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Nein, sexpositive Partys sind keine “Sexpartys”

Nackte und Halbnackte in einem Club

Eine symbolische Partyszene. Foto von Mário Macedo/Flickr, CC BY-SA 2.0

“Ga Ga Land heißt ein Artikel aus dem ZEITmagazin, der seit Donnerstag die digitale Runde macht. Der Journalist Mohamed Amjahid will dafür ein Jahr lang innerhalb der antideutschen Bewegung recherchiert haben und ist dabei auf einige Widersprüche gestoßen. Das dürfte jeden, der oder die sich schon mal im Ansatz mit Antideutschen beschäftigt hat oder selbst da drin steckt, wenig überraschen. Und wenn du nicht dazu gehörst, dann dürftest du dich letzte Woche zumindest gefragt haben, was denn bitte “Antideutsche Sexpartys” sind?

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Für seinen Artikel war Amjahid nämlich in einem “antideutsch geprägten Club”, dem Berliner://about:blank, auf der “‘Poly-Motion’-Sexparty”. Sonderlich mitgerissen hat es ihn anscheinend nicht, wie er schreibt: “Der Darkroom des Clubs ist seit Stunden verwaist. In einer Ecke ist ein Pärchen ziemlich lustlos mit sich selbst beschäftigt. Wenige Minuten später sitzen die beiden wieder am Tresen neben der Studentin. Die blättert nun lustlos in einer Jungle World.”

Was hinter der vermeintlichen “antideutschen Sexparty” steckt

Dabei erliegt auch Amjahid einem generellen Missverständnis, das viele Menschen haben, wenn sie an derzeit so populäre Partys wie “GEGEN”, “Pornceptual”, “Cocktail d’Amore”, “buttons” und “Herrensauna” denken – oder an mit Darkrooms ausgestattete Clubs wie das Berghain oder das Institut fuer Zukunft: Es handelt sich hier oftmals nicht wirklich um “Sexpartys”, sondern um sexpositive Veranstaltungen und Orte. Oder anders: Man verabredet sich hier überwiegend nicht zum gemeinsamen Akt, sondern weiterhin zum Feiern – und dabei wird das Ausleben von jeglicher Sexualität einerseits durch das Setting idealerweise ermöglicht und ist andererseits auch erwünscht. Mit HIV-positiv hat der Begriff übrigens nichts zu tun und auch die Definition von “Sex” ist viel weiter.

Kathi aus dem Team von “poly motion” erklärt es THUMP gegenüber wie folgt: “Vielleicht hilft es, sich beim Annähern an den Begriff ‘Sex’ davon zu verabschieden, dass damit (nur) der, wie auch immer praktizierte Sexualakt, sondern eher die sexuelle Selbstbestimmung, die geschlechtliche Selbstdefinition beschrieben wird. Der Begriff ‘Sex-Positiv’ hat seinen Ursprung vor allem im feministischen Kampf um die Gleichberechtigung im anglo-amerikanischen Raum. Er bezieht sich vordergründig auf die Gleichberechtigung von bis dahin unterdrückten Minderheiten. Dies schließt sowohl die Anerkennung verschiedenster sexueller Orientierungen als auch Aufklärung von Vorurteilen und Unwahrheiten ein.”

“Uns geht es nicht darum, dass die Leute auf unsere Party kommen, um Sex zu haben, sondern vielmehr darum, dass sie sich wohl genug fühlen, um Sex haben zu wollen.” – poly motion

Es geht also vor allem auch darum, einen Raum für all jene zu bieten, die sich anderswo nicht wohlfühlen können – oder gar nicht erst reingelassen werden. Auf sexpositiven Partys bist du von daher eben auch willkommen, wenn du dich nackt oder im Fetischoutfit zeigen willst, solange wie untereinander respektvoll, zwanglos und mit Rücksicht umgegangen wird.

Die “poly motion” gibt sich folgerichtig auf Facebook auch recht ambivalent in ihrer Selbstbeschreibung: “discover | chill | dance | fuck | or skip | nothing”. Das alles ist als “‘ open-to-all-gender‘ Party” gedacht, bei der sich jede Person geborgen und gehört fühlen soll. “Uns geht es nicht darum, dass die Leute auf unsere Party kommen, um Sex zu haben, sondern vielmehr darum, dass sie auf unsere Party kommen und sich wohl genug fühlen, um Sex haben zu wollen”, schreibt Kathi. “[Und auch] nicht darum, weitere Erwartungshaltungen an Menschen oder Rollen zu schüren, sondern gerade um das Gegenteil – ein Feld für die eigene Vorstellungskraft zu öffnen.”

Freizügigkeit und Sexposivitismus sollten nicht zu neuem Zwang führen

Und genau da liegt bisweilen das Problem: Die neue Freizügigkeit wird gerne missverstanden. Dass sich Leute hier frei ausleben, heißt nicht, dass du das auch musst, sondern eben nur, dass du es kannst.

Ein Clubbetreiber erklärte es neulich im Gespräch mal so: “Am Anfang, als wir neu aufmachten, haben alle über unseren Darkroom gesprochen. Aber dass es bei uns einen gibt, heißt nicht, dass du da jetzt drin Sex haben musst, wenn du hier hin gehst, sondern, dass er eben ein Angebot für diejenigen ist, die ein Bedürfnis für einen Darkroom haben.” Das musste man den Gästen erstmal vermitteln.

Bei der “poly motion” versucht das Team dem etwa mit expliziten, erklärenden Beschilderungen und durch die eigene Präsenz bei Fragen zu helfen und Problemen entgegenzuwirken. Denn Hype hin oder her: “Es sollte nicht primär darum gehen, irgendwie zu ficken, und dann das Gefühl zu haben, den ‘Sinn der Party’ erfüllt zu haben”, meint Kathi. “[…] Da steckt meiner Meinung nach die Gefahr drin, dass sich Leute, unter dem sich selbst aufgebauten Druck, zu Sachen bringen (lassen), die sie vielleicht doch gar nicht machen wollen.”

Und dass man den geschaffenen Raum nicht denen überlässt, die ihn brauchen.

Thomas twittert. Folge zudem THUMP auf Facebook und Instagram.