Arbeiten im Callcenter


Bild von Marianne Vlaschits

Ich studiere Malerei an der Bildenden und arbeite nebenbei im Callcenter. Eigentlich schiebe ich mein Diplom vor mir her, weil ich annehme, dass danach auch niemand sagt, „Wow, Sie sind Kunstmagister, sowas haben wir genau gesucht.” und mich hysterisch mit Geldscheinen bewirft. Außerdem klingt es auch irgendwie besser zu sagen: „Ich studiere bildende Kunst, und um das geile Boheme-Dasein, die verrückten Partys und die ausgelassenen Orgien eines aufstrebenden Genies zu finanzieren, arbeite ich hin und wieder in einem—HAHA—HALTEN SIE SICH FEST—Callcenter.” als: „Ich arbeite im Callcenter. ENDE.”

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Seit mittlerweile zwei Jahren schleppe ich meinen verfallenden Körper mal mehr, mal weniger verkatert durch die Straßen in diesen Moloch, um mir mein Headset wie eine eiserne Schelle anzulegen und für Stunden mit hängenden Schultern vorm PC verharrend meiner armseligen Tätigkeit nachzugehen, damit mir einmal im Monat großzügig ein Nasenrammel aufs Konto geschmiert wird. Wie bei allem Neuen war ich anfangs sehr fasziniert von meiner ersten Fixanstellung. Beim Sklavenhalter um Urlaub ansuchen zu müssen, um Freigang zu betteln, weil ihnen meine Lebenszeit gehört. Ich war fasziniert vom Bürohumor, vom Teppichboden, vom Pausenraum, den Zimmerpflanzen, den frechen Spruchtassen, und die ausgedruckten Aufforderungen zu Reinlichkeit und Ordnung in Comic Sans MS, untermalt mit passenden Cliparts, ließen mich staunend erschaudern. Auch diese neue Spielart von menschlicher Dummheit, die ich durch die Anrufer kennenlernte, war beeindruckend, diese ganze trostlose Atmosphäre eine völlig neue Erfahrung.

Das Inbound-Callcenter als Arbeitsplatz, vermutlich schlechter bezahlt als ein Job bei McDonalds, aber mit höherer Hochschulquote. Das Callcenter als geheimer Treffpunkt gescheiterter Akademiker des 21. Jahrhunderts. Versteckt hinter den Fenstern unauffälliger Bürogebäude in dieser grauen Stadt sitzen sie also, die Künstler, Schriftsteller und Master der Geisteswissenschaften, in schlecht beleuchteten Räumen und verrichten in den Sweatshops des Customer Service roboterhafte, eintönige, verbale Fabriksarbeit, indem sie stundenlang dieselben Sätze wiederholen wie ein modernes Mantra zum Zweck der Selbstauslöschung, wie ein klagendes Sklavenlied. Ohne Aussicht auf Aufstiegsmöglichkeiten oder persönliche Weiterentwicklung sitzt man mit leeren Augen im Großraumbüro zusammen, hin und wieder schleppt sich jemand mit schweren Schritten zur Zigarettenpause oder zum Snackautomaten, um sich mit einem nährstofflosen Sandwich langsam hinzurichten.

Ich finde meine Tätigkeit in Wirklichkeit aber super, ich muss dort ja quasi nichts machen, ich werde angerufen, ich beauskunfte Rufnummern, Gespräche reduzieren sich auf ein Minimum, ich sage Zahlen durch, ich habe keinerlei Verantwortung, keinen Leistungsdruck, kaum Belastung, keine meiner kreativen Ressourcen wird an irgendeinen Kompromiss verschwendet und das Wichtigste: Ich arbeite auch nur 20 Wochenstunden. Ich kann in Jogginghose kommen, ich kann in Jogginghose bleiben, ich kann in Jogginghose gehen, ich kann in Jogginghose sterben.

Um mir die Zeit dort zu vertreiben, um mein Gehirn zu entmüllen und mich selbst zu therapieren, zeichne ich in der Dienstzeit in MS Paint oder stelle irgendwelche kurzen spontanen Texte auf Facebook.

Da sich dadurch sehr viel Zeug ansammelt, erstelle ich seit einiger Zeit aus Ordnungsgründen und angeregtem Schaffensdrang hin und wieder ein persönliches Best of aus diesen Auswürfen. Ich mache daraus Zines, 8-seitige, durch Fotos, Zeichnungen und Kurztexte skizzierte Dokumentationen meines eigenen Scheiterns, die ich am Kopierer vervielfältige und gegen ein kleines Taschengeld unter die Leute bringe. Grifffeste, kleine, leicht konsumierbare Kunst.

Manchmal überlege ich auch, schwere Kunstwerke daraus zu machen, Auszüge in Form von Plakaten zu drucken, sie in einen White Cube zu hängen und vor elitären Kunstscheißern zu rechtfertigen, um Preisgelder oder höhere Verkaufspreise zu erschleichen, aber das fühlt sich in meinem Fall einfach falsch an und würde mich anwidern. Jedes Mal, wenn ich zu viel Zeit in diesem Milieu verbringe, bekomme ich sehr starken, mich innerlich auffressenden Weltekel und würde mir am liebsten die Klitoris vergrößern lassen, um die ganzen affektierten Wappler in den Mund zu ficken, bis sie Wimmerl am Hals bekommen.

Mit meinen „Arbeiten” (ich finde es immer seltsam, Kunst als Arbeit zu bezeichnen) bewege ich mich also irgendwo zwischen Literatur, bildender Kunst und Comic, habe aber nirgends einen richtigen Platz, bin gefangen in einer ungezähmten Zwischenwelt, im verlassenen Niemandsland, in dem ich zwar konkurrenzlos bin, aber leider auch pleite und ohne Auszeichnungen. Im Internet verfasse ich schon länger Texte, ich habe meine ganze Jugend hindurch gebloggt, angeregt dadurch, dass mit 15 meine Freundin Hannah aus der Schweiz nach Wien zog, von ihrer Waldorfschule in mein ÖVP-Gymnasium wechselte und mir das Kiffen beibrachte.

Wir zogen jeden Tag nach der Schule durch die Stadt und kamen drauf, dass wir es beide viel geiler fanden, mit stinkenden Obdachlosen im Park abzuhängen, als in Clubs auf Aufriss zu gehen. Und so lebten wir unser gemeinsames Faible für Randfiguren aus, indem wir nächtelang mit 50-jährigen Alkis im Beisl saßen oder verschrobene Freundschaften mit Junkies und Psychotikern schlossen, um uns danach gemeinsam übers Leben zu wundern und stundenlang bekifft über unsere absurden Erlebnisse zu reflektieren („Ur flaaashig, oida.”). Da ich das alles so interessant und wahrhaftig fand, wollte ich gerne darüber erzählen und es festhalten. So entstand mein erster Blog und ich schrieb jeden Tag. Nicht aus literarischem Anspruch heraus, sondern einfach aus Erzähldrang.

Durch die Alltagsstruktur, die ich durch diesen Callcenter-Job bekommen habe, bin ich insgesamt motivierter. Wenn einem plötzlich ein paar Stunden am Tag gestohlen werden, wenn das Leben in Arbeit und Freizeit unterteilt wird, begreift man, wie wertvoll arbeitsfreie Zeit ist, und möchte damit auch irgendetwas tun, das sich produktiv anfühlt. Vermutlich hat das auch mit der Horrorvorstellung zu tun, diese oder eine ähnliche Tätigkeit eines Tages aus Gründen finanzieller Abhängigkeit 40 Stunden pro Tag ausüben zu müssen. Denn das würde ich nicht überleben. Ich möchte NIEMALS 40 Stunden arbeiten. Egal was. Auf gar keinen Fall. NIEMALS! NIE! Lieber schneide ich mir beide Hände mit einem stumpfen Messer ab.

Hätte ich also diese halbtägliche Verpflichtung nicht, würde ich vermutlich um 11 aufstehen, gemütlich frühstücken, ausgiebig scheißen, dann zur Dusche schreiten, noch einen Kaffee trinken, irgendwas im Fernsehen anschauen, vielleicht wieder ein bisschen was essen, mal eine Tschick rauchen, vielleicht noch ein bisserl was scheißen, irgendwen anrufen, irgendwen treffen, sich gegenseitig erzählen, wie gelangweilt man vom Leben ist, das erste Bier öffnen, damit eine verrückte Kettenreaktion auslösen, die an ihrem Höhepunkt explodiert und dann langsam verebbt, bis der nächste Morgen anbricht, den man behutsam angeht, mit einem gemütlichen Frühstück, einem Kaffee, um den Bierschlatz und die Erinnerungen an den Exzess anal rauszulassen, sich rituell zu reinigen und sich zu wappnen für den kommenden Tag. Gelangweilt von Stimulation zu Stimulation segeln wie ein Boot im Meereswind, tralalala.

Ich bin auch eigentlich ganz zufrieden, da ich weder Matura noch eine zukunftssichernde Ausbildung habe, weil ich aus Versehen antiautoritär erzogen wurde und so etwas wie Selbstdisziplin nie entwickelt habe. Mein Ehrgeiz ist ähnlich verkümmert, weil ich auch ohne Fleiß irgendwie immer an Anerkennung gelangt bin und meine Familie als Vertreter der Arbeiterklasse auch völlig zufrieden damit gewesen wäre, wenn ich hauptberuflich an der Supermarktkassa sitzen würde. Es ist also eine angenehme Alternative zu einem erfolgreichen Leben. Mein Lebensstil erschließt sich halt aus einer Mischung aus Unfähigkeit, Unentschlossenheit, Gleichgültigkeit und Verweigerung, ich bin die personifizierte Wohlstandsverwahrlosung.

Natürlich ist es auch irgendwie schade, seine Talente nur so unkontrolliert einsetzen zu können, da ich auch gerne etwas gegen das Elend in der Welt unternommen hätte. Mit Ehrgeiz und Disziplin hätte aus mir auch eine langweilige Illustratorin oder eine langweilige Geisteswissenschaftlerin oder eine langweilige Publizistin werden können. Andererseits geben mir das Scheitern und die permanente depressive Verstimmung als Vertreterin einer Generation arbeitsscheuen Gsindls, der man Prokrastination als Gesamtphänomen zuschreibt, in der niemand erwachsen … BLABLABLA … ein gewisses Grundgefühl, das ich vielleicht stellvertretend ausdrücken kann. Das Empfindungsspektrum des Scheiterns finde ich jedenfalls insgesamt interessanter, im Leid liegt schließlich die Tiefe, im Wehren, Winden und Abstrampeln, im Abgrund findet man Wahrheit.

Ich habe aber auch Zukunftsangst, tief drin in mir. Es ist diese massive Angst vor finanzieller Not und daraus resultierender Vollzeitarbeit (HACKLN = TOD!), also kauft alle mein Buch, das im November rauskommt, und schenkt es euren hässlichen Eltern zu Weihnachten. Bussi.