Als Skater in Deutschland von Außenseitern zu Trendsettern wurden

Unser Autor „Mixen” leitet mit seinem Kumpel den bekannten Münchner Skateshop shrn. Er hat hautnah miterlebt, wie Skateboarding die Jugendkultur eroberte. Für uns erinnert er sich, wie diese Entwicklung begann.

Streetwear ist momentan eines der gefragtesten Themen überhaupt und so groß wie nie. Überall laufen Leute mit Sneakern und legeren Klamotten rum, sogar in Büros und Kanzleien sind „Straßenschuhe” nun salonfähig. Ich arbeite seit nunmehr knapp 15 Jahren in Skate-Shops und habe diese Entwicklung direkt mitbekommen und bin sie natürlich auch selbst durchlaufen. Weil es Teil meines Jobs ist, schadet es nicht, sich zu fragen, woher dieser Umstand kommt. Subkulturen und der Faktor „Coolness” sind heutzutage eine wichtige Komponente für kommerzielle Firmen. Dadurch steht Skateboarding auch momentan so im Fokus und Skater sind weiterhin für Kampagnen spannend.

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Auch wenn du viele Tricks kannst und gut bist, heißt das noch lange nicht, dass du was reißen wirst. Hier zählt nicht wie bei jeder anderen Sportart, was du drauf hast, sondern wie du harte Tricks einfach aussehen lassen kannst. Man geht sogar noch eine Stufe weiter und sagt: Ohne richtige Klamotten und Schuhe geht gar nichts.

Aber wie entwickelte sich die Skatekultur zu einem popkulturellen Fashion-Statement? Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist die Geschichte des SB Dunks.

Der Dunk wurde erstmals von Nike als klassischer Basketball-Boot 1985 released und 2002 als Skate-Schuh neu aufgelegt. Der Start war damals eine limitierte Auflage namens „Colors By” mit Colorways von den Teamfahrern Reese Forbes, Danny Supa, Richard Mulder und vor allem Gino Iannucci, allesamt Legenden der 90er-Jahre. Dieser Schritt war wichtig für Nike, um sich in der Skate-Szene glaubwürdig zu machen.

Und der Dunk war der perfekte Schuh, um eine neue alte Ära der Skateschuh-Historie für Nike einzuleiten. Wichtig war auch, dass es sich bei dem neu formierten Team um Street-Skater handelte, um glaubwürdig rüberzukommen. Dazu muss man wissen, dass die 90er-Jahre gerade im Skateboarding so etwas wie die goldenen Jahre unserer Generation waren. Das war noch alles vor Tony Hawk’s Pro Skater.

Man grüßte einen Skater auf der Straße, auch wenn man ihn nicht kannte, denn die Allgemeinheit dachte sich: „Was sind denn das für asoziale Penner?!” Der Klamottenstil war stark durch die HipHop-Kultur geprägt und dadurch über-Baggy. Man schaute damals von Deutschland aus natürlich Richtung USA, denn hierzulande gab es noch keine Videos und Magazine, das gab es alles nur drüben. Wenn man Glück hatte, konnte man in einem der wenigen Skateshops ein Magazin ergattern und sich dann abschauen, was die drüben für Tricks machten, und ganz wichtig: Was sie für Klamotten anhatten! Zu der Zeit gab es, ähnlich wie beim HipHop, East- und West-Coast-Skater. Traditionell guckte man natürlich schon immer auf die Westküste, denn da kommt Skateboarding ja her. Aber in den 90ern kam immer mehr die Eastcoast ins Spiel, vor allem New York und Philadelphia. Die Skater dort trugen Baggys in der Größe eines Kartoffelsacks und natürlich Kappen und Beanies, egal zu welcher Tages- und Jahreszeit. Die Rollen waren gerade mal so groß wie die Kugellager und das Board war so schmal wie ein Zahnstocher. Man war mit dem Style sozusagen in einer weltweiten Gang: die wenigen Skateboarder hatten alle dasselbe an. Wenn du in eine andere Stadt gefahren bist und einen Skater getroffen hast, war es einfach klar, dass du mit dem fortan abhängen und sogar bei ihm auf der Couch pennen wirst.

Aber warum gerade der Dunk? Für die Macher bei Nike Skateboarding kamen nur zwei Modelle in Frage: Der Jordan 1 oder der Dunk. Diese beiden Schuhe waren vorher schon bei Skatern sehr beliebt, denn jedes Mal, wenn bei irgendeinem Store mal wieder Basketballschuhe runtergesetzt waren, kamen Skater und kauften Jordans und Dunks für einen schmalen Taler. Irgendein schlauer Fuchs hatte sich gedacht, dass sich diese beiden Modelle vielleicht zum Skaten eignen würden, was schlussendlich auch so war.

Die Entscheidung fiel dann wohl auf den Dunk, weil zum einen zu der Zeit kein Mensch Hi-Tops getragen hat und zum anderen, weil es den Schuh als Hi- und Mid-Top und auch als Low-Version gab. Außerdem hielten die Sohle und das Material im vorderen Schuhbereich sehr lange, also genau die Stellen, die beim Skateboardfahren am meisten in Anspruch genommen werden. Man musste quasi dem Schuh nur noch mit dem neuen Team zusammen einen kleinen Facelift unterziehen. Dies sah wie folgt aus: Dünnere Zunge und schmalerer Schnitt. Die Zwischensohle wurde so verändert, dass ihr zwar dämpfende Eigenschaften hinzugefügt wurden, das aber nicht das Board-Gefühl beeinflusst hat. Der Fersen- und der Vorderschuh-Bereich wurden weiter verstärkt und und fertig waren die ersten Nike SB Dunks.

Eine weitere Innovation war, dass man immer mehr mit Künstlern zusammen arbeitete. So wurde Exklusivität durch Limited Editions geschaffen, was immer mehr Sammler neugierig machte. Viele Künstler durften sich auf den Schuhen verewigen, und zwar genreübergreifend: Musik, Kunst, Streetart usw. In diesem Zuge wurde auch immer mehr mit Materialen experimentiert. De la Soul hatten sogar eine Hologramm-Grafik auf ihrem Schuh. In Skateshops kamen plötzlich nicht mehr nur Skater vorbei, sondern auch immer mehr Sammler aus dem Sneaker- und Streetwear-Bereich.

Zur Anfangszeit kam es da zu aberwitzigen Situationen: Skater benutzen ihre Schuhe und skaten sie kaputt, doch Sammler heben sie auf. Das sorgte auf beiden Seiten natürlich für großes Stirnrunzeln. Nike produzierte aber für ihre SB Linie bei Weitem nicht die Stückzahlen, wie es Sneakerheads gewohnt waren. Hier entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit ein Schwarzmarkt, bei dem horrende Preise für Skateschuhe bezahlt wurden. Das gab es vorher so noch nicht. Manches Paar ist mittlerweile unbezahlbar wie etwa der „Tiffany Dunk” oder der „Gucci Dunk”. So erschloss sich für die Skate-Shops zum ersten Mal ein ganz neuer Kundenstamm und der Mainstream zog ein in die deutschen Skateshops.

Ein Zeitzeuge dieser Entwicklung ist auch Robinson Kuhlmann aus München, Skate-Pro seit 1997. Wir haben uns über die Skate-Kultur um die Jahrtausendwende unterhalten.

Mixen: Hey Robinson, alles gut?
Robinson: Servus, ja, alles klar soweit, was gibt’s?

Ich sitze gerade an einem Artikel über Streetwear und deren Kultur und wollte zeigen, wie sich das Ganze in Deutschland entwickelt hat. Du kannst dich sicher noch daran erinnern, wann das Fahrt aufgenommen hat, oder?
Ja, schon! Nach dem Tief in den 90er-Jahren kam Skateboarding mit Tony Hawk’s Pro Skater zurück und es haben viele angefangen bzw. wieder angefangen zu skaten. Darum ist dann Nike auch wieder in den Markt mit eingestiegen.

Komisch, dass es wirtschaftlich ein Tief gab, denn an sich sind die 90er ja eines der goldenen Zeitalter im Skateboarden gewesen.
Stimmt schon, jeder hängt sich daran ja momentan auf und wenn du dir die Kids anschaust, die laufen alle fast so rum wie wir früher.

Ja, aber nur nicht ganz so peinlich! (lacht) Wenn ich mir überlege, was wir anhatten, oh Mann! Überweite Baggys, Cargo-Pants, Fat Laces in den Schuhen, Hosen und Rucksäcke in den Kniekehlen!
Es war einfach eine Zeit, die sehr HipHop war, auch bei mir im Freundeskreis. Die Leute, die sich an der Westküste zu Hause gefühlt haben, waren halt so Skatepunks und der Rest war eher auf Eastcoast und HipHop unterwegs. Zwei Subkulturen, die ja eher einen Außenseiterstatus vermittelt haben. Skater mochte ja niemand früher, da musste man sich schon einigen Scheiß anhören.

Robinson Kuhlmann; Foto: shrn

Voll! Meine Eltern kamen gar nicht drauf klar. Das war jetzt nicht nur auf dem Land oder in München so, sondern eigentlich weltweit. Das war auch ein Grund, warum das früher auch mehr so ein Community-Ding war, find ich. Was meinst du dazu?
Auf der einen Seite war das schon so, dass man sich gegrüßt hat, wenn man einen anderen Skater auf der Straße gesehen hat. Das war so ein ungeschriebenes Gesetz. Man hatte auch immer safe eine Couch, wenn man woanders hingefahren ist, das war kein Ding. Andererseits war das schon so, dass die „Punker” und die „HipHoper” so ihr Ding gemacht haben. Ein HipHop-Skater hätte sich nie im Leben Vans angezogen und ein Punk-Skater niemals Osiris oder sonst was. Nikes halt auch nicht, Puma oder Cons, das, was so die Writer getragen haben.

Nicht nur die Klamotten, auch die Art zu skaten war anders, darum hat man sich an den Spots gar nicht so gesehen. Nur im Skateshop oder ab und zu beim Weggehen.
Naja, beim Streetskaten ist man sich vielleicht nicht in die Quere gekommen, wenn man überhaupt so sprechen will. Also die sind halt Handrail und Gap skaten gegangen und wir halt Curbs. Aber es gab ja kaum Skateparks und da hat man sich dann schon gesehen oder in der Halle halt und das war auch überwiegend cool.

Du hast eben Klamotten und im Speziellen die Schuhe angesprochen. Wie sind dann die Marken auf den Zug aufgesprungen?
Also ich habe mich da ja eher in der Mitte bewegt, weil ich relativ früh von Etnies gesponsert wurde, also war für mich das ganz witzig zu beobachten. Vans ist ja von Anfang an dabei im Skateschuh-Business und dadurch, dass die aus Kalifornien sind, war da der Bezug zu Skatepunk von Anfang an da. HipHop kam als Subkultur ja erst so in den 90er-Jahren über die Eastcoast dazu und es gab einfach keine Schuh- und Klamottenfirmen, abgesehen von Shut und Zoo York. Da sind dann ein paar Firmen draus entstanden, Osiris z.B. Aber man hat sich da schon von den Breakdance- und Graffiti-Leuten ein bisschen was abgeschaut. Speziell bei Schuhen waren das dann Puma, Converse oder eben Nike. Nike hat dann begriffen, dass man mit diesen Subkulturen und Skateboarding im Speziellen gut Werbung machen kann und sich dann ein Konzept überlegt. Und jetzt sind sie immer noch da.

Ja, stimmt, und als erstes haben sie dann eine Linie mit Dunks rausgebracht, glaube ich.
Schon, aber der Dunk wurde damals ausschließlich von Hip-Hop-Skatern gefahren, die auch eine gewisse Street-Attitude hatten wie in München z.B. der Nico Yap oder Marc Achmüller. Die meisten Skater sind damals gar nicht so auf den Schuh abgefahren. Aber die zwei waren halt so 100% into HipHop und hatten eigentlich nur Dunks an. Witzig, weil der Marc dann später ja tatsächlich lange Jahre für Nike gefahren ist! (lacht)

Stimmt, das hatte ich voll vergessen! Ich erinnere mich noch, dass die auch als erste so gar kein extra Paar Schuhe dabei hatten am Spot, oder?
Es war halt damals echt so, dass man Schuhe anhatte, auf die man Bock gehabt hat, und im Rucksack dann seine Skateschuhe mitschleppte. Das hat sich dann mit dem SB Dunk das erste Mal ein bisschen verändert, weil der ja eher als klassischer „Ausgeh-Schuh” gekauft wurde. Waren ja auch immer crazy Colorways und Editionen dabei. Aber die zwei fanden den so geil zum Skaten und hatten die dann permanent zu ihren Cargos oder Jeans an.

Und nicht nur die, irgendwann hat man dann alle möglichen Leute mit den Schuhen gesehen, also auch nicht Skater, sondern auch die ganzen Sneakerheads. Ich kann mich noch erinnern, als ich mal im Sommer den Laden aufsperren wollte und da dann irgendwelche Sneakersammler vor dem Shop gepennt haben wegen einem Tiffany Dunk, total verrückt.
Ich glaube, als dann P-Rod (Paul Rodriguez, Anm. d. Red.) von éS zu Nike gegangen ist, wollten alle nur noch Dunks skaten. Die haben dann einfach die Gunst der Stunde genutzt und einen Colorway nach dem anderen rausgeballert. Die Editionen waren dann so limitiert, dass die da voll drauf abgegangen sind. Ich kann mich noch erinnern, dass er in seiner ersten Ad einen Supreme Dunk anhatte, da sind alle komplett ausgeflippt! Das muss so 2003 gewesen sein. Ich kannte viele Sammler, die mich gefragt haben, ob ich an den und den Dunk rankomme, obwohl ich gar nicht für Nike gefahren bin. (lacht)

Interessante Entwicklung eigentlich, ich weiß jetzt gar nicht so genau, wer überhaupt Skateboard fährt und wer nicht. Mit dem Internet kann man sich jetzt über alles informieren und sich alles reinziehen. Fashion-Kids wissen jetzt genau, was aktuell etwa Polar oder Fucking Awesome sind und kaufen das dann auch. Die wissen sogar, wer die Köpfe hinter den Brands sind und so.
Oder schau dir mal an, wie viele Leute in Thrasher-Pullis rumlaufen (lacht)! Naja, die Zeiten ändern sich halt. Und so ändert sich wieder alles und jeder Trend kommt und geht, wie er will.

So ist es, danke fürs Gespräch!
Easy, gerne!