Martin Sonneborn und Marco Bülow auf der Treppe vor dem Bundestag.
Alle Fotos: Eva Kienholz
Politik

Sozialdemokrat läuft über: Die PARTEI sitzt jetzt im Bundestag

Für die feierliche Verkündung ist Partei-Chef Sonneborn mal wieder in seinen grauen Anzug gestiegen.

Nass ist es an diesem Dienstagmittag vor dem Bundestag. Und grau. Vor allem grau. Grauer Himmel, ein grau anmutendes Gebäude, Menschen in billigen, grauen Anzügen. Sie wollen einen "großen Tag" zelebrieren.

Die Satirepartei Die PARTEI hat schon die Mauer wieder aufbauen und Managergehälter an BH-Größen koppeln wollen, im Europaparlament hat sie auch ernsthaft für die Seenotretter argumentiert – aber einen Bundestagsabgeordneten konnte sie nicht vorweisen. Bis jetzt.

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Schon seit Tagen hat der ehemalige SPD-Politiker Marco Bülow auf seinem Twitter-Account Andeutungen gemacht, während Parteichef Martin Sonneborn den Einzug seiner Truppe in den Bundestag angekündigt hat – "und zwar durch den Übertritt eines MdB". Doch nicht nur das: "Zwei Abgeordnete stürmen den Bundestag, begleitet von 25 PARTEI-Freunden in offiziellem Grau." Na dann.

Martin Sonneborn vor dem Bundestag.

Martin Sonneborn und Marco Bülow treten vor die Presse. In fünf Minuten soll Bülow seinen Parteiausweis mit der Mitgliedsnummer 50.000 bekommen, verkündet Sonneborn feierlich. Er trägt zu seinem grauen PARTEI-Mantel ein blaues Käppi mit der Aufschrift: "Make Europe knorke again." Eigentlich weilt Sonneborn als EU-Parlamentarier zumeist in Brüssel.

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Bülow wirkt neben dem chronisch satirischen Sonneborn sympathisch bis geerdet, bisschen wie der Typ von nebenan. Seine Motivation für den Eintritt in die PARTEI erklärt er so: "Ich hab gemerkt, wie weit sich viele Menschen von klassischer Politik entfernt haben, weil sie sich nicht mehr angesprochen fühlen." Durch Satire, Zuspitzung und Spott könnten aber diese Menschen wieder zur Politik kommen. Ein Zuhörer trinkt darauf erstmal einen Schluck von seinem mitgebrachten Dosenbier – "Wegbier" steht darauf. Direkt hinter den beiden Politikern haben sich etwa zwanzig Parteikader aufgestellt. Alle sind grau gekleidet, alle tragen Mundschutz. Fast würde es zu homogen wirken, würde da nicht ein Typ mit Turban und bunter Plastikpistole samt Munitionsgürtel stehen. Der gehöre aber nicht dazu, versichert Paula, ein PARTEI-Mitglied, später. "In Berlin gibt es genügend Verrückte, die noch keinen Mitgliedsantrag gestellt haben."

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Mitglieder der PARTEI.

Wie verrückt oder satirisch die PARTEI eigentlich noch ist, haben sich zuletzt so manche gefragt. Bei der Europawahl 2019 holten Sonneborns Parteigänger in zahlreichen Städten mehr Stimmen als die FDP, waren unter Erstwählern drittstärkste Kraft. Der Spiegel unterstellte daraufhin, die Partei mache "Schluss mit lustig". Sonneborn hat zuletzt bei Jung & Naiv in gewohnter Art klargestellt, dass "ernsthafte Politik" mit ihm nicht zu machen sei. Neben ihm in der Sendung saß Bülow, der nachdenklich betonte: "Satire ist nicht gleich Klamauk." Klar wird: Der Ex-SPDler will noch ernsthaft Politik machen. Warum genau er zur PARTEI und nicht zu den Linken oder den Grünen gegangen ist, wenn es ihn schon weg von den Groko-Sozialdemokraten getrieben hat, wird weder auf Youtube noch vor dem Bundestag ganz klar. Ein bisschen wirkt er wie der Typ im Freundeskreis, der erzählt, dass er aus Enttäuschung über alle linken Parteien dieses Mal die PARTEI gewählt hat.

Parteigänger blicken zum Bundestag.

Vor dem Bundestag erklärt Bülow ernst: "Ich werde keinen Satirepreis gewinnen." Trotzdem oder gerade deshalb händigt ihm Sonneborn dann endlich einen überdimensionierten Mitgliedsausweis aus. Mehr als 15 Jahre nach ihrer Gründung bekommt die PARTEI damit ihr erstes Bundestagsmandat. Ihre Anhänger klatschen und rufen: "Hurra!" Den Bundestag stürmt hier erstmal keiner.

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Während andere grau Gekleidete oder Interessierte eine Traube um Sonneborn und Bülow bilden, steht Jannis etwas abseits. Er ist 18 Jahre alt, studiert seit diesem Semester Geschichte und Philosophie in Potsdam. "Ich überlege, der PARTEI beizutreten", erzählt er. "Ich habe mal mit der CDU sympathisiert, aber inzwischen sind alle Parteien gleich inhaltslos." Die PARTEI schätze Jannis für ihren Stil. "Intelligente Satire statt Apathie."

Bülow prangert derweil die "Lobbyrepublik" an, in der wir uns befinden würden, "wo einzelne Profitlobbyisten Gesetze schreiben, den Ministerien diktieren, was sie zu machen haben und auch den Bundestagsabgeordneten diktieren, was sie zu machen haben und sich die meisten im Bundestag diesem Diktat unterworfen haben." Damit würden Parteien nicht mehr diejenigen repräsentieren, die im Krankenhaus oder als Busfahrer arbeiten und die sich dadurch immer weiter von der Politik entkoppeln würden. "Wir haben ein verkrustetes System, was aufgebrochen werden muss."

Lobbyisten, Diktat, verkrustetes System, unterworfene Abgeordnete - so ein bisschen klingt Bülow mit seiner arg pauschalen Kritik wie ein Querdenker, auch wenn er mit dieser Art der Verschwörungstheoretikern sicher nichts zu tun haben will.

Mit Bülow baut der stets zwinkersmileyge Sonneborn den realpolitischen Flügel der PARTEI aus. Schließlich will sie bei der nächsten Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde knacken. Bülow will dann in seinem Dortmunder Wahlkreis kandidieren. Im Bundestag hat er viele Jahre Erfahrung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

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Martin Sonneborn und Marco Bülow auf der Treppe zum Bundestag.

So richtig will die Stimmung an diesem Tag aber nicht aufkommen. Vielleicht schreit die Gegenwart mehr nach Ernst als nach Satire. Auf einer Corona-Demo in Leipzig gab es ein Reichsflaggen-Plakat von der PARTEI: "Zwangsimpfung jetzt! Der Kaiser hätte es so gewollt". Das reicht aber nur, um die Demonstrierenden zu ärgern, nicht um ernsthaft gegen Rechtsruck oder den Klimawandel zu kämpfen. Außerdem scheinen alle satirischen Zuspitzungen irgendwie schon gemacht.

Sonneborn versucht es an diesem Tag trotzdem, wenn er über die Argumente der Corona-Leugner zum Infektionsschutzgesetz sagt: "Einen Kritikpunkt, den ich mir gemerkt habe, war, dass selbst Hitlers Ermächtigungsgesetz nur auf vier Jahre befristet war. Dieses Gesetz ist nicht befristet." Diesen Satz kritisiert dann gleich ein Politiker der Linken auf Twitter. Er unterstellt Sonneborn einen direkten Vergleich des Ermächtigungsgesetzes der Nazis mit dem Infektionsschutzgesetz. Darüber lacht dann digital keiner mehr. 

Immerhin reicht die PARTEI an diesem wolkenverhangenen Tag Bier – "Sonnebräu", das nach einer besonderen Methode hergestellt wird: "Dabei wird jede einzelne Flasche von Martin Sonneborn, Mitglied des Europäischen Parlaments, sorgfältig ausgetrunken und anschließend mit herkömmlichem Tankstellen-Pils wieder aufgefüllt. Prost!"

Am Ende bleibt der angekündigte Sturm auf den Bundestag aus. So weit geht die PARTEI dann doch nicht. Irgendwo hört der Spaß auf. Für die Presse wird nur ein Sturm simuliert. Er endet vor den Absperrgittern, die seit jenem echten, aber misslungenen Sturm am Rande einer Anti-Corona-Demo den Bundestag beschützen.

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