Berlin zwischen Krieg, Koks und Cocktails

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Barkultur

Berlin zwischen Krieg, Koks und Cocktails

Man kann noch heute die wechselvolle Geschichte Berlins nach der Naziherrschaft anhand seiner Bars nachzeichnen. Eine Wanderung durch Ost und West erzählt von Markus Orschiedt, dem Chefredakteur des Mixology Magazin.

„Martini, geschüttelt, nicht gerührt!" Dieser legendäre Satz stammt aus der Feder von Ian Fleming und er legte ihn seinem berühmten Agenten James Bond in den Mund. Naturgemäß hielt sich Fleming einige Male in der Agentenhauptstadt Berlin auf. Deren angesehenster Bartender seiner Zeit und Freund von Fleming ist Hans Schröder, Betreiber des mythenumrankten Rum Trader am Fasanenplatz. Eine winzige Bar, wie geschaffen für Verschwörungen, Abstürze und Ehefrauenvergiftung. Es war die Bar, die im Westen Berlins den Grundstein für die Barkultur nach dem Zweiten Weltkrieg legte, da sie auf Grund der guten Verbindungen Schröders zu den Alliierten schon damals, vor beinahe 40 Jahren, mit internationalen Qualitätsspirituosen arbeitete. In der Nähe entstanden noch die Fasanen 47 Bar und die Nachfolgerin der Weißen Maus, die in der Zeit vor dem Krieg im Osten lag und wo Champagner und Koks in Mengen eingesaugt wurden sowie einige langweilige Hotelbars.

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Dann kam erst mal lange nichts. Außer den Einstürzenden Neubauten und in den 80ern die Underground-Promidisko Dschungel, wo David Bowie, Nick Cave und Iggy Pop neben vielen anderen Künstlern feierten. Endlich floss wieder Champagner und auch das Koks wurde wieder populär. Berlins Studio 54 sozusagen. Aber es ging auch anders.

Die Bar am Lützowplatz und Harry's New York Bar im Hotel Esplanade konkurrierten Ende der 80er Jahre um Designpreise, Porschefahrer und High Heels-Ladys.

Grand Hotel Esplanade

Harry´s New York Bar

Eben das andere Berlin, das schicke Mauerblümchen. Tapfer setzten im Gegensatz dazu Green Door und Victoria Bar erste nachhaltige Zeichen für Trinkkultur jenseits von Saft, Zucker und Sahne.

Foto: Kerstin Ehmer, Katja Hiendlmayer

Victoria Bar

Der Osten und die Zeit

Schließlich wurde die Mauer abgerissen und es wurde dreckig, sexy und es kam die Avantgarde. Wer etwas auf sich hielt, ließ eine Handgranate fallen, legte ein altes Baubrett über das Loch und verkaufte lauwarmes Bier zu elektronischer Musik. Die Hütte war jeden Abend voll und gefeiert haben wir, bis komische Menschen zur Arbeit wollten—für den Westen interessierte sich keiner mehr. Außer für den Rum Trader, dort hatte man nämlich gar nicht mitbekommen, dass James Bond nicht mehr gegen die Sowjets kämpfen muss. Dort steht die Zeit einfach still wie ein Glas Wasser. Bis heute. Somit verlassen wir grammatisch die Vergangenheitsform und springen in das Präsens.

Aber natürlich, im wahren Leben rast die Zeit, sie explodiert und so wird nach dem Osten auch das alte Jahrtausend weggefeiert. In dieser wilden Phase bildet sich langsam eine neue Entwicklung heraus. Da nicht alle Bartender DJs oder Internet-Start-up-Unternehmer werden können, entschließen sich einige, diesen Beruf endlich ernsthaft zu betreiben. Und so wird gewühlt, gelesen, entdeckt. Historische Forschung nach alten Rezepten und ein neues Arbeitsethos gehören bald zum guten Ton. Diese Tendenz wird von der Industrie bald begleitet mit neuen Produkten, Wiederauflagen aus vergangenen Epochen und der Veranstaltung von Cocktail-Competitions. New York und London sind die Impulsgeber dieser Renaissance. Der Bartender gewinnt langsam an gesellschaftlicher Reputation und Berlin setzt sich an die Spitze dieser Bewegung in Deutschland. Genauer: Ost-Berlin.

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Hier etablieren sich in den letzten eineinhalb Dekaden vor allem in Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain eine Menge Bars von höchster Qualität und unterschiedlichster Konzepte. Speak Easy, Shotbar, Designerbar mit Livemusik, Szenebar, Hotelbar, Punchbar und Burgerbar. Alles ist vertreten. Die herausragenden Vertreter sind Becketts Kopf, Buck&Breck, Bar Tausend, Le Croco Bleu, Amano, Reingold, Booze Bar, Lost in Grub Street oder Chicago Williams BBQ. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Es wird mit Barrel Aged Cocktails gearbeitet oder mit Foodpairing—alles geht und die Berliner lieben ihre Barkultur. Sogar die nichtberlinerischen Eigenschaften wie Freundlichkeit und Serviceorientiertheit finden Einzug hinter dem Tresen. So ist es eine Zeitung, die vor einiger Zeit mit dem Werbeslogan: „Trinkgeld, sonst Schnauze!" an gute alte Berliner Zeiten erinnert.

Der neueste Hype am Barfirmament ist die Craft-Food- und Barbewegung. Meist in einer alten Industriehalle angesiedelt, kommt es hier zu einem wahren Genussgangbang gepaart mit Livemusik und DJs. Essensstände und Bars mischen und befruchten sich gegenseitig und der hippe Gast hat an einem Ort die Qual der Wahl. Er muss sich nicht mehr von Kiez zu Kiez quälen, vorbei an den ganzen Bedröhnten, Dealern und U-Bahn-Krakeelern: das wird nun alles pauschal organisiert geboten. Auch wir werden eben älter.

BeckettsKopf_111

Becketts Kopf

Der Kreis schließt sich Und der Westen? Im Rum Trader wird sogar die Zeit zurückgedreht, wahrer Könnerschaft tut das ja bekanntlich nicht weh. Der legitime Nachfolger des inzwischen im Himmel weilenden Herrn Schröder führt als bekennender Royalist, Komponist und Philosoph ein majestätisches Regiment und man fühlt sich bei ihm in die 1920er-Jahre zurückversetzt. Herr Scholl heißt dieser merkwürdige Mann. Obwohl ich seinen Vornamen kenne, siezen wir uns. Herr Scholl siezt jeden, auch seine Frau. Wer blöd daherredet kommt nicht rein—oder wird, zwischen Schnupftabak und Monokel, wegen seiner Irrelevanz für diesen heiligen Barkosmos zurechtgewiesen und so zum Schweigen gebracht.

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Foto: Grey Hutton

Herr Scholl im Le Croco Bleu

Die Bar am Lützowplatz hat den neuen Bartrend verpennt und kämpft um Anschluss an die Meister hinter der Bar. Harry's New York Bar hängt noch die nächsten tausend Jahre die Porträts ehemaliger US-Präsidenten über das Piano, die Victoria Bar, in der Nähe der Boulevards der Prekariatshuren, nicht weit entfernt von Führerbunker und neu erstrahlendem Potsdamer Platz, fördert Literatur, Kunst und Trinkerschaft mit Niveau.

Seit fünf Jahren gehe ich nicht nur zu Herrn Scholl, sondern auch sonst wieder in den Westen. Denn seither gibt es die nächsten Attacken gegen die geschmackliche Einfalt. Das Stagger Lee, benannt nach einem von Nick Cave besungenen amerikanischen Mörder, lässt den Saloon wieder seinen ruppigen Charme versprühen, die Bar am Steinplatz huldigt der großen Tradition der mondänen Hotelbars, setzt aber zugleich auf regionale Produkte. Mit eigens gebrautem Bier folgt sie der wachsenden Craft-Beer-Szene. In Charlottenburg macht das Galander dem einstmals verlotterten Ruf des Stuttgarter Platzes als Hauptzentrale der Zuhälter ein Ende, und funkelt in dieser eher tristen Gegend mit Barkunst.

Aber es gibt einen neuen unumstrittenen Star des Westens. Direkt über dem Berliner Zoo mit Blick auf das Affengehege hat die Monkey Bar wahre Höhen erklommen. Nicht nur an Metern, sondern auch an Zuspruch. Jeden Abend gut besucht und am Wochenende mit Warteschlange, versucht man hier die Balance aus Anspruch und Spektakel zu erfüllen. Wer dem ganzen Gebalze und Catwalk-Gehabe mal auf die Terrasse im 10. Stock entflieht, denkt darüber nach, dass der Westen wieder eine Mitte hat, die die Barkultur und die Nacht für sich neu entdeckt. Die Monkey Bar hat eingeschlagen wie eine Bombe. Der Panoramablick wandert über den Tiergarten, der nach dem Zweiten Weltkrieg ein einziger Bombenkrater und Kartoffelacker war. Richtung Osten am Reichstag kommen Augen und Gedanken an ihr Ziel. Vor dieser einst zerschossenen Ruine sprach der legendäre Bürgermeister Ernst Reuter jene bedeutenden Worte, als die Russen sich ganz Berlin holen wollten: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!" Heute geht das ganz ohne dramatisches Pathos. Hier, an dem Ort, an dem dann alles wieder begonnen hat mit der Barkultur in Berlin nach der Nazi-Scheiße. Und im Rum Trader, tief im Westen, holt Herr Scholl die Fahne ein, bittet mich in die Einsamkeit der Nacht und sperrt ab. Ausgetrunken.

Fotos: Reichstag 1945 via Flickr