Es passiert nicht oft, dass meine Hände schon vor dem Mittagessen in Hirn, Zunge und Knochen stecken. Und dennoch stehe ich hier in der Küche eines Taco-Truck in Auckland und bearbeite Seeteufel mit einer Pinzette, mariniere Lammhirn und schneide gekochte Zunge in perfekte snackgerechte Streifen.
Wenn deine Vorstellung eines Tacos ein steinharter Maistortilla gefüllt mit Eisbergsalat und drei Stücken Cheddar ist, dann hat dich das Essen in deiner Schulkantine wohl für immer verdorben. Und du wirst dich gleich gar nicht mehr einkriegen.
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Die weichen Mais- und Mehltortillas vom Food Truck The Lucky Taco in Auckland sind ungefähr so weit von den geschmacklosen halbrunden Nachos meiner Jugend entfernt wie ein Specksandwich von Chips mit Speckgeschmack. Das Interessante an diesen authentisch mexikanischen Täschchen mit Fleisch und Gewürzen ist, dass jede einzelne Zutat so typisch Kiwi ist, wie ein Sonnenbrand auf den Oberschenkeln.
Neuseeland ist ein fruchtbares Land, man nennt es sogar God Zone. Hier könnte man ein Papiertaschentuch fallen lassen und es würde Wurzeln schlagen und irgendwann Früchte tragen. Der Großteil der Zutaten von Lucky Taco werden also im eigenen Land angebaut, gepflückt und geerntet, hier im Land der langen weißen Wolke.
„Wir holen unsere Eier von unseren lesbischen Nachbarn”, erzählt mir die Miteigentümerin von Lucky Taco, Sarah, während ich mich daran mache, einen Metalleimer voller Tomaten aufzuschneiden, zu entkernen und auszuhöhlen. Sie bekommen unsere Essensreste, die sie ihren Hühnern füttern und wir bekommen von ihnen die Eier für unsere Brunch-Tacos.”
„Früher haben wir unser Fleisch von einem großen Fleischlieferanten bezogen”, sagt Otis, Sarahs Partner, der mit seinen breiten tätowierten Schultern fast den Eingang der kleinen Küche in ihrem Garten versperrt. „Aber dann bot uns die Metzgerin unserer Nachbarschaft—eine Frau aus Sri Lanka—an, uns das Fleisch zum gleichen Preis wie der Großlieferant zu verkaufen.” Sie war es auch, die Sarah und Otis—inspiriert von einem Hirn- und Eiergericht, das sie in ihrer Kindheit oft aß—vorschlug, Tacos mit Lammhirn zu machen.
„Sie führt das Geschäft und ihr Neffe Eddie ist fürs Schlachten zuständig”, erklärt Otis, während ich mit einer Pinzette Knochen aus riesigen Seeteufel-Filets picke, wie wenn man eine riesige, fleischige Augenbraue zupft. „Früher hatten sie ein Altersheim, aber es war zu traurig, weil die Kinder die Bewohner ins Herz schlossen, die dann aber ständig starben.” Also gründeten sie einen Schlachtbetrieb. Logisch, was denn sonst.
Das Interessante an diesen authentisch mexikanischen Täschchen mit Fleisch, Gewürzen und viel Fröhlichkeit ist, dass jede einzelne Zutat so typisch Kiwi ist, wie ein Sonnenbrand auf den Oberschenkeln.
Seeteufel gilt hier in Neuseeland nicht als die erstklassige Delikatesse wie beispielsweise an der britischen Küste. „Hier ist Seeteufel etwas relativ Alltägliches”, sagt Sarah.
Die Neuseeländer sind auch mit anderen mexikanischen Zutaten vertraut. 2012 exportierte die Insel Avocados im Wert von 45,6 Millionen US-Dollar [42 Millionen Euro]. Wenn die Frucht also gerade Saison hat, kann The Lucky Taco große Mengen ihrer leckeren Avocadocreme mit Joghurt, Limette, Koriander und Gewürzen machen. Das einzige Problem? Limetten und Koriander sind nicht gleichzeitig in Saison wie Avocados. Toll. Gut gemacht, God Zone.
Trotzdem produzieren sie massenhaft davon. Ich sehe ihrer Assistentin Ruby dabei zu, wie sie den Inhalt eines riesigen Plastikeimers mit etwas, das—zumindest in meinem ungeschulten Auge—sehr verdächtig nach einer Heckenschere aussieht. Ein paar Stunden später beobachte ich, wie sie mit einem kleinen Stabmixer sieben kleine Lammhirne in einen rosaroten Smoothie aus Innereien mixt. „Von Hirn-Taco kann man einfach nicht genug bekommen”, sagt Ruby. „Wie von Salz-Crackern.”
Sarah ist in Großbritannien, genauer gesagt in Merseyside, mit der klassischen britischen Ernährung der 80er-Jahre aufgewachsen: Findus Crispy Pancakes und Hähnchen nach Jägerart aus der Mikrowelle. Erst als sie nach Neuseeland zog und sich in Otis verliebte, entstand in ihr das Bedürfnis, zu kochen.
„Ich glaube, man möchte einfach die Leute ernähren können, die man liebt”, sagt sie zu mir, als wir mit einer Tasse Kaffee eine Pause auf ihrer Veranda machen, von der aus man die hibiskusfarbene Wand in ihrer Küche sieht. „Die Idee für den Food Truck kam uns auf unserer Hochhzeitsreise in L.A.”, erzählt sie mir. „Aber als wir zurückkamen, wurde uns bewusst, dass wir nicht aus Mexiko kommen und wir dorthin müssen, um zu lernen, wie man Tacos richtig macht.”
2012 reisten sie also nach Mexiko City und schrieben sich für Ruth Alegrias Kochschule „Mexico Soul and Essence” ein, um etwas über Tacos, agua frescas und Salsas zu lernen. Alegria nahm sie mit auf eine Tour durch die besten Lokale im angesagten Viertel Condesa und gab ihnen einen wichtigen Ratschlag mit auf den Weg: Man kann alles in einen Taco geben.
So ist jeder ihrer Tacos eine wohl durchdachte Kombination aus Gewürzen, Texturen und regionalen Zutaten. Manche davon haben überraschende Ursprünge. Die Marinade für den Pulled Pork-Taco beispielsweise, begann als Rezept von Jamie Oliver für Schweine-Paprika-Gulasch. Und ihr Taco de Lengua—wie die Spanischsprachigen unter euch wahrscheinlich schon erraten haben—ist mit einem ungewöhnlichen Muskel gefüllt: mit Zunge.
Nach einem 10 km-Lauf um einen inaktiven Vulkan entlang der Küste des fast schon unverschämt blauen Meeres, schaue ich beim Food Truck vorbei, um mir eine Belohnung zu gönnen. Ein Pilz-Ei-Taco, ein bisschen der selbst gemachten Chipotle-Sauce und ein Glas hausgemachte horchata. Ich bin mir nicht sicher, ob Tacos mit Zungenfleisch und eine Frau in hautenger atmungsaktiver Sportkleidung das war, was Gott für die Zone vorgesehen hatte, aber es fühlte sich verdammt richtig an.