An diesem Morgen scheint der Himmel über Deutschland in AfD-Hellblau. Was sich sonst nur in den Kommentarspalten des Internets und in wackeligen Smartphone-Videos manifestiert hat, haben wir jetzt als Quittung hellblau auf weiß: Die Alternative für Deutschland hat bei den drei gestrigen Landtagswahlen jeweils zweistellige Ergebnisse eingefahren. Vor allem hat die Partei es geschafft, Nichtwähler zu mobilisieren. Was uns das für die Zukunft sagt? Wählen ist endlich wieder nicht nur wichtig, sondern vor allem notwendig geworden.
Wann waren Landtagswahlen der Bundesländer Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg mal so spannend und haben so wichtige Signale gesetzt? Auf der einen Seite waren sie ein Test für den Kurs Angela Merkels in der Flüchtlingspolitik und auf der anderen Seite ein Querschnitt-Versuch der Stärke der Alternative für Deutschland.
Videos by VICE
77 Prozent der AfD-Wähler gaben allerdings in einer Umfrage im Auftrag des ZDF an, die AfD hauptsächlich zu wählen, um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Jetzt muss sich die Partei erst einmal in den Landtagen bewähren.
Nach den Livetickern, Prognosen und Expertenmeinungen folgen jetzt die Wahlanalysen. Wer kann mit wem koalieren? Was sagen uns die Wahlen für unser gesellschaftliches Rollenbild? Was passiert als Nächstes? Damit ihr euch nicht durch das Netz wühlen müsst, haben wir die herausragendsten Reaktionen zusammengefasst.
Cool bleiben! Bernd Ulrich schreibt in der Zeit davon, dass wir alles richtig gemacht haben
Trotz des hohen Prozentgewinns der Alternative für Deutschland prognostiziert Bernd Ulrich auf ZEIT ONLINE, dass wir Deutschen vor allem cool geblieben sind. Die immer noch starken Anteile der restlichen Parteien sind Messgrad für Merkels Politik und zeigen, dass die Deutschen „reif” gewählt haben. „Die Wucht der Geschichte hat die Deutschen erschüttert, aber nicht umgehauen. Die Zivilgesellschaft hält stand.“
Die Sueddeutsche schreibt schonmal die Geschichtsbücher vor
Jens Schneider analysiert den gestrigen Sonntag zeithistorisch und ist ungläubig gegenüber dem Ergebnis:
„Dieser Dreiwahlen-Sonntag wird in die bundesdeutsche Geschichte eingehen; er war und ist nämlich ein Blick in die Zukunft der deutschen Demokratie. Er zeigt, wie sich das Zerbrechen der alten Parteienlandschaft fortsetzt; und er lenkt den Blick auf die Gefahren, die der Demokratie drohen; sie tragen das Kürzel AfD; der Osten bräunelt.Der Dreiwahlen-Sonntag zeigt aber auch, wie man den Gefahren begegnet: mit entschlossener Gelassenheit, wie sie das Kennzeichen Winfried Kretschmanns ist.”
Auch die TAZ kommentiert vor allem die „Senkrechstarterin” AfD
Geörg Löwisch, Chefredakteur der taz, schreibt:
„Die Sieger dieser Wahlen vom 13. März 2016 sind die Angst, die Ausgrenzung und das Autoritäre. Die AfD als Senkrechtstarterin ist der Grund für dieses Ergebnis, die Ursache ist sie nicht. Die Ursache ist, dass viele politische Spitzenkräfte den Glauben an sich und ihre Programmatik verloren haben. Sie misstrauen ihrer Parteibasis, sie misstrauen ihren Anhängern, sie misstrauen der Bevölkerung. Im Grunde misstrauen sie Deutschland.”
„Der Wahlsieg der Alternative für Deutschland erinnert an den Aufstieg der Grünen.”
Tobias Rapp, Spiegel-Journalist und Autor des Buches Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjet, vergleicht auf Facebook den Wahlerfolg der AfD mit dem Aufstieg der Grünen und sieht darin eine Absage an das demokratische System der BRD.
DIE INTERNATIONALE PRESSE IST WENIG BEGEISTERT VON DEN DREI LANDTAGSWAHLEN
Auch international fanden die drei Landtagswahlen ein großes Medienecho. Der britischeGuardian betitelt den Wahlerfolg der AfD als politisches Erdbeben um polarisierende Parteien, spricht aber auch von dem gleichzeitigen Zuwachs an Vertrauen in die flüchtlingsfreundliche Politik Angela Merkels. Die niederländische Zeitung De Volkskraant sieht durch den Aufmarsch der AfD die seit 1949 bekannte politische Ordnung, in der „die Volksparteien der CDU und SPD zusammen fast immer ausreichend Mehrheiten hatten und Regierungskoalitionen meist aus zwei Parteien bestanden”, als beendet an. Der belgische De Standaard sieht „das starke, stabile, wohlhabende und durch die eigene Geschichte geimpfte Deutschland […] nicht mehr immun gegen den Lockruf des Rechtspopulismus.” Frankreichs auflagenstärkste Zeitung Ouest-France spricht vom Abgesang des Vertrauens in die magische Merkel und sieht den europäischen Trend des gesteigerten Haltesuchs in politischen Parteien jetzt auch in Deutschland angekommen. Die amerikanische New York Times prognostiziert Kanzlerin Merkel die härteste Herausforderung ihrer politischen Karriere.
Jan Böhmermann postet Goodbye-Video
Die vergangenen Tage hatte Jan Böhmermann immer wieder AfD-Wähler dazu aufgerufen, den Wahlzettel doch ordentlich zu unterschreiben, damit ihre Stimme auch auf jeden Fall zählen würde. Nachdem am Sonntag die Ergebnisse bekannt gegeben wurden, postete Böhmermann via Twitter nur den Song „Out Of The Game” von Rufus Wainwright.
… und Böhmermanns Fans hoffen auf den nächsten Varoufake
Jan Leyk sieht im Wahlsieg der Alternative für Deutschland einen Sieg der Demokratie
Nicht nur schafft es Jan Leyk, auf Facebook gegen Personen zu hetzen, nein. Nach seiner Analyse sind die Ergebnisse auch ein Sieg der Demokratie gegenüber der Medienhetze. Seine Facebook-Fans sehen das zum Teil anders und unter seinem Posting entstehen gerade kleinere Diskussionen.
Micky Beisenherz handelt sexistisch und veröffentlicht explizites Foto von Frauke Petry
Entertainer und Medienmann Micky Beisenherz hat sich auf Facebook zwar nicht im Ton, dafür aber gehörig im Bild vergriffen und veröffentlichte am heutigen Montag ein Foto von Frauke Petry, bei dem man ihr unter Rock schauen kann.
Während die AfD den Wahlsieg feiert, knackt Frauke Petry auf Facebook die 100.000 Likes
Zumindest was Zahlen angeht, hat die AfD viel zu Lachen: Nicht nur schafft es die Alternative für Deutschland, die deutsche Wahllandschaft aufzumischen, auch Frauke Petry kann sich auf eine Reichweite von 100.000 Likes freuen, die sie am Sonntagmorgen erreicht hat.
Auf einer Wahldemonstration in Nürnberg ist ein Journalist von AfD-Mitgliedern attackiert worden
In Nürnberg versammelten sich 150 AfD-Anhänger, um ihre Anti-Merkel-Plakate in die Luft zu halten. Die Kundgebung war am Vorplatz des Nürnberger Justizpalasts angemeldet, wo auch die Nürnberger Prozesse stattfanden und die hochrangigsten NSDAP-Mitglieder verurteilt wurden. Das hat anscheinend nicht gereicht, da auch fünf Vertreter der deutschen Presse vertreten waren: Einer der Journalisten wurde während der Veranstaltung von einem Teilnehmer attackiert. 500 Gegendemonstranten standen den besorgten Bürgern gegenüber—weiterhin war die Stimmung trotz der geringen Größe der Demonstration angespannt, die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein.
Am Gebäude der Parteifeier der AfD in Magdeburg wurde eine Flagge im Stil der NSDAP-Fahne aufgehängt
Hier kannst du mehr darüber lesen.
Titelfoto: Sandra Stein | VICE