Popkultur

Als Jesus mir auf Facebook erschienen ist

Den „Sonstige”-Ordner bei Facebook zu checken ist meistens keine so gute Idee, sofern man nicht gerade Lust darauf hat, sich von völlig Fremden aufs Letzte beschimpfen zu lassen. Ich bin alles andere als emotional masochistisch veranlagt, also lasse ich es meistens lieber bleiben und den Hass Hass sein. Vor ein paar Tagen hatte ich jedoch so ein Gefühl, dass diese eine Nachricht gelesen werden muss.

Zuerst vermutet man da natürlich irgendeinen Bot oder Faker, der das Facebook-Profil dieses Mädchens aus Queensland gehackt hat und jetzt willkürliche Personen damit zuspammt. Als genau so etwas habe ich die Nachricht auch zuerst abgetan. Nach kurzer Überlegung fand ich die Worte aber einfach zu süß, um nicht zumindest mit einem Emoji-Herzen zu antworten. Ob Hacker oder nicht, warum soll ich Liebe nicht mit Liebe erwidern?

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Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, war, dass dieses australische Mädchen namens Bethaney mir anschließend wieder antwortete—ob ich das bereits wusste, dass Jesus mich liebt. Und ich nur so: „I sure did”. Ich nehme Jesus-Zeug nie wirklich ernst und war noch immer misstrauisch, was die Echtheit des Profils anging. Also stellte ich expliziter Fragen, um zu prüfen, ob sie darauf eingeht.

Ich fragte Bethaney, warum sie genau mir diese Nachricht schickte. Und wie vielen anderen Profilen sie sie noch geschickt hatte. Sie sagte, sie habe nur mir geschrieben—weil Gott mich herausgehoben hatte. „Eigentlich geil”, dachte ich mir. Ich würde mich selbst nicht als gläubigen Menschen bezeichnen aber hey, wenn Gott mich schon heraushebt. Bethaney behauptet, sie fühlte sich einfach danach, den Namen Franz einzutippen—ich kann mir vorstellen wie der heilige Geist höchstpersönlich in ihren Leib einfuhr—und aus allen anderen Franzens stach mein Profil heraus. Das sagt sie jedenfalls.

Das Verrückte daran ist, dass ich—und das ist die absolute Wahrheit—ein paar Stunden davor zum ersten Mal seit Jahren „Gospel Medley” von Destiny’s Child gehört hatte. Ein bisschen ironisch, aber auch ein bisschen ernsthaft, weil mich Beyoncé einfach mit allem kriegt, auch wenn sie gerade den Herrn preist. Jedenfalls hatte ich diesen Song noch immer im Kopf, speziell die „Jesus loves me”-Passage. Das war schon ein witziger Zufall, weil Bethaney mir ja offenbar die selbe Message zukommen lassen musste.

Nachdem sich dieses Mädchen immer noch total aufrichtig und herzlich las, sagte ich halt einfach „Danke”. Sie war also tatsächlich eine reale Person und ich rechnete jeden Augenblick damit, dass sie mir irgendwelche Broschüren zukommen lassen würde, die mich vom Konvertieren zu ihrer Hardcore-Jesus-Sekte überzeugen sollten.

Tat sie aber nicht. Vielmehr wurde sie mit jeder Nachricht liebevoller und sogar irgendwie lustig, als sie anfing, ziemlich scherzhaft zu behaupten, sie wäre Gottes Werkzeug. Dessen Wege wären bekanntermaßen unergründlich und er würde manchmal eigenwillige Werkzeuge wählen, um Menschen zu erreichen. Einmal, so schrieb sie, hat er sogar einen Esel geschickt.

Ich weiß nicht, was genau da mit mir passierte, aber ich begann Bethaney irgendwie sympathisch zu finden. Spätestens als sie meinte, ob es etwas gäbe, dass sie für mich in ihre Gebete einschließen sollte. Diese mir vollkommen fremde Person sitzt irgendwo in Australien und trägt so viel Liebe in sich, dass sie für mich beten möchte. Was soll ich da schon sagen, es ist ein geschenkter Gaul.

Am gleichen Tag ließ mich auch der Tod von Whitney Houstons Tochter Bobbi Kristina nicht ganz kalt. Whitney beschäftigte mich plötzlich wieder und ich fand mich in einer endlosen YouTube-Spirale aus Interviews. Außer der Erkenntnis, dass Diane Sawyer der schlimmste Mensch der Welt sein muss, ist mir eigentlich nur aufgefallen, dass Whitney in ihren letzten Jahren nur noch ein Schatten ihrer selbst war und trotzdem ständig von Gott redete.

Ich konnte das nie so ganz verstehen, wenn jemand zum Beispiel bei Award Shows zuallererst Gott dankt—wofür arbeitest du so hart, wenn letztendlich Gott die ganze Anerkennung bekommen soll? Ist das der Grundgedanke von Glauben, dass man am Ende des Tages alles jemand anderem, nämlich Gott, zu verdanken hat?

Noisey: Jesus bezahlt mich für Musik

Ich schrieb Bethaney, wie Jesus mich plötzlich sogar bis in meine Youtube-Eskapaden hinein verfolgt. „I believe he is trying to get through to you, Franz :)”. Ja verdammt, Jesus will Kontakt zu mir aufnehmen und macht das 2015 nicht mehr über einen Esel, sondern über Facebook und Whitney Houston. Und dieses Mädel erschien mir wie die netteste Person auf Erden. Es ist nicht so, dass ich plötzlich meinen Glauben im Internet fand, aber es machte Spaß, mit ihr zu chatten. Nicht zuletzt, weil ich wusste, ich würde bald die Schwulen-Karte spielen und sie damit aus ihrer homophoben Christen-Reserve locken.

Dem war nicht so. Jedenfalls nicht ganz. „I by no means condone hatred toward people who come out and say that they are homosexual. I don’t hate them, I love them. And I won’t treat them any differently. But”—es kommt immer ein aber—„I don’t support it.” Nicht mal Homophobie konnte diesem Mädchen ihre Liebe zu Menschen nehmen.

Dennoch ließ sie auf eine subtile Art durchblicken, dass sie glaubt, Schwule und Lesben seien einfach vom richtigen Weg abgekommen, und versuchte, nach Gründen und Auslösern für meine Homosexualität in meiner Kindheit oder meiner Familiensituation zu finden. Ich habe ihr ziemlich schnell erklärt, dass das Bullshit ist, und sie hat sich in Form eines christlichen Popsongs namens „How Love Wins” entschuldigt. Ich gehe trotzdem ein bisschen davon aus, dass sie jetzt einen Anlass gefunden hat, um für mich zu beten.

Ich hatte ziemlich schnell eine Vorstellung davon, welcher Typ Mensch Bethaney sein muss, wollte aber wissen, woher ihr Glaube kommt. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie ich eine dreiseitige Biografie zugeschickt bekam, die sie angeblich erst kürzlich für die christliche Organisation, in der sie jungen Frauen mit Problemen hilft, geschrieben hatte. Sollte sie keine völlig Wahnsinnige sein, die sich einfach viele Dinge an den Haaren herbeizieht—und so kam sie beim besten Willen nicht rüber—, musste sie wohl schon ziemlich viel Scheiße durchmachen und hat ihren Frieden eben in der Kirche gefunden.

Dieser Chat mit Bethaney ließ mich jetzt zwar nicht den Heiland in Sandalen erblicken, aber es kommt einer wahrhaftigen religiösen Vision für einen Sünder wie mich wohl am nächsten. Der Leibhaftige wird mir fortan wohl wieder nur in Beyoncé-Gestalt erscheinen, und die Unterhaltung mit Bethaney endet genau so random wie sie begonnen hat—mit einem Bild einer Katze die augenscheinlich auf Crack ist. Amen.

Sollten solche Offenbarungen nicht immer irgendwie einen Zweck haben? Alles was ich jetzt weiß, ist, dass jetzt irgendwo down under ein Mädel sitzt und für mich betet. Höchstwahrscheinlich für die Heilung meiner Homosexualität. Bethaneys erste Nachricht war vielleicht aus ihrer Zwischenablage, und ich kann nicht überprüfen, ob sie nicht doch in irgendeinem Christen-Center hockt und hunderte Menschen willkürlich mit Liebe überschüttet. Und wenn doch, ist es mir relativ egal. Allein das Katzenfoto war es wert. In Zukunft sollte ich jedenfalls meinen „Sonstiges”-Ordner öfter checken, nur für den Fall, dass der Messias mal wieder versucht, zu mir durchzudringen.

Lobet und preiset den Herrn mit Franz auf Twitter: @FranzLicht