Popkultur

“Bruder, ich bin halt der Beste” – Auf dem Boule-Platz mit Kida Ramadan

Kida Ramadan wollte nie ein Gangster sein. “Ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen”, sagt der 41-jährige Schauspieler, während er eine Boule-Kugel in hohem Bogen durch die Luft segeln lässt. Die Kugel klatscht auf, knapp daneben. Ramadan dreht sich um, grinst und sagt: “Und ich hatte immer Angst vor der Polizei.”

Ramadan ist mittlerweile der gefragteste Gangsterboss Deutschlands – zumindest im Film. Seine berühmteste Rolle, mit der er Anfang des Jahres den deutschen Fernsehpreis abgeräumt hat, ist die des Berliner Clanchefs Toni Hamady in 4 Blocks. Schon davor hatte Ramadan eine ganze Kolonne von Berliner Unterweltlern gespielt – die Rolle steht ihm einfach zu gut. Und zwar gerade, weil er nicht so durchtrainiert und engfrisiert daherkommt wie das Klischee des Berliner Gangsters. Ramadan ist nur 1,74 Meter groß, hat einen Bauch und wirkt meistens so entspannt, dass es fast ein bisschen gelangweilt rüberkommt – was ihm automatisch immer die größte Autorität verleiht. Spätestens seit 4 Blocks ist klar: Wenn du einen Berliner Gangster mit Tiefgang und Humor haben willst, dann nimmst du Kida Ramadan. “Bruder, ich bin halt der Beste”, sagt Ramadan und zuckt mit den Schultern. “Du kannst dir 1.000 Leute holen – die werden den Gangster nicht so etablieren, wie ich ihn etabliere. Ich bin Cristiano Ronaldo.”

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“Digger, ich heiße Kida Ramadan und nicht Toni Hamady, und das ist alles nur Fiktion!”

Für Kida Ramadan ist Boule genau der richtige Sport, für den zappeligen Detlev Buck eher nicht

Gerade ist der Ronaldo der Gangster-Schauspieler allerdings damit beschäftigt, den Regisseur Detlev Buck im Boule-Spielen am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer langzumachen. Buck ist selbst ein Veteran des Filmgeschäfts, einer der erfolgreichsten und vielseitigsten Regisseure Deutschlands, der vom Gangsterfilm über legendäre Werbespots bis zu Bibi & Tina so ziemlich alles macht – und dabei nie vorhersehbar wird (In den Kinderfilm Bibi & Tina 4 hat er nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Donald Trump eingebaut).


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“Fuck!”, ruft Buck jetzt jedesmal, wenn seine Kugel schon wieder nicht da gelandet ist, wo sie hinsollte. Buck, ein schlaksiger blonder Mittfünfziger, ist in Hawaii-Hemd, Karo-Hose und Sommerhut gekommen, Kida Ramadan in blauem Lacoste-Poloshirt, grünen Shorts und Flip-Flops. “Mental ist Kida im Vorteil”, sagt Buck, nachdem er wieder einen Wurf vergeigt hat, “weil er die größere Ruhe ausstrahlt.” Das stimmt: Obwohl der Regisseur heute gar nicht so viel schlechter abschneidet als sein Star, läuft Buck fluchend kreuz und quer über den Platz und wedelt mit den Armen. “Ich bin zu fickerig, ganz klar!”, sagt er, während Ramadan in aller Ruhe die Kugeln einsammelt.

Die beiden sind hier, um Bucks neuen Film Asphaltgorrilas zu promoten, in dem Ramadan “El Keitar”, einen Kreuzberger Gangsterboss spielt. Boule spielen sie, weil Ramadan hier ganz in der Nähe aufgewachsen ist – und einen großen Teil seiner Jugend auf dem Boule-Platz verbracht hat. Noch so ein Detail, das nicht wirklich zum Gangster-Image passt.

Asphaltgorillas kommt am 30. August in die Kinos.

“Mein Bruder und ich haben jeden Samstag Turniere gespielt”, sagt der Schauspieler. “Da haben wir unser Taschengeld verdient, wir haben fast alles gewonnen, was es gab. Die haben uns ‘zwei ekligen Araber’ irgendwann alle gehasst”, lacht er.

In Bucks neuem Film Asphaltgorillas spielt Ramadan einen Gangsterboss

Wie viele der Leute, die jetzt die berüchtigten “kriminellen arabischen Großfamilien” bilden, sind Kida Ramadans Eltern in den 70ern vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Berlin geflohen. Viel vorbereiten musste er sich für die Rolle des Toni Hamady in 4 Blocks also nicht – er kennt die Umstände, unter denen manche seiner Landsleute in die Kriminalität abgerutscht sind. Diese Innenperspektive, sagt Ramadan, hat auch den “echten Gangstern”, von denen er immer noch viele kennt, an der Serie gut gefallen. “Wir haben ja nicht nur erzählt, wie man Drogen verkauft, sondern auch, warum die Drogen verkauft werden”, sagt er. “Man kommt ja nicht aus der Mutter raus und wird kriminell. Entweder will man dazugehören, oder man darf nicht arbeiten, weil man nur ‘ne Duldung hat.”

Warum er selbst nie auf die schiefe Bahn geraten ist? “Ich glaube, ich war einfach als Kind schon schlau”, sagt er. “Schlauer als meine Freunde, die nicht mit dem Tag danach gerechnet haben.”

Buck und Ramadan diskutieren, wer gewonnen hat – am Ende einigen sie sich auf Remis

Aber trägt er mit seinen Gangsterollen nicht dazu bei, Kriminalität cool aussehen zu lassen? “Nee”, winkt er ab. “Joe Pesci, Robert De Niro oder Rocky haben uns alle inspiriert, und ich bin trotzdem nicht Boxer geworden oder zur Armee gegangen.” Der Regisseur Detlev Buck hat noch weniger Geduld für solche Sorgen: “Das ist so ein Quatsch, was die Leute glauben, was Filme auslösen!”, schimpft er. “Diese Eindimensionalität von deutschen Filmen und Denken! Was für’n Fuck!” Dann wird er nachdenklich. “Aber viele, die denken tatsächlich so, und das macht die Filme hier so bieder.” Kida lacht laut. “Aber manchmal sind die Leute schon komisch, Bruder!” Und dann erzählt er, dass ihn schon mal jemand auf der Straße in Kreuzberg gefragt hat, ob er für ihn arbeiten dürfe – um Drogen zu verkaufen. “Ich hab dem gesagt: Digger, ich heiße Kida Ramadan und nicht Toni Hamady, und das ist alles nur Fiktion!”

“Ich muss nicht mehr jeden Tag am Kotti chillen”

“Ich bin inzwischen echt lieber in Prenzelberg” – Kida Ramadan und Detlev Buck am Kottbusser Tor

Nur ein paar Minuten vom Boule-Platz liegt das Kottbusser Tor – so etwas wie das betongraue, verbaute und versiffte Herz Kreuzbergs. Hier wurden nicht nur große Teile von Asphaltgorillas gedreht, hier hat auch Ramadan früher viel Zeit verbracht. Mittlerweile hat sich das geändert. “Der Kotti gehört zu Berlin, aber ich muss da nicht mehr jeden Tag chillen”, sagt er. “Kannst du ja auch gar nicht”, ruft Buck. “Du bist jetzt ‘ne Touristen-Attraktion, ‘ne Institution!” Was die Kreuzberger Institution Kida Ramadan als Nächstes sagt, wird wohl viele Herzen brechen: “Ich bin inzwischen echt lieber in Prenzelberg, da bin ich ganz ehrlich – obwohl viele das nicht hören wollen.” Er grinst. “Ehrlich, ich habe gar kein Problem mit den Schwaben und den Hipsters.”

Überhaupt Hipster: Früher fand er sie scheiße, mittlerweile findet er sie cool. “Die tragen dieselben Bärte wie wir, die integrieren sich gut ins System”, lacht er. “Und die mögen die Filme, die ich mache. Ich hab ‘ne Riesen-Hipsterfangemeinde!” Und die Veränderung, die die Zugezogenen mit sich bringen? “Klar hat Kreuzberg sich verändert. Die Speisekarten sind jetzt nicht mehr nur auf Deutsch, sondern auch auf Italienisch und Spanisch.” Aber, sagt er: “Man kann ja auch nicht stehen bleiben mit der Zeit. In Berlin ist für alle Platz.”

Zwischen dem Kottbusser Tor und dem Boule-Platz

Nach ein paar Runden verlieren die beiden immer mehr das Interesse an dem Boule-Spiel – auch, weil ihre Handys ständig bimmeln. Ramadan und Buck setzen sich auf den Balken am Spielfeldrand und diskutieren, ob Buck gleich noch zu einem Geheim-Event von Nike mit Ronaldinho und Boateng mitkommen soll. “Was soll ich da?” knurrt Buck. “Na ja, vielleicht Schuhe abgreifen.” “Ja, Mann!”, sagt Ramadan. “Das ist geil, da werden nur ‘Einflussreiche’ eingeladen, und da gehören wir jetzt dazu!”

Während er auf sein Taxi wartet, stehen Ramadan und Buck zusammen am Boule-Platz und Ramadan wird nochmal kurz ernst. “Weißt du, was echt das Schönste für mich war?”, fragt er Buck. “Als ich bei der Berlinale meinen alten Lehrer getroffen habe. Der hat mich früher nur fertig gemacht und angebrüllt: ‘Aus dir wird nie was werden, du wirst nur kriminell, Kida!’ Der stand dann vor mir und sagte: ‘Ich entschuldige mich, und ich bin stolz auf dich.’” Man sieht Ramadan an, dass die Erinnerung ihn immer noch bewegt. “Das war das Schönste, was einer zu mir gesagt hat.” Dann muss er los, ins Taxi, zu Ronaldinho und Boateng.

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