Warum will jeder zu At The Drive-In in der Arena?

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Wart ihr heute mal auf Facebook? Ja? Oder in den letzten Tagen mal? Gut, dann habt ihr auch mitbekommen, dass mindestens hundert eurer Freunde morgen zu At The Drive-In wollen und verzweifelt Karten suchen. Wenn ihr, genau wie ich, in die Generation fällt, die um die Jahrtausendwende rebellisch pubertierend ihren Musikgeschmack entdeckt und raffiniert habt, dann müssen wir mal kurz über die 90er sprechen, OK? Denn, wie manch einem vielleicht schon aufgefallen ist, sind die Neunziger wieder sehr stark in der Gegenwart angekommen. Es gab da schon einen großen Pool an verdammt großartigen Bands, die wir nur von Platten, CDs oder Minidiscs (Ha!) kennen. Wer das Glück hatte, einige dieser Bands vielleicht noch live zu erleben, dem klatsche ich von meiner Rechnertastatur aus zu. Für mich jedenfalls, als Landjungen im Süden Österreichs, war es oft nur möglich über die ISDN-Leitung im Gymnasium (nein, wir hatten kein Internet zuhause) bloß Konzertreviews zu lesen, anstatt sie zu besuchen.

At The Drive-In, die morgen Abend in der restlos ausverkauften Arena konzertieren, fallen für mich genau in diese Kategorie Band, die ich leider erst nach deren Trennung kennenlernte. Es ärgert mich schon, dass ich vergessen habe, mir rechtzeitig Karten zu besorgen, aber anscheinend ist der Ansturm auf die Jungs enorm und ich habe wohl vergessen, dass es wahrscheinlich vielen anderen Leuten mit dieser Band ähnlich erging wie mir. Ich hasse die Floskel „Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist”, das ist wohl der größte Mist, den sich jemals jemand einfallen hat lassen. Kommt wahrscheinlich auch meistens von Leuten, die Angst vor der Zukunft haben. Aber vor allem, wenn man von Musik oder Musikern spricht, ist der Satz so obsolet wie die Minidisc. Egal ob die Stones in ihren 70ern noch auf der Bühne stehen oder nicht—so lange man Spaß daran hat, macht man es einfach. Warum will sich nun jeder At The Drive-In, etwas älter, aber in ihrer Bestbesetzung nun ansehen will? Hier mögliche Gründe why:

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Relationship Of Command

Nun, wer sich jemals der Hardcore Szene oder Post-Harcore oder Post-Punk oder wie auch immer diese schrecklichen Postbezeichnungen noch lauten, gwidmet hat, der wird zum einen unweigerlich an Refuseds The Shape Of Punk To Come und zweitens ATDI’s Relationship Of Command angestoßen sein, sich wahrscheinlich etliche Nackenschmerzen vor lauter Headbanging eingefangen haben und mitgegröhlt haben, was die Stimmbänder so hergaben. Zurecht war die Platte ihr größter kommerzieller Erfolg und Kritiker und Fans zählen das Album gleicherzmaßen zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Platten der letzten 20 oder sogar 30 Jahre. Egal, ob man auf Hardcore abfährt oder nicht: Die Band schuf mit ihrem Sound etwas Neues, davor so nicht Gehörtes. Wer mir nicht glaubt, mit welcher Wucht die Platte einen trifft, der soll einfach sein Lautsprechersystem aufdrehen und den Opener „Arcarsenal” mal Luftteilchen anstoßen lassen.

Live is live is live is live

Gut, ich habe ATDI vielleicht nie live gesehen, aber ich sah The Mars Volta auf ihrer ersten Europa-Tour zu De-Loused In The Comatorium damals in der Szene. Ähm, also selbst knapp zehn Jahre später erinnere ich mich noch an die Show. Der Sound war extrem mies, weil Szene, aber die Band hypnotisierte die Leute vor der Bühne und spielte sich die Seele aus dem Leib. Cedric Bixler-Zavalas Gesang/Geschrei und Omar Rodriguez-Lopez’ Gitarrenspiel ergänzen sich auf der selben Ebene wie die Jagger/Richards Kombination (schon wieder ein Stones Vergleich? Hm. Aber stimmt ja auch, plus, Stones sind halt geil). Roh, energetisch, schnell und laut. Wer mir nicht glaubt, sollte sich mal ein paar YouTube Live Clips anschauen. Me gusta.

Die besten Afros des Musikbusiness (Post 70er Jahre)

Jede einigermaßen bekannte Band hat ein Wiedererkennungsmerkmal. Wir hören eben nicht nur hin, wir schauen ihnen auch zu und die beiden bereits erwähnten Afroträger springen und tanzen durch ihre Sets wie Verrückte. Ein herrliches Bild. Idee für deren Merch: Afroperrücken.

Comeback- oder Reunion-Konzerte gehören irgendwann zu deinem Leben dazu

Ja, es ist nunmal so. Man stößt eben oftmals erst später auf Bands, die einem die Schuhe ausziehen. Eben manchmal auch dann, wenn es sie gar nicht mehr gibt. Zum Glück sind viele Musiker auch nur Menschen mit einer Passion für gewisse Dinge. Und wenn diese sich, aus welchen Gründen auch immer, wieder zusammenraufen oder wieder den Spaß an der gemeinsamen Musik entdecken, so sollte man das dankend annehmen, anstatt zu sagen: „Die sind ja eh über ihren Zenit und alt geworden”, du Klugscheißer.

Wenn ihr zu den Glücklichen gehört, die für das Konzert morgen eine Karte haben, viel Spaß, mosht ein bisschen für mich mit. All die anderen, die wie ich keine Karte bekamen oder das Konzert verschliefen, schicke ich ein grüßendes Nicken: Wir wissen es eh, wir sind selbst schuld.