Ihre Arbeit verrichten die Löscharbeiter anonym mit ihren privaten xHamster-Accounts. Nicht einmal xHamster weiß, wie sie alle wirklich heißen. Für unsere Recherche ist das ein Vorteil: Keiner schöpft Verdacht, dass hinter dem Account von Holger eigentlich VICE-Journalisten stecken.Mehrere Wochen lang sichten wir als Löscharbeiter für xHamster mutmaßlich legale und illegale Inhalte, studieren die internen Regeln der Pornoplattform und sprechen mit anderen Löscharbeitern. Unsere Recherche zeigt: xHamster fordert seine Löscharbeiter ausdrücklich auf, selbst solche Inhalte durchzuwinken, an deren Rechtmäßigkeit sie erhebliche Zweifel haben, sofern sie sich nicht zu 100 Prozent sicher sind, dass sie gegen die Regeln von xHamster verstoßen. Diese Regeln bieten aber keinen umfassenden Schutz vor sexualisierter und digitaler Gewalt auf der Plattform.Aufnahmen von mutmaßlich Minderjährigen, die dem Gesetz gegen Verbreitung von Jugendpornografie zufolge strafbar sein könnten, werden von den Löscharbeitern so nur mangelhaft aussortiert. Durchgewunken werden auch Aufnahmen, die dem Anschein nach von Spannern gegen den Willen der gezeigten Personen verbreitet werden. Das Interesse der xHamster-Besucher an diesen Inhalten ist offenbar groß: Die Genres "Teen" und "Voyeur" werden auf der Startseite von xHamster präsentiert.
In den eigenen, englischsprachigen Nutzungsbedingungen zeichnet xHamster ein ideales Bild von Online-Pornografie. Demnach verpflichten sich Uploader, "das schriftliche Einverständnis, die Freigabe und/ oder die Erlaubnis jeder einzelnen identifizierbaren Person" zu besitzen. Verboten sind laut Nutzungsbedingungen neben Copyright-Verstößen alle Uploads, die "gesetzeswidrig, schädlich, bedrohlich, missbräuchlich, belästigend (….) oder anderweitig anstößig" sind. Außerdem betont xHamster in fetten Großbuchstaben: "Wir haben eine Null-Toleranz-Policy gegenüber pornografischem Material mit Minderjährigen".Würden sich alle an diese Regeln halten, dann wäre xHamster eine Plattform für sexuelle Freiheit und selbstbestimmten Austausch unter Gleichgesinnten. Nutzerinnen und Nutzer würden nur Aufnahmen von sich selbst oder von Menschen hochladen, deren Einverständnis sie haben. Auch xHamster-Sprecher Hawkins betont, xHamster habe "nie die Absicht gehabt, Menschen zu erlauben, jemanden bloßzustellen oder zu demütigen". Deshalb fordere die Plattform Menschen dazu auf, zusammen daran zu arbeiten, dass xHamster ein "sicherer Ort" sei.Unsere Recherche im Löschteam zeigt aber: Die Realität sieht komplett anders aus. Die Löscharbeiter sollen nach Augenschein entscheiden, ob eine Person unter 18 sein könnte oder nicht. Bilder von mutmaßlich Minderjährigen werden deshalb nur dann verlässlich von den Löscharbeitern entsprechend markiert, wenn sie eindeutig kindlich aussehen. Sollten Löscharbeiter den Verdacht haben, es könnten illegale Voyeur-Aufnahmen vorliegen, dann haben sie nicht mal die Option, nach schriftlichen Einverständniserklärungen zu verlangen.Trigger-Warnung: Dieser Text enthält explizite Schilderungen von sexualisierter Gewalt, die unter Umständen retraumatisierend sein können.
So haben wir uns ins Löschteam von xHamster geschleust
Zentrale Plattform für Löscharbeiter: das nur für "Freunde" sichtbare Profil des "RClub" | Screenshot: xHamster
Holger: "Klar, wie viel brauchen wir denn?"
Keine Antwort.Ob all das noch zum Bewerbungsverfahren gehörte? Wenn ja, dann ließen sich für Holger keine Kriterien erkennen. Er hakte freundlich nach, zwei Tage später, elf Tage später. Ob er etwas falsch gemacht habe? Keine Reaktion.
Inside xHamster: Der Arbeitsplatz der Löscharbeiter
Sheriffsterne für die "Reviewer des Monats" | Screenshot: xHamster
Elf Knöpfe entscheiden über erlaubte und verbotene Fotos
Die Web-Oberfläche für Löscharbeiter – unverpixelt im Original | Screenshot: xHamster
Ein Counter dokumentiert, wie viele Fotos Holger bereits überprüft hat. Gelöscht wird ein Foto erst, wenn mehrere Löscharbeiter darüber ihr Urteil gefällt haben. Das funktioniert so: Holger sieht zum Beispiel das Foto eines Mädchens in Kleidern. Aber auch die nicht-sexualisierte Darstellung von Menschen unter 18 ist auf xHamster grundsätzlich nicht erlaubt. Holger klickt also auf "Underage". Doch erst, sobald auch andere seiner Kollegen das Foto überprüft und auf "Underage" geklickt haben, wird es von xHamster entfernt.Kommen Holgers Kollegen mehrheitlich zu einem anderen Urteil, dann bleibt das Foto online und in Holgers persönlicher Statistik wird ein Fehler verzeichnet. Solche Fehler sollte er möglichst vermeiden. Wer mehr als 15 Prozent der Fotos falsch einordne, so heißt es jedenfalls im älteren der beiden Handbücher, verliere dauerhaft den Status als Löscharbeiter. Ob das weiterhin gilt oder ob Fehler bei der Löscharbeit heute andere Konsequenzen haben, hat xHamster nicht beantwortet.Hast du mal bei Pornhub, xHamster oder einer anderen großen Pornoplattform gearbeitet – oder arbeitest dort noch immer? Hast du schon mal versucht, Inhalte von dort löschen zu lassen? Wir würden uns freuen, von dir zu hören. Du erreichst uns verschlüsselt via Signal oder WhatsApp (+49 152 1012 4551) sowie Threema 27DS6P2R, am besten mit einem Gerät, das nicht deinem Arbeitgeber gehört.
Der erste Tag als Löscharbeiter: Ist das noch ein Kind?
Aus dem Handbuch für Löscharbeiter | Screenshot: xHamster, "New reviewers manual"
Holger fragt seine Kollegen im "Reviewers Club" nach Kriterien für die Entscheidung – und stößt eine Diskussion an. Ein Kollege, der offenbar schon länger dabei ist, zeigt sich von der Frage genervt. "Wir haben die Schnauze verdammt voll davon", schreibt er. "Das Handbuch sagt dir, was nicht erlaubt ist. Und wenn es nicht im Handbuch erwähnt ist, solltest du annehmen, es ist OK."Ganz so einfach ist es aber nicht. Es gibt noch ein sieben Jahre altes, ergänzendes Handbuch mit ein paar knappen Erläuterungen. Zumindest einige Löscharbeiter beziehen sich in ihren Diskussionen darauf. Darin heißt es: "Schau nach Piercings, Tätowierungen, der generellen Fülle des Körpers, Dehnungsstreifen und so weiter."Weitere Löscharbeiter pflichten Holger bei. "Mann, es ist unmöglich, Minderjährige zu reviewen", schreibt einer. Ein anderer schreibt: "Glaub mir, auch wir 'Experten' haben das gleiche Problem." Die Entscheidung müsse man nach Bauchgefühl treffen. "Wahre Minderjährigkeit liegt im Auge des Betrachters.""Mann, es ist unmöglich, Minderjährige zu reviewen"
Admin: "Hi. Du kannst skippen, das ist besser, als einen Fehler zu machen."
Holger: "Danke! :) Aber wenn ich skippe, heißt das, dass niemand überprüfen wird, ob die Person tatsächlich minderjährig ist?"
Admin: "Wenn du skippst, wird es jemand anderes reviewen =)"Wenn ein Kollege bereits Bedenken zu einem Foto geäußert hat, erscheint auf der Web-Oberfläche die Warnung: "Achtung: Dieser Inhalt wurde von einem anderen Reviewer als 'Underage' markiert, bitte überprüfe ihn sorgfältig!" In einem solchen Fall sollen Löscharbeiter den Anfangsverdacht ihres Kollegen bestätigen oder zurückweisen. Dafür können sie aber nichts weiter tun, als das Bild noch einmal zu betrachten. Es gibt keine vorgesehene Möglichkeit, den Uploader eines Bildes zu konfrontieren und weitere Informationen einzufordern.
Tausende Fotos täglich: So tickt das Löschteam von xHamster
Die fleißigsten xHamster-Löscharbeiter aller Zeiten | Screenshot: xHamster
So können Löscharbeiter mehrere Bilder auf einmal zuordnen | Screenshot: xHamster
Manche Kolleginnen und Kollegen von Holger sind sich ihrer Verantwortung offenbar bewusst. Einer von ihnen ist Niklas, der wie die meisten Löscharbeiter eigentlich anders heißt. Um unseren Undercover-Löscharbeiter Holger nicht zu enttarnen, schreiben wir ihn mit einem separaten xHamster-Account an, und geben uns offen als Journalistin zu erkennen.Niklas sagt, er sei 19 Jahre alt, Single, Handwerker aus Bayern. Ihm sei es wichtig, Fotos von Minderjährigen auszusortieren. Zum einen, "weil das hier kein Ort sein sollte, um solche Bilder zu verbreiten", zum anderen, weil "es ja sowieso verboten ist" und er "auch die anderen Mitglieder hier davor schützen" wolle. Aber wie trifft er solche Entscheidungen? "Die Regeln sind nicht gerade sehr eindeutig", schreibt er. Manchmal sei es schon schwer zu entscheiden, ob ein Bild gegen die Richtlinien verstößt oder nicht.Andere Kollegen von Holger haben bei der Löscharbeit wohl eher ihre persönlichen Bedürfnisse im Blick. Einer von ihnen stellt sich uns als Hausmeister aus London vor; nennen wir ihn Bryan. Er sei erst seit einigen Wochen Teil des "Reviewers Club". xHamster sei seine Lieblingspornoseite, er habe habe hier in den letzten Jahren tonnenweise Zeit verbracht. Seine Motivation? "Ich bin süchtig nach Pornos und Sex und ich wollte etwas Neues erleben.""Ich bin süchtig nach Pornos und Sex und ich wollte etwas Neues erleben."
Löscharbeiter sollen "echtes" und gespieltes Weinen unterscheiden
"Fundstücke aus dem Internet": Was Löscharbeiter durchwinken sollen
Die Gesetze von xHamster: Voyeurismus OK, Regelblutungen verboten
Diskussion unter Löscharbeitern | Screenshot: xHamster
Admin: "Hi, hast du irgendeinen Beweis, dass der Content ohne Einverständnis veröffentlicht wurde?"
Holger: "Hi :) Nein, aber ich habe auch keinen Beweis für das Einverständnis :("
Keine Reaktion.Drei Tage später fragt Holger, ob man den Uploader bitten könne, Dokumente über das Einverständnis der gezeigten Personen vorzulegen.
Keine Reaktion.Vier weitere Tage später wiederholt Holger seine Frage. Endlich antwortet die Administratorin – aber sie geht inhaltlich nicht auf die Frage ein.Sie erklärt, dass man Nutzer kontaktieren könne, wenn eine Urheberrechtsbeschwerde vorliege. So eine Beschwerde stellen Rechteinhaber, wenn Fremde ihr Bildmaterial ohne Erlaubnis verwenden. Mit dem Alltag als Löscharbeiter hat das aber nichts zu tun. Holger ist kein Rechteinhaber und kann so eine Beschwerde nicht stellen. Für ohne Konsens veröffentlichte Aufnahmen bedeutet das: In aller Regel wird demnach nur die abgebildete Person selbst bewirken können, dass xHamster den Uploader kontaktiert – wenn es schon zu spät ist und das Material kursiert.Wir haben xHamster gefragt: Inwiefern ist das angemessen, um Opfer von bildbasierter, sexualisierter Gewalt – sogenannten Rachepornos – zu schützen? Keine Antwort. Stattdessen schilderte xHamster-Sprecher Hawkins erneut, dass sich Betroffene selbstständig bei xHamster melden können. Immerhin: Hawkins bestätigt, dass Uploader nach Dokumenten gefragt werden könnten. Wie oft das passiere? Keine Antwort.Während xHamster selbst bei möglicherweise strafbaren Formen von Voyeurismus ein Auge zudrückt, ist die Plattform bei einem anderen Thema besonders streng: Regelblut. Dabei sind Fotos von Regelblut definitiv nicht illegal. Die Bemerkung im Handbuch steht etwas versteckt unter dem Stichwort "Shitting". Dort heißt es lakonisch: "Perioden und Kotze sind auch verboten." Offenbar ist es auf xHamster besonders leicht, Fotos zu verbieten, wenn sie sich mutmaßlich weniger gut zur Selbstbefriedigung eignen. Rückfragen zu diesem Thema ließ die Plattform unbeantwortet.