen glaubte. „Als ich zum Veganer wurde, merkte ich, dass Erholung nicht nur mit der richtigen Eiweißdosis zu tun hat", so Sheiff. „Mindestens genauso wichtig sind nämlich ein ausgeglichener Wasserhaushalt, Stretching, Schlaf, Zufriedenheit und Kohlenhydrate."

OK, bei So-wichtig-ist-Zufriedenheit-für-meine-Gesundheit-Erfahrungsberichten denken wir mittlerweile fast unweigerlich an Gwyneth Paltrow. Next! Fest steht aber, dass Sheiff Recht hat damit, wenn er sagt, dass sich Sportler bei ihrer Ernährung nicht nur auf eine ausreichende Eiweißversorgung konzentrieren sollten. Schließlich wissen wir alle, wie wichtig auch Kohlenhydrate für Athleten sind. Und indem vegane Sportler auf Fleisch verzichten, nehmen sie nicht nur weniger Eiweiß zu sich, sondern verringern gleichzeitig die Zufuhr von gesättigten Fetten und Cholesterin, sodass auf diese Weise „mehr Platz für Kohlenhydrate entsteht, ein wichtiger Kraftstoff für unsere Muskeln."

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Wie wir wissen, ist der Krieg gegen Fett beendet. Denn all das, was wir über die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von gesättigten Fetten „gewusst" haben, wurde mittlerweile als wissenschaftlich unfundiert entlarvt. Dennoch glaubt Shieff, seit 2011 Veganer, dass sich immer mehr Sportler davon wegbewegen, Unmengen Fleisch zu verdrücken, um fit und durchtrainiert zu sein.

„Viele von ihnen steigen stattdessen auf pflanzliches Eiweiß um", erzählt er uns. „Denn das ist leichter zu verdauen. Ich bin mir sicher, dass wir schon in naher Zukunft immer mehr Athleten sehen werden, die gänzlich auf Fleisch verzichten und trotzdem die besten in ihrer Sportart sind."

Vorbei sind die Zeiten, als ein Armdrücken mit Veganern ein lachhafter Selbstläufer war. Der mehrfache Weltmeister im Armdrücken Alexey Voyevoda (der ganz nebenbei auch noch amtierender Olympiasieger im Zweier- und Viererbob ist) dient als lebender Beweis dafür. Denn er ernährt sich zu 100 Prozent vegan. Und ist bei Weitem nicht der Einzige.

Hank Aaron, 25-maliger All Star und Mitglied der National Baseball Hall of Fame, ist Veganer. Die wahnsinnig erfolgreichen Williams-Schwestern schaffen es seit vielen Jahren, trotz—oder gerade wegen—ihrer hauptsächlich pflanzlichen Ernährung alle Gegnerinnen über den Tennis-Court zu scheuchen. Und seitdem Mike Tyson seine Boxhandschuhe an den Nagel gehängt hat, holt er sich seine Kraft durch eine „extrem" vegane Ernährung. Vom ehemaligen NBA-Star Robert Parish weiß man, dass er auf Milchprodukte verzichtet hat. Und Carl Lewis, zehnmaliger Medaillengewinner bei Olympischen Spielen, glaubt, seine größten Erfolge stehen im engen Zusammenhang mit seiner Entscheidung, auf tierische Produkte zu verzichten.

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Veganismus erfordert Disziplin. Der ehemalige MMA-Champion Mac Danzig und Snooker-Star Peter Ebdon ernähren sich beide vegan. Und auch für den WM-Triumph unserer Fußballnationalmannschaft waren keine Unmengen von Eiweiß nötig. So meinte DFB-Koch Holger Stromberg in einem Interview mit dem Spiegel, dass sich die Spieler während des Turniers ohne Milchprodukte viel besser gefühlt haben. Es gilt als relativ wahrscheinlich, dass auch Superman in einem Interview zugeben würde, für seinen Bulletproof Coffee Kokosnussöl statt Butter zu verwenden.

Die öffentliche Wahrnehmung von veganer Ernährung war anfangs nicht unbedingt positiv. Noch zum Ende des letzten Jahrhunderts hatten viele Menschen für Veganer nur Spott und Häme übrig. Er wurde durchweg als Person aus der Mittelschicht karikiert, der nach strengen ethischen Grundsätzen lebt und Mitglied der Grünen ist—und dem eine gewisse Hanf-Affinität nachgesagt wird.

Doch in den letzten Jahren hat sich das Image von Veganern und veganer Ernährung deutlich verbessert. Veganer zu sein wird schon lange nicht mehr mit zotteligen Hippies verbunden. Daran haben auch innovative Köche und Restaurants ihren Anteil—also die René Redzepis und Nomas dieser Welt: Sie haben uns gezeigt, dass auch Gemüse das Zeug zum kulinarischen Weltstar hat. Und auch Showgrößen wie Beyoncé und Jay-Z haben uns großzügigerweise wissen lassen, dass sie sich fast nur noch pflanzlich ernähren, sodass vegan sein sogar ein bisschen … sexy wurde. Fest steht: Veganismus ist nicht länger ein politisches Statement, sondern vielmehr ein Lebenskonzept, das junge, coole und kreative Menschen anzieht, die sich auch schon mal ein Gläschen Trinkessig einschenken.

Aber noch mal zurück zum Thema Profisport und vegane Ernährung. Kann es wirklich ein Wettbewerbsvorteil sein, als Athlet auf Fleisch zu verzichten? Wahrscheinlich nicht auf der rein physischen Ebene. Doch vielleicht gelingt es dir aufgrund der mentalen Disziplin, die dir eine strikt vegane Diät Tag für Tag abverlangt, leichter, dich auf das Wesentliche, auf ein übergeordnetes Ziel, zu konzentrieren. Ich habe das Gefühl, als Sportler gewachsen zu sein, seitdem ich die vegane Lebensweise für mich entdeckt habe", sagt Shieff. Es werden fortwährend neue Kräfte freigesetzt, wenn du dich selbst und deine Essensgewohnheiten besiegst."

Ich für meinen Teil werde bestimmt nicht einer Person widersprechen, die am Dachrand akrobatische Kunststücke vollbringt und zwischen Häusern hin- und herspringt, als sei sie aus dem Matrix-Drehbuch ausgebüxt. Und du?

Oberstes Foto: Ian Ransley | Flickr | CC BY 2.0