Während man bei der Wahlparty der Grünen im Volksgarten für alles (nicht wenig) zahlt, gibt es im FPÖ-Zelt am Rathausplatz gratis Schnitzel, Krautfleckerl und Bier. Das merkt man den Menschen drinnen auch an. Sie sind zu Recht betrunken, einige haben aus Frust zum Glas gegriffen, die anderen aus Freude. Man habe sich mehr erwartet, höre ich an diesem Abend von vielen, aber 30 Prozent seien nur der Anfang.
Die Securitys am Eingang fragen nicht nach einem Ausweis oder ähnlichem, sie sind auch nicht sehr aufmerksam—ich kann einfach reingehen. Die FPÖ-Wähler in diesem Zelt sind so heterogen wie eine Wählerschaft nur sein kann. Ein FPÖ-Wahlhelfer aus Deutschland erzählt mir, er würde sich seit eineinhalb Jahren für die Partei engagieren. Er ist Mitglied einer schlagenden Burschenschaft in Wien—in seiner Jugend, mit 17 oder 18, hätten seine Freunde und er die NPD gut gefunden und gewählt. Im Jahr 2015 noch den Holocaust zu leugnen, findet er heute aber rückständig.
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Seine deutschen Freunde würden nun die AfD, die Alternative für Deutschland, wählen. Die NPD wäre für ihn selbst inzwischen keine wählbare Partei mehr. Während wir diskutieren, kommt ein älterer Mann zu uns und beschwert sich lispelnd, weil er kaum noch Zähne im Mund hat und lallend, weil er einen Vollrausch hat, dass er kein T-Shirt bekommen hat, auf dem „HC Strache” steht. Hätte man diese T-Shirts in Wien verteilt, hätte die FPÖ drei Mandate mehr. Dann erzählt er noch ein paar Minuten Dinge, die niemand versteht.
Die Identitären sind auch da, unter anderem in Gestalt von Alexander Markovics und Martin Sellner. Unsterblich-Mitglieder sitzen mit Burschenschaftern und Identitären in der ersten Reihe auf Bierbänken. Als ich mir ein Bier holen möchte, kommt ein Typ im Trenchcoat zu mir und fragt höflich: „Darf ich Sie auf einen Wein einladen?” Er wirkt sehr nüchtern und normal in diesem Chaos aus Menschen, die auf Bierbänken tanzen und (ja, wirklich) „Macarena” singen.
Kurz darauf kommt der Vater des Trenchcoat-Trägers zu mir, sehr betrunken, sehr aufdringlich und erklärt mir, dass er gar nicht so der große FPÖ-Fan sei. Er fände nämlich, jede Entwicklung nach 1789 sei ein schwerer Fehler gewesen. Der Barock wäre die beste aller Epochen gewesen und diese Umstände wünsche er sich auch wieder zurück. Französische Revolution: schrecklich. Aber er habe nun einmal viele Freunde bei der FPÖ und was soll man denn auch sonst wählen, wenn man alles seit 1789 schlimm findet? Soll man überhaupt wählen?
Eigentlich warten alle nur auf Strache, der aber noch ein bisschen braucht. Die John Otti-Band spielt währenddessen „Engel” von Rammstein, „Mit 66 Jahren” von Udo Jürgens und „Superstition” von Stevie Wonder (ob letzteres mit Straches Affinität zu Wahrsagung zu tun hat, bleibt offen).
Als ich ganz vorne stehe und Fotos mache, kommt ein Mann im Janker zu mir, der mir an diesem Abend zum ersten Mal von Thesen erzählt, die ich noch nie gehört habe. Ich habe viel diskutiert in den letzten Jahren, mit FPÖ-Wählern, Burschenschaftern und Identitären. Oft hört man dieselben Argumente, viele seiner Aussagen sind mir aber neu. Und ich bin froh, dass ich sie noch nicht oft gehört habe.
Er beginnt mit den Klassikern: Die Ausländer, die hierher kämen, würden in Heerscharen auf kriminellen Streifzügen durch die Straßen ziehen; manche Verbrechen gäbe es erst seit Multikulti, Europäer seien zu so etwas gar nicht in der Lage. Dann erklärt er: „Hätte man vor 200 Jahren die gesamte Bevölkerung von Syrien mit der gesamten Bevölkerung von Österreich ausgetauscht, Syrien würde jetzt aussehen wie Österreich heute und umgekehrt.” Es seien nicht etwa die Umstände, oder geopolitische Einflüsse oder irgendetwas in der Art, das die Entwicklungen eines Landes bestimme. Die Menschen sind es selbst.
Die Österreicher in Syrien wären ein entwickeltes Land wie es Österreich nun ist. Weil es den Österreichern im Blut liege. Den Syrern nicht. Manche würden eben arbeiten wollen und andere eben nicht. Die unzivilisierten Menschen, die da kämen, würden unsere Zivilisation zerstören. Ob ich schon einmal gesehen hätte, wie sie in Afrika hausen würden.
Ich sage ihm, er solle sich einmal umblicken: Wenn er biertrinkende, grölende, besoffene Menschen als die Spitze der Zivilisation sieht, dann weiß ich auch nicht. „Die Menschen, die um uns stehen, sind nicht so gebildet wie du und ich,” sagt er. „Aber wir brauchen diese Menschen. Wenn es zum Krieg kommt, sind sie die, die an der Front stehen.” Dazu muss man nicht mehr viel sagen.
Dann kommt Strache. Die Menge dreht durch. Ich werde mehrere Male fast zu Boden geworfen, weil die Leute so drängeln, um ein Foto zu machen. Konfetti, Luftballons, epische Musik, die John Otti-Band hat ihn als „unser König” angekündigt. Dann eine Rede, die wie jede andere ist. Das Publikum schreit „Wir sind das Volk” und kurz fühlt es sich an wie bei Pegida. Links von mir tanzt ein betrunkenes Paar, auf der Bühne Strache neben Stenzel und rechts von mir Unsterblich, Identitäre und der Mann mit dem Janker. Und manchmal weiß ich nicht einmal wirklich, was es ist, das all diese Menschen vereint. Außer vielleicht, dass sie einem Mann zujubeln, der auf viele komplizierte Fragen viele einfache Antworten hat.
Hanna auf Twitter: @HHumorlos