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Der Online-Schwarzmarkt Atlantis hat einen Pressesprecher

Nicht nur im Clearweb gibt es Platzhirsche, sondern auch in den dunklen Gefilden des Internets, wo Drogen, Waffen und gefälschte Ausweispapiere verkauft werden, gibt es alteingesessene Anbieter, die seit Jahren das Monopol der Schwarzmärkte unter sich aufteilen. 

Der berühmteste, fast schon zum Synonym des Darknets gewordene Anbieter unter ihnen ist die SilkRoad. So wie es deine Oma überraschen mag, dass es noch andere Suchmaschinen außer Google gibt, mag es den einen oder anderen Pothead verwundern, dass es auch einen hart umkämpften Markt für Plattformen im Internet gibt, auf denen man seine Drogen kaufen kann.

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Seit Anfang dieses Jahres drängt ein neuer Mitbewerber auf den Markt: The Atlantis Marketplace (URL natürlich nur vom TOR zu erreichen). Er wirbt aggressiv um Käufer und Verkäufer, mit billigeren Kommissionen und einem einfacheren User-Interface. Er bedroht die angestammten Platzhirsche wie SilkRoad oder Black Market Reloaded. Atlantis sieht sich nicht als Marktplatz für ein paar eingeschworene, technikversierte Kriminelle, sondern will den Massenmarkt erreichen. Atlantis will jedem von euch den Drogenkauf so einfach wie möglich machen—aber lehnt auch Dinge aus moralischen Gründen ab, wie Waffen verkaufen, Pädophilie oder Auftragsmord. 

So wie verrückte UFO-Spinner glauben, dass die untergegangene Stadt Atlantis sich eines Tages aus den Wogen des Meeres erheben wird, erhob sich auch der Atlantis Marketplace aus den Untiefen des Deepwebs und geifert nun nach allen Seiten um sich. Mit 250.000 Transaktionen allein im Juni 2013 steht Atlantis nach eigener Aussage erst am Anfang.

Dabei gibt sich Atlantis ganz business-like: Als Teil seiner Marketingstrategie veröffentlichte Atlantis im März sogar einen eigenen Youtube-Werbeclip, twittert und betreibt eine Facebook-Seite, die ganz sicher nicht den Nutzervorschriften von Mark Zuckerberg entspricht.

Wenn du jetzt immer noch glaubst, die Unternehmen im Darknet wären dubiose Hinterzimmer-Kaschemmen, dann bist du falsch gewickelt. Der Atlantik Marketplace hat nicht nur eine ausgefuchste Werbestrategie, sondern sogar einen PR-Manager: Heisenberg2.0—so sein Pseudonym—er sieht sich selbst als Vorreiter einer neuen Generation, die Schutz vor staatlicher Überwachung im Darknet sucht, die Gesetze ablehnt und gegen die Prohibition von Drogen vorgeht. 

VICE: Warum habt ihr eine Konkurrenzplattform gestartet, obwohl die SilkRoad bereits etabliert war?
Heisenberg2.0, PR-Manager vom Atlantis Marketplace: Wir haben uns entschieden, die Seite zu machen, nachdem wir sahen, dass die SilkRoad unzuverlässiger wurde und Ausfälle hatte, die häufiger und häufiger wurden. Wir hatten außerdem das Gefühl, dass die Betreiber immer selbstgefälliger wurden, da es im Markt keine echte Konkurrenz gab. Rund heraus gesagt, haben wir uns die Seite angeschaut und gesagt: „Das könnte so viel besser sein.“

Wie steht ihr gegenüber dem Black Market Reloaded?
Wir sehen uns nicht als direkter Konkurrent zum Black Market Reloaded, da dies ein „anything goes“-Marktplatz ist, auf dem es alles gibt, was illegal ist. Er richtet sich an Menschen ohne moralische Restriktionen, die sich bereits gut im Darknet auskennen.

Was ist eure Zielgruppe?
Wir richten uns an Leute, die Drogen in ihrer Freizeit zur Entspannung nehmen und keine großen Erfahrungen mit dem Schwarzmarkt haben. Wir sehen bereits großes Wachstum in der Zukunft voraus, wenn mehr und mehr Menschen Schutz vor staatlicher Überwachung im Darknet suchen und dadurch unser Angebot finden. Es mag Ironie des Schicksals sein, dass dadurch die amerikanische Regierung der größte Drogendealer 2013 wird!

Was sind die größten Schwierigkeiten, um Atlantis am Laufen zu halten?
Das größte Problem, wenn man solch eine Seite am Laufen halten will, ist es, den Mund zu halten. Dass kann ziemlich belastend sein, vor allem wenn du mal einen schlechten Tag hast.

Wie viele Leute arbeiten an Atlantis?
Loera und Vladimir repräsentieren das Gründergremium, bestehend aus ungefähr 5 Mitgliedern. Dazu kommen ich und einige andere, die an Bord gekommen sind und unabhängig agieren. PR ist der einzige Bereich, in den ich involviert bin, und darüber bin ich ganz froh. Ich glaube an Atlantis und an das, was wir tun, weshalb mir der Job leicht fällt. Aber gleichzeitig habe ich nicht die sprichwörtlichen „Eier“, um Besitzer oder Operator zu werden.

Aus welchem Land hostet ihr Atlantis?
Nachdem ich dir meine Rolle erklärt habe, sollte klar sein, dass ich nur das weiß, was ich wissen muss. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass wir unser eigenes Offshore-Rechenzentrum betreiben.

Kann ich mir das wie einen Computer vorstellen, der in meinem Schlafzimmer läuft?
Was ich sagen kann, ist, dass es viel komplexer ist, als einen Computer im Schlafzimmer laufen zu lassen. Wir haben die Infrastruktur einer Website, die, wenn nötig, Angriffe verschiedenster Art abwehren kann. Sei es von Mitbewerbern, der Polizei oder sogar Hackern. Wir brauchen eine weitaus robustere Infrastruktur als viele andere Seiten, da wir nicht einfach die Polizei rufen können. Die Realität ist ganz anders, als man denken könnte.

Kannst du was von dir erzählen? Wie bist du zu Atlantis gekommen?
Bevor ich anfing, für Atlantis zu arbeiten, habe ich einen Universitätsabschluss und jahrelang einen 9-to-5-Job gemacht. Nach kurzer Zeit wurde ich unruhig, ich bin gereist und habe mich selbst gesucht. Dabei entschloss ich, nicht mehr zurückzugehen. Seitdem habe ich meine Fähigkeiten eingesetzt, um freiberuflich zu arbeiten, unter meinen eigenen Regeln, bis ich Atlantis entdeckt habe. Man könnte sagen, dass unsere Ideale dieselben waren, weshalb mir der Posten als PR-Manager angeboten wurde. Momentan ist das ein Teilzeitjob für mich, aber wer weiß.

Was ist eure Motivation dahinter, einen Deepweb-Markplatz aufzumachen?
Für mich, und ich glaube, ich spreche dabei auch für den Rest des Teams, ist es ein Liebeskind. Natürlich entstehen durch die Seite Kosten, die wieder reinkommen müssen. Aber Menschen haben immer und werden immer Drogen verkaufen, weshalb wir keine Schande darin sehen, zu sagen: Natürlich geht es auch um Geld. Wir setzen Technologie für den Drogenhandel ein, und die Leute sehen das Positive daran.

Habt ihr moralische Bedenken?
Es mag frevlerisch klingen, aber ich glaube, dass wir etwas Gutes für die Welt tun. Aber dieses Urteil überlasse ich jedem selbst–genau darum geht es eben bei uns!

Was genau wollt ihr erreichen?
Wir bei Atlantis sind uns einig, dass wir den nächsten logischen Schritt gehen, um gegen die Prohibition vorzugehen. Wenn uns der Krieg gegen die Drogen auch nur eine gute Sache gezeigt hat, dann, dass Sätze wie „Nehmt keine Drogen, sonst …“ den gegenteiligen Effekt auf Menschen haben. Menschen sollen sich selbst ein Urteil bilden. Ironischerweise sind die meisten Drogen, die auf Atlantis verkauft werden, weniger gefährlich als Tabak oder Alkohol. Marihuana wird bei uns am meisten verkauft.

Wie bist du zu dieser Überzeugung gekommen?
Der entscheidende Moment für mich war, als ich mit einem ehemaligen Heroinabhängigen sprach, der sagte: „Wenn Seiten wie Atlantis bereits existiert hätten, als ich anfing, Heroin zu spritzen, wäre meine Gesundheit viel besser als heute.“ Er dankte uns dafür, dass wir Leben retten. Menschen sterben, weil die Qualität von etwas, das auf den Straßen als Heroin verkauft werden kann, sie umbringt. Er sagte außerdem, dass er wohl nie damit angefangen hätte, wenn er auf der Straße nicht dazu genötigt worden wäre.

Wie viel Geld nehmt ihr mit Atlantis ein?
Mir selbst wird mein Lebensunterhalt finanziert. Während die Seite in der Anfangsphase ist, ist das alles, was ich erwarten kann oder will. Mein Job hängt vom Erfolg der Plattform ab. Der Gewinn wird direkt wieder ins Wachstum der Seite investiert. Auch die Besitzer haben bisher noch kein Geld aus dem Projekt entnommen.

Welche Mengen werden über Atlantis gehandelt?
Wir haben keine exakten Statistiken, da viele Verkäufe vom Volumen her nicht fassbar sind. Was Einzelverkäufe angeht, haben wir seit März, nach nur drei Monaten, die 500.000er-Grenze überschritten. Eine qualifizierte Schätzung für diesen Monat wären wohl 250.000 Verkäufe. Wir befinden uns in einem stetigen Aufwärtstrend. Ich gehe davon aus, dass wir im Dezember 2013 diese Zahlen als niedrig einstufen werden.

Was wird vor allem auf Atlantis verkauft?
Unsere Topseller sind Drogen, vor allem Cannabis. Drogen machen 80 bis 90 Prozent aus. Andere beliebte nicht-legale Angebote sind Geldwäsche und Identitätsgeschäfte, zum Beispiel Ausweisfälschung. Die beliebtesten legalen Angebote sind Bücher, Glücksspiel und Lotterien, digitale Güter, legaler Geldtransfer und Erotika.

Wisst ihr, wo eure Kunden herkommen?
Die meisten Käufer kommen aus Ländern mit einem hohem Computerwissen und einer etablierten Netzkultur. Außerdem Länder mit einem zuverlässigen Postsystem, in dem unsere Pakete einfach in der normalen Post untergehen. Wenn man das runterbricht, bedeutet das: USA, Europa, Australien und zu einem gewissen Grad China und Indien. 

Ihr macht ziemlich aggressives Marketing für einen Schwarzmarkt. Zuletzt habt ihr sogar ein YouTube-Video veröffentlicht. Warum macht ihr das?
Wir wissen, dass die Polizei uns kennt, also sehen wir auch keinen Grund, Angst vor Repressionen zu haben. Einige Leute kritisierten uns mit den Worten „Don’t poke the bear“, aber diese Leute wollen das Darknet nur für sich behalten. Wenn die Polizei Seiten wie unsere abschalten könnte, hätten sie es schon längst getan.

Wer ist eure Zielgruppe?
Neben dem Ziel, Kunden von anderen Märkten mit niedrigen Gebühren und Kommissionen zu uns zu locken, wollen wir Leute anziehen, die vollkommen neu auf dem Online-Schwarzmarkt sind. SilkRoad waren die ersten auf dem Markt, weshalb sie natürlich die ganze Aufmerksamkeit vom Darknet bekamen. Es gibt aber viele Leute, die noch nie davon gehört haben, weshalb wir uns entschieden, dass wir Werbung brauchen. Da uns die meisten traditionellen Kanäle verschlossen bleiben, haben wir unsere eigene Social-Media-Kampagne gestartet, indem wir einen YouTube-Clip veröffentlichten. Das lief extrem gut!

Was habt ihr sonst noch so gemacht?
Unsere Gründer Leora und Vladimir haben ein „Ask Me Anything“ auf Reddit gemacht, was ziemlich erfolgreich war. 

Worauf seid ihr bei Atlantis besonders stolz?
Auf unser Feedbacksystem. Bisher war die größte Stärke des Darknets, die Anonymität, auch seine größte Schwäche. Wir haben Features eingebaut, die sich SilkRoad-User seit ihrem Release wünschen. Feedback kann nicht zurück genommen werden. Bei der SilkRoad bestand die Gefahr, dass Käufer von Verkäufern dazu gezwungen werden, ihr Feedback zu ändern, unter der Drohung, ihre Daten an die Justiz zu übergeben. Außerdem kann unser Feedbacksystem nicht von Scammern ausgenutzt werden, die ein privates Angebot für 0,01 Dollar hochladen und diese dann mit einem zweiten Account zwanzigmal kaufen, um gutes Feedback zu hinterlassen, nur um danach den Preis zu ändern. Auf Atlantis bräuchte der Scammer dafür zwanzig verschiedene Accounts und außerdem würde jedes Mal der Wert der Transaktion angezeigt werden. Das Risiko, erwischt zu werden, ist es nicht mehr wert.

Wir sind außerdem stolz darauf, dass wir als erster Marktplatz—im Deepweb sowie auch im Cleerweb—verschiedene Crypto-Währungen akzeptieren. Sollte die Regierung es jemals schaffen, Bitcoins zu kriminalisieren, würde bei uns das Business mit Litecoin weitergehen wie gehabt.

Wie gut ist mein Kauf über Atlantis verschlüsselt? Nutzen viele Leute die zusätzlichen Möglichkeiten zur Verschlüsselung?
Momentan sind es nicht so viele, wie wir es uns wünschen würden, aber wir hoffen das in Zukunft zu beheben, indem wir Tutorials und Support anbieten, um Security userfreundlich zu machen. Wenn du besorgt bist, dass wir den unverschlüsselten Text von Nachrichten speichern, kann ich versichern, dass wir das nicht machen. Wenn du dich aber nicht auf unser Wort verlassen willst, steht es dir natürlich frei, deine Nachricht selbst zu verschlüsseln. So einfach ist das.

Warum erlaubt ihr den Verkauf von Waffen nicht?
Wir haben eine klare moralische Haltung, dass nichts verkauft werden soll, was anderen Menschen Schaden zufügen kann. Das ist bei persönlichem Drogenkonsum nicht der Fall. Jedem sollte klar sein, dass Pistolen gegen diese Richtlinie verstoßen. Die Verkäufer und die Community stehen hinter uns und melden Angebote, die gegen unseren Code verstoßen. Glücklicherweise müssen unsere Verkäufer sich keine Waffen beschaffen und Gewalt anwenden, um ihre Geschäfte zu führen, so wie es traditionell im Drogengeschäft üblich ist, resultierend aus dem gescheiterten Krieg gegen die Drogen.

Gibt es andere Dinge, die ihr verbietet?
Verbotene Dinge sind: Alles, was mit Pädophilie zu tun hat, Gifte, Kredite, Investmentangebote, Auftragsmord. Wenn du gegen diese Regeln verstößt, werden wir deinen Account augenblicklich löschen.

Verkaufst du selbst über das Darknet?
Der Anarchist in mir wurde schon immer von diesem Markt angezogen und da meine Expertisen in Medien und Technologie liegen, war es unausweichlich, dass ich teilhaben wollte. Unglücklicherweise ist das auch, wo meine Fähigkeiten enden. Obwohl man viel Geld damit machen kann, Anbieter auf Atlantis zu sein, wäre es nicht in meinem besten Interesse, wenn ich die Aufmerksamkeit der Polizei erregen würde.

Hat die Polizei bereits versucht, mit dir Kontakt aufzunehmen?
Mit mir persönlich? Ah, die Sache wird langsam interessant. Nein, ich wurde noch nicht kontaktiert, aber du wirfst eine Möglichkeit auf, die ich nie wirklich bedacht habe. Ich denke, genau das wird auch der Grund sein, warum man mir viele Details des Geschäfts verschweigt. 

Wie sicher ist Atlantis gegenüber der Polizei?
Sehr sicher, das FBI hat sogar ein Dokument veröffentlicht, in dem es heißt, die beste Taktik gegen den Online-Schwarzmarkt wäre Social Engineering. Das zeigt, dass sie von technischer Seite nicht mehr weiter wissen. TOR hat sich als überaus effektiv erwiesen, die Polizei auf Armeslänge zu halten. Sie wissen, was wir tun, aber haben zugegeben, dass sie machtlos sind, uns zu stoppen. Sie haben nicht genug Geld für die Art von hochwertiger Datenanalyse, die nötig wäre, uns zu finden.

Und wie sicher ist das Ganze für dich?
Da habe ich noch keinen Konsens erreicht. Ich möchte eine Analogie verwenden: Ich sehe Atlantis als eine Gruppe Freiheitskämpfer im Krieg gegen die Prohibition. Die Geschichte zeigt, dass Freiheitskämpfer durch jemanden verkörpert werden. Ich bin nicht die Zielscheibe der Polizei, sondern einfach nur die Stimme von Atlantis.

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