Identity

Als Kopfwickel für schwarze Frauen Vorschrift waren

Als ich jünger war, wollte ich mein Haar immer zähmen. Es war wild, umfangreich, dick und rau – genau das Gegenteil dessen, was man mir von klein auf als “attraktiv” eingetrichtert hatte. Das Schönheitsideal in meiner Heimat USA hatte mich davon überzeugt, dass meine Haare nur akzeptabel waren, wenn ich sie glättete. Also ließ ich sie mir relaxen. Die Reaktionen bestätigten mich in der Entscheidung, Menschen schauten mich mit seidigem Haar ganz anders an.

Dass ich diese Bestätigung bekam, war Pech für mich. So glaubte ich noch fester daran, dass ich mein Haar entweder ändern oder unter etwas verstecken musste. Dabei hatten schon vor Jahrhunderten viele Frauen in den USA eine andere Einstellung: Sie zeigten stolz ihre krause Haarpracht, wie die Natur sie geschaffen hatte. Ich wünschte, ich hätte damals schon von diesen Frauen gewusst.

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In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen immer mehr freie afrikanische und afroamerikanische Einwohner nach New Orleans. Die Wirtschaft wuchs und gleichzeitig gab es für schwarze Menschen inzwischen mehr Möglichkeiten, Geld zu verdienen, ihre Freiheit zu kaufen und ihre Familien zu vergrößern. Dabei kam es auch häufiger zu “Mischehen” zwischen Schwarzen und Weißen – zum Entsetzen der kolonialen Behörden. Die Expertin für afroamerikanische Geschichte Ze Winters schreibt in The Mulatta Concubine: “Karl III von Spanien verlangte vom Gouverneur von Spanisch-Louisiana, dass er ‘für öffentliche Ordnung und angemessene Sitten’ sorge, mit konkretem Bezug auf eine ‘große Bevölkerung aus Mulatten’ und vor allem ‘Mulattinnen’.”

In dieser Ära trugen Frauen afrikanischer Abstammung aufwendige Frisuren (yep, wir sind schon seit Jahrhunderten stylish). Sie arbeiteten Federn und Juwelen mit ein. Das sah nicht nur grandios aus, es ließ sie auch wohlhabender wirken, als sie waren. Mit ihrem prachtvollen Stil zogen sie die Blicke von Männern auf sich – auch die von weißen.

Wie verlangt ging Gouverneur Don Esteban Miró gegen das “Problem” vor: Er erließ eine Verordnung, die den Spitznamen “Tignon-Gesetz” bekam. Die verbot es kreolischen Women of Color, “übermäßig auf ihre Kleidung bedacht zu sein”. Stattdessen mussten sie ihr Haar mit einem Tignon (einem Schal oder Kopftuch) bedecken, um zu zeigen, dass sie zur Sklavenschicht gehörten, selbst wenn sie eigentlich frei waren. In The Devil’s Lane: Sex and Race in the Early South schreibt die Historikerin Virginia M. Gould, Miró habe damit Frauen kontrollieren wollen, “die zu hellhäutig geworden waren oder sich zu elegant kleideten, oder die offen mit weißen Frauen um Status konkurrierten und damit die Gesellschaftsordnung gefährdeten”.

“Westindische Blumenverkäuferin mit zwei anderen freien farbigen Frauen” von Agostino Brunias (1769), via Wikimedia Commons

Die Kreolinnen bedeckten ihr Haar, aber sie verwendeten bunte Stoffe und Juwelen – in etwa wie Angela Bassett in American Horror Story als die historische Voodoo-Priesterin Marie Laveau. Wie die Museumskuratorin Kathe Hambrick aus Baton Rouge in Louisiana in einem Interview sagte: “Sie eigneten sich den Tignon an und machten ihn zu einem Teil ihres Stils.” Und natürlich fielen die Frauen mit diesem Kopfschmuck Männern weiterhin positiv auf.

1803 kauften die noch jungen USA Frankreich das Kolonialgebiet Louisiana ab, das Tignon-Gesetz wurde nicht länger durchgesetzt. Dennoch trugen viele versklavte und freie Frauen afrikanischer Abstammung weiterhin bunte Kopftücher als Symbol des Widerstands gegen den weißen Kolonialismus.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die modische Lage geändert. Viele schwarze Frauen fingen an, ihr Haar zu glätten, um besser ins eurozentrische Schönheitsideal zu passen. Ein französischer Friseur erfand 1872 den erhitzten Glättkamm, um die Jahrhundertwende verbesserte Madam C. J. Walker seine Erfindung und wurde mit diversen anderen Produkten für krauses Haar zur ersten schwarzen Millionärin der USA. Mit den Black-Pride-Bewegungen der 1960er und 70er wurde der Afro beliebt. Auch dieser Stil galt als eine Form des Widerstands gegen den von Weißen dominierten Status Quo.

Seit dem Tignon-Gesetz ist in den Vereinigten Staaten viel passiert. Die Sklaverei wurde abgeschafft, die Bürgerrechtsbewegung setzte der Rassentrennung ein Ende, die USA hatten ihren ersten schwarzen Präsidenten. Doch wie steht es heute um das Haar schwarzer Frauen? Immerhin ist es heute kein Verbrechen mehr, meine Haare zu zeigen. Wenn ich an Schicksale wie die von Trayvon Martin, Freddie Gray, Alton Sterling und vielen anderen denke, weiß ich allerdings nicht, ob meine Hautfarbe dafür schon legal ist.

Selbst 2018 gilt es noch als politischer Akt, mein Haar naturbelassen zu tragen. Es fasziniert nicht-schwarze Menschen – so sehr, dass ich wie so viele schwarze Frauen mich aus dem Weg winden muss, weil neugierige Hände auf mich zukommen, die mal anfassen wollen. Dabei singe ich ganz höflich “Don’t Touch My Hair“, den Song, mit dem Solange uns allen aus dem Herzen spricht.

Dennoch haben sich die Zeiten geändert. Wir zeigen stolz unser Kraushaar und unsere Locken. In der Entertainment-Branche sehen wir Frauen wie Lupita Nyong’o und Viola Davis in Black Panther, selbst die ehemalige First Lady hat sich mit naturbelassenem Haar gezeigt. Laut der Marktforschungsfirma Mintel trugen 71 Prozent alles schwarzen Erwachsenen in den USA ihr Haar 2016 mindestens einmal natürlich. Außerdem seien die Ausgaben von Schwarzen für Relaxer von 2011 bis 2016 um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Immer mehr schwarze Frauen fühlen sich nicht länger unwohl mit ihrem Aussehen und zeigen ihr Haar gern. Langsam aber sicher nehmen wir Einfluss darauf, wie Schönheit definiert wird.

Wenn du ein kraushaariges Mädchen bist und beim Blick in den Spiegel gefrustet bist, wenn du die Zähne zusammenbeißt, weil dein Kamm an den dichten Locken reißt und das “cremige Crack“, die Relaxer-Paste, immer verführerischer wirkt, dann denk dran: Dein Haar gilt historisch gesehen nur deshalb als problematisch, weil es so schön ist, dass es das Potential hat, die Vormacht der Weißen zu durchbrechen.

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