Laura (rechts) und ihre Theatergruppe während ihres Auslandssemesters in Spanien | Alle Fotos: bereitgestellt von Laura Peracca
Erasmus-Aufenthalte sind eine tolle Möglichkeit, ein Semester im Ausland zu studieren, neue Freunde aus ganz Europa zu finden, sich wegen einer eventuellen Geschlechtskrankheit Sorgen zu machen und alles über die Billigbiere eines anderen Lands zu lernen. Die Welt mit Anfang 20 zu entdecken, trägt (zumindest teilweise) zu einer vernünftigen Entwicklung bei. Aber wie sieht das aus, wenn du schon älter bist?
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Die Italienerin Laura Peracca ist 61 Jahre alt und gerade von einem sechsmonatigen Erasmus-Aufenthalt in Spanien zurückgekehrt. Dort wurde sie zu einer lokalen Berühmtheit, weil sie die älteste Erasmus-Studentin ist, die Madrid jemals gesehen hat.
VICE: Warum hast du dich mit 61 Jahren dazu entschieden, an einem Erasmus-Programm teilzunehmen?
Laura Peracca: Mein Sohn hat mir eines Abends von einem seiner Kumpels erzählt, der einen Erasmus-Aufenthalt machte. Da ich gerade Psychologie studiere, fragte ich scherzhaft, ob ich da nicht auch mitmachen könnte. Mein Sohn war sich ziemlich sicher, dass ich aufgrund meines Alters nicht mehr den Anforderungen entspreche. Bei meinen Recherchen fand ich dann allerdings heraus, dass es beim Erasmus-Programm keine Altersbeschränkung gibt. Dennoch befürchtete ich, es nicht zu schaffen. Es hat dann aber doch geklappt.
Was haben deine Kinder gesagt?
Anfangs waren sie noch skeptisch. Mein Sohn meinte, dass ich einem 21-jährigen Studenten eine einmalige Chance wegnehme. Und ich stellte mir schon vor, wie ich ganz eifrig die Wohnung putze, die ich mir mit fünf Mitbewohnern und deren Bongs teile. Mit der Zeit freute ich mich aber immer mehr auf meinen Aufenthalt. Abgesehen von dem, was ich von den Freunden meiner Kinder gehört und im Film L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr gesehen hatte, wusste ich gar nicht, was mich da erwartete.
Warum gerade Spanien?
Ursprünglich wollte ich nach Norwegen, aber mein Ehemann entschied sich dazu, mich zu begleiten. Deshalb zog es mich dann doch eher an einen Ort, wo es mehr als drei Stunden Tageslicht gibt. In Frankreich hatte ich schon oft Urlaub gemacht und deshalb fiel meine Wahl schließlich auf Spanien. Ich fand eine Wohnung und mein Mann kam 15 Tage später nach. Ich wohnte also nicht mit anderen Studenten zusammen.
Ich will ehrlich sein: Als ich noch studierte, habe ich mich nie wirklich mit den älteren Studenten unterhalten. Wie liefen die Vorlesungen bei dir ab?
Ja, die anderen Studenten haben mich quasi ignoriert. Als die Vorlesungen begannen, haben die Dozenten alle Namen und die dazugehörige Nationalität vorgelesen, um die Kontaktaufnahme zu erleichtern. Das hat mir aber nicht viel gebracht. Die anderen Studenten aus Italien haben nach fünf Minuten das Interesse an mir verloren. Mit dem Rest der Erasmus-Studenten aus Brasilien, Ungarn, Korea oder China klappte es viel besser.
Was hast du in deiner Freizeit gemacht? Ich nehme an, Alkohol in einen Club zu schmuggeln, wo Sven Väth auflegt, war jetzt nicht gerade dein Ding.
Nicht wirklich, nein. Ich stand zwar auf der Mail-Liste für alle Partys, aber es hätte sich komisch angefühlt, da hinzugehen. Abseits der Uni besuchte ich einen Theaterkurs und lernte Spanisch. Dort kam ich mit vielen Leuten in Kontakt, mit denen ich Madrid erkundete. Zwischen den Vorlesungen ging ich oft schwimmen und abends erkundete ich mit meinem Mann die Gegend. Außerdem haben wir uns zusammen immer spanische Fernsehserien angeschaut.
Hast du überhaupt irgendetwas Erasmus-Typisches erlebt?
Ich bin einmal mit anderen Erasmus-Studenten in einen Pub gegangen und habe in einer Tiefgarage Chinesisch gegessen.
Du bist dann auch zu einer Lokalberühmtheit geworden, richtig?
Ja, ein bisschen. Eines Abends rief mich die Tochter meines Manns an und erzählte mir, dass ein befreundeter Cartoonist gefragt hatte, ob er einen Cartoon über mich zeichnen dürfte – und zwar für die Corriere della sera, eine große italienische Zeitung. Er besuchte mich dann in Madrid und ein paar Wochen später erschien der Cartoon. Ein Redakteur der El Mundo, der zweitgrößten Zeitung Spaniens, wollte die Zeichnung dann ebenfalls bringen. So kam eins zum anderen. Ich wurde schließlich sogar vom Lokalsender TeleMadrid interviewt und als “la estudiante de Erasmus más veterana”, die älteste Erasmus-Stundentin, bezeichnet.
Entsprechen die Erasmus-Klischees – also einfachere Prüfungen, exzessive Saufgelage und viel länderübergreifender Sex – deiner Erfahrung nach der Realität?
Die Prüfungen waren definitiv einfacher. Ich habe vier Kurse belegt und nur bei einer Prüfung tat ich mir etwas schwerer. Die stereotypen Exzesse konnte ich jetzt nicht beobachten. Zwar sind die anderen Studenten ständig auf irgendwelche Partys gegangen, aber sie waren dann auch immer pünktlich in den Vorlesungen und bestanden ihre Prüfungen mit Bravour.
Was steht als Nächstes für dich an?
Als sich mein Aufenthalt in Madrid dem Ende neigte, wollte ich gar nicht mehr zurück. Ich stehe jetzt kurz vor meinem Abschluss und überlege, noch einen Master dranzuhängen. Vielleicht ist dann auch noch ein zweites Erasmus-Semester drin.