Drogen

Lauterbachs neue Cannabis-Pläne: Erst entkriminalisieren, dann legalisieren

Alles, was ihr über die aktuellen Pläne zu Eigenanbau, Modellregionen und Cannabis-Clubs wissen müsst.
Cem Özdemir und Karl Lauterbach bei der Pressekonferenz zur Legalisierung
Foto:  IMAGO / photothek
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Alles zur Cannabis-Legalisierung

Die Erwartungen an diesen Termin waren groß: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte angekündigt, am Mittwoch endlich nach langer Wartezeit gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir die "Gesetzespläne" der Regierung zur Cannabislegalisierung vorzustellen. Nur: Was die beiden Minister dann verkündet haben, war wieder nur ein sogenanntes Eckpunktepapier. Ein erstes Eckpunktepapier hatte Lauterbach schon im Oktober 2022 vorgestellt. Und vieles, was jetzt in diesem zweiten Eckpunktepapier drin steht, ist schon seit geraumer Zeit durchgesickert. 

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Lauterbachs Pläne sind nach wie vor ziemlich vage. Viele Details zur konkreten Ausgestaltung fehlen weiterhin. Wir waren bei der Pressekonferenz mit Lauterbach und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dabei und fassen zusammen, was wir wissen und welche Fragen offen sind.


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Klar ist jetzt: Cannabis wird nicht einfach legalisiert. Zumindest nicht in diesem Jahr. Stattdessen plant Lauterbach ein "Zwei-Säulen-Modell", das zeitversetzt umgesetzt werden soll. Grob gesagt bedeutet das: Erst Entkriminalisierung. Dann Legalisierung.

Säule eins betrifft Cannabis-Clubs, Eigenanbau und Entkriminalisierung. Dafür will Lauterbach noch im April einen Gesetzentwurf vorlegen. 

Bei Säule zwei geht es um regional und auf fünf Jahre begrenzte Modellregionen, in denen der Verkauf von kontrolliert angebautem Gras in Fachgeschäften möglich sein soll. Also eine Legalisierung, aber nicht in ganz Deutschland. Erst danach, und wenn man die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitstudien ausgewertet hat, könnte Cannabis vollständig legalisiert werden. Die Pläne im Detail:

Säule eins: Cannabis-Clubs, Entkriminalisierung und Eigenanbau

Zunächst einmal will Lauterbach Cannabis-Clubs ermöglichen, die er explizit nicht "Cannabis-Social-Clubs" nennen will. Geht es nach dem Bundesgesundheitsminister, sollen Kifferinnen und Kiffer zwar künftig Vereine gründen können, um dort zum Selbstkostenpreis qualitätsgeprüftes Cannabis anzubauen und an die Mitglieder abzugeben. Kiffen soll man dort aber nicht dürfen. Allerdings sei sich die Koalition in diesem Punkt uneinig, sagte Cem Özdemir. 

Jeder Club darf maximal 500 Mitglieder haben, die mindestens 18 Jahre alt sein und in Deutschland leben müssen. Sind sie mindestens 21, dürfen sie dann maximal 25 Gramm Cannabis pro Tag und maximal 50 Gramm pro Monat zum Selbstkostenpreis beziehen. Außerdem maximal sieben Samen oder fünf Stecklinge pro Monat. Bei Mitgliedern zwischen 18 und 21 Jahren sind es maximal 30 Gramm pro Monat. 

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Könnte man dann nicht einfach mehreren Cannabis-Clubs beitreten? Gemäß den Plänen soll das nicht möglich sein. Jeder Club darf außerdem nur so viel anbauen und ernten, um den Bedarf seiner Mitglieder zu decken. Verkauft werden in den Clubs ausschließlich Blüten und Harz, also keine weiterverarbeiteten Produkte, wie Edibles oder Getränke. Ein Verkauf darüber hinaus ist nicht vorgesehen.

Sobald das Gesetz zur Säule eins in Kraft tritt, sind der Konsum und Besitz von Cannabis legal. Wann genau das sein wird? Das ist aktuell noch unklar. Lauterbach und Özdemir sprachen vage von "Ende des Jahres". Der Gesetzentwurf muss aber ohnehin noch durchs Parlament, bevor er beschlossen wird. Dabei wird er meistens noch mal verändert. 

Geplant ist jedenfalls, dass Erwachsene bis zu 25 Gramm Gras oder Haschisch für den Eigenkonsum besitzen dürfen – auch außerhalb von Cannabis-Clubs. Allerdings können sie es nicht in der Nähe von Schulen, Kitas, sowie in Fußgängerzonen bis 20 Uhr konsumieren. Das bleibt verboten. Das gilt ebenso für den Handel ohne entsprechende Lizenz und die Abgabe an Nicht-Mitglieder von Cannabis-Clubs sowie an Kinder und Jugendliche. 

Für Cannabis im Straßenverkehr gelten aktuell noch sehr strenge Regeln. Auch die könnten etwas gelockert werden. Konkrete Grenzwerte haben Lauterbach und Özdemir noch nicht genannt. Diese würden aber geprüft und sollen sich ausschließlich auf die "Erfordernisse der Verkehrssicherheit" beziehen. Die aktuell gängige Praxis einiger Bundesländer, trotz eingestellter Strafverfahren Konsumentinnen und Konsumenten, die mit Gras erwischt werden, den Führerschein zu entziehen oder sie eine teure medizinisch-psychologische Untersuchung machen zu lassen, soll es also nicht mehr geben. "Eine Ersatzstrafe statt Strafverfolgung soll nicht mehr möglich sein", sagte Özdemir.

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Außerdem soll es Amnestien in allen laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren geben, bei denen es um Taten geht, die nach der neuen Gesetzgebung nicht mehr verboten sind. Also etwa der Besitz von 25 Gramm oder der Eigenanbau von maximal drei Pflanzen, den das neue Gesetz ebenfalls erlauben soll. Entsprechende Eintragungen soll man dann aus dem Bundeszentralregister löschen lassen können. "Es würde keinen Sinn machen, wenn diejenigen ihre Strafen registriert behalten, wenn die Strafen gar nicht mehr vorgesehen sind", sagte Lauterbach.

Säule zwei: Modellregionen

Eine bundesweite Legalisierung wird es also erstmal nicht geben, aber in ausgewiesenen Modellregionen. Dort soll es lizenzierte Fachgeschäfte geben, die Cannabis aus kontrolliertem legalem Anbau beziehen und an Erwachsene ab 18 Jahren verkaufen dürfen.

Unklar ist dabei noch, wo diese Modellregionen sein werden, wie viele es davon geben soll und wie groß diese Regionen sein dürfen. Cem Özdemir nannte als Beispiel eine "Modellregion Franken" im Bundesland Bayern. Das wäre ein ziemlich großes Gebiet. Lauterbach sagte, man prüfe, ob auch ein Import von Cannabis möglich sein werde, um den Bedarf der Modellregionen zu decken. Offenbar denkt also auch Lauterbach in eher größeren Dimensionen. Georg Wurth vom Hanfverband stimmt das zuversichtlich. 

"Zuerst dachten wir, dass es sich bei den Modellregionen um eine Verzögerungstaktik der Legalisierung handelt", sagt Wurth gegenüber VICE. Die geplanten Modellregionen sind auf fünf Jahre ausgelegt. Eine bundesweite Legalisierung ist damit in dieser Legislaturperiode hinfällig. "Aber wenn es sich bei den Modellprojekten um große Regionen handelt, sieht die Sache ganz anders aus", sagt Wurth. Dann wäre zum Beispiel auch denkbar, dass sich ganz Berlin als Modellregion bewirbt. Das hält auch die drogenpolitische Sprecherin der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, für möglich. "Mein Wunsch wäre, dass die Regionen relativ groß sind", sagt auch sie gegenüber VICE. "Ob Berlin als Modellregion realistisch ist, ist angesichts der schwarz-roten Koalitionspläne schwer ausmachbar." 

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In welchem Verfahren die Modellregionen bestimmt werden, ist bislang nicht bekannt. "Ich stelle mir vor, dass die Regionen für sich selbst identifizieren müssen, ob sie Modellprojekte sein wollen", sagt Kappert-Gonther. "Einer Region ein Modellprojekt ungefragt überzustülpen, stelle ich mir schwierig vor." 

Einkaufen dürfen in den Modellregionen aber ausschließlich die Menschen, die auch dort wohnen. Damit soll verhindert werden, dass man einfach in eine Modellregion fährt, in der man nicht wohnt, um dort einzukaufen.

THC-Obergrenzen für 18- bis 21-Jährige tauchen in dem aktuellen Eckpunktepapier nicht mehr auf. Es ist unklar, ob das Thema am Ende im Gesetzentwurf eine Rolle spielen wird. Kristine Lütke, die drogenpolitische Sprecherin der FDP, jedenfalls sagt gegenüber VICE, sie lehne THC-Obergrenzen generell ab: "Das ist eine Überregulierung, die nur dazu führt, den Schwarzmarkt aufrechtzuerhalten." 

Ob es in den lizenzierten Fachgeschäften auch THC-haltige Getränke und Edibles, zum Beispiel Schokolade oder Gummibärchen, geben soll, wird geprüft. Auch in diesem Punkt gibt es in der Koalition verschiedene Positionen. Lauterbach sagte, er persönlich sei "kein Fan von Edibles". Kirsten Kappert-Gonther dagegen hält Edibles in neutralen Verpackungen für ein Mittel zur Schadensminimierung, weil man so nicht rauchen muss, um Cannabis zu konsumieren. 

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Die geplanten Modellregionen sind auf eine Laufzeit von fünf Jahren angesetzt und werden wissenschaftlich begleitet. Das Ziel sei, so Lauterbach, "eine Feldstudie, die die Grundlage bilden soll für eine europäische Cannabispolitik". Der Plan sei, sich mit anderen europäischen Ländern zusammenzuschließen, die ebenfalls an einer Legalisierung interessiert seien und dann – auch mit Hilfe der in den Modellregionen gewonnenen Daten – für ein Umdenken der EU in der Drogenpolitik zu werben. Insgesamt sieben europäische Staaten seien nötig, um einen entsprechenden Antrag einzubringen.

"Es ist ein Jammer, dass nach der vorherrschenden juristischen Meinung, die EU-Regularien derzeit noch dem Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften im Wege stehen", sagt Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen. Unter den gegebenen Umständen sei Lauterbachs Vorhaben aber "ein wirklich sinnvoller Weg". Trotzdem hält sie es für möglich, nicht unbedingt die gesamte Laufzeit der Modellprojekte abzuwarten, um einen neuen Vorstoß bei der EU zu wagen. "Gegebenenfalls ist das bereits auch nach zwei oder zweieinhalb Jahren auf Basis eines Zwischenergebnisses möglich" 

Ob die EU am Ende den Plänen einer bundesweiten Cannabislegalisierung, wie sie sich die Ampelparteien in den Koalitionsvertrag geschrieben hatten, zustimmen wird, bleibt dabei offen. "Wir haben das Zutrauen, dass wir mit unserer Strategie Erfolg erzielen", sagte Lauterbach. "Aber wir können nicht ausschließen, dass es am Ende bei der ersten Säule bleibt."

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