Homeoffice während der Pandemie bedeutet für mich, monatelang den liebsten YouTubern meines Mitbewohners ausgesetzt zu sein. Und den Lärm meiner Nachbarn. Es bedeutet auch, viele weitere Monate mit dieser Aussicht zu leben:
Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber ich vermisse mein Büro. Es gibt nichts Besseres, als an einem Ort zu arbeiten, der tatsächlich für Arbeit geschaffen wurde. Oder von anderen umgeben zu sein, die auch arbeiten, oder zumindest so tun.
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Aber von zu Hause aus arbeiten hat einen klaren Vorteil, der mir vorher nie aufgefallen ist: Du musst nicht wirklich zu Hause sein. Eine Woche habe ich nach dem besten Ort gesucht, an dem ich arbeiten kann – ohne in meinen eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein.
Das sind meine Highlights:
Leben im Van
Eine schnelle Suche bei Google bringt mich zu Kay und Esther, die ihr Büro für ein Leben auf der Straße getauscht haben. Sie haben sich in einer Werbeagentur in Amsterdam kennengelernt. Es war Liebe. 2018 beschlossen sie, ihr geregeltes Leben gegen #Vanlife auszutauschen. Ein halbes Jahr fuhren sie in einem gemieteten Campervan durch Neuseeland. Vor kurzem sind sie aus den Alpen zurückgekehrt.
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Momentan ist ihr Van in der Einfahrt von Esthers Eltern abgestellt. Vorübergehend, versteht sich. Das Paar schläft im Haus. Für die beiden fühlt sich das an wie Urlaub. “Auf der Straße zu leben, immer unterwegs zu sein, ist definitiv stressig”, sagt Esther. “Du siehst zwar die schönsten Ecken der Erde, und ich würde das auch gegen nichts tauschen wollen, aber es ist kein Urlaub. Es ist wirklich ein Lebensstil.”
Sie fanden früh heraus, dass ein gemütlicher Campervan ein Muss ist. “Wir haben einen Tisch eingebaut, damit wir aufrecht sitzen können”, erklärt Esther. Auch eine Klimaanlage haben sie sich gegönnt.
Struktur ist wichtig. Das Paar arbeitet fünf Tage pro Woche – von 9 bis 16 Uhr, mit einer Stunde Pause – von ihrem Van aus. Sie erneuern ihren Blog, machen freiberufliches Marketing oder schreiben Handbücher, um Leuten zu zeigen, wie die ihren eigenen Campervan bauen. “Wenn die Arbeit fertig ist, klappst du deinen Laptop zu und gehst in die Berge. Das ist das Schöne am Vanlife. Du suchst dir die Aussicht aus deinem Fenster selbst aus,” sagt Kay.
Bedauerlicherweise ist diese Aussicht gerade eine Backsteinmauer in einem Vorort von Assen – und obwohl Kay und Esther sagen, dass sie gute Kollegen sind, kann ich diese Behauptung momentan wegen der Pandemie nicht überprüfen. Also verbringe ich die nächsten Stunden damit, alleine in die Tasten meines Laptops zu hauen. Die Aussicht ist definitiv nicht besser als meine. Ergonomisch hat sich die Situation aber verbessert. Nachdem ich monatelang auf meinem alten, wackligen Küchenstuhl gesessen habe, ist das Arbeiten im Van überraschend gemütlich.
Das Luxus-Hotel
Der Van war nicht schlecht, aber wenn ich wirklich von überall aus arbeiten kann, möchte ich lieber was Hochwertiges. Amsterdams berühmtes Amstel Hotel hat einen großartigen Ausblick und ich kann ihn aus einem wunderschönen Raum mit luxuriösem grünem Teppich aus genießen.
Das einzige Problem ist der Überfluss an Zeug: Zucker und Milch, Servietten, kleine Kerzen in einem Porzellanhalter, pinke Blumen in einer Vase. Es sind so viele Dinge auf meinem Tisch, dass ich kaum Platz für meinen Laptop habe. Diese kleinen Ärgernisse werden durch die kostenlosen Butterkekse gemindert, die du zu jeder Tasse Kaffee (für jeweils fünf Euro) bekommst – und durch angenehmen Jazz im Hintergrund. Allen hier scheint es gut zu gehen. Das Paar neben mir trinkt Champagner zum Mittagessen. Ein älterer Herr in einem Rollkragenpullover wird von seiner Frau (oder Affäre) gefüttert. Und eine Frauengruppe wird nach jedem Weinglas lauter.
Je länger ich bleibe, desto mehr fühle ich mich als Störenfried. Als würden mein Laptop und ich die Freude aus diesem Raum saugen. Mein Tippen auf der Tastatur klingt wie ein passiv-aggressiver Soundtrack gegen das Lachen und Klirren der Gläser. Es ist, als wäre ich nur hier, um die anderen Gäste an eine harte Realität zu erinnern, in der Menschen tagsüber arbeiten müssen. Nach meiner dritten Tasse Kaffee packe ich ein, obwohl es mir ein bisschen das Herz bricht.
Der Friedhof
Irgendwie gelangte ich an einen Ort, den normalerweise nur Gruftis lieben: den Friedhof. Die Toten sind offensichtlich sehr stille Kollegen und es riecht angenehm nach Pinien. Ich sitze inmitten von Eichhörnchen, Schmetterlinge flattern um mich herum. Wie Monitore in einem Büro geben mir die ordentlich aufgereihten Grabsteine ein Gefühl der Ruhe. Trauernde gehen an mir vorbei, während ich alleine auf einer Bank sitze. Ich bin in der perfekten Stimmung, um zu schreiben. Allerdings fühlt es sich komisch an, den Laptop aufzuklappen. Das Tippen auf meiner Tastatur würde hier zwar keine Party ruinieren, aber definitiv die Stille zerstören.
Ich schreibe einige E-Mails, die alle von Melancholie durchtränkt sind. Meine Konzentration wird gestört, als jemand auf der anderen Straßenseite anfängt, den Rasen zu mähen. Fast gleichzeitig beginnt eine Durchsage. Die Öffnungszeiten des Friedhofs werden bekanntgegeben. Selbst zwischen Toten ist Stille trügerisch.
Der Ikea-Showroom
Die Büro-Abteilung eines IKEA ist die perfekte Arbeitsumgebung. Es gibt eine Steckdose für mein Ladegerät, der Järvfjället-Bürostuhl ist ergonomisch und der Raumteiler Bekånt garantiert absolute Privatsphäre.
Der endlose Strom aus Besuchern gibt mir ein Gefühl von Normalität. Menschen möchten ihr Zuhause noch immer mit neuen Möbeln verschönern. Eine Frau beugt sich über meinen Tisch, während sie telefoniert. “Das sieht gut aus und man kann die Höhe anpassen!”
Sie hat Recht. Es ist ein guter Schreibtisch. Ihre Begeisterung steckt mich genauso an wie der Motivationsspruch über meinem Kopf: “Lass uns Geschäfte machen, wir sind für dich hier!”
Schneller als gedacht ist eine Stunde verstrichen und ich habe einen halben Artikel geschrieben. Ich frage mich, was ich Leuten erzählen soll, wenn sie mich fragen, was ich hier mache. Wenn ich sage, “Ich arbeite hier”, zwingen sie mich vielleicht dazu, einen Schrank zu verladen. Aber wenn ich sage, dass ich nicht hier arbeite, lüge ich. Das sind die Herausforderungen im Leben eines digitalen Nomaden. Glücklicherweise hat mich bisher niemand irgendetwas gefragt und es ist mein Magengrummeln, das mich ins hauseigene Restaurant drängt.
Als ich in der Schlange stehe, fühlt es sich wieder an wie die Mittagspause im Büro. Vor mir stehen drei Typen in ihren Fünfzigern, die über das Tagesangebot lachen: Fleischbällchen. Sie machen ausschließlich schlechte Witze. Ach, wie habe ich das vermisst.