Pablo Nouvelle tritt in den Mittelgrund

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Ich treffe Pablo Nouvelle an einem der ersten richtig heissen Sommertage auf einer kleinen Fussgängerbrücke in Zürich. Er kommt auf einem Fahrrad an. Es ist ein älteres Baujahr, in tadellosem Zustand, bis auf die Chromteile komplett in schwarz gehalten—genau wie seine Kleider. Reduziert, schlicht und schick. “Wenn ich mir ein Velo kaufe, dann geht es um die Tätigkeit, die ich damit ausüben kann und nicht darum, dass es ein teures Velo ist”, erklärt er mir.

“Ich hoffe, dass sich eine Lebensform durchsetzen wird, in der man sich etwas vom Materialismus löst.” Es ginge ihm dabei nicht um eine Ideologie, er selbst wolle einfach so leben. “Ich möchte mich nicht über ein Haus mit Pool definieren. Ich lebe in einem urbanen Raum, ich brauche nicht viel Besitz. Ich definiere mich über das, was ich mache und nicht das, was ich habe.” Mit Blick auf eine Szene-Badi, im Schatten des Swissmill-Turms, warten wir noch eine Weile auf den Fotografen, mit dem wir zu einer kleinen Tour zu verschiedenen Kulissen in der Stadt Zürich aufbrechen werden.

Es gibt keine deutsche Wikipedia-Seite zu Pablo Nouvelle. Aber eine englische. Auf der steht, er wäre auch DJ. Diese Tatsache bringt ihn zum Lachen, als wir später an einem städtischen Picknicktisch sitzen und uns bei einem Dosenbier unterhalten. “Ich mache Musik, die man auch alleine hören möchte, die etwas Persönliches hat. Deswegen bin ich kein DJ. Ich weiss nicht, welcher Track richtig einschlägt und eine Masse bewegt. Ich kann nur sagen, ob ein Song oder Sound mich berührt und hoffe, dass er auch andere berührt.”

Pablo Nouvelle ist Musiker und Produzent. Aufgewachsen ist er in Bern, Zürich ist seine Wahlheimat. Die grössten Erfolge feierte er bisher in England und vor Kurzem war er auf einer Südafrika-Tournee, die er selber im Gespräch ausschliesslich als Reise bezeichnet. War er auch auf der Suche nach neuen musikalischen Einflüssen? “Die Reise war mehr ein Experiment. Wieviel tatsächlich hängen bleibt in der Arbeit, weiss ich noch nicht.” In Südafrika hat er Musiker kennengelernt, einige von ihnen sind demnächst in Europa. Er möchte versuchen, sie hier zu treffen und mit ihnen Musik zu machen.

“Ich glaube, das Geilste an dieser Reise war, dass man mal wieder stark vor Augen geführt bekommen hat, dass alles, was wir in der westlichen Welt für selbstverständlich nehmen, eigentlich ein Konstrukt ist—vor allem künstlerisch, vor allem musikalisch. Dass eine Oktave zwölf Töne hat, das ist konstruiert. Aber für uns ist es so, als wäre das ein Naturgesetz. Seither liebäugle ich schon mit der Idee auch Musik zu machen, die nicht gezwungenermassen nach unseren 4/4-Takt, Moll- oder Dur-Ideen, sondern nach ganz anderen Regeln funktioniert.”

Es ist das Zusammenbringen von verschiedenen musikalischen Elementen und das Experimentieren mit ihnen, das Pablo Nouvelle eine grosse Aufmerksamkeit beschert hat. Der Guardian schrieb 2012 überschwänglich, dass er den “Soul zurück in die Zukunft bringe”. Er hat den Satz seither immer und immer wieder gehört und wirkt bescheiden gelangweilt, als ich das hohe Lob anspreche. Tatsächlich waren es die souligen Motown-Stücke, die eine der Hauptinspirationsquellen waren bei den ersten Pablo Nouvelle-Tracks. Aber die Sounds haben sich verändert: “Es sind Phasen. Die sind teilweise soulig und teilweise eher nicht.”

Die letzten zwei Jahre sei es vor allem elektronische Musik gewesen, “Techno, im weitesten Sinn”. Wir stellen fest, dass wir uns unwissentlich über gemeinsame Bekannte auf dem Fusion-Festival getroffen haben. “Für mich ist das die weitergetragene Hippiebewegung, dieses Techno-Drogen-FlowerPower-Glitzer-In-der-Sonne-tanzen.” Als Produzent und Musiker ist er auch mit der Schweizer HipHop-Landschaft verbandelt. “Ich hänge heute noch ein bisschen mit drin über die Berner Connection, das Eldorado-Ding, von dem ich auch Teil bin.”

Unterschiedlichste Genres, verschiedene Länder und immer neue Musiker und Sänger. Pablo Nouvelle scheint alle Sensoren, Fühler und Antennen ständig auf Empfang zu haben. “Es sind hunderte Einflüsse, die ganze Zeit—aber ich setze mich denen ja auch aus.” Ich frage nach, ob in einer Zeit, in der diese Einflüsse über unzählige Kanäle permanent auf Künstler einwirken, klassische Genres noch wichtig sind. “Ja und nein, es gibt schon Genres, gerade in der Popmusik, diese kalkulierten Sachen. Aber wenn du dich als Künstler selber ernst nimmst, dann solltest du dich nicht um Genregrenzen foutieren. Im Gegenteil, erst da wird es dann eigentlich spannend. Viel mehr Leute, mich eingeschlossen, sollten sich getrauen, auf alles zu scheissen und Grenzen auszuloten. Besonders in der Schweiz.”

Eine Grenze lotet Pablo Nouvelle aus, seit er die ersten Songs unter seinem Namen produziert hat—die Grenze seiner Rolle. “Ich war immer der Produzent von jemandem. Derjenige, der ein Instrumental macht und dann singt oder rappt jemand darüber. Es ist die Natur der Sache—derjenige, der vorne steht und singt, ist automatisch der Frontmann.” Mit seinen eigenen Veröffentlichungen hat er den Schritt in den “Mittelgrund” gemacht. Er ist nun präsent, steuert seinen eigenen musikalischen Brand. “Die Pablo-Nouvelle-Sachen sind einfach das Mutterschiff und da musst du dir sehr bewusst sein, welchen Kurs du einschlägst und welche Auswirkungen der haben wird.”

Ein Kurs, den er eingeschlagen hat, ist die Live-Band. Pablo Nouvelle klingt live nicht wie Pablo Nouvelle ab Tonträger. Da sind andere Sounds, andere Dynamiken. “Es war eine bewusste Entscheidung, mit Leuten zu arbeiten, die wirklich eine Band sein können, nicht einfach virtuose Musiker aus dem Jazzschulumfeld. Charaktermusiker, die ihr Ding einbringen. Pablo Nouvelle klingt live nach uns, nicht nach mir. Das macht dich selber etwas kleiner, etwas weniger bedeutend, das tut gut.”

Sich selber nicht zu wichtig nehmen. Es ist ein Element, das sich durch die Welt von Pablo Nouvelle zieht und wozu auch die Berge passen, welche die Cover sämtlicher Veröffentlichungen schmücken und auf denen er gerne mit einem Bike unterwegs ist. “Ich habe einfach eine extreme Faszination für Berge, die ich auch nicht richtig begründen kann. Ich finde sie etwas vom Überwältigendsten, was es gibt. Flach finde ich schrecklich. Rauf und runter finde ich genial. Wenn du in den Bergen bist und ein Velo dabei hast, bist du oben energiegeladen vom Aufstieg. Du bist in dieser gewaltigen Kulisse, wo du so klein bist, kannst die Energie auslösen, die du vorher geschwitzt hast und runterfahren. Das ist schon ein Urerlebnis.”

Vielleicht ist es für Pablo Nouvelle, der Architektur anstudiert hat, filmisch arbeitet, Klangwelten arrangiert und in Allem, was er tut, eine Art Regisseur ist, auch besonders anmutend, dass er mit den Bergen Bauklötze vor sich hat, die sich nicht so einfach zu Neuem zusammensetzen lassen.