Popkultur

Exklusiv: Undercover bei Kollegahs Alpha-Armee

Ein Laptop mit Kollegah-Zubehör

Montagabend, 20 Uhr, BOSS-Call. Kollegah begrüßt seine Alphas im Video-Chat, indem er seine prallen Bizepse in die Kamera streckt und sagt: “Ein bosshaftes Hallo. Ich hoffe, ihr seid gut in die Woche reingerutscht, als wäre sie eine dreckige Biatch.” Zur Bestätigung kopieren die Alphas in den kleinen Fenstern am oberen Bildschirmrand die Doppelbizepspose ihres Anführers. Willkommen im “Alpha Mentoring”-Programm. An diesem Abend haben sich Kollegahs Jünger im BOSS-Call versammelt. Aber dass sie beobachtet werden, weiß keiner von ihnen. Nicht Leon, der kürzlich zum Islam konvertiert ist und beim Gebet von lauten Stimmen in seinem Kopf verfolgt wird, nicht Matthias, der auf YouTube verbreitet, die Regierung wolle die Bevölkerung mit Alkohol zu verblödeten Patienten machen. Und auch nicht der Boss selbst. Doch der Teilnehmer, der sich als Marco Konopka vorstellt, ist ein VICE-Redakteur.

Über Wochen haben wir, ein Rechercheteam von VICE und BuzzFeed News, Kollegahs Online-Coaching-Programm beobachtet. An diesem Abend gehören wir endlich selbst dazu. Wir sind Kunden eines Programms, das Männern Erfolg in allen Lebenslagen verspricht.

Videos by VICE

Kollegah ist einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Seine letzten drei Alben landeten auf Platz 1 der deutschen Charts, er hat über 1,3 Millionen monatliche Hörer bei Spotify, zwei Platin- und mehrere Goldplatten, seine Biografie Das ist Alpha!: Die zehn Boss-Gebote ist auch zehn Monate nach der Veröffentlichung bei Amazon noch der “Bestseller Nr. 1” in der Kategorie Pop.

Unsere Recherche zeigt, dass Kollegah und die ihn unterstützende Beratungsfirma mit dem Programm offenbar mehrere Hunderttausend Euro an Kollegah-Fans verdienen – dabei aber außer einiger Videocalls nur wenige Gegenleistungen anbieten. Die Recherche zeigt auch, dass einzelne Mitarbeiter des Mentorings nicht zimperlich vorgehen: Während der Recherche werden wir massiv unter Druck gesetzt und getäuscht. Ein Mitarbeiter will uns selbst dann noch zu einem Vertragsabschluss drängen, als wir in einem Telefonat an einem späten Freitagabend 17 Mal sagen, dass wir keinen Vertrag eingehen wollen.

Und wir werden erleben, wie Kollegah wilde Verschwörungstheorien verbreitet: Unter anderem behauptet er, die Weltordnung sei ein “Pyramidensystem” und die Menschen an der Spitze bekämen direkte Instruktionen vom Satan höchstpersönlich. Experten, die wir mit unseren Recherchen konfrontieren, nennen das Programm unseriös, sprechen von “klarer Täuschung”, von einer Guru-Bewegung und von Gehirnwäsche.

Von all dem ist auf der Webseite des Alpha Mentorings keine Rede. Stattdessen geht es um Geld, Frauen und Fitness.

Auf Anfrage von VICE und BuzzFeed News antworten Kollegah und seine Geschäftspartner von der Firma B. Consulting fast wortgleich: Preise und Leistungen des Programms seien marktüblich und konkrete Vorwürfe gegen ihre Mitarbeiter würden nun intern untersucht. Kollegah schreibt, seine Qualifikation in Sachen Selbstorganisation und Erfolg stehe außer Frage.

In einer Videobotschaft kündigt Kollegah das Programm so an:

“Dich fuckt ab, dass du keine Kohle hast, dich fuckt ab, dass du nicht glücklich bist in der Beziehung, dich fuckt ab, dass du ein Lauch bist. All das können wir hinkriegen und zwar in relativ kurzer Zeit. Im Alpha-Mentoring-Programm wird dir auffallen, wie schnell man ein Leben ändern kann.”

Doch was steckt dahinter? Will Kollegah jungen Rap-Fans sein von Verschwörungstheorien geprägtes Weltbild aufzwingen? Nutzt das selbsternannte Universalgenie seinen Heldenstatus aus, um treuen Anhängern Geld abzuknüpfen? Oder glaubt er wirklich, damit Gutes zu tun?

Dass Kollegah krude politische Ansichten vertritt, ist nicht neu. Im Song “Apokalypse” träumte er schon 2016 von einer neuen Welt, in der Buddhisten, Muslime und Christen friedlich zusammenleben und zerstörte Städte wieder aufbauen. Nur das Judentum wird beim Wiederaufbau dieser Zivilisation nicht erwähnt.

Mit seinem neuen YouTube-Kanal “Felix Blume” erreichte sein fragwürdiges Verhalten ein neues Level. Die ironische Ebene, die Felix Blume früher als Kollegah spielte, den Zuhälter mit dem Milchgesicht, gibt es nicht mehr. Heute fährt er nach Stonehenge, um nachts Kornkreise zu suchen, oder besteigt einen Berg, in dem Mythen zufolge Karl der Große auf seine Auferstehung wartet. Nur sein Business hat Kollegah bei der wirren Sinnsuche nie vergessen.

Kollegah hat ein Geschäftsmodell aufgebaut, mit dem er gut 150 Alphas, darunter viele langjährige Fans, dazu bringt, ihm viel Geld zu überweisen. Und es werden immer mehr. Kollegah behauptet, er könne die Teilnehmer aus schwierigen Lebenslagen befreien. Weder Kollegah noch seine Geschäftspartner von der B. Consulting wollen die genaue Anzahl der Teilnehmer auf Anfrage mitteilen.

Dabei scheint er von den vielen Problemen, mit denen die Kunden des Mentorings, hauptsächlich junge Männer zwischen 18 und 28 Jahren, zu kämpfen haben, gar keine Ahnung zu haben. Schlimmer noch – junge Menschen werden in seinem Programm erniedrigt und mit Verschwörungstheorien verführt.

Kollegah und die B. Consulting schreiben gegenüber VICE und BuzzFeed News, es handele sich um Gruppentelefonate, die sich deutlich gegenüber denen eines Heilpraktikers oder Psychotherapeuten abgrenzen. Der Begriff Coach sei schließlich gesetzlich nicht geschützt. “Die Frage der Qualifikation ist eine Frage, die sich jeder Kunde selbst beantworten muss”, schreibt Kollegah.

Die meisten Alphas, so wirkt es, wollen gar nicht Teil von Kollegahs Plan sein, die Welt umzukrempeln. Sie suchen nur eine starke Schulter, einen Anführer, der noch zu wissen glaubt, was es bedeutet, ein echter Mann zu sein. Reiner Geist, gestählter Körper, dominantes Auftreten. Reingesogen werden sie trotzdem.

So haben wir uns in Kollegahs Alpha-Mentoring-Programm eingeschleust

Im April 2019 kündigte Kollegah zusammen mit dem Verkaufstrainer Dirk Kreuter die “AlphaOffensive” an. Die Tickets für das Coaching-Event kosteten bis zu 2.500 Euro. Kollegah erntete dafür einen Shitstorm und sagte das Event schließlich ab. “Ich konnte irgendwann nicht mehr hinter den teuren Preisen stehen und wollte das meiner langjährigen Fanbase nicht zumuten”, sagt er in einem Video auf seinem YouTube-Channel.

Öffentlich sagte Kollegah sich von den ominösen Geschäftspraktiken der Online-Coaches los. Was er nicht sagte, ist, dass im Hintergrund bereits seit März sein Alpha Mentoring läuft. Ein Mentoring-Programm, bei dem sich Fans darauf bewerben müssen, für Kollegahs Lebensweisheiten zahlen zu dürfen. Wie viel Geld das Programm kostet, steht nirgends. Dafür müssen die Interessenten einen Bewerbungsbogen auf der Mentoring-Website ausfüllen, in dem sie ihre finanzielle Lage offenlegen.

In der letzten Frage hat der Bewerber die Chance, sich von den “tausenden” Konkurrenten abzuheben: “Warum sollte ich dich für mein Mentoring auswählen?”.

Bewerbung für Alpha Mentoring
Quelle: Screenshot von alphamentoring.de

Wir haben uns in das Programm eingeschleust, um herauszufinden, was genau sich dahinter verbirgt: Was kostet es wirklich? Was bekommt man für sein Geld? Welche Voraussetzungen muss ein “Alpha” mitbringen, und – wer will überhaupt Alpha werden?

Um all das herauszufinden, bauen wir unseren eigenen Alpha: Wir erfinden Marco Konopka, 27, aus Seevetal bei Hamburg. Abgebrochene Ausbildung, Logistiker, lebt noch bei seinem Vater. Marco findet sein Leben scheiße. Er will raus aus dem Hamsterrad, “Rein in die Masse!”. So predigt es doch Kollegah. Excel-Tabellen, Schichtpläne, Befehlston vom Chef – auf all das hat unser Marco keine Lust mehr. Er will etwas eigenes machen, etwas Großes. Dafür braucht er das Alpha Mentoring. Und wir eine neue Handynummer, E-Mail-Adressen, Social-Media-Profile. Ab jetzt hören wir alle Telefonate und Video-Calls zu zweit und protokollieren sie.

Zwei Tage nach der Bewerbung ruft Alexander B. bei Marco an. B. ist kein Mitarbeiter von Kollegahs Label Alpha Music Empire. Er ist ein Talent-Scout der B. Consulting GmbH aus Koblenz, die das Mentoring mit Kollegah betreibt. Die Chefs der Firma, Markus und Andreas B., sind zwei Brüder, Mitte Zwanzig und Anfang Dreißig, mit dicken Uhren und Gelfrisuren. Sie tragen Philipp-Plein-Hemden, treten auf wie das Klischeebild von Brokern an der Wall Street, beraten aber Hundetrainerinnen aus Krumbach oder Creußen. So kann man es auf ihrer Website lesen.

Die B.s betreiben ein Online-Coaching, das Coaches coacht. Mit ihrem Geschäftsmodell haben sie nach eigenen Angaben im zweiten Quartal 2019 ein Auftragsvolumen von 3,2 Millionen Euro erzielt. Im Kosmos der B.s geht es darum, Leads zu generieren, Umsätze zu skalieren und Deals zu closen. Im Klartext: Verkaufen, verkaufen, verkaufen.

“Bist du in der Lage, in dich und deine Zukunft zu investieren?”, fragt Alexander B. Marco Konopka. “Wenn man seine Ziele wirklich erreichen möchte, muss man mit einer Investition von 2.000 Euro rechnen.”

Das ist also der Preis für das Alpha Mentoring. Auf Anfrage von VICE und BuzzFeed News wollten Kollegah und die B. Consulting nicht bestätigen, dass dieser Preis für alle Teilnehmer gilt, er sei “für die dargebotene Leistung aber marktüblich”.

“Der Boss” könne nicht mit jedem arbeiten, sagt B., weil sich 8.000 Personen im Monat bewerben würden. Dafür, dass die Konkurrenz so hart ist, geht das Erstgespräch erstaunlich schnell. Die Gründe, warum Marco Kollegahs Hilfe braucht – fehlendes Selbstbewusstsein, Unzufriedenheit im Job –, interessieren B. kaum. Dafür immer dieselben Fragen.

“Was verdienst du im Monat netto?”
“Wie viel Geld hast du zur Verfügung?”
“2.000 Euro Investition, das ist machbar, das kriegst du hin?”

Wir sagen, das könnten wir hinkriegen.

2.000 Euro, dafür gibt es:

  • einen wöchentlichen Gruppenvideochat mit Kollegah
  • einen wöchentlichen Gruppen-Millionär-Mindset-Call mit Markus B.
  • die Mitgliedschaft in einer geschlossenen Facebook-Gruppe
  • wöchentliche neue Videomodule zu Themen wie “Motivation aufbauen” und “Ziele definieren”.

Und weil Kollegah gerade seine “Gönnjamin”-Wochen hat, wie er sagt, gibt es sein Fitnessprogramm “Bosstransformation” dazu.

Wir schaffen es in die zweite Auswahlrunde. Marco erwartet ein einstündiges Expertengespräch mit einem B.-Mitarbeiter. Aber vorher muss Marco an seinem Auftreten arbeiten. Alexander B. befiehlt Marco, am Schreibtisch gerade zu sitzen, und fährt ihn aggressiv an: “Du sollst die Kappe absetzen, habe ich gesagt!”

Mit einem schlechten Bauchgefühl und ohne Kappe beginnt das Expertengespräch. Mehrere Stunden bereiten wir uns auf das Video-Meeting vor, um nicht enttarnt zu werden. Wie viel verdient Marco brutto? Wie sieht sein Tagesablauf als Disponent in einem Speditionsservice aus? Was stört ihn an der Arbeitsmoral seines Chefs? Wie ist das Verhältnis zu seinem Bruder?

Im Call wird keine dieser Fragen gestellt. Dafür erzählt uns der B.-Mitarbeiter, wie Kollegah vom Dorfkind zum Rapstar und Multimillionär aufstieg. Auch der “Senior Coach” des Alpha Mentorings kämpfte sich, nach eigener Aussage, von unten nach oben. Als Flüchtling will er aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen sein, soll wie sein Vater in einer Chemiefabrik geschuftet haben, wo er sich täglich giftigen Gasen ausgesetzt habe. Nun soll es auch Marco schaffen. Aber was Marco eigentlich schaffen will, was seine individuellen Ziele sind, interessiert den Mitarbeiter nicht.

Die B. Consulting schreibt auf Anfrage, die grundsätzliche Eignung der Bewerber werde bereits im ersten, 15- bis 20-minütigen Qualifizierungsgespräch geprüft. Ein mehrstufiger Prozess stelle sicher, dass “die Probleme, Ziele und Wünsche eines Teilnehmers schon im Vorfeld klar definiert sind”.

Ausführlich kommt Marco erst zu Wort, als der B.-Mitarbeiter den Vertrag abschließen will – nicht schriftlich, sondern mündlich über den Videochat.

Ein Widerrufsrecht will er uns zunächst nicht einräumen: “Wenn du heute startest, dann würde dieses 14-tägige Widerrufsrecht verfallen. Aber wir legen jetzt die PS auf die Straße, es wird dein Leben verändern.” Ist es überhaupt rechtens, dem Interessenten zu suggerieren, es gebe jetzt kein Zurück mehr?

Wir fragen bei der Verbraucherzentrale in Rheinland-Pfalz nach, denn dort sitzt die B. Consulting GmbH. “Das ist eine Irreführung und klare Täuschung”, sagt Sprecherin Julia Gerhards. “Der Kunde wird unter Druck gesetzt, damit er gar nicht auf die Idee kommt, aus dem Vertrag rauszukommen und die 2.000 Euro zurückzufordern.”

Kollegah schreibt auf Anfrage, er könne die Vorwürfe nicht nachvollziehen. Es komme äußerst selten vor, dass Teilnehmer ihre Entscheidung widerrufen würden. Der Vorwurf werde nach Rücksprache mit der B. Consulting derzeit untersucht. Die B. Consulting schreibt: “Sollten sich Ihre Aussagen bewahrheiten, müssen wir selbstverständlich personelle Konsequenzen daraus ziehen.”

Marco willigt ein, die Kontodaten nennt er aber nicht. Ob Marco den Vertrag nun abgeschlossen hat, wissen wir am Ende des Gesprächs selbst nicht. Zwanzig Minuten später haben wir jedenfalls die Zugänge für das Alpha Mentoring, auch ohne Kontodaten.

Noch zweimal telefoniert Marco an diesem Abend mit dem “Senior Coach” des Alpha Mentorings. Unser Plan: Wir halten den B.-Mitarbeiter so lange wie möglich hin, um Teilnehmerlisten, BOSS-Calls mit Kollegah und Facebook-Posts sichten zu können. Um 22:26 Uhr ruft er wieder an. Er sei auf der Geburtstagsparty eines Freundes, sagt er.

“Marco, lass uns das jetzt machen!”
“Nee, sorry, ich bin raus”, sagt Marco und: “Nein danke.”

17 Mal lehnen wir sein Angebot im Gespräch ab. Aber der lässt nicht locker.

“Warum ‘Nee, sorry’? Meine Freunde feiern gerade drinnen alle Geburtstag, sind alle am Lachen und alle glücklich und ich muss hier draußen mit dir rumkämpfen. Weil du nicht die Eier hast.”

Dann macht er ein letztes Angebot: “Du wirst am Montag mit Kollegah sprechen und danach will ich auch keine Ausreden mehr hören.”

Ein Call mit Kollegah höchstpersönlich? Marco ist überzeugt. Und wir haben ein ganzes Wochenende Zeit, um zu erfahren, wie Kollegah und seine Alphas sich verhalten, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.

Kollegah schreibt auf Anfrage, dass Teilnehmer grundsätzlich freiwillig mit den Beratern sprechen würden. “In Einzelfällen kommt es sicher vor, dass Bewerber etwas Mut brauchen, um einen für sie wichtigen Schritt zu gehen. Es ist die Aufgabe des Beraters, in solchen Situationen umfassend Zweifel auszuräumen.”

Inside Alpha: Wenig Wichsen, viel frische Luft

Über die private Facebook-Gruppe des Mentorings lernen wir die Alpha-Armee kennen. So nennen sich zumindest einige Mitglieder. Um ihre Privatsphäre zu schützen, haben wir ihre Namen geändert. In der Gruppe stoßen wir auf Livestreams, Raptracks und Unmengen an privaten Fotos. Beiträge, die verraten, wie die Alphas ticken.

Ihre Uniform ist die Kleidung von Kollegahs Modelabel Deus Maximus, ihre Bibel Kollegahs Bestseller Das ist Alpha!: Die zehn Boss-Gebote und ihr Headquarter die Alpha Lounge in Düsseldorf. Für ein paar Stunden mit Kollegah reiste ein Alpha sogar spontan zu einem Festival nach Kroatien, wie Instagram-Fotos belegen. Ein anderer fuhr extra von Österreich zum Alpha-Treffen nach Düsseldorf.

Um die Coaches und andere Alphas davon zu überzeugen, wie fleißig sie an sich arbeiten, teilen die Mitglieder Listen mit Gewohnheiten, die sie aus ihrem Leben streichen wollen:

  • kein Wichsen mehr
  • kein Zocken mehr
  • kein Alkohol mehr
  • kein sinnloses Rumhängen in sozialen Netzwerken
  • keine fünf Frauen gleichzeitig.

Egal was die Alphas für “Erfolge” in die Gruppe posten oder was sie in den Live-Videos erzählen – alles wird abgefeiert. Früh aufgestanden? Glückwunsch! Zum Bewerbungsgespräch gefahren? Krass! Ein Buch gelesen? Riesenerfolg! “Geiler Typ”, kommentieren die Mentoring-Coaches gerne, dazu ein Bizepsemoji. Einige planen sogar die Gründung einer Alpha-Partei. Das Ziel der Alphas ist es, den Tag zu “ihrer Bitch” zu machen. Davon sprechen zwar alle, aber was das konkret heißt, bleibt unklar.

Außerdem sollen alle Teilnehmer den “Alpha-Pakt” einsprechen. Ein Vertrag, den die Alphas mit sich selbst schließen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Wer den Pakt bricht, gilt als Verlierer und hat sich um seinen eigenen Erfolg betrogen.

“Ich werde mir die Fähigkeiten und Werkzeuge aneignen, die notwendig sind, um meine Träume wahr werden zu lassen. Koste es, was es wolle”, liest ein Alpha mit kindlichem Gesicht via Livestream in der Facebook-Gruppe vor.

Willkommen im Alpha Mentoring Programm
Die Alphas begrüßen uns in der geschlossenen Facebook-Gruppe.

Das Herzstück aber sind die einstündigen Live-Calls mit Kollegah höchstpersönlich. Bei den Gruppenvideochats dürfen alle zuhören, aber nicht alle bekommen die Chance, mit ihrem Mentor zu sprechen. Bevor Marco selbst am BOSS-Call teilnehmen darf, sehen wir uns das bisherige Material an. Die Videos der Live-Calls werden für alle Alphas in ein Mitgliederportal hochgeladen, am Ende unserer Recherche sind es 18. Mehr als 20 Stunden Videomaterial, in dem Kollegah zu allem, was seine Alphas bewegt, einen klugen Rat zu haben glaubt.

Es geht um Fitnesstrainings für Hochzeitspaare, das Erfolgspotenzial von Blockchain oder die Arbeitsmoral von Spaniern, die fauler seien als die Deutschen.

Einem 18-jährigen Abiturienten, der Ärger mit seinen Eltern hat, empfiehlt Kollegah: “Kapsel dich von deiner Mutter ab.” Ein B.-Mitarbeiter, der den Videochat moderiert, tritt nach: “Richard, du bist eine Pussy. Lass dir Eier wachsen.” Einem anderen Alpha erklärt Kollegah, wie der einer alten Dame am besten eine Eigentumswohnung abschwatzt.

Viele Alphas erhoffen sich einen Platz an Kollegahs Seite. Da ist Simon, der von seinen Eltern weg und zu Kollegah nach Düsseldorf ziehen will, um für ihn zu arbeiten. Oder Paul, der fest davon überzeugt ist, der nächste Künstler auf Kollegahs Label Alpha Music Empire zu werden, und ihm im Video-Call etwas vorrappt. Und Thomas, der sich von Kollegah Werbung für seine CBD-Öle erhofft. Doch nicht jedem Teilnehmer des Mentorings geht es um eine berufliche Perspektive. Es geht ihnen um viel mehr: um die Wahrheit. Die vermeintliche.

“Inwieweit ist der Satan real?”, fragt Leon, der junge Konvertit.

Er hat rasierte Schläfen, einen gepflegten Bart, auf dem T-Shirt glänzt der Deus-Maximus-Schriftzug, auf Latein “Gott ist der Größte”. Leon wippt vor der Kamera hin und her, wirkt paranoid und spricht davon, sein “drittes Auge” mit Hilfe von psychedelischen Drogen geöffnet zu haben. Beim muslimischen Gebet verfolgten ihn laute Stimmen, sagt er im BOSS-Call. Doch in diesem Moment geht es ihm um den Satan. Er könne es kaum abwarten, von Kollegah eine Antwort zu erhalten.

Jeder verantwortungsvolle Coach würde dem offensichtlich verwirrten Jugendlichen an dieser Stelle einen Therapeuten empfehlen. Kollegah nicht.

“Der Satan will uns in den Abgrund stürzen”, sagt er. “Das ist das klassische Pyramidensystem. Wir sind irgendwo ganz unten. Über uns sind unsere Firmenchefs, darüber sind die Corporate Guys, dann sind irgendwo die Banken, darüber sind die Bilderberger, darüber sind die Leute, die die Weltpolitik machen. Und ganz oben an der Spitze sind ein paar Leute, die kommunizieren wirklich mit dem Satan selbst und kriegen die Instruktionen von ihm. Der Satan ist ein physisches Wesen.”

Immer wieder wollen Alphas mit Kollegah über Verschwörungstheorien sprechen. Es geht um “Pizzagate”, die Wirksamkeit von Chemotherapien und die Frage, wie sich die “Meinungsbildung in Deutschland umpolen” lässt. Oder wie Kollegah es nennt: investigativer Journalismus. Anstatt seine Alphas, die auch in der Facebook-Gruppe über Chemtrails und Impfungen diskutieren, zu bremsen, steigt Kollegah voll mit ein: “Das ist auch der Grund dafür, warum ich das Alpha Mentoring gestartet habe.”

Gefährlich wirken Kollegahs Aussagen gerade deshalb, weil längst nicht jeder Teilnehmer des Alpha Mentorings ein überzeugter Aluhut-Träger ist. Aber weil Kollegahs Wort offenbar auch für viele unvoreingenommene Alphas Gesetz ist, scheinen sie in die Verschwörungsecke abzudriften. Auch der Weltanschaungsexperte Axel Seegers sieht das kritisch. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Diplom-Theologe mit Okkultismus und Psychokulten. Er sagt: “Die Art, wie Kollegah in den BOSS-Calls Anweisungen erteilt und Verschwörungstheorien verbreitet, zeigt, dass es sich beim Alpha Mentoring eher um eine Art Guru-Bewegung handelt und nicht um ein seriöses Coaching.”

Doch wer sind die Menschen, die diesen Guru anhimmeln? Frauen sind es jedenfalls nicht. Sie spielen in diesem Männerbund nur als besorgte Mütter und Ehefrauen eine Rolle, die ihren Alpha-Männern bei riskanten Heldentaten im Weg stehen.

Einer dieser Alphas ist Matthias, dessen Weltsicht immer wieder zu Konflikten mit seiner Frau führt, wie er Kollegah im Videochat berichtet. Matthias wirkt wie ein schüchterner Hängertyp. Er arbeitet für eine gemeinnützige Organisation, die sich gegen Blutkrebs einsetzt, hinterfragt aber die Wirksamkeit von Chemotherapien. Eigentlich wollte er ein Modelabel starten, doch Kollegah motiviert ihn im Mentoring dazu, sich bei YouTube und Instagram eine Community aufzubauen, an seiner Ausstrahlung zu arbeiten und Erfahrung vor der Kamera zu sammeln. Erst wenn Matthias eine eigene Community habe, solle er seine Klamotten mit Verschwörungssymboliken verkaufen.

Seitdem veröffentlicht Matthias YouTube-Videos, in denen er mit monotoner Stimmlage die “offizielle Version” von 9/11 anzweifelt oder bei Instagram ein Buch des rechtspopulistischen und islamfeindlichen Autors Udo Ulfkotte empfiehlt. Doch statt des versprochenen Erfolgs bringt Matthias das Alpha Mentoring Ärger im Job.

In der geschlossenen Facebook-Gruppe berichtet er, dass es wegen seines YouTube-Kanals schon Probleme bei der Arbeit gab. Die Betriebsratsvorsitzende habe Matthias zum persönlichen Gespräch geladen, weil es Beschwerden gegeben habe. Ihm ist das völlig egal. Seit dem Vorfall gehe er durch das Büro wie ein Löwe und denke sich: “Ihr Schafe, ihr habt ja gar keine Ahnung, wie gut sich das anfühlt, über euch allen zu stehen.”

Oder Björn, ein Personalvermittler und Kollegah-Lookalike mit Zigarre im Mund. Auch er hat auf Anraten von Kollegah einen eigenen YouTube-Kanal aufgebaut. Hier macht er sich über die verweichlichte Männerschaft lustig. Er selber will nicht so eine “08/15-YouTube-Fotze” sein, die ihre Videos mit “Schwuchtelmusik” untermalt. Damit sich bloß keine “Waschlappen” auf seinen Kanal verirren, spricht schon der Titel eines seiner Videos eine klare Sprache: “Zigarrentalk #1 Kein Ziel = keine Disziplin = kein Mann!”. Vor der Kamera ist er der aufgepumpte Macho, im Gespräch mit Kollegah ist er dagegen zurückhaltend und unsicher.

Das Alpha Mentoring ist ein Sammelbecken für Menschen mit Brüchen in ihrem Lebenslauf, die Halt suchen, die ihre Ausbildung abgebrochen haben, unzufrieden mit ihrem Job sind oder sich von engen Freunden verraten fühlen. Für alle seine Alphas will Kollegah da sein, als Vaterfigur, Unternehmensberater, Fitnesscoach, Therapeut und spiritueller Führer. Dabei ist er nur ein Rapper mit Geschäftssinn und abgebrochenem Jura-Studium.

Trotzdem nehmen Kollegah und sein Team Kunden an, die ernsthafte Probleme haben und professionelle Beratung benötigen würden. So wie diesen Alpha, der in der Facebook-Gruppe von seinen Schulden erzählt.

“Hallo Leute, ich weiß nicht, ob das hierher gehört! Aber Folgendes! Ich weiß, ihr seid Familie und deswegen komme ich damit. Es ist so, ich habe eine Abmahnung meiner Vermieterin bekommen, ich habe momentan keine Arbeit, aber morgen ein Vorstellungsgespräch. Ich habe 15.000 Euro Schulden (Kredite). Ich bin nervlich am Ende, weil gerade alles über mir einstürzt. Diesen Monat habe ich null Euro zur Verfügung. Ich kann einfach nicht mehr, was soll ich machen?”

Der Tipp des Mentoring-Coaches in der Facebook-Gruppe: durch alle Läden der Stadt laufen und die Geschäftsführer ansprechen. Wer schwerwiegende Probleme hat, dem hilft das Alpha-Mindset, das tägliche kalte Duschen und die frische Luft, wenig. “Junge Menschen mit Schulden in das Programm aufzunehmen, ist zutiefst unseriös und moralisch nicht zu rechtfertigen. Diese Leute brauchen eine Schuldnerberatung oder eine Privatinsolvenz, aber nicht die leichtfertigen und pauschalen Ratschläge des Coachings”, sagt die Verbraucherschutzexpertin Gerhards.

Kollegah und die B. Consulting schreiben auf Anfrage, der Teilnehmer habe seine finanzielle Situation erst einen Monat nach Beginn des Programms offenbart. Sie hätten ihm daher zunächst nichts in Rechnung gestellt und ihm geholfen, eine Arbeitsstelle zu finden. “Er hat daraufhin freiwillig angefangen, seine Zahlungen wieder aufzunehmen.” Grundsätzlich böte das Programm keine Kredite oder Ähnliches an, schreibt die B. Consulting. Das Programm übertreffe “die gängigen Branchen-Standards bei Weitem”.

Individualität gibt es im Alpha Mentoring nicht, auch nicht bei den Zielen. Jeder kann alles im Leben erreichen, so sieht es Kollegah. Dabei duldet er nicht, wenn Teilnehmer andere Träume haben als er: “Solange du keine Million auf dem Konto hast, ‘ne geile Frau und zwei gesunde Kinder hast, deiner Mutter ein Haus gekauft hast, ist hier gar nichts in Ordnung”, ruft er einem Alpha im Live-Call zu.

Doch wie ist es bei Marco? Welche Ratschläge hat er für ihn parat? Wie mit dem B.-Mitarbeiter vereinbart sitzt er am Montagabend um 20 Uhr vor dem Laptop. Die Kappe setzen wir ihm auf, als stillen Protest gegen die Verhaltensregeln der B.-Mitarbeiter. Im Chat unter dem Video heizen die Alphas die Stimmung an, posten ihre Fragen für den angehenden Call und bitten um die wertvollen Gesprächsminuten.

“Moin, ich bin Marco, ich würde mich gerne einmal vorstellen”, schreibt Marco. Und es klappt. Wir erhalten im Gruppen-Call eine persönliche Audienz beim Boss. Kollegah begrüßt Marco überschwänglich als neues Alpha-Mitglied: “Willkommen hier in der Elite.” In sechs Minuten erklärt er, wie Marco eigenständig wird und seine Eltern stolz machen kann. Der nickt artig und stimmt Kollegah in allen Punkten zu. “Wenn du weitere Fragen hast: In der Gruppe sind wir immer für dich da”, sagt der Moderator. “100 Prozent”, ergänzt Kollegah.

Wer bekommt das schon von seinem Helden gesagt? Der Rap-Superstar mit den goldenen Schallplatten an der Wand erzählt einem höchstpersönlich, wie man im Leben vorankommt. Doch was bleibt neben den fünf Minuten Aufmerksamkeit, in denen Kollegah scheinbar nur für dich da ist? Dass Marco mit 27 bei seinem Vater ausziehen sollte, um ein eigenständiger Erwachsener zu werden, ist nicht falsch. Aber für 2.000 Euro auch eine ziemlich teure Plattitüde. Einen individuellen Lösungsansatz bietet Kollegah auch Marco nicht.

Alpha Armee
“Majästetisch steht er in Mitten von geblendeten Schafen”, schreibt ein Alpha-Mitglied in der geschlossenen Facebookgruppe

Stattdessen immer das gleiche Rezept: Ehrgeiz, Disziplin, Fleiß. Keine schlechten Tugenden, aber diese Eigenschaften alleine machen niemanden zum Übermenschen. “Die Parolen aus dem Alpha Mentoring erinnern an Gehirnwäsche-Coachings”, urteilt auch die Expertin des Verbraucherschutzverbandes Gerhards. Sie rät jungen Menschen dringend davon ab, am Alpha Mentoring teilzunehmen. Aber damit nicht genug. “Es könnte sein, dass sich die Gruppe weiter radikalisiert und abschottet”, sagt der Weltanschauungsexperte Seegers.

Das scheint auch Kollegahs Wunsch zu sein. Waren die da oben gerade noch der größte Feind der Alphas, will Kollegah nun eine neue, seine eigene Elite erschaffen.

“Ihr seid vom Mindset eine dermaßen kleine Elite ohne große Konkurrenz, weil die Generationen, die nachkommen, verloren sind. Ihr seid die kleine Minderheit, die alles umkrempeln kann!”

Am Samstag, den 27. Juli, begrüßt Kollegah rund 50 Mentoring-Teilnehmer im Hyatt-Hotel in Düsseldorf mit der Doppelbizepspose. “Das ist Alpha”, schreien sie. Sie stehen stramm, recken die Faust in die Luft. Auch Björn und Leon sind auf den Videos zu erkennen, die später auf Instagram geteilt werden. Im Hotel bekommen sie einen silbernen Siegelring verliehen, darauf steht “Alpha Status”. Marco bekommt keinen Ring. Er ist nicht dabei. Wir haben vorher von unserem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht – am Ende hat Kollegah keinen Cent an uns verdient.

Update, 05. August 2019, 11:25 Uhr: In einer früheren Version haben wir das Alter von Andreas B. als “unter 30” angegeben, tatsächlich ist er aber seit wenigen Monaten 30 Jahre alt. Wir haben das korrigiert.

Update, 17. August 2021, 10:48 Uhr: Aufgrund gesetzlicher Bestimmungen haben wir Klarnamen (teilweise) anonymisiert.

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