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An die queere Szene: Wir müssen über Meth und GHB reden

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP US erschienen

Bei Crystal-Meth denken die meisten wahrscheinlich an ‘Breaking Bad’, die verstörenden Vorher-Nachher-Bilder von Antidrogenkampagnen oder die ostdeutsche Provinz. Methamphetamin ist nicht nur die “weltweit am meisten produzierte synthetische Droge”, sondern aller Gegenmaßnahmen zum Trotz auf dem Vormarsch. In den USA steigt der Anteil von Methamphetamin-Konsumenten laut der National Survey on Drug Use and Health beständig an. Auch in Großbritannien ist das Spritzen, das sogenannte Slamming, von Crystal-Meth bei Sexpartys seit Jahren beliebt. In Deutschland gab laut Drogenbericht 2016 der Bundesregierung zwar nur 1 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren an, schon einmal Crystal konsumiert zu haben, verhältnismäßig höher dürfte allerdings der Anteil in der queeren Partyszene von Berlin sein. Erst letztes Jahr gerieten die sogenannten Chemsex-Partys durch die Verhaftung des Grünen-Politikers Volker Beck in den Blick der Öffentlichkeit. Als Antwort auf dieses wachsende Problem haben populäre Dating-Apps wie Grindr und Scruff Wörter wie “meth” und “party” aus Profilbeschreibungen verbannt.

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GHB und das verwandte GBL sind ebenfalls Substanzen, die laut Pabey in der schwulen Partyszene zunehmend sichtbar werden. Die Substanz ist verhältnismäßig billig, kann zu einer schweren körperlichen Abhängigkeit führen und ist gerade aufgrund der großen Gefahr einer versehentlichen Überdosierung mit fatalen Folgen sehr umstritten.

Anthony „aCe” Pabey ist ein in Chicago lebender DJ, Produzent, Rapper und Mitbegründer von Men’s Room, einer queeren, sexpositiven Party, die in den Lederbars, stillgelegten Pornokinos und anderen Läden der US-Metropole stattfindet. Pabey schreibt über das Problem des Konsums harter Drogen in der schwulen Partyszene und inwiefern dieses mit der aktuellen Dating-Kultur zusammenhängt. – Michelle Lhooq


Aus dem VICE-Netzwerk: Out and Bad: Londons LGBT-Dancehallszene:


Die queere Gemeinschaft befindet sich mitten in einer Epidemie, über die niemand spricht: dem weitverbreiteten Konsum harter Drogen wie Meth und GHB/GBL beim Sex und auf Partys. Von vielen meiner Freunde in Chicago und anderen Teilen des Landes werden diese Substanzen zunehmend als normaler Bestandteil des Alltags wahrgenommen.

Ich persönlich bin den meisten, die von diesen Drogen abhängig sind, auf Dating-Apps begegnet. Jedes Mal, wenn ich mich einlogge, bekomme ich mehrere Anfragen, ob ich nicht auf “parTy” oder “pNp” stehen würde – Codewörter für Meth und/oder GHB-Konsum zum Ficken. Solche Interaktionen sind mittlerweile so normal, dass keiner auch nur mit der Wimper zuckt. Wir ignorieren diese Menschen und machen weiter, als hätten sie nie existiert. Wir ignorieren die Leben derjenigen, die unter Abhängigkeit leiden – wenn wir nicht gerade selbst unter Abhängigkeit leiden.

Unser lockerer Umgang mit Sucht ist so schädlich wie die Drogen selbst.

In den späten 90er und frühen 00er Jahren waren derartige Drogen in den schwulen Partyszenen noch nicht so weit verbreitet. Eine Ausnahme bildeten natürlich die mehrtägigen Circuit-Partys, zu denen Tunten aus dem ganzen Land pilgerten. Diese Substanzen – zusammen mit etwas Imodium, damit du nicht das ganze Wochenende auf dem Klo verbringst – waren der Treibstoff für die Afterhours und Orgien, die im Umfeld dieser Partys stattfanden. Das war zu einer Zeit, in der viele Menschen in der LGBTQ-Gemeinschaft in Angst vor AIDS lebten. Ich bin sogar davon überzeugt, dass sich viele Menschen in der Szene harten Drogen zugewandt haben, um diese Angst zu kompensieren.

2017 spielen diese Partys keine so große Rolle mehr und harte Drogen dominieren heute weniger Partymarathons und ausgedehnte Wochenendgelage, dafür aber umso mehr die tagtägliche schwule Dating-Praxis. Mit Fortschritten in der Medizin wie PrEP ist die Angst vor HIV unter jüngeren Homosexuellen fast komplett verschwunden, was zu einer größeren Bereitschaft für Sextreffen und Chemsex-Partys geführt hat.

Über Drogen wie Ketamin und MDMA zu sprechen, ist für viele kein Problem. Das liegt wahrscheinlich nicht zuletzt auch an vermehrten Berichten über den therapeutischen Nutzen dieser Substanzen, die auch unter Medizinern immer mehr Beachtung finden.

Wir haben uns vor dieser Idee einer Gemeinschaft, der gegenseitigen Unterstützung und Schutzes entfernt.

Aber niemand möchte darüber sprechen, wie harte Drogen unsere queere Gemeinschaft zerstören. Diese Drogen sind in den Augen der Mehrheitsgesellschaft ein Tabu und werden geächtet. In den Apps wird aus ihrer Verwendung allerdings kaum ein Hehl gemacht. Codewörter wie ein großgeschriebenes T (für “Tina”, Szeneslang für Meth) sind dort allgegenwärtig. Sie sind sogar schon so weit verbreitet, dass manche User extra in ihre Profile schreiben, dass sie keinen Chemsex wollen.

Und diese Epidemie, von der ich hier schreibe, ist nicht nur ein Gesundheits- und Suchtproblem. Sie ist viel mehr das Resultat eines komplexen Systems queerer Interaktionen, der heutigen Dating-Kultur und der Art wie Technologie beeinflusst, wie wir uns gegenseitig behandeln und sehen. Unsere lockere Einstellung gegenüber Menschen, die unter Sucht leiden ist so schädlich wie die Drogen selbst.

Und ein Teil dieser Lockerheit kommt durch die Dating Apps. Zuerst einmal sind diese Apps berüchtigt dafür,“sexuellen Rassismus” zu normalisieren. Es ist üblich, dass Menschen sich dort ihren Hass, ihre Ignoranz oder ihre Vorurteile gegenüber bestimmten Ethnien oder Geschlechtern auf die Fahne schreiben, indem sie Sachen wie “no fems, no fats, no Asians” in die Profile schreiben. Vorlieben auf Dating-App-Profilen sind die neue, zynische Version des schwulen Hanky Codes.

Diese von Diskriminierung geprägte Atmosphäre hat die Ausbreitung dieser Epidemie extrem begünstigt. Wir erkennen nicht, dass der grassierende Konsum harter Drogen in der queeren Gemeinschaft davon beeinflusst wird, wie wir andere menschliche Wesen abwerten. Wir haben uns von dieser Idee einer Gemeinschaft, der gegenseitigen Unterstützung und Schutzes entfernt. Manchmal fühlt es sich an, als hätten wir all die Opfer und Überlebenden der AIDS-Epidemie vergessen – die Helden der 80er und 90er, die dafür gekämpft haben, dass wir heute stolz sein können.

Wir sollten niemanden mit “Noch so eine verdrogte Tunte!” abschreiben. Stattdessen müssen wir verstehen, dass Sucht für manche ein Kampf ist, der das ganze Leben andauert.

Um diese Epidemie richtig anzugehen, müssen wir umdenken. Die Technik und der Informationsüberfluss haben einen entmenschlichenden Einfluss auf uns. Diesem müssen wir uns entziehen. Wir müssen zurück zur Empathie finden. Versetzen wir uns doch mal selbst in die Position eines Süchtigen und überlegen uns, wie wir dorthin gekommen sind. Wir sollten sie nicht mit “Noch so eine verdrogte Tunte!” abschreiben. Stattdessen müssen wir verstehen, dass Sucht für manche ein Kampf ist, der das ganze Leben andauert. Manchmal hat sie ihre Ursache in Familienproblemen oder ist eine Bewältigungsstrategie für erfahrenen Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder Transphobie.

Wir müssen uns anschauen, wie wir mit anderen menschlichen Wesen interagieren. Ist uns das Leid anderer egal? Wenn jemand vor deinen Augen wegen einer Überdosis GHB umkippt, bist du die Person, die sich um diesen Menschen kümmert? Bist du bereit, unangenehme Unterhaltungen mit Freunden und Fremden zu führen?

Ruf deine Freunde, Lover und Ex-Lover an. Besuch sie. Mach mehr, als ihnen einfach nur Nachrichten zu schreiben. Intime menschliche Interaktion und Kontakt sind der Anfang einer Veränderung – und einer Besserung.

Wir befinden uns mitten in einer Epidemie. Was tust du dagegen?

Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. THUMP will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Alle unsere Artikel zum Thema “Safer Use” findest du hier.

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