Popkultur

Deutsches 'Queer Eye' – So sind die ersten Folgen 'Queer 4 you'

Ästhetisch wirkt es wie 'Mitten im Leben' meets 'Abendschau'.
Die vier Hosts von "Queer 4 you"
Foto: rbb | Stini Röhrs

Sven Rebel möchte, dass Beate sich endlich akzeptiert, wie sie ist. Dazu bringt er die Krankenschwester in ein Tanzstudio, stellt sie vor den Spiegel und fragt: "Wieso bist du nicht selbstbewusst?"

Würde Beate die Antwort kennen, würde sie nicht dort stehen. Hier wäre eher ein Psychologe gefragt, doch Sven macht weiter: "Was fühlst du, wenn du dich jetzt anschaust?" Pause. "Was ist denn positiv an dir?" Er schaut Beate eindringlich an, als würde er warten, bis sie endlich anfängt zu weinen. Für die nötige Dramatik läuft im Hintergrund Klaviermusik.

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Sven Rebel ist einer der Coaches von Queer 4 You. Die Sendung soll wohl die deutsche Ausgabe der amerikanischen Make-over-Show Queer Eye sein. Der rbb zeigt sie ab dem 13. Januar – alle Folgen sind allerdings schon jetzt online abrufbar.

In dem Format nehmen sich vier schwule Männer einem "Problemfall" an. Diesen gilt es zu optimieren, innerlich und äußerlich, der Person zu helfen, ein besseres Leben zu führen, sie vielleicht sogar zu heilen, und dabei das Publikum zu unterhalten. Doch leider ist Queer 4 You nur die dröge deutsche Stiefschwester des amerikanischen Queer Eye.

Wir haben die ersten Folgen für euch geschaut.

Queer 4 you im rbb Fabian Hart mit Beate

Fabian Hart inspiziert mit Krankenschwester Beate deren Kleiderschrank | Foto: rbb

In Folge eins kümmern sich Chris Glass (Interior), Fabian Hart (Fashion), Christian Fritzenwanker (Körperpflege) und Sven Rebel (Life Coach) um die Krankenschwester Beate. Die 50-Jährige war mit einem gewalttätigen Alkoholiker liiert, wurde fettleibig, nahm dann ab. Es fällt ihr aber immer noch leichter, sich um andere zu kümmern als um ihre eigenen Bedürfnisse. "Ich sitze abends auch manchmal da und weine", erzählt sie vor der Kamera. Nun sollen die vier Queens ihr ein Make-over geben: neue Einrichtung, neuer Look, neues Lebensgefühl.

Das Team von Queer Eye schafft das in jeder Sendung. Was das US-Original so besonders macht, ist die Art der fünf Hosts, die sich um ihre Protagonisten kümmern. Sie haben genug Empathie, um sich in die Welt ihrer Schützlinge zu denken und herauszufinden, was die Menschen wirklich brauchen. Dabei überzeugen die Moderatoren ganz nebenbei noch mit genug Starpower, Bodenständigkeit und Charisma, um dem Format das gewisse Etwas zu geben – und auch mal zu Tränen zu rühren. Vor allem in Episoden, in denen sie sich Aufgaben stellen, an denen sie selbst wachsen, wenn sie zum Beispiel homofeindliche Rednecks umstylen. Aus all diesen Gründen gibt es mittlerweile vier Staffeln, die die Jungs zu Stars gemacht haben.

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Diesen Text würde es wohl nicht geben, würde das Format auch mit den deutschen Coaches so funktionieren, wie die Kollegen vom rbb sich das vorgestellt hatten. Doch im Laufe der ersten Folge kommt es zu mehreren Momenten, die schlichtweg unangenehm sind.

Sven, Chris und Christian leben, soweit man es erkennen kann, alle in hippen Berliner Bezirken, irgendwo zwischen Mitte und Schöneberg. Fabian kommt aus Hamburg. Ihr Großstadt-Dasein spiegelt sich in ihren Laufsteg-Outfits wider. Wieso das wichtig ist? Weil die vier mit genau diesem Mindset an das Vorhaben gehen: Sie verlassen ihre Welt nicht, bleiben gedanklich in ihrer fancy Großstadt-Blase und lassen sich kaum auf Beates Welt ein.

Fabian Hart, seines Zeichens Mode-Dozent, Mode-Kolumnist und Influencer, nimmt Beate mit in einen Second-Hand-Store: "Das Neue Schwarz" in Berlin-Mitte. Hier gibt es gebrauchte Designerkleidung zu überteuerten Preisen. Vivienne Westwood, Prada, Gucci, Comme des Garçons – ob Beate die Marken überhaupt kennt und sich die Ware leisten kann? We don’t think so. Die Krankenschwester ist seit geraumer Zeit krankgeschrieben, wie sie selbst verrät. Sie lebt mit ihrer Katze Lotti in einer Dreizimmerwohnung in Pankow. Fabian Hart schüttelt einmal die Rolex am Handgelenk, die verhakt sich wahrscheinlich zu gerne mit dem diamantenbesetzten Goldarmreif (wahrscheinlich Cartier, Darling!), preist die Kleidung als "schöne Alternative" an, statt, wo Beate sonst hingeht, Kleidung im Supermarkt zu kaufen. Immerhin seien die Vintage-Designer-Kleider "ökologisch".

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Chris Glass und Beate in Queer 4 you im rbb

Chris Glass erklärt Beate, was er sich für die Ecke oben rechts hinten in ihrer Wohnung ausgedacht hat | Foto: rbb

Nachdem das mit den Klamotten für den Zuschauer sehr unangenehm war und Fabian Beates Bedürfnisse nicht ganz verstanden hat, soll Chris Glass das mit einer schicken Deko für die Wohnung ausbügeln.

Glass nimmt Beate mit in einen Shop für Vintage-Möbel. Auf den ersten Blick gefällt Beate nicht so richtig, was sie sieht. Glass leistet Überzeugungsarbeit. Wer Queer Eye kennt, hätte eine modernere Lösung erwartet. Hier merkt man wieder, dass die Großstadt-Hipster nur den Stil ihres eigenen Territoriums (Omas Vintage-Möbel sind hip!) zu übertragen versuchen, statt sich auf ihre Protagonistin einzulassen. Vielleicht soll die Sendung eben doch nur dem Publikum zeigen, was trendtechnisch gerade so geht, und nicht dem hilfesuchenden Menschen, was er oder sie braucht? Was gefällt Beate wirklich? Am Ende der Episode findet sich in Beates Wohnung dann doch mehr Ikea und mehr von Beates alten Habseligkeiten als erwartet. Zum Glück.

Immer wieder beschleicht mich das Gefühl, dass es den Männern nicht darum zu gehen scheint, anderen Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen. Es scheint ihnen eher darum zu gehen, selbst ein paar Sendeminuten und somit auch mehr Instagram-Follower zu bekommen: "Hab ich Follower in Pankow?", fragt Fabian Hart in Episode drei. In den Schnittbildern wirken die Männer wie eine Boyband aus den 90er-Jahren. Vielleicht wäre das das bessere TV-Format gewesen.

Allein Christian Fritzenwanker scheint mit einer neuen Frisur und einem frischen Make-up das Beste aus Beate rauszuholen. Nach einem Besuch im Salon sieht sie frisch und erholt aus. Die Ansätze sind nachgefärbt, das Blond strahlt heller als zuvor, die Haare sind kürzer und haben mehr Volumen. Das war’s aber auch schon.

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Weil Mode so wichtig ist und einen Menschen eben einfach besser macht, darf Fabian Hart noch einmal ran. Er möchte Beate, die 70 Kilo abgenommen hat, in Shapewear stecken. Fett-weg-Höschen sind in diesem Fall jedoch begrifflich korrekter – hat Beate immerhin nicht den durchtrainierten Körper einer Kim Kardashian, die jetzt ähnliche Modelle verkauft. Wirkt ein bisschen wie "Toll, dass du dünner bist – aber gut ist das leider immer noch nicht". Das Problem wird weggedrückt, genauso wie Beates geringes Selbstbewusstsein. Wäre ich Beate, in diesem Moment hätte ich das erste Mal geweint.

Beate jedoch ist hin und weg von den Jungs. In ihren bunten Outifts und mit dem neuen Haarschnitt sieht sie gut aus. Ihre Wohnung strahlt in neuem Licht. Oberflächlich gesehen haben die Queens gute Arbeit geleistet. Beate fühlt sich wohl, fühlt sich als Freundin der Männer. Endlich verstanden.

Wenn das Vorhaben des rbb etwas Gutes hatte, dann das Lächeln Beates. Nach dem Drehschluss dürfte Beates Gefühl jedoch schnell verschwunden sein, sie muss zurück in ihr altes Leben. Vielleicht weint sie wieder allein in ihrer Wohnung. Die Drehtage mit den vier Männern, um Beate ein besseres Selbstwertgefühl zu geben, waren wie ein buntes Pflaster auf einem Ulcus cruris.

An sich ist es eine gute Idee, den Berghain-Lifestyle Berlins in die Heime deutscher Heteros zu schicken und ihnen ein Make-over zu verpassen. Es fehlt nur leider an Authentizität – und die ist eben, was die queere (deutsche) Szene in Form von Repräsentanten so bitter braucht.

Natürlich kann eine Fernsehshow keinen Menschen heilen. Wirklich geholfen wäre Beate, hätte man sie zu einem Psychologen geschickt. Ganz ohne Tanzstudio-Spiegel, Designer-Shirt oder sonst einer oberflächlichen Kapitalismus-Pille. Die hilft nämlich nicht. Queer 4 You ist als deutsches Outlet wenig authentisch und unterhält eher so semi. Obwohl die vier Männer sehr glamourös wirken, fehlt es dem Format selbst an Glamour. Wirkt ästhetisch wie Mitten im Leben meets Abendschau. Die Show selbst bräuchte dringender ein Make-over als ihre Protagonisten – am besten von den Kollegen aus den Staaten. Sashay away!

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