Adesse ist 28 Jahre alt, Ur-Berliner und in Fußballschuhen groß geworden. Als Kind hatte er den großen Traum, Fußballprofi zu werden. Doch als dieser Traum zum Greifen nah war, kreuzte ihm seine eigentliche große Liebe den Weg: die Musik. Kurz darauf düste er mit 50 Cent durch Europa, steht heute bei Sido unter Vertrag und ist mit Jérôme Boateng befreundet.
VICE Sports: Wo hast du damals Fußball gespielt?
Adesse: Ab der siebten Klasse war ich auf einer Sportschule in Berlin und habe bei Hertha 03 Zehlendorf gespielt. Ich hatte vor der Schule Training, nach der Schule Training und am Wochenende Spiele.
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Dein Leben hat sich also nur um Fußball gedreht?
Na klar, ich habe dort angefangen, um Profi zu werden. Dann sollte ich den Sprung zu Hertha BSC machen und dort für ein paar Jahre unterschreiben.
Du hast offensichtlich nicht unterschrieben.
Ich habe Musik und Fußball lange parallel laufen lassen. Als ich 16 war, kam dann der Punkt, an dem ich mich für eine Sache entscheiden musste. Mir war klar: Wenn ich das Ding unterschreibe, ist es mit der Musik endgültig vorbei. Ich konnte also nicht unterschreiben.
Fiel dir die Entscheidung schwer?
Ehrlich gesagt überhaupt nicht. Tief in mir wusste ich wohl, dass meine größte Leidenschaft und mein größtes Talent in der Musik steckt. Fußball ist auch toll, keine Frage. Aber mein Herz gehört der Musik.
Du hättest auch auf eine Musikschule gehen können, du warst aber in der Fußballklasse. Warum?
Ich bin erst während der Zeit auf der Sportschule und irgendwie auch über den Fußball zur Musik gekommen. Fußball war bei mir beinahe ein Selbstläufer, ich war irgendwann einfach drin in der Fußballwelt und habe immer höher gespielt. Man hat viel Anerkennung bekommen. Das war natürlich reizvoll.
Aber das hat dir nicht gereicht.
Nein, irgendwann hatte ich auf Fußball keinen Bock mehr. Nach dem Training wurde im Kinderzimmer immer fleißig mit den Fußball-Kumpels Mucke gemacht. Wir haben mit dem Musikprogramm „Fruity Loops” Beats gemacht und ich hab drauf gesungen. Ohne Musik ging bei mir gar nichts.
Adesses offizielle Single „Ich bleibe” aus dem Album „Fechnerstraße”
Wie ging es dann weiter für dich?
Ich habe mein Abi gemacht, den Fußball hingeschmissen und hatte mit 18 Jahren zusammen mit einem Freund den ersten Plattenvertrag in der Tasche. Wir waren das Rap- und Singer-Duo „am2pm” und waren sogar mit 50 Cent auf Europatour.
Das hört sich nach dem großen Durchbruch an. Warum hat es nicht bis nach ganz oben gereicht?
Meine beste Freundin hat damals den ganzen Laden geschmissen. Sie war Labelchefin, Managerin und für uns als Team sehr wichtig. Sie ist 2008 leider verstorben. Das hat uns unglaublich fertig gemacht, wir waren völlig überfordert mit der Situation und konnten nicht mehr richtig Musik machen. Deswegen trennten wir uns.
In dem damaligen Musikvideo „My Business” sind die Fußballer Arne Friedrich und Sofian Chahed zu sehen. Hast du heute noch Kontakt zu Profifußballern?
Ich habe einige Freunde, die es im Profifußball geschafft haben. Ich stehe zum Beispiel den Boateng-Brüdern sehr nahe. Mit Kevin habe ich in der Berliner Auswahl gespielt. Er ist übrigens einer der besten Spieler, die ich je gesehen habe. Was er auf dem Platz abgezogen hat, war der Wahnsinn. Jérôme und ich sind in der Jugend immer wieder aufeinander getroffen, über die Jahre ist er einer meiner besten Freunde geworden. Wir stehen, obwohl er mittlerweile in München lebt, eng im Kontakt. Und auch Leon Balogun von Mainz 05 ist ein sehr guter Kumpel von mir, wir sind zusammen aufgewachsen.
Ganz ehrlich: Wenn du deine Jungs auf dem Rasen siehst, schwingt da manchmal ein bisschen Missgunst mit oder freust du dich über ihre Erfolge?
Ich spüre überhaupt keine Missgunst. Wenn meine Freunde in ihrem Beruf Erfolge feiern, dann ist das doch großartig zu sehen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass solche Erfolge nicht aus dem Nichts kommen. Die Jungs müssen wahnsinnig hart dafür arbeiten. Die Leistungen sind also absolut verdient und ich gönne es ihnen von ganzem Herzen.
Aber wenn du Jérôme Boateng mit dem WM-Pokal in der Hand siehst, geht dir dann nicht der Gedanke durch den Kopf: „Verdammt, das hätte auch ich sein können”?
Nein, so denke ich nicht. Die WM war ein unglaublich emotionales Erlebnis für mich. Ich habe mitgefiebert, als würde ich selber auf dem Platz stehen. Als die Jungs den Pokal in der Hand hielten, war ich unglaublich stolz und gerührt. Ich gehöre aber nicht auf den Platz, sondern auf die Bühne. Das weiß ich. Deshalb habe ich keinen einzigen missgünstigen oder negativen Gedanken daran verschwendet. Dieses Turnier war eher inspirierend für mich.
Fußballer haben den Ruf, oft stumpfsinnig und wenig kreativ zu sein. Bei Musikern ist genau das Gegenteil der Fall. Kannst du diese Vorurteile bestätigen?
Das kann ich auf keinen Fall bestätigen. Um sich im Fußballgeschäft zu etablieren, benötigt man einen gewissen Weitblick. Als komplette Dumpfbacke schafft es niemand an die Spitze des Weltfußballs, diesen Erfolg bekommt man nicht geschenkt. Außerdem gehört zu dem Sport mehr, als auf dem Rasen zu stehen und zu kicken. Es steckt komplizierte Taktik dahinter, die viele Leute niemals blicken würden. Die Fußballer, die ich kenne, sind auf keinen Fall dumme Menschen.
Marteria hat, genau wie du, im Profifußball gestartet und sitzt jetzt in der Musikbranche. Ist er dein Vorbild?
Nein, ein Vorbild ist er nicht wirklich. Aber er ist für mich einer der coolsten deutschen Künstler. Er ist ein durchweg sympathischer Typ, kann richtig gut kicken und ich feiere seine Musik. Ich habe wirklich großen Respekt vor ihm.
Hast du einen Lieblings-EM- oder WM-Song?
Nein, überhaupt nicht.
Dann schreibst du einfach bald selber einen, oder?
Naja, ich habe keinen Bock auf so einen gekünstelten, aufgepumpten Fußball-Song. Aber wenn ich einen hätte, der passt und natürlich wirkt, dann wäre ich sofort dabei (lacht).
Dein Album „Fechnerstraße” kommt im März raus. Findet man in dem Album noch ein paar Spuren von deiner Fußballvergangenheit?
Ich bin in der Fechnerstraße aufgewachsen und habe dort den größten Teil meines Lebens verbracht. Bis ich 16 war, war Fußball eine wahnsinnige Konstante in meinem Leben und hat mir viel bedeutet. Also natürlich sind Spuren von meinem früheren „Ich” in dem Album zu finden. Aber Fußball direkt habe ich nicht thematisiert. Immerhin habe ich mich gegen den Sport und für die Musik entschieden.
Tourdaten von Adesse:
ICH BLEIBE – Tour 2016
06.05.2016 München AMPERE
07.05.2016 Stuttgart SCHRÄGLAGE
08.05.2016 Frankfurt ZOOM
11.05.2016 Köln YUCA
12.05.2016 Leipzig TÄUBCHENTHAL
13.05.2016 Hamburg ÜBEL & GEFÄHRLICH
18.05.2016 Berlin LIDO
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