Popkultur

Attila Hildmanns öffentliches Burger-Essen war das absurdeste Werbe-Event des Jahres

Ich fühle mich ein bisschen wie ein BDSM-Sklave, der seiner Herrin auf der Venus den Absatz leckt – nur sexy ist das Ganze leider nicht: Vor den Augen sehr vieler Menschen lasse ich mich benutzen. Wie etwa 30 andere Journalisten bin ich zu Attila Hildmanns veganem Imbiss nach Berlin–Charlottenburg gefahren, um den Höhepunkt seiner PR-Seifenoper zu erleben, die er in den letzten Tagen mit unserer Hilfe aufführte. Natürlich hat Hildmann dadurch schon jetzt sehr viel kostenlose Werbung bekommen. Aber ich breche einen unterhaltsamen Serienmarathon ungern in der Mitte ab – sei er noch so bekloppt.

Von Anfang an: Eine Journalistin des Tagesspiegel hatte Hildmanns Imbiss in einer ziemlich einseitigen Restaurantkritik verrissen. Gegen Veganismus hatte sie nie was – nur gegen Hildmanns Burger und ihn persönlich. Daraufhin rastete er bei Facebook aus, gab ihr Hausverbot und drohte, ihr Maul zu stopfen. Viele Medien berichteten, auch VICE. In einem weiteren Post posierte er mit einer Pumpgun und lud die Presse zum großen Burgertest in seinen Imbiss ein. Sollten wir danach immer noch einen Fleischburger bevorzugen, so kündigte Hildmann an, würde er vor laufender Kamera ein Rindersteak verzehren.

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Am Mittwochnachmittag tritt Hildmann dann aus seinem Laden und vor uns Journalisten. “Schön, dass ihr so zahlreich erschienen seid, es geht heute um relativ viel: ob ich ein Steak essen muss oder nicht”, sagt Hildmann ohne jedes Anzeichen von Ironie.

Im Restaurant hat jemand einen Bildschirm aufgebaut, der für diesen Raum viel zu groß ist. Da wir nicht in einer Sportsbar sind, heißt das wohl nichts Gutes. Ich setze mich an einen Tisch am Rand und bin doch mittendrin, weil hier so viele Leute sind, dass überall mittendrin ist. Die Kameralampen und Menschen erwärmen den Raum wie eine Ferkelaufzuchtstation. Und Hildmann füttert unsere Notizblöcke und Speicherkarten mit seinen Botschaften. “Ich will, dass ihr erst mal versteht, warum ich das hier alles tue”, sagt er. Gut, denke ich, ich habe nämlich keine Ahnung, was das hier soll.

Als Erklärung läuft Einfach.Bewusst.Leben. Den Film der Tierschutzorganisation Peta über Tiere in der Nahrungsmittelindustrie hat man mit hoher Wahrscheinlichkeit schon mal weggeklickt oder vielleicht sogar gesehen, wenn man in den letzten anderthalb Jahren im Internet war.

Während des Films lasse ich mich von meinem Smartphone ablenken, um mich in Attila Hildmanns Facebook-Livestream dabei zu beobachten, wie ich mich während des Films von meinem Smartphone ablenken lasse. Hildmann guckt die ganze Zeit ernst auf den Bildschirm. Als die fünf Minuten rum sind, holt er tief Luft und hält die Hände auf Schritthöhe übereinandergelegt, wie ein Fußballspieler in der Freistoßmauer – bereit für das, was jetzt kommt.


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“Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass in den letzten Tagen zu viel darüber gesprochen wurde, wie eine Auseinandersetzung geführt wurde und nicht warum”, sagt Hildmann.

Dann wird es richtig absurd.

Attila Hildmanns Stimme zittert. Ein paar Kollegen wechseln hektisch die Position für ein besseres Bild. Weint Hildmann jetzt? Nein, aber die Augen glänzen. “Hier geht’s nicht um labbrige Pommes, sondern darum, ein Statement zu setzen für den Tierschutz, für einen gesünderen Planeten und für gesündere Menschen”, sagt Hildmann. Na klar, er habe viele Bücher verkauft und viel Geld verdient, aber das sei nicht sein Hauptmotiv. Ihm gehe es darum, hinter die Kulissen zu blicken. Ein Gänsehautmoment. Jetzt fehlt nur noch das Motivations-Trainer-Headset. “Die Leute reden nicht darüber, wenn man das Tierleid zeigt, sondern sie reden darüber, dass der Veganer einen Porsche fährt oder eine Pumpgun hält. Die Menschen würden meine Seite entliken, wenn ich vier Wochen lang auf das zeige, was in der Massentierhaltung in Deutschland passiert”, sagt er. Deshalb appelliere er mit seinen Büchern an den Narzissmus der Menschen, und streut noch ein paar seiner Bestsellertitel ein. Er weiß eben, wie das geht mit der Werbung, schließlich sind wir ja genau deswegen hier. Und eigentlich fände ich dieses indirekte Eingeständnis, dass es hier um Werbung geht, sympathisch, wäre es nicht so unangenehm pathetisch verpackt.

Während Hildmanns Vortrag werden die ersten Burger und Süßkartoffelpommes verteilt. Die Brötchen aus Dinkel, die Pattys aus einer Kichererbsen-Gemüsemischung. Dazu eifreie Mayo. Journalisten filmen Journalisten, wie sie andere Journalisten filmen. Ich schätze, dass hier etwa 100 Burgerfotos pro Minute entstehen, als wäre es das Jahrestreffen der internationalen Foodbloggerszene. Zwischendurch mache auch ich ein paar uninspirierte Fotos. Auf einem Bewertungszettel sollen wir das vegane Essen von eins bis zehn benoten und die Frage, ob wir dennoch Fleischburger bevorzugen, mit Ja oder Nein beantworten. Keine Ahnung, was diese Frage für die Vegetarier und Veganer unter den Anwesenden bedeutet, aber ich finde sie auch so seltsam. Schließlich geht es dann nicht mehr darum, was besser schmeckt, sondern um eine Glaubensentscheidung.

Egal. Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, Hildmann zu fragen, wie er sich sein Rindersteak gleich braten lässt: rare, medium oder well done? “Natürlich ganz blutig”, sagt Hildmann und grinst. Es ist Teil der Dramaturgie. Ich setze mich wieder, mein Burger ist da.

Als ich reinbeiße, werde ich von ungefähr zehn Kameras auf Facebook gestreamt. Eine RTL-Journalistin hält mir ihr Mikrofon ins Mampfgesicht und fragt, wie es schmeckt, fast so, als interessiere sie das wirklich. Ich nuschele irgendwas von “wie ein veganer Burger halt, kann man schon essen”. Ich finde Hildmanns Burger in Ordnung. Knuspriges Patty, knusprige Pommes. Nichts schmeckt nach Fleisch, warum sollte es auch. Aber in Berlin, wo es mindestens ein Dutzend vegane Burgerläden gibt, sind seine Kreationen und das Konzept des Ladens nichts Besonderes. Dann fragt mich der Kameramann, ob ich nochmal in eine Pommes beißen kann. Ich wäre jetzt gerne wie der Neinsager, der bei Konzerten als einziger stehen bleibt, wenn die Band sagt, dass sich alle setzen sollen, weil ihn diese Massenorchestrierung an Nazideutschland erinnert, aber ich bin schwach und beiße für RTL in eine Pommes.

“Und warum hast du die Hälfte jetzt liegen gelassen?”, fragt die RTL-Journalistin und ich antworte wahrheitsgemäß, dass ich noch zum Essen verabredet bin – und zwar zum Cevapcici-Essen, lasse diesen letzten Teil aber weg, weil ich die Story nicht noch crazyer machen will.

Zum großen Finale gehen alle noch mal vor die Tür, Hildmann tritt wieder vor uns. “Der Mehrheit hat es geschmeckt”, sagt er, aber er habe die Wette verloren. Die meisten würden einen Fleischburger doch bevorzugen. Und dann wird Ehrenmann Hildmann kryptisch: “Ich habe gesagt, ich werde das Steak essen, aber ich werde das Steak nicht umbringen.” Das Steak warte auf der Straße auf ihn und da gehen wir jetzt hin. In der Zwischenzeit ist jemand mit einem Pferdetransporter vorgefahren. Hildmann hat dafür extra seinen Porsche umgeparkt. Vorhang auf zum großen Finale dieses Irrsinns. Ein Helfer öffnet die Klappe des Anhängers. Darin stehen ein lebendiges Kalb und aus irgendeinem verwirrenden Grund auch eine Ziege. “Wer bringt dieses Tier um?”, fragt Hildmann und fuchtelt mit einem Küchenmesser herum. “Ich!”, sagt einer von uns Journalisten, tritt vor und – RATSCH – schlitzt dem Kalb die Kehle durch. Das passiert natürlich nicht – auch wenn Hildmanns Reaktion sicher interessant gewesen wäre. Aber wäre das überhaupt legal, jetzt hier in Charlottenburg eine Kuh zu schlachten?

Hildmann jedenfalls kann sich nur noch bemüht die Freude darüber verkneifen, dass sein genialer Coup aufging. “Ihr wollt mich doch alle sehen, wie ich ein Steak esse”, sagt er süffisant und erinnert mich damit an die Leute, die ihm, dem Oberveganer, genüsslich die Ledersitze in seinem Porsche vorwarfen. Dann macht Hildmann noch mal eine lange Pause vor seinem finalen Monolog. Darin geht es wieder um viel Wahres, um das, was wir mit unserem Fleischkonsum an Schlechtem bewirken. Das weiß ich als Fleischesser sogar und ich mache mir regelmäßig selbst Gedanken – aber so grotesk wie das hier aufgeführt wird, bin ich viel zu sehr vom eigentlichen Inhalt abgelenkt.

“Attilla ist Beste!”, ruft eine Frau, die wie aus dem Nichts plötzlich neben uns auftaucht und ein Schild hochhält. Darauf steht: “Die Wahrheit ist unerträglich, aber alles andere ist Lüge”. Als alle ihr Foto gemacht haben, rollt sie es wieder zusammen.

Was habe ich heute also gelernt? Um eine edle Botschaft zu verbreiten, sind manchen Leuten alle Mittel recht. Und vielleicht habe ich keine Seele, weil die Botschaft nicht bei mir ankommt. Aber eventuell liegt es auch daran, dass ich bei so offensichtlichem PR-Quatsch schon aus Prinzip eine ablehnende Haltung einnehme. Mir tun die Tiere leid, aber mit diesem Zwiespalt werde ich wohl einfach noch eine Weile leben – und gehe jetzt trotzdem mit meinen Freunden Cevapcici essen.

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