Kaum hatte er mich erblickt, richtete der Polizist auch schon seine Waffe auf mich.
Ich hatte bereits meine Hände sichtbar vor mir in die Höhe gestreckt, hielt meinen Presseausweis in der Hand und rief immer wieder “Presse”. All das war dem Polizisten egal. Das sagte er mir auch, bevor er mich neben der Zapfsäule auf den Boden warf, hinter der ich Schutz gesucht hatte. Als ich auf meinem Bauch lag und meinen Presseausweis weiterhin hochhielt, kam ein weiterer Polizist dazu.
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“Ich gehöre zur Presse”, sagte ich. Die Reaktion des zweiten Polizisten: Er sprühte mir ohne Vorwarnung eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht.
Am 25. Mai wurde der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis von einem Polizisten ermordet. Der Beamte hatte sich auf Floyds Hals gekniet und auch dann nicht locker gelassen, als Floyd verzweifelt sagte: “Ich kriege keine Luft.” Seit diesem Verbrechen demonstrierten Menschen in vielen US-Metropolen und auch in Großstädten auf der ganzen Welt, um strukturellen Rassismus und Polizeigewalt anzuprangern. Bei diesen Demonstrationen kam es vermehrt zu Gewaltausbrüchen und Plünderungen.
Zusammen mit meinem Team war ich früher am Abend zu einer Tankstelle in Minneapolis gefahren, um mich mit den Besitzern zu unterhalten. Die Tankstelle von Assad und Cindy Awaijane war während der Demonstrationen bereits zweimal ausgeräumt worden. Jetzt bereiteten sich die beiden auf eine weitere Nacht voller Chaos vor.
Die Awaijanes hatten einen Entschluss gefasst: Obwohl ihr Geschäft bereits wie leergefegt war, wollten sie das Gebäude nicht brennen sehen. Die Menschen aus ihrer Nachbarschaft standen auf ihrer Seite: Als der Beginn der Ausgangssperre immer näher rückte, stellten sie Campingstühle vor der Tankstelle auf, schürten den Grill an und bereiteten auch sonst alles dafür vor, um das Chaos von der Straße nicht noch mal auf das Geschäft der Awaijanes übergreifen zu lassen.
Kurz nach zehn Uhr erreichten die Demonstrierenden schließlich die Straße der Tankstelle. Schwer bewaffnete Polizisten in Kampfmontur gingen – unterstützt von großen Polizeifahrzeugen – von beiden Seiten langsam auf die Protestierenden zu und fingen an, Tränengas und Gummigeschosse in die Menge zu feuern. VICE-News-Mitarbeiter Roberto Daza bekam ein solches Geschoss auf seinen unteren Rücken. Er filmte gerade Leute, die versuchten, einige Rauchgranaten zurück auf die Polizisten zu werfen.
Die Auseinandersetzung dauerte rund 30 Minuten. Dann gelang es der Polizei, die Demonstrierenden in die umliegenden Bezirke zu leiten. Abgesehen von einer Handvoll Leuten, die den Parkplatz der Tankstelle stürmen wollten, kam es auch zu keinen größeren Sachschäden. In der Straße herrschte wieder Ruhe. Nur in der Ferne konnte man weiter den Lärm der Demonstration hören.
Dann wurde die Ruhe allerdings jäh durchbrochen. Einige der Polizeifahrzeuge kehrten zurück und hielten vor der Tankstelle, mindestens ein Dutzend Polizisten stiegen aus. Die Beamten eröffneten das Feuer auf die Awaijanes und ihre Freunde, die nur ihr Geschäft und ihre Lebensgrundlage beschützen wollten.
Ich suchte Schutz hinter einer Zapfsäule. Roberto Daza und Amel Guettatfi, ein weiterer VICE-News-Mitarbeiter, nutzten die Türen unseres Mietwagens als Deckung, während sich Daniel Vergara, unser Kameramann, hinter einem Pickup-Truck verschanzte.
Als die Polizisten mit gezogenen Waffen auf uns zukamen, riefen wir laut “Presse”, um uns als Medienangehörige auszuweisen. Obwohl wir offensichtlich zur Presse gehörten, wiesen uns die Beamten trotzdem an, uns auf den Boden zu legen, und feuerten weiter Gummigeschosse in Richtung Parkplatz und Tankstelle.
Einer der Polizisten richtete sein Gewehr auf mich. Ich hielt meinen Presseausweis hoch und wiederholte mehrmals, dass ich zur Presse gehörte. Der Beamte sagte, dass ihm das egal sei, schubste mich auf den Boden und befahl mir, unten zu bleiben. Ich folgte seinem Befehl, hielt meinen Presseausweis aber weiter sichtbar hoch. In diesem Moment lief ein anderer Polizist an mir vorbei und sprühte mir Pfefferspray ins Gesicht.
Währenddessen feuerten die Polizisten ihr Pfefferspray auch in unseren Mietwagen auf den Rest des VICE-News-Teams, das eigentlich nur Schutz suchte und den Befehlen der Beamten Folge leistete. Bobby, der 23 Jahre alte Sohn der Awaijanes, bekam laut seiner Mutter ebenfalls eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht, obwohl er sich – auf Anweisung der Polizisten – auf den Boden gelegt hatte.
Erst als die Beamten die gesamte VICE-News-Crew in den Mietwagen getrieben hatten, und sich auch die Awaijanes und ihre Freunde in den ausgeräumten Laden zurückgezogen hatten, gingen die Polizisten langsam weiter. Zwar dauerte der Angriff keine zehn Minuten, aber die Besitzer werden ihn wohl nicht mehr so schnell vergessen können. Genauso wenig wie wir.