Jeder, der schon einmal bei einer großen Institution Praktikant war, kennt das Gefühl der Unsichtbarkeit. Man ist mittendrin – und trotzdem fast anonym. Eine graue Maus im gigantischen Apparat. Was für viele eher ein Nachteil ist, kann auch ein Vorteil sein – wenn man zum Beispiel gar nicht auffallen will.
Im Deutschen Bundestag, dem Zentrum der Macht, sind seit Jahren aserbaidschanische Praktikanten tätig, die mit dem Aliyev-Regime verbunden sind. Eingesetzt wurden sie bei Bundestagsabgeordneten, die teilweise selbst zweifelhafte Verbindungen in den Südkaukasus pflegen.
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Wir haben uns diese Verbindungen genauer angesehen, die Biografien der Praktikanten recherchiert und das System dahinter ausgeleuchtet. Ein System mit vielen Akteuren. Beteiligt sind: eine renommierte Berliner Uni, die Hunderttausende Euro aus Aserbaidschan bekommt, Abgeordnete fast aller Bundestags-Parteien und die Botschaften zweier Länder.
Sie alle halfen mit, dass im Zentrum der deutschen Demokratie Praktikanten beschäftigt wurden, die enge Verbindungen zum Aliyev-Regime unterhalten. Einem autoritären Regime im Südkaukasus, das Oppositionelle misshandelt, wegsperrt und Journalistinnen und Journalisten verfolgt. Der aserbaidschanische Präsident regiert seit bald 20 Jahren, vergangenes Jahr führte er einen blutigen Krieg um Bergkarabach.
Wir haben die Namen der meisten Praktikanten abgekürzt, da es nicht darum geht, sie persönlich auszustellen. Wir wollen das System dahinter ergründen. Nur jene Praktikanten, die inzwischen selbst wichtige Funktionen einnehmen, nennen wir bei vollem Namen.
Das Netzwerk aserbaidschanischer Praktikanten im Bundestag umspannt mehrere Fraktionen. Und klar: Nicht ihre Herkunft ist das Problem. Im Gegenteil: Praktikanten aus dem Ausland können freundschaftliche Beziehung zwischen Ländern stärken und Vorurteile abbauen. Das Problem ist ihr politischer Hintergrund, ihre zweifelhaften Loyalitäten. Im Bundestag konnte sich offenbar über Jahre ein Prakti-Netzwerk bilden, das dem autoritären Herrscher Aliyev nahe steht und seinen Einfluss im Ausland festigt. Zum Nachteil der freien Presse und der Opposition in Baku. Praktikanten im Bundestag haben einen Hausausweis, sie kommen fast überallhin. In Abgeordnetenbüros, Ausschüsse, in Sitzungssäle.
Linken-Praktikant, Lobbyist und Regimeblogger
Einer von ihnen ist Asif M. Er kommt zu einer Zeit als Praktikant in den Bundestag, als man sich in Baku, nach dem Eurovision Songcontest, gerade auf das nächste internationale Event vorbereitet: Die European Games 2015.
M. kommt bei Katrin Kunert unter, einer Abgeordneten der Linken aus Sachsen-Anhalt. M. ist gut ausgebildet, hat in Baku internationale Beziehungen studiert, war beim Militär, machte einen Master in Politikwissenschaft an der Uni Göttingen. Und er hat im Büro Kunert einen zugeneigten Betreuer, der selbst so etwas ist wie ein Aserbaidschan-Experte. Kritiker aus den eigenen Reihen nennen ihn “befangen”, und das ist noch das freundlichste Urteil. Er arbeitet noch immer im Bundestag.
In einem kritikfreien Artikel in Neues Deutschland bezeichnet der ehemalige Kunert-Mitarbeiter das autoritär regierte Aserbaidschan als “selbstbewussten Kaukasus-Tiger”. Er selbst reist oft nach Baku, hält Vorträge auf Lobby-Events.
M. nutzt seine Zeit als Praktikant unter anderem, um einen Blog zu betreiben, in dem er regimefreundliche Positionen vertritt. Kein Wort über Menschenrechtsverletzung durch Aliyev, kein Satz über weggesperrte Journalisten oder Oppositionelle. Viele Artikel veröffentlicht M. hingegen über Ungerechtigkeiten, die Aserbaidschan widerfahren. Das benachbarte Armenien ist in seinen Augen ein “Aggressor”.
In seinem Praktikumsbericht erzählt M. begeistert über seine Zeit als Praktikant. Er bekam, so kriegt man den Eindruck, viele spannende Einblicke. Zum Beispiel durfte er, so schreibt er in seinem Bericht, die Budget-Entwicklung der OSZE recherchieren. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die OSZE Wahlen beobachtet. In Aserbaidschan stellt sie regelmäßig Verstöße fest. Dem Regime sind die offiziellen Beobachter ein Dorn im Auge. Warum sammelte M. Informationen über die OSZE?
Wir haben Katrin Kunert gefragt, die zeitweise stellvertretendes Mitglied der parlamentarischen Versammlung der OSZE war, ob M. tatsächlich zu diesem sensiblen Thema recherchieren durfte. Kunert sitzt inzwischen nicht mehr im Bundestag. Auf unsere konkrete Antwort reagiert sie allgemein: Sie habe allen Praktikantinnen und Praktikanten die Möglichkeit eingeräumt, sich “inhaltlich in die Arbeit ihre Bundestagsbüros einzubringen und nicht nur Kopierarbeiten zu verrichten”.
M. wird nach seinem Praktikum so etwas wie ein Aserbaidschan-Influencer in Berlin. Er führt Video-Interviews mit Politikern, die er auf YouTube hochlädt. Schreibt Essays, die er auf seinem Blog bewirbt. Meistens geht es um Aserbaidschan, oft um den Bergkarabach-Konflikt. M. gibt seinen Beiträgen einen wissenschaftlichen Anstrich. Wenn sich ein Zitat verwerten lässt, dann zitieren regimenahe Medien in Aserbaidschan seine Politiker-Interviews. Die Gespräche sind von Einigkeit geprägt, es gibt kaum Kontroversen.
Das Narrativ der Interviews passt M. dabei oft seinem Gast an. Ist eine kurdisch-deutsche Abgeordnete zu Gast, so startet er mit einer Suggestivfrage zum Leid der Kurden, für das Armenier verantwortlich seien. Trifft er eine Abgeordnete der Grünen, spricht er ausschließlich über das marode armenische Atomkraftwerk “Metsamor”. Er interviewt auch die CDU-Abgeordneten Gutting und Löbel.
Der aus Baku finanzierte Humboldt-Lehrstuhl
Beide sehen sich mit Vorwürfen konfrontiert, zu unkritisch mit dem Aliyev-Regime umgegangen zu sein oder zweifelhafte Verbindungen in den Südkaukasus zu pflegen. Die Vorwürfe gegen Löbel reichen ins Jahr 2012 zurück, damals organisierte er einen Parteitag der Jungen Union, mit finanzieller Unterstützung aus Aserbaidschan. Gutting geriet neulich ins Straucheln, als er Verbindungen zur aserbaidschanischen Lobby-Organisation TEAS erst abstritt und dann einräumte. Im Video-Interview mit M. lobte Gutting die lange demokratische Tradition in Aserbaidschan. Auch das brachte ihm einige Kritik ein.
M. stieg nach seinem Praktikum rasch auf. Er gründet ein Alumniportal, in dem sich auch Ex-Praktis aus dem Bundestag organisieren. Er ist erst Praktikant, dann Generalsekretär des “Azerbaijan Student Network”, einem studentischen Lobby-Netzwerk.
Seit 2016 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Uni. Wie wissenschaftlich M. dort arbeitet, ist schwer zu sagen. Der Lehrstuhl “Geschichte Aserbaidschans” wird aus Baku finanziert, ein akademisches Unikum, ein von einem anderen Staat gestifteter Lehrstuhl. Geleitet wird er von Eva-Maria Auch. Sie reiste Mitte April nach Aserbaidschan, um Ilham Aliyev zu treffen und einen neu eröffneten, martialischen Trophäen-Park zu besuchen, in dem Helme getöteter armenischer Soldaten ausgestellt sind. Der Park zeigt Wachsfiguren sterbender, armenischer Soldaten. Eine staatliche Verhöhnung des Kriegsgegners, nach gewonnener Schlacht um Bergkarabach.
“Ich freue mich sehr, in Aserbaidschan zu sein”, sagte die HU-Professorin laut aserbaidschanischen Medien bei einem Besuch einer Universität. “Sie haben viele Jahre darauf gewartet, Ihr Land von der Besatzung zu befreien.” Eine deutsche Professorin, bezahlt aus Aserbaidschan, Sprachrohr des Diktators?
Die Humboldt Uni spielt eine entscheidende Rolle im aserbaidschanischen Prakti-Netzwerk, eine problematische, zurückhaltend formuliert. Auf Anfragen reagiert die HU einsilbig. Aber dazu später.
Katrin Kunert, die ehemalige Linken-Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt, will uns auf Anfrage nicht beantworten, ob sie mit M. über sein Praktikum hinaus in Kontakt stand. Auch nicht, ob sie ihn schon vorher kannte und bewusst in ihr Büro lotste.
Sie verweist stattdessen an die Bundestagsverwaltung, die das “Internationale Parlamentsstipendium” (IPS) organisiert, bei dem auch M. Stipendiat war. Kunert schreibt per Mail: “Viele Ihrer Fragen dürften sich danach erledigt haben, sodass Sie selbst prüfen können, ob Sie dem Thema weiterhin Aufmerksamkeit widmen wollen.” Will sie uns davon abhalten, weiter nachzufragen?
Regimenahe Praktikanten: Zufall oder Absicht?
Wir fragen die Bundestagsverwaltung nach IPS und erhoffen uns Aufklärung. Doch statt Antworten ergeben sich nur weitere Ungereimtheiten. Das internationale Praktikanten-Programm, das laut Selbstwerbung das friedliche Zusammenleben in der Welt fördern und demokratische Werte festigen will, bleibt ein Mysterium. Warum unterstützt IPS auffallend viele gut ausgebildete Aserbaidschaner, die klar auf der Seite des Aliyev-Regimes stehen? Wie zuverlässig ist das Auswahlverfahren? Mehrere Dutzend regimenahe Praktikanten im Bundestag: Ist das Zufall oder Absicht?
Eine Antwort auf diese Frage liegt in der Geschichte von Nurlan Hasanov, zumindest ein Teil der Antwort. Auch er war IPS-Praktikant im Bundestag. Inzwischen ist er Abgeordneter in Baku und eine öffentliche Figur. Deshalb nennen wir hier seinen vollen Namen.
Als Hasanov seinen Dienst im Bundestag antritt, bereitet sich sein Heimatland gerade auf das größte Prestigeprojekt seit Jahrzehnten vor, der funkelnde Auftritt auf der Weltbühne, der Eurovision Song Contest in Baku 2012. Der ESC soll all die Berichte über Menschenrechtsverletzungen überstrahlen. Kritische Journalisten, die Korruption in der Aliyev-Familie aufdecken, werden verfolgt. Menschen müssen für Bauprojekte ihre Häuser verlassen, sie werden vertrieben.
Und IPS, das stolze Demokratieförderungs-Projekt des Bundestags, lädt nach überstandener Auswahlrunde Nurlan Hasanov nach Berlin. Er sitzt im Büro von Steffen-Claudio Lemme, SPD. Zwischen den beiden entwickelt sich, Jahre nach dem Praktikum, eine ungewöhnliche Nähe. Daraus wird sogar eine geschäftliche Beziehung. Mehr als zwei Jahre nach Hasanovs Praktikum reist Lemme nach Baku, die deutsche Botschaft schmeißt einen Empfang zur Deutschen Einheit. Mit von der Partie ist sein ehemaliger Praktikant, Nurlan Hasanov. Ein Bild, das im Internet zu finden ist, zeigt die Beiden. Lemme legt den Arm brüderlich um Hasanov.
Nachdem Lemme 2017 aus dem Bundestag ausscheidet, wird er 2018 Landesgeschäftsführer der Volkssolidarität in Sachsen, einem gemeinnützigen Verein im Bereich Kinderbetreuung und Altenpflege. Im Januar 2019 gründet Lemme die “IGAplus GmbH”. Gegenstand des Unternehmens ist laut Handelsregister die “Vermittlung von Fachkräften im Bereich der Alten- und Krankenpflege und Handel sowie Im- und Export von Baumaterialien, Rohstoffen, Lebensmitteln sowie Getränke und Spirituosen, vorwiegend in und aus der kaukasischen Region”.
Krankenpflege. Baumaterialien. Spirituosen aus Kaukasien. Eine wilde Mischung. Wenige Monate später, im April 2019, steigt laut Handelsregister Nurlan Hasanov in die IGAplus ein, als Geschäftsführer. Sieben Jahre nach dem IPS-Praktikum sind der Bundestagsabgeordnete und sein Praktikant wiedervereint. Import-Export in Sachsen.
Die IGAplus hat gute Kunden. Eine Baufirma aus Baku. Das “Sprachlernzentrum Aserbaidschan”. Und kurioserweise auch die Volkssolidarität Sachsen. Der gemeinnützige Verein und die GmbH teilen sich die gleiche Adresse in Dresden. Ist Lemme Kunde bei Lemme? Kristal Absheron, die Baufirma, residiert in Baku ebenfalls unter der Adresse, die auch die IGAplus für ihre Repräsentanz angibt.
In welchem Verhältnis stehen Volkssolidarität, IGAplus, Kristal Absheron, Lemme und sein ehemaliger Praktikant und Geschäftspartner Hasanov? Steffen-Claudio Lemme schweigt auf VICE-Anfrage. Neben seinen Verbindungen zu Hasanov wirft eine Aserbaidschan-Reise Fragen auf. Auch hierzu haben wir Lemme befragt. Auch hierzu schweigt er.
Ein ehemaliger SPD-Abgeordneter als Fake-Wahlbeobachter
Regelmäßig reisen regimenahe Politiker aus Europa auf eigene Faust nach Baku, um die Wahlen zu beobachten. Sie bescheinigen Aliyev beste Haltungsnoten und waschen die Diktatur rein. Sie werden freundlich empfangen von einem Präsidenten, der sich gerne in Flecktarn zeigt und seine Frau vor ein paar Jahren per Dekret zur seiner Stellvertreterin ernannte.
Im Februar 2020 beobachtete Lemme auf eigene Faust die Parlamentswahlen in Baku. Aliyevs Partei gewann die absolute Mehrheit. Anders als die offiziellen Wahlbeobachter der OSZE, die massive Verstöße bei Stimmauszählungen, unklare Wählerlisten und Druck auf Wähler beklagten, anders als die Opposition, die von Manipulation spricht, attestiert Lemme dem Regime gute Noten. Die Wahlen seien demokratisch abgelaufen, es seien “keine Verstöße erfasst worden”, so zitieren ihn regimenahe Medien. Auch unsere Fragen zu seiner privaten Wahlbeobachter-Mission will uns Lemme nicht beantworten.
Sein Geschäftspartner und ehemaliger Prakti Nurlan Hasanov wird bei dieser Wahl kurioserweise für Aliyevs Partei als Abgeordneter der Region Shamkir ins Parlament gewählt. Er wird zum neuen Vorsitzenden der Freundschaftsgruppe Aserbaidschanischer und Deutscher Parlamentsabgeordneter ernannt. Beobachtete Lemme die Wahl in Hasanovs Bezirk? Auch dazu will Lemme uns nichts sagen.
Sind dies alles Einzelfälle? Asif M., der Praktikant bei Kunert, Hasanov, der Ex-Praktikant und heutige Geschäftsführer bei Lemme, der ins Parlament einzieht? Oder sind sie Repräsentanten eines großen Netzwerks, das über viele Jahre mit System aufgebaut und gepflegt wurde? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich IPS genauer ansehen.
Das internationale Prakti-Programm ist der Stolz der Bundestagsverwaltung. Es steht unter der Schirmherrschaft des Bundestagspräsidenten. Der Ablauf ist genau geregelt. Erst sortiert die deutsche Botschaft im jeweiligen Land vor. Dann wählt eine Auswahlkommission die zukünftigen Stipendiatinnen und Stipendiaten aus aller Welt aus, auch aus Aserbaidschan. Im Moment nehmen 50 Länder an IPS teil. Die Bundestagsverwaltung teilt uns auf Anfrage grob mit, wie sich die Kommission zusammensetzt: Ein Bundestagsabgeordneter, der den Vorsitz übernimmt, ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und ein Abgesandter einer Berliner Uni. IPS stellt den Praktikanten ein kostenloses Zimmer, ein Stipendium über 500 Euro, Übernahme von Versicherungen und Reisekosten nach Berlin.
Im Fall von Aserbaidschan ist auffällig, dass die überwiegende Mehrheit der Kandidaten bereits vor ihrem Praktikum in Deutschland lebten und nur für die Auswahlrunde an der deutschen Botschaft in Baku zurück in die Heimat flogen.
Zudem saß Steffen-Claudio Lemme, der Geschäftsführer der Volkssolidarität mit guten Geschäftsverbindungen nach Baku, der Auswahlkommission vor, drei Jahre lang, auch das fällt auf. 2011, 2012 und 2015. Das ist bisheriger Rekord. Eigentlich wechselt der Vorsitz regelmäßig zwischen Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen. Drei Amtsjahre, das Triple, hat nur Lemme geschafft. Wie arbeitet die Kommission? Nach welchen Kriterien wählt sie ihre Stipendiaten aus?
IPS: Die verschwiegene Auswahl-Kommission
Es ist nicht leicht, mehr über das Gremium herauszufinden. Die Bundestagsverwaltung schickt uns zwar eine Liste der parlamentarischen Vorsitzenden seit 2008, flüchtet sich aber in rechtliche Vorgaben, wenn es um die Namen der anderen Mitglieder geht. Das Programm arbeitet nach eigenen Angaben mit drei Berliner Universitäten zusammen – mit der Freien Universität, der Technischen Universität und der Humboldt Universität. Also auch mit jener Uni, die Geld aus Baku erhält. Aus einer kleinen Anfrage der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus geht hervor, dass der Aserbaidschan-Lehrstuhl der Humboldt-Uni allein im Jahr 2017 mehr als eine Million Euro aus Baku erhielt.
Wählt etwa der vom Aliyev-Regime gestiftete Lehrstuhl aserbaidschanische Praktikanten für den Bundestag aus? Jener Lehrstuhl, der von einer Professorin geleitet wird, die Ilham Aliyev zum Austausch trifft und in Aserbaidschan einen martialischen Kriegstrophäen-Park besucht, in dem getötete Armenier verhöhnt werden?
Die HU-Pressestelle gibt sich bedeckt und reicht uns an die Bundestagsverwaltung weiter. Auf eine zweite Nachfrage teilt uns die Pressestelle dann per Einzeiler mit, dass die HU keinen Einfluss auf die Auswahl der Praktikanten habe. So ganz kann das nicht stimmen.
Auf Facebook finden wir Bilder der deutschen Botschaft in Baku. Sie zeigen, wie im Herbst 2019 die IPS-Auswahldelegation die aserbaidschanische Hauptstadt besucht. Der CDU-Abgeordnete Jan Metzler, als Leiter der Delegation. Eine Mitarbeiterin der Bundestagsverwaltung. Und Professor Dr. Peter Frensch, Vizepräsident der Humboldt-Universität.
Warum behauptet die Pressestelle der Humboldt-Universität, dass man keinen Einfluss auf die Auswahl der aserbaidschanischen Praktikanten habe, obwohl der HU-Vizepräsident 2019 in der Auswahlkommission saß und sogar nach Baku reiste? Wir fragen nochmal nach, die HU-Pressestelle erbittet sich mehr Zeit. Wir warten.
Nach Stunden kommt eine Antwort. Sie ist noch allgemeiner und gestelzter als alle vorherigen: “Die IPS-Stipendiatinnen und Stipendiaten werden von einer unabhängigen Auswahlkommission des Deutschen Bundestages unter Beteiligung der Berliner Universitäten aufgrund fachlicher, sozialer, sprachlicher und interkultureller Kompetenzen gewählt.” Wieder versteckt sich der HU-Pressesprecher hinter der Bundestagsverwaltung. Wir sollen dort fragen.
Also fragen wir die Bundestagsverwaltung: Wer sitzt aktuell in der Auswahlkommission? Doch auch hier beißen wir auf Granit. Aufgrund rechtlicher Vorgaben könne man keine personenbezogenen Angaben veröffentlichen. Statt einer Auflistung sendet uns die Verwaltung Hinweise auf Gerichtsurteile. Ohne entsprechende Einwilligung könne man uns keine Namen nennen. Ob die Verwaltung intern nach einer Einwilligung gefragt hat, bleibt offen.
Die Praktikanten und der Bundestag: Fröhliches Bild aus Sylt
Nach einiger Recherche finden wir ein Bild eines Mitarbeiters der Bundestagsverwaltung, der für das IPS-Programm zuständig ist. Er steht Arm in Arm mit aserbaidschanischen IPS-Praktikanten an einem Strand auf Sylt. Neben ihm: Der Aserbaidschan-Influencer Asif M., der am gestifteten Aserbaidschan-Lehrstuhl der Humboldt Universität studiert. M. hat das Bild inzwischen von seinem Blog gelöscht. Wir finden weitere Namen von IPS-Verantwortlichen. Es erscheint uns seltsam, dass die Bundestagsverwaltung so ein Geheimnis aus IPS macht. Ob die Verwaltung auch mauern würde, wenn wir Fragen zu Praktikanten aus Frankreich oder den USA stellen würden?
Je länger wir recherchieren, desto mehr fragwürdige Verbindungen finden wir. Auch Mark Hauptmann, CDU, beherbergte in seinem Büro einen aserbaidschanischen IPS-Praktikanten. Der Abgeordnete aus Thüringen hat sein Bundestagsmandat im März wegen der Aserbaidschan-Affäre niedergelegt, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Im Südthüringen Kurier, dessen Herausgeber Hauptmann ist, erschienen über Jahre hinweg aus Aserbaidschan finanzierte Werbeanzeigen.
Zaur B. startet sein Praktikum bei Hauptmann 2019 mit interessantem Lebenslauf. Er machte seinen Schulabschluss in Deutschland, arbeitete zuvor als Übersetzer, Sprachlehrer und Moderator. Er arbeitete mehrere Jahren bei der regimenahen Nachrichtenagentur AzVision. Aserbaidschanische Exiljournalisten werfen dem Medium vor, dass es Regime-Propaganda verbreitet. Hätte die IPS-Kommission nicht spätestens über diese Station in B.s Lebenslauf stolpern müssen?
Auf seinem LinkedIn-Profil gibt B. an, dass er bis Januar 2020 bei AzVision tätig gewesen sei, also auch während er Praktikant bei Hauptmann war. Wir finden sogar ein Video im Internet: B. interviewt – während seines Praktikums – Hauptmann für AzVision. Gut sieben hölzerne Minuten, Frage und Antwort, Nachfragen gibt es kaum. Es geht um Gas, Wirtschaft – und Bergkarabach. Völkerrechtlich, so Hauptmann, sei die Lage unumstritten.
Schon in den ersten Wochen seines Praktikums trifft B. in Berlin einflussreiche Männer. Unter anderem einen engen Berater Aliyevs und den aserbaidschanischen Botschafter in Deutschland. B. hat die Treffen auf Facebook dokumentiert.
Ein regimenaher Journalist aus einem autoritären Staat, der ein Praktikum bei einem CDU-Abgeordneten macht? Fördert IPS, wenn es um Aserbaidschan geht, tatsächlich demokratische Werte oder nicht eher obskure Netzwerke eines autoritären Regimes?
Der CDU-Praktikant, der Armenier als Hunde beschimpft
Uns fällt auf, dass ein hoher Teil der IPS-Absolventen mittlerweile Schlüsselpositionen besetzt. So arbeitet B. inzwischen in der deutschen Botschaft in Baku, in der Presseabteilung. Auf unsere Anfrage teilt uns das Auswärtige Amt mit, dass jede Einstellung in der Botschaft eine Personenprüfung voraussetze. Zu Fragen der internen Organisation könne man sich nicht äußern. Man bestätigt uns aber, dass B. in der Botschaft angestellt sei, im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Ein anderer IPS-Praktikant, der 2008 bei einer SPD-Abgeordneten unterkommt, macht nach seinem Praktikum Karriere, er leitet mehrere Firmen in Deutschland, USA, Polen, stößt sie wieder ab, gründet neue, macht mutmaßlich Millionen mit Immobilien in Berlin und Moskau, ist im Maskengeschäft aktiv. Zwischenzeitlich arbeitet er am Aserbaidschan-Lehrstuhl der HU, unter Leitung von Professorin Auch. Er promoviert sogar bei ihr.
Bei einer früheren Recherche ist uns bereits der aserbaidschanische IPS-Praktikant von Olav Gutting begegnet, einem CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg. Gutting fiel dadurch auf, dass er sich sehr wohlwollend über das Aliyev-Regime äußerte, unter anderem in Interviews mit TV.Berlin. Recherchen von VICE haben ergeben, dass TV.Berlin von aserbaidschanischer Seite für regimefreundliche Berichterstattung bezahlt wurde. Guttings Praktikant teilt auf Facebook Jupelposts für Aliyev, Kriegsverherrlichung und üble Beschimpfungen des verhassten Nachbarn. Armenier bezeichnet er schonmal als “Viecher” oder “Hunde”.
Schaut die IPS-Kommission nicht zumindest die Profile in Sozialen Medien durch, bevor sie Praktikanten auswählt? Wie fahrlässig geht die Bundestagsverwaltung mit der Sicherheit im Parlament um?
Praktikanten im Bundestag bekommen einen blauen Ausweis. Damit können sie sich ungehindert im Parlament bewegen. Es gibt nur wenige Bereiche, zu denen sie keinen Zugang haben. Vertrauen ist die Grundlage für ein erfolgreiches Praktikum. Manche Abgeordnete geben ihren Praktikanten sogar Zugang zu Email-Korrespondenz, zu gespeicherten Dokumenten, zu Aktenordnern, zur Cloud. Praktikanten sind unauffällig. Sie sitzen oft in den hinteren Stuhlreihen bei Treffen von Arbeitsgruppen oder Ausschusssitzungen. In der Kantine können sie, wenn sie es drauf anlegen, vertrauliche Gespräche mithören.
Und das Problem scheint größer zu sein: Seit 2008 seien 54 IPS-Praktikanten aus Aserbaidschan im Bundestag angestellt gewesen, teilt uns die Bundestagsverwaltung auf Anfrage mit. Neben den geschilderten Fällen sind uns viele weitere bekannt: Praktikanten mit Verbindungen zum Aliyev-Regime, platziert im Herzen der deutschen Demokratie.
Das Regime und die Praktikanten: Der goldene Draht
Das Aliyev-Regime hat über Jahre Milliarden investiert, um die Meinung in Europa zu beeinflussen und Politiker zu schmieren. Die Bestechungsversuche reichten von Teppich-Geschenken, über die Zuführung von Prostituierten bis zu Geld über Briefkastenfirmen. Auch gegen deutsche Politiker wird inzwischen ermittelt. Hat der Aliyev-Clan auch gezielt an einem System gearbeitet, um deutsche Politiker mit aserbaidschanischen Praktikanten zu verknüpfen, als goldene Drähte ins deutsche Parlament? Lobby-Insider, mit denen wir gesprochen haben, halten es für nahezu unwahrscheinlich, dass die Regierung in Baku so eine Chance wie IPS ungenutzt lässt. Aliyev überlasse, wenn es um Einflussnahme im Ausland geht, nichts dem Zufall.
Während wir bei vielen Abgeordneten problematische Verbindungen zwischen Abgeordneten und Praktikanten gefunden haben, gibt es auch seltene Fälle wie den von Vusal M.
Vusal M. wurde einem grünen Abgeordneten zugewiesen, nach seinem Praktikum arbeitet er zunächst am Aserbaidschan-Lehrstuhl der HU, bevor er die SOCAR-Repräsentanz in Brüssel aufbaut. SOCAR, der staatliche Energiekonzern Aserbaidschans, passt nicht unbedingt zu den Grünen. Auf Anfrage teilt uns der Abgeordnete, lange vor Ablauf der Antwortfrist und sehr detailliert mit, er habe seinen Praktikanten von der Bundestagsverwaltung zugeteilt bekommen, er habe ihn nicht gekannt und nach Ende des Praktikums keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. M. habe ihn zwar bei Terminen begleitet, sei aber nicht inhaltlich mit Themen befasst gewesen. Wurde ihm M. bewusst von der Bundestagsverwaltung zugeteilt?
Grüne Politiker galten bei aserbaidschanischen Lobbyisten lange als besonders herausfordernd, weil sie besonders schwer zu erreichen waren, wie unsere Recherchen im aserbaidschanischen Lobby-Umfeld zeigen. Auf Aserbaidschan-Reisen sind Grüne aus Sicht der Gastgeber eher kompliziert. Bei einer Delegationsreise des Bundestags 2015, an der auch die Linke Katrin Kunert teilnahm, bestand die grüne Abgeordnete Tabea Rößner darauf, auch Menschenrechtler zu treffen. Die Botschaft mauerte erst, wegen “Terminschwierigkeiten”, erinnert sich Rößner. Dann bekam sie ihr Treffen doch, die Botschaft terminierte es gleichzeitig zu einem Termin bei SOCAR, dem staatlichen Energie-Unternehmen. Nur Rößner traf die Menschenrechtler, alle anderen Parlamentarier schauten lieber bei SOCAR vorbei.
Aus dem Auswärtigen Amt erfahren wir, dass im Moment 19 aserbaidschanische Staatsbürger in der deutschen Botschaft in Baku arbeiten. Einer von ihnen ist Hauptmanns Ex-Praktikant, gefördert von IPS, dem Demokratie-Projekt der Bundestagsverwaltung.
Die aserbaidschanischen Praktikanten im Bundestag passen in ein Mosaik, das wir in einer früheren Recherche ausgeleuchtet haben. Die einflussreiche Lobby-Organisation “The European Azerbaijan Society” (TEAS) nahm bis 2018 erfolgreich Einfluss auf deutsche Politiker in Berlin. Besonders großen Erfolg hatte sie bei Abgeordneten der Union. TEAS-Insider berichten VICE, dass man systematisch versucht habe, alle Parteien im Bundestag für die aserbaidschanische Sache zu erreichen.
M., der Aserbaidschan-Influencer, der bei der Linken Katrin Kunert Praktikant war, besuchte Events der TEAS. Er suchte auch nach seinem Praktikum die Nähe zu Bundestagsabgeordneten. Auch der TEAS-Chef war mit einem Hausausweis ausgestattet, er ging im Bundestag aus und ein.
Die unrühmliche Rolle der Bundestagsverwaltung
Die TEAS brach 2018 ihre Zelte in Berlin ab. Warum sie verschwinden musste, dazu gibt es verschiedene Theorien. Klar ist, dass die aserbaidschanischen Lobby-Aktivitäten in Deutschland dadurch nicht weniger wurden. Das Regime fand andere Wege.
Die überwiegende Mehrheit der IPS-Praktikanten, denen wir bei unserer Recherche begegnet sind, lebten schon vor ihrem Praktikum in Deutschland. Ihre Biografien machen eher den Eindruck von elitären Nachwuchskadern als von Nachwuchs-Demokraten aus der Zivilgesellschaft. Die Bundestagsverwaltung spielt dabei eine unrühmliche Rolle.
Sie ist es, die bestimmt, wie viele Teilnehmer ein Land entsenden darf. Bei der Vorauswahl der Bewerber arbeiten die deutschen Auslandsvertretungen dann wieder mit der Bundestagsverwaltung zusammen. In der finalen Auswahlkommission kommt eines von drei Mitgliedern aus der Bundestagsverwaltung. Und es ist auch die Verwaltung, die anschließend alle Praktikanten an Abgeordnete verteilt. Doch darüber reden möchte man nicht. Wie viele Menschen sich insgesamt pro Jahr bewerben, das könne man nicht sagen, dazu werde keine Statistik erhoben.
IPS ist, wie die Bundestagsverwaltung wirbt, tatsächlich ein “Praktikum im Herzen der Demokratie”. Nach unserer Recherche sind wir uns nicht mehr sicher, ob dieses Herz gut beschützt wird.
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