Dieser Text erschien zuerst in der ‘The Hello Switzerland Issue’ – dem ersten VICE-Magazin, das vom ersten bis zum letzten Buchstaben in der Schweizer Redaktion entstanden ist.
Jack White und das Abart sind schuld, dass ich mich an einem sonnigen Maitag in das Gewerbegebiet der Zürcher Allmend begebe. Velvet Two Stripes, deren Proberaum ich gerade aufsuche, und ich wurden vom Gitarrenvirtuosen der 00er Jahre und dem legendären Zürcher Rock-Club massgeblich beeinflusst – wir sind alle Teil der letzten Generation, für die Bandmitglieder noch wahre Helden sind und die noch an den Rock’n’Roll-Lifestyle glauben.
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Schönen Zeiten nachtrauern will ich aber nicht. Gitarrenmusik lebt noch, auch wenn sie nicht mehr im grossen Popzirkus mitspielt. Velvet Two Stripes geben mir Hoffnung, dass das nicht nur ein leeres Versprechen ist, das ich mir als Rock-Fan mache: Sophie Diggelmann, Sara Diggelmann und Franca Mock haben vor etwas mehr als einem Monat ihre neue EP Got Me Good herausgebracht. Fünf Songs, bluesig, trashig, hart, verraucht, amerikanisch. Als ich auf dem Parkplatz vor dem Bandraum der Girls ankomme, erwarte ich eigentlich, dass sie gleich in einem schwarzen Trans Am mit goldenem Adler auf der Haube, aufgedrehter Anlage und quietschenden Reifen um die Ecke fahren. Dazu würde ihre Musik passen.
Als ich schliesslich Velvet-Two-Stripes-Leadsängerin Sophie anrufe und ihr sage, dass ich da sei, kommt sie mir entgegengelaufen. Kein Trans Am. Dafür erkenne ich an ihrem Style, dass sie Rock lebt: schwarze Stiefel, zerrissene Jeans, eine braune Lederjacke, blond-blaues, zerzaustes Haar – geboren, um Ärsche zu treten. Sie führt mich in ihr Reich, ein Keller in einem alten Lagerhaus. Mich begrüssen ein Stapel leere Bierkartons, Poster, im Hintergrund ein Schlagzeug, Verstärker, Gitarren, ein Bass und Mikrophone. In der Ecke steht ein Kühlschrank, daneben ein Tisch und zwei Sofas, auf denen Gitarristin Sara und Bassistin Franca sitzen. Nachdem wir uns begrüsst haben, offerieren sie mir ein Bier. Alle zünden sich eine Zigarette an.
Wir kommen sofort auf ein Interview zu sprechen, das Sara erst vor Kurzem dem Ostschweizer Radio toxic.fm gegeben hat, in dem die Gitarristin der Band etwas zu farbig mit Whiskey und Zigaretten umschrieben wird. “Wir müssen uns so oft rechtfertigen”, sagt Sara – als Frauenband, als härterer Blues-Rock-Act, als kleine Schweizer. “Bei einem Konzert ist mal ein alter Blues-Typ auf mich zugekommen und hat gesagt, ich würde Gitarre spielen, als hätten mich schon zehn Frauen verlassen. Das ist ein cooles Kompliment, aber zeigt halt auch, wie männerdominiert dieses Genre ist”, erzählt die 26-Jährige weiter. Im Gegensatz zu Garagerock passt Velvet Two Stripes blueseingehauchte Härte nicht wirklich zum Girliehaften. “Wenn du Sound machst wie wir, denken viele, du hättest eine brutal harte Jugend hinter dir und seist Alkoholiker. Aber das ist bei uns nicht der Fall. Wir machen einfach die Musik, die uns gefällt”, fügt Sophie an und erzählt von einem kürzlichen Erlebnis mit ihrer ehemaligen Kindergartenlehrerin. Bei einem zufälligen Aufeinandertreffen habe diese angemerkt, dass sie sehr erstaunt über die harte und rebellische Musik ihrer ehemaligen Schülerin sei. Sophie und Sara kämen doch aus gutbürgerlichem Hause.
Von der ersten Sekunde an fällt mir eine unglaubliche Dynamik in der Band auf. Alle drei agieren, reden und denken in einem Guss. Widersprechen tun sich Sophie, Sara und Franca nie – Gedanken werden weitergeführt, Meinungen unterstrichen und fleissig zugestimmt. “Wenn du dein halbes Leben lang gemeinsam Musik machst, bleibt einfach nicht viel Raum, um anders zu werden. Wir haben uns immer gegenseitig weiter beeinflusst. Musikalisch, wie auch im Leben. Wir haben uns nie überlegt, wie wir sein oder klingen wollen”, sagt Sophie. Sophie und Sara haben Franca in einem Bandworkshop in St. Gallen vor zwölf Jahren kennengelernt. Damals waren sie noch zu fünft. Es habe sich aber schnell herauskristallisiert, dass sie als Trio weitermachen wollen. Mit ihren ersten Songs als Velvet Two Stripes entstand dann sogar ein erster kleiner Hype um die Band. 20 Minuten feierte die Newcomer aus St. Gallen 2013 als “die coolste Band der Schweiz” ab. “Zu unserem ersten Konzert wurden wir fast gedrängt. Neben unserem Proberaum gab es einen Club. Die haben uns irgendwann angefragt, ob wir bei ihnen spielen wollen. Damals hatten wir gerade fünf Songs und nicht einmal einen Bandnamen.” Im Proberaum hängt heute noch die Fahne mit dem ersten Bandnamen, der im Bandnamen-Generator entstanden ist – Mates Voyage. Den Gig haben sie trotzdem gespielt, als Velvet Two Stripes. Ein halbes Jahr später wurden sie dann von einem Label aus Deutschland angeschrieben. “Soweit wollten wir eigentlich gar nicht gehen”, erzählt Sara. “Wir waren damals 17. Da machst du halt einfach mal und sagst: ‘Scheiss drauf, das finden wir geil!’”, fügt Sophie an.
“Wir wollen Frauen mehr pushen. Und zeigen, dass es in einer Band nicht auf die Frage Mann oder Frau ankommt.”
Damals klang der Sound von Velvet Two Stripes anders als heute – vor allem dank einem markanten Drumcomputer. “Bevor wir unseren eigentlichen Sound gefunden haben, stand nur etwas fest: Wir wollten auf jeden Fall wie The Knife mit einem Drumcomputer Musik machen. Es hat sich aber katastrophal angehört”, erzählt Sophie. “Und ich habe immer Blues gespielt. Deswegen hat es nie geklappt und sich unser jetziger Sound ergeben”, ergänzt Sara. Der Drumcomputer hat für den Anfang aber den Schlagzeuger des Trios gemimt, was dem Sound von Velvet Two Stripes eine einmalige Note verliehen hat. Nach dem Debütalbum VTS und ausführlichem Touren durch ganz Europa ist es aber erstmal wieder ruhig um das Trio geworden.
Die neue EP Got Me Good packt das Trio jetzt wieder auf die Rock’n’Roll-Landkarte – und wieder werden sie als Newcomer betitelt. “Ich finde das aber nur fair. Wir hatten eineinhalb Jahre Pause und das, was wir jetzt machen, ist auf einem ganz anderen Level als vorher. Vor der Pause haben wir ohne Plan überall Konzerte gespielt und nie überlegt, wie unsere Songs eigentlich klingen – wie sind die Arrangements, wie geht es besser?”, sagt Leadsängerin Sophie. Der Drumcomputer ist durch einen Studio- und Live-Schlagzeuger ersetzt worden. Die Songs sind in den legendären Berliner Hansa-Studios aufgenommen worden – da wo etwa David Bowies Heroes entstanden ist. Nicht nur klingt Got Me Good viel professioneller, die Band ist es auch geworden. “Vorher sind unsere Songs irgendwie aus einem Jam entstanden. Wir haben uns schnell mit etwas zufrieden gegeben”, sagt die 23-Jährige weiter. “Die betrunkenen Jam-Sessions haben grundsätzlich abgenommen”, sagt Franca. “Jetzt arbeiten wir zwei Stunden voll konzentriert. Und dann kommt der Rock’n’Roll.” Auch der Social-Media-Auftritt der Band wurde überarbeitet – alte Beiträge sind verschwunden, Velvet Two Stripes präsentieren sich frisch und neu. Wie richtige Profis eben.
Geblieben ist der markante Sound. “Seit wir uns zu dritt gefunden haben, war es eigentlich nie ein Thema, unseren Sound zu ändern”, sagt Franca. Egal also, wie es um den Rock’n’Roll bestellt ist. “Würden wir uns Gedanken darüber machen, was der aktuelle Zeitgeist ist, würde unsere Musik nicht so klingen, wie sie klingt. Velvet Two Stripes ist nicht klassischer Rock und auch nicht Indie – es ist irgendetwas dazwischen. Aber wenn wir ein Lied schreiben, wissen wir sofort, ob es unser Stil ist”, fügt Sara an. Und wenn es mit dem Rock nicht mehr funktionieren sollte, gibt’s im Notfall noch das geheime Nebenprojekt von Sophie und Franca: PuppenherzKochtopfDeckelknopf. “Hardcore Electro” nennen sies. Sara macht natürlich auch mit: “PuppenherzKochtopfDeckelknopf ist jetzt noch voll underground aber in 20 Jahren der Shit. Ich spiel dann das einzige Gitarrenlied ein und werde damit reich.”
“Aber im Ernst. Ich mache mir eigentlich keine Sorgen, dass Rock aus der Mode kommt. Rolling Stones hört man heute noch und es gibt genug Leute, die für ein Konzertticket 160 Franken zahlen”, sagt Sophie. Sie selbst erlebe es auch immer wieder, wie Mitte-20-Jährige, welche die goldenen Indie-Jahre miterlebten, zurück zur Gitarrenmusik fänden und vom Techno-Sound abkämen. Und vielleicht macht auch die Attitüde ein Revival – mit Sophie, Sara und Franca an der Front: “Ich finde es eigentlich schon Rock’n’Roll genug, zu sagen, dass ich an einem Samstagabend im Proberaum bin anstatt im Ausgang”, sagt Sophie. “Wenn du zusammen in den Proberaum gehst und voll abdrückst, kannst du nachher nicht schickimicki ausgehen”, fügt Sara hinzu. Sie sind eben Riot Grrrls, diese Velvet Two Stripes. Darauf angesprochen sagt Sophie: “Wir wollen einfach, und das unabhängig vom Sound, den wir machen, Frauen mehr pushen. Und zeigen, dass es in einer Band nicht auf die Frage Mann oder Frau ankommt. Wir haben die Band nicht aus einem feministischen Antrieb gegründet, aber wir haben einfach gemerkt, dass wir für sehr viele junge Frauen ein Vorbild sind und dadurch auch stärker in diese Rolle reingewachsen sind.”
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