Auf ein Bier mit Martin Sonneborns Vater

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Wahl des Bundespräsidenten

Auf ein Bier mit Martin Sonneborns Vater

Kurz nachdem ihn Die PARTEI und die Piraten zum Bundespräsidenten-Kandidaten kürten.

Nach der Pressekonferenz zu seiner Kandidatur als Bundespräsident isst Engelbert Sonneborn einen Kinderriegel. Vermutlich haben die PARTEI-Mitglieder dieses Bild im Vorfeld ausgeklügelt, damit ich es jetzt beschreiben kann. Darum geht es heute: eine skurrile Geschichte zu erschaffen, mit der Die PARTEI und die Piratenpartei die Hinterzimmerpolitik der etablierten Parteien anprangern wollen. Am Sonntag möchte die Koalition Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zum neuen Bundespräsidenten wählen, ohne Gegenkandidaten der Union. Außerdem passt den Piraten nicht, wie der Bundespräsident überhaupt gewählt wird – nämlich nicht direkt von der Bevölkerung. Deshalb tritt am Sonntag bei der Bundesversammlung im Reichstag Martin Sonneborns Vater gegen Steinmeier an. Das war selbst für Funktionäre der Partei Die PARTEI eine Überraschung, wie wir später beim Bier erfahren. Aber von Anfang an.

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Engelbert Sonneborn (79) mit Kinderriegel | Alle Fotos: Lisa Ziegler

Engelbert Sonneborn ist 79 Jahre alt, laut PARTEI-Mitgliedern hat er am Donnerstag, dem Tag seiner Vorstellung, Geburtstag. Er steht vor seinem Wahlplakat auf dem roten Teppich im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin. Um ihn herum: PARTEI- und Piraten-Politiker; ein heute show-Reporter, der die Journalisten filmt; und ein Russia Today-Reporter, der da ist, um Martin Sonneborn zu fragen, was er sich von russischen Hackern erhofft (Antwort: Sonneborn lädt Putin auf ein Schnitzel in den Reichstag ein).

Engelbert Sonneborn lächelt selten, sein Blick wirkt eher apathisch. Fragen beantwortet Sonneborn senior während der Pressekonferenz nicht. "Erst wenn er bezahlt wird", erläutert Sonneborn junior. Vielleicht ist es besser so. Die wenigen Wörter und Laute, die er murmelt, hört man kaum. Eigentlich gab er nur ein "Hö hö hö" von sich, nach der Frage, ob er sicher sei, dass er Martin Sonneborns Vater ist, und ein weiteres Lachen, als Sonneborn junior sagt, sein Vater sei im Herzen immer Pirat gewesen.

Ansonsten redet sein Sohn für ihn: "Wenn meinem Vater langweilig wird, dann geht er auf den Balkon und hält Reden. Freizeit, sein großes Thema. Freizeit und Verantwortung. Freizeit ist immer die Freizeit des Andersdenkenden. Sowas." Sie hätten die Gauck-Reden schon mal abgetippt und "Freiheit" durch "Freizeit" ersetzt. Die Journalisten fragen nach der Berufserfahrung von Engelbert? – "Gibt es." Hat Engelbert je gefoltert? Am ehesten, "als er uns erklärte, wie man CDU wählt". Die Folter-Frage ist eine Anspielung auf den einzigen Skandal in Steinmeiers politischer Karriere: Der Bremer Murat Kurnaz saß von Januar 2002 bis August 2006 im US-Gefangenenlager Guantanamo. Steinmeier soll ein Angebot der Amerikaner zur Auslieferung nicht angenommen haben – obwohl es keine Belege für angebliche terroristische Aktivitäten von Kurnaz gab. Und die wichtigste aller Fragen: Warum ist Engelbert ein guter Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten? – "Er verfügt über einen dunklen Anzug, er ist ein Mann von Manieren und großer Höflichkeit und er hat niemanden vier Jahre in Guantanamo sitzen lassen", sagt Sonneborn.

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Die Piraten wissen, dass es für sie aussichtslos ist, ernsthaft einen Kandidaten für das Amt aufzustellen. Warum also nicht Martin Sonneborns Vater. Die Idee sei an dem Tag aufgekommen, als Trump seinen Sohn zu seinem Berater machte. Die Hoffnung von Patrick Schiffer, dem Bundesvorsitzenden der Piraten: zeigen, dass die Piraten einen Minister wie Steinmeier – Schiffer sagt, ein "aktiver Akteur der aktuellen Politik" – als Bundespräsidenten ablehnen. Er sei "eine Figur des Schachfiguren-Brettes der Bundespolitik".

Patrick Schiffer, Bundesvorsitzender der Piraten, und Die-PARTEI-Chef Sonneborn

Mit Sonneborn senior als Kandidat an ihrer Seite bringen sie zumindest ihre Anliegen unter: Die Piraten wollen eine Direktwahl des Bundespräsidenten wie in Österreich. Demokratie funktioniere nur, wenn alle mitbestimmen dürfen.

Anders als in Österreich oder Frankreich wird der Präsident in Deutschland nicht direkt gewählt, sondern von der Bundesversammlung. Martin Sonneborn darf für die Fraktion der Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen in die Bundesversammlung gehen. Es ist ein Konglomerat aus Bundestagsmitgliedern und Entsandten der in Landtagen vertretenen Parteien, die teilweise Prominente sind. Die Piraten sehen ein Problem darin, dass nur 1.260 Politiker und deren Abgesandte einen Menschen ins Amt wählen, der eigentlich alle Staatsbürger repräsentieren soll.

Die Hauptstadtjournalisten von dpa über RT Deutsch bis Tilo Jung bei der Arbeit

heute show-Reporter Carsten van Ryssen denkt angestrengt nach. Sieht zumindest so aus

Für die Piraten mindestens genauso wichtig wie ihre Kritik an der Bundespräsidentenwahl: Der Name Sonneborn zieht die Öffentlichkeit an. Und Presse können die schwächelnden Piraten gebrauchen. Ihre Umfragewerte lagen vor fünf Jahren bundesweit bei 12 Prozent, heute krebsen sie unter "Sonstige". Dazwischen: Schlagzeilen über Streits; über einen Finanzskandal, den sie selbst leugnen; prominente Abtrünnige wie Christopher Lauer, die zu anderen Parteien abwanderten.

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Als die meisten Journalisten nach einem Glas Schampus wieder abziehen, hält Engelbert Sonneborn einen rosa-farbenen Luftballon in der Hand, auf den eine PARTEI-Politikerin mit Edding Geburtstagsglückwünsche geschrieben hat. Die PARTEI-Mitglieder bauen ab und rollen die Banner zusammen. Einer Brecht-Büste setzen sie eine Ballermann-Sonnenbrille mit Sonneborns Gesicht auf den Gläsern auf. Dann laufen die PARTEI- und Piratenfunktionäre gemeinsam mit Sonneborn senior zur Kantine des Theaters. Und ja, jetzt kommt endlich der Moment, wegen dem ihr angefangen habt zu lesen. Denn selbstverständlich wollen wir dem bisher geradezu sprachlosen Kandidaten doch noch ein paar Worte entlocken.

Die-PARTEI-Politiker mit LSD-Brillen, Schampus und Sonneborn-Sonnenbrillen

Halten wir uns kurz, wie Engelbert selbst: Er isst wirklich gerne Kinderriegel. Aber viel möchte er nicht sagen. Er liest gerne die Frankfurter Allgemeine Zeitung und auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Foto? Was man nicht alles mitmachen muss. Handschlag? Mhm. (Lange Pause, während ich mit ausgestreckter Hand dasitze.) Seufzer, Handschlag. Der aber war zumindest warm und lang.

Das Bier zahlte Martin Sonneborn. Als gut besoldeter Abgeordneter in Brüssel wollte er unsere Münzen nicht annehmen.

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