Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.
Es ist ein warmer Sommertag im August, als ich mich ins Berner Oberland aufmache. Ich befürchte, schon beim Aussteigen aus dem Zug von arabischen Touristen über den Haufen gerannt zu werden. In Interlaken gebe es “ganze Horden von denen”, wie mir ein “Informant” erzählt. Die Region ist ein beliebtes Touristenziel, der Thunersee und der Brienzersee rahmen Interlaken links und rechts ein, die Aare fliesst direkt hindurch. Doch vor allem kommen die vielen Busse inklusive lärmigen Reiseführern wegen des berühmten Berg-Trios Eiger, Mönch und Jungfrau hierher. Und wegen dem Trümmelbach ein paar Kilometer weiter, an dessen Ufer arabische Touristen ganze Schafe grillen und damit die Bewohner zur Weissglut treiben sollen. Tote Tiere auf einem Grill? Zubereitet von Menschen aus dem arabischen Raum? Das muss investigativ untersucht werden.
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Das erste Indiz, dass hier tatsächlich viele Menschen aus arabischen Ländern in der Touristenregion landen: Überall hängen Plakate mit arabischen Schriftzeichen. Sie werben für Ausflüge in die Alpen und preisen andere touristische Schönheiten der Schweiz an. Eine Horde arabischer Touristen sehe ich allerdings nicht. Vereinzelt schlendern vermummte Frauen mit ihren Familien durch die Gässchen, in denen sich eine Souvenir-Falle mit Schlüsselanhängern im Kuhglockendesign und schicken Ziertellern inklusive Alpenpanorama im Schaufenster an die nächste reiht. Vielleicht hängen ja wirklich alle am Trümmelbach rum, wie mir ein Kollege von einer Tageszeitung erzählt hat. Jedes Wochenende würden sich die arabischen Touristen am Ufer des Flusses versammeln, der einige Kilometer weiter in Lauterbrunnen liegt und der von den berühmten Trümmelbachfällen genährt wird. Ein weiterer Tipp für Touristen, dem viele von ihnen folgen.
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Sie picknicken und flanieren dort entlang des Flussufers. Und manchmal grillen sie auch. Allerdings nicht an einer der Grillstellen, die von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurden, sondern auf selbst mitgebrachten Grills oder Campingkochern. Manchmal führe das zu einem verbrannten Rasen, oft zu einem Müllproblem. Was in der Stadt normal ist, kommt in der ländlichen Schweiz einem Eklat gleich – vor allem wenn das Grillgut nicht portioniert am Rost liegt. Die Lage dort sei so extrem, dass nun sogar Bewohner öffentlich darauf aufmerksam machten.
Auf Facebook wurden zwei Wochen zuvor Bilder gepostet, die ausländisch anmutende Männer zeigen, die ganze Schafen grillen. Ob wir uns “von denen da” unsere wunderschöne Landschaft ruinieren lassen wollen, fragt der Poster seine Facebook-Freunde, die den Beitrag fast 100 Mal geteilt und rege kommentiert haben. “Da muss man sich schon jeden Tag auf der Strasse über die aufregen, weil sie nicht fahren können und überall parken. Überall werfen sie ihren Müll hin”, heisst es weiter. “Sowas wollen wir hier nicht und da muss dringend gehandelt werden”, schliesst er den Post.
Wie dringend der Handlungsbedarf tatsächlich ist, will ich mit eigenen Augen sehen. Für mich sieht das nämlich bloss nach einem ordentlichen Grillfest aus. Klar, der Schweizer grillt sein Fleisch lieber portioniert – vermutlich um sich davon abzulenken, dass er somit für den Tod eines Lebewesens verantwortlich ist. Oder einfach, weil das Fleisch so leichter zu transportieren ist. Egal was dahinter steckt, dass wir Europäer einen toten Tierkörper eklig finden, aber gleichzeitig im Akkord ganzes Geflügel und Tiere in Scheiben und Würsten grillen, es rechtfertigt die Kommentare unter dem aufgebrachten Post keineswegs.
“Gesindel gehört dorthin, wo es hergekommen ist”, schreibt einer unter den Post. Ein anderer schlägt vor, das obligatorische Feldschiessen des Schweizer Militärs von nun an zum Trümmelbach zu verlegen. Eine Frau fragt, wo sie diese Schafe wohl gestohlen hätten. Keine dieser Personen war bei der “ungewohnten Grillparty im Berner Oberland”, wie Blick dieses Fest in seinem Artikel nannte, dabei.
Wie der Bewohner, der dieses Grillfest im Internet verbreitet hat, selbst schon schreibt, ging hier alles legal über die Bühne. Die Schafe wurden nicht öffentlich geschächtet sondern bei einem Halal-Metzger in der Gegend gekauft und auch die Polizei, die zu dem Treiben gerufen wurde, stellte fest, dass hier alles mit rechten Dingen zuging. Wie mir der Verfasser des Posts später am Telefon erklärt, blieb bei dieser Veranstaltung dann nicht mal Abfall liegen. Warum also diese Aufregung? “Ich kaufe ja auch nicht eine ganze Kuh und häute die vor allen Leuten”, sagt er. Ich frage ihn, ob er denn auch was gegen Spanferkel grillen hat? “Nein, aber das machen wir entweder im Zuge eines Dorffestes oder im Hinterhof. Aber sicher nicht einfach so in der Öffentlichkeit, das macht man hier einfach nicht.”
Und warum posten die Leute menschenfeindliche und rassistische Kommentare darunter? “Solche Meinungen öffentlich ins Internet zu stellen ist schon ein bisschen dumm”, erklärt mir der Mann. “Das kannst du unter Freunden oder am Stammtisch sagen, aber sicher nicht dort, wo es jeder für immer lesen kann”, fügt er an. Eigentlich sollte man sowas nirgendwo sagen, diese Entgegnung spare ich mir in unserem Gespräch aber.
Lieber will ich wissen, was denn jetzt eigentlich das Problem ist. Bei meinem Besuch am Trümmelbach erlebe ich nämlich bloss ultimative Postkartenidylle und ein paar wenige glückliche Touristen aus Saudi Arabien, die mit ihren Familien ganz gesittet und, statt mit toten Schafen am Dreibeingrill, bloss auf Teppichen picknicken.
Es ist angenehm still hier, nur der Trümmelbach plätschert leise vor sich hin. Ich komme mit der 13-jährigen Norah aus Saudi Arabien ins Gespräch. Sie macht hier mit ihrer Familie Urlaub, erzählt sie mir. Ihr Vater Bader bietet mir an, mich auf den Teppich der Familie zu setzen, während ich meine Fragen stelle. Kaum habe ich mich hingekniet, wird mir arabischer Kaffee in die eine Hand und eine zuckersüsse Dattel in die andere Hand gedrückt.
“Der beste Kaffee in Saudi Arabien”, ruft mir Bader zu, bevor er am Flussufer in den grossen Topf schaut, der auf einem blauen Campingkocher thront. Den Campingkocher hätten sie in einem Laden gekauft, erzählt mir Bader. Der Topf kommt aus dem Ferienappartement, in dem sie während ihrem Urlaub wohnen. “Wir machen Kabsa”, sagt Norah. Das Nationalgericht Saudi Arabiens ist eine Art Eintopf, Norahs Familie bereitet gerade eine Version mit Geflügel und Gemüse zu. Später werden sie es mit Reis auf einem Silbertablett auftürmen, um es dann gemeinsam und mit der Hand zu essen. “Wir sind es gewöhnt, als Familie zu kochen und zu essen. Das ist Tradition für uns Saudis”, erzählt mir Norah. Ich zeige ihr die Bilder von Facebook: “Ja, so machen wir das zuhause auch”, sagt sie und lacht. Sie könne aber verstehen, wenn das in der Schweiz nicht so gut ankomme. “Wir versuchen uns anzupassen, aber manchmal möchte man auch wieder etwas essen, das man sich gewöhnt ist.”
Ich spreche eine andere Familie an, die ein paar Meter weiter im Schatten sitzt und Karten spielt. Der Teenagersohn Ahmed erzählt mir, dass er es sehr gut verstehen kann, wenn sich die Bewohner hier über die arabische Art zu Grillen aufregen: “Ich hätte das hier nicht einfach so gemacht, das gehört sich nicht”, findet er. Auf meine Frage, warum er so denke, weiss er allerdings auch keine Antwort. Dass unter dem Post Beleidigungen stehen, stört ihn nicht: “Ich kann ja eh kein Deutsch”, sagt er und grinst. Er und seine Familie fühle sich in der Schweiz ansonsten sehr willkommen: “Alle, mit denen wir bisher in Kontakt gekommen sind, waren sehr herzlich”, sagt Ahmed. “Aber das waren auch nur Hotelangestellte”, gibt er zu. Ich frage, ob sie vorhaben, ihren Müll nach dem Picknick mitzunehmen. Glaubt man dem Facebook-Post, scheint Vermüllung nämlich das grösste Problem zu sein. “Selbstverständlich”, sagt Ahmed. Ich schaue mich um. Hier liegt weit und breit kein Müll im Gras.
“Es geht ums Prinzip, die haben einfach keine Ordnung. Zuhause haben die halt einen Diener, der hinter ihnen aufräumt”, sagt aber der Mann, der den Post abgesetzt hat. Ich frage bei Tourismus Lauterbrunnen nach, ob Littering tatsächlich ein Problem in der Gegend sei. “Teilweise wird nach dem Grillen oder Picknicken auch der Abfall liegen gelassen. Man kann aber nicht verallgemeinern, dass dies nur die Gäste aus dem arabischen Raum sind”, erklärt mir Resort Manager Tom Durrer.
Er erwähnt auch, dass Touristen oft die öffentlichen Grillstellen nicht benutzen würden, die ich bei meinem Besuch auch gesehen habe. Sie sind sogar mit gratis Feuerholz ausgestattet. Im Gegensatz zu den unzähligen mehrsprachigen Hinweisschildern, keinen Abfall zu hinterlassen, fehlt bei den Nutzungsregeln der Grillstelle allerdings eine Übersetzung. Zwar habe sich bis jetzt niemand direkt beim Tourismusverband der Region beschwert, bestätigt Tom Durrer, trotzdem werde über Massnahmen nachgedacht: “Es ist uns wichtig, dass das Privateigentum der Talbewohner respektiert wird und alle Abfälle korrekt entsorgt werden. Da das Abfallproblem auf der Wiese bei den Trümmelbachfällen in den letzten Jahren zugenommen hat, wird ein Konzept zusammen mit der Gemeinde und den Landbesitzern ausgearbeitet.” Im September wolle man sich zusammensetzen, so Durrer.
Der Verfasser des Facebook-Posts will daran nicht teilnehmen: “Ich vertraue da schon auf unsere Gemeindevertreter. Wir alle leben hier vom Tourismus. Am Schluss wollen wir ja das Gleiche.”
Und das sind schliesslich zahlungswillige Touristen. Wie die, die dort gesellig am Trümmelbach grillen.