Menschen

Reiche Hamburger Kids randalieren wie in Stuttgart – und wo bleibt der Aufschrei?

Migrationshintergrund oder reiche Eltern – der direkte Vergleich zeigt, welche Rolle die Herkunft bei der Aufklärung wirklich spielt
Hamburg Ausschreitungen, auf dem Symbolbild wird ein Molotowcocktail in einer teuren Sektflasche gezündet
Symbolbild | Champagnerflasche: imago images /Peter Byrne/PA Wire | Rest: imago images / Photocase 

Es gab Ärger im noblen Hamburger Villenviertel. Und das Vokabular kommt einem seltsam bekannt vor: "Jugendliche randalieren", "Jugendliche provozieren und werfen Flaschen auf Polizeiautos". "Krawalle", mit allem was dazugehört:  Handschellen, Pfefferspray und einen Großeinsatz mit elf Streifenwagen. Oder wie die BILD kommentiert: "Erst saufen, dann mit der Polizei raufen".

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Einiges an den Randalen in Hamburg Othmarschen erinnert an die Ausschreitungen in Stuttgart vor zwei Monaten, als betrunkene Jugendliche aus Langeweile die Innenstadt plünderten und verwüsteten. Ein Video zum Beispiel: Blaulicht blinkt, Jugendliche brüllen, werden in Handschellen gelegt und ein Polizeiauto hat eine zertrümmerte Scheibe.  "Hör auf, dich zu wehren", sagt ein Polizist zu einem Festgenommenen.

Alkohol, Corona-Langweile, Körperverletzung und Sachbeschädigung: Auch die Zutaten sind dieselben wie in Stuttgart. Aber etwas ist anders. Im Video ruft eine zitternde 18-Jährige in Handschellen nach ihrer Mama. "Die sind so böse zu mir, bitte lasst mich hier weg", schluchzt sie – und wird dann freigelassen, berichtet BILD. Mitleid gab es in Stuttgart nicht. Stattdessen Bilder von festgenommenen Jugendlichen, die mit nackten Füßen, Fußfesseln und Spuckschutzhaube an der Kamera der Boulevardreporter vorbei zum Haftrichter geführt wurden.


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Am Anfang zeigte einer der Polizei seinen nackten Hintern

Alles begann so: Weil im gediegenen Jenischpark mehrere hundert Jugendliche ziemlich laut feierten, riefen Anwohner mehrfach die Polizei. Die rückte fünfmal an. Beim letzten Mal, kurz vor halb drei Uhr morgens, soll ein 18-Jähriger ihnen seinen nackten Arsch entgegengestreckt haben. Die Polizei habe sich daraufhin mit ihm eine Verfolgungsjagd geliefert, während Jugendliche sie mit Flaschen und Bierkästen beworfen hätten. Zwei Polizisten haben sich dabei wohl verletzt.

Stuttgart hat Deutschland wochenlang beschäftigt. Noch immer ermittelt die größte Ermittlungsgruppe, die die Stadt je hatte. Die Randale haben sogar ihren eigenen Wikipedia-Artikel bekommen: "Ausschreitungen und Plünderungen in Stuttgart". Besonders detailliert sind da die Herkünfte der Tatverdächtigen aufgeführt: Zwölf Deutsche, davon drei mit Migrationshintergrund. Die übrigen sollen Ausländer gewesen sein.

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Die Stuttgarter Polizei hatte auch von den deutschen Jugendlichen die Herkunft der Eltern ermitteln wollen, auch wenn sie sagt, das Wort "Stammbaumforschung" sei nie gefallen.  Rassismusvorwürfe gab es dennoch. Die Polizei wehrte sich, es hieß, es gehe ja gar nicht um rassistische Zuschreibungen, sondern nur um "Konzepte" für Migranten aus sozialen Brennpunkten. Denn die müssten nämlich ganz anders sein, als solche für Deutsche, die in einer bevorzugten Wohngegend lebten. Klingt eigentlich einleuchtend – nur stimmt es nicht.

Der Vorfall in Hamburg hat keine große Debatte ausgelöst. Weit und breit keine Rufe nach Stammbaumforschung in den Architektenvillen. Keine Aufklärungsbesuche zum Thema "Alkoholprävention" am christlichen Gymnasium, das acht Fremdsprachen (Chinesisch) unterrichtet und mit seinem Schüler-Start-Up gerade einen Preis des Instituts der deutschen Wirtschaft gewonnen hat. Allein die BILD-Zeitung thematisiert die Herkunft der Jugendlichen: “Reichen-Kinder greifen Polizei an”.

Aber hundert Kids aus dem selben Viertel, die Sachbeschädigung und Körperverletzung begehen, keinen Respekt vor der Polizei haben – da drängt sich doch schon die Frage auf: Welchen Kulturkreisen müssen Eltern nur entstammen?

Othmarschen ist Parallelgesellschaft und Brennpunkt – ganz ohne Ironie

Die Antwort geben die Rapper €lite zu einem eher einfallslosen Beat in "Elbvororte Partymeile".

Gucci Prada oder Boss
in den Klamotten wird gefeiert
später sind sie vollgekotzt

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und

Mein Geld und ich
Hamburg West
Wir sind stets dicht in Hamburg West
Meine Friends und ich geben dir den Rest
Wir ficken dich in Hamburg West

Es ist nicht verwunderlich, dass in Othmarschen, einem Stadtteil mit sechsstelligem Durchschnittseinkommen, kriminelle Jugendliche randalieren. Ganz ohne Ironie: Der Stadtteil ist ein Brennpunkt.

Im Hamburger Westen saufen Jugendlichen doppelt so viel wie in allen anderen Stadtteilen. Dabei ist schon seit Jahren klar. Ein empathisches Porträt der Generation im Abendblatt heißt  "Zwischen Komasaufen und Einser-Abi" und auch die ZEIT analysierte den Sozialraum und kam zu dem Schluss, dass an all dem ziemlich sicher die Eltern Schuld sind.

BILD berichtete noch vor ein paar Jahren, dass die Polizeipräsenz um mehr

als ein Drittel zurückgegangen sei – und das trotz "drastisch" steigender Kriminalität. Nach den Ausschreitung wäre es eigentlich Zeit, für eine deutschlandweite Debatte über die Parallelgesellschaft der Elbvororte.

Wo sich alle Stuttgarter Jugendlichen mit Migrationshintergrund vor Generalverdacht und Rassismus wegducken mussten und in der Folge sogar Schwarze Jugendliche in München das verstärkte Racial Profiling in Stadtparks zu spüren bekamen, passierte in Hamburg: Nichts. Kein Täterprofil: Gelfrisur, Balenciaga-Schuhe und eine Flasche Moët in der Hand, das für verdachtsunabhängige Personenkontrollen herangezogen wird.

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Sogar die Anwohner klingen friedfertig und verständnisvoll. Dem Abendblatt erzählt die zweite Vorsitzende des Vereins "Freunde des Jenischparks", sie suche manchmal das Gespräch mit den Jugendlichen. "Oft sind die sogar ganz nett und versprechen, alles wieder aufzuräumen." Dafür seien sie dann aber leider später zu besoffen.

Integrationsgipfel für Othmarschen

Der Neuköllner Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky schrieb mal darüber, was Parallelgesellschaften so toxisch macht. Darunter Machokultur und Selbstüberhöhung. Das Buch heißt "Neukölln ist überall" und für Othmarschen stimmt das ganz sicher.

Buschkowsky erklärt hilfreicherweise auch, was hilft in "Stadtvierteln, in denen sich die gesammelt haben, die noch auf der Suche nach dem Schlüssel für die Tür zur Gesellschaft sind." Also den Elbvororten.

Ausgrenzung, schreibt er, sei nicht die Lösung. "Es gibt überhaupt keinen

Grund, sie schräg von der Seite anzuschauen oder über ihre Herkunft die Nase zu rümpfen." Auch auf gar keinen Fall dürfe man “kultursensibel” vorgehen wollen und alles erklären und entschuldigen. Die Jugendlichen der Elbvororte randalieren? So ist das nunmal in höheren Familien, wo alles immer in Reichweite ist. Ebenso schlimm sei Resignation. Die in Othmarschen kann man nicht mehr abholen, die haben wir als Gesamtgesellschaft verloren.

Stattdessen helfe es, die Strukturen zu ändern. "Die Erziehung und Bildung eines Kindes vollziehen sich in einem Dreieck, bestehend aus dem Elternhaus, der Schule und dem sozialen Umfeld."

Höchste Zeit also für Stammbaumforschung in Othmarschen.

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