Mit Marmeladen-Tampons und Kondom-Ballons: Auf einer Demo gegen einen 'Lebensschützer'-Apotheker

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Mit Marmeladen-Tampons und Kondom-Ballons: Auf einer Demo gegen einen 'Lebensschützer'-Apotheker

In der Undine-Apotheke in Berlin-Neukölln wirbt ein christlicher Apotheker fürs Kinderkriegen. Er verkauft die Pille danach nicht und legt Kondomen belehrende Zettel bei.

Vor der Undine Apotheke am Maybachufer in Berlin-Neukölln wartet ein Mannschaftswagen der Polizei auf die Demonstranten. Noch ist es ruhig. Susanne, 23, eine der Organisatorinnen, ist schon da. Sie trägt eine silber-schwarze Bomberjacke und ein knallblaues Stirnband. Dabei hat sie ein Schild mit der Aufschrift "Meine Orgie ist Nächstenliebe".

Susanne gehört zur queerfeministischen Gruppe Sheclaim, die die Demonstration organisiert hat. Sie haben aufgerufen zum Protest mit Knutscherei, Schnaps und Tampon-Weitwurf. Der Grund: In der Undine-Apotheke bekommen Frauen die Pille danach nicht, ebenso wenig wie die Spirale. Dafür aber Ratschläge in Form von Zetteln, die der Apotheker in Kondompackungen steckt, und die die Kunden an die "Lebensbereicherung durch Kinder" erinnern sollen.

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Bevor die Party steigt, möchte ich mich vergewissern, was in der Undine-Apotheke eigentlich abgeht. Kondome kann ich schließlich gebrauchen. Der Apotheker Andreas Kersten weiß von der Demo, die heute vor seinem Laden stattfinden soll, lächelt mich aber trotzdem unbeirrt an. Ich frage nach Kondomen. Kersten fragt mich, welche Größe ich denn brauche, "die extra großen?". Der Apotheker ist erschreckend nett. "Nein, ich mach mir nichts vor, die normalen reichen". Er übergibt mir meine gefühlsechten Lümmeltüten und sagt, es sei noch ein kleiner Bildungszettel dabei—aha!

Dieser Zettel steckte auf meinen gefühlsechten Durex-Kondomen

Auf dem Zettel steht: "Bitte werben Sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln: Setzen Sie sich ein, für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen und für eine sorgsame Abwägung bei der Entscheidung für ein Verhütungsmittel–im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder! Herzlichen, lieben Dank! Ihr Andreas Kersten."

Dann rückt auch schon, mit einem Megaphon bewaffnet, die Demonstranten-Gruppe an. 20 junge Menschen—viele mit bunten Mützen oder Glitzer auf den Backen—stehen jetzt auf der anderen Straßenseite gegenüber der Apotheke, mit Schildern und Bannern in der Hand. Sie rufen "Mittelalter, Mittelalter, hey, hey" und "Geiler ficken ohne Undine".

"Geiler ficken ohne Undine"

Immer wieder wird Kerstens Apotheke mit Farbe beworfen, etwa am 8. März, dem Weltfrauentag, oder als Antwort auf den "Marsch für das Lebens", einer Demonstration von sogenannten "Lebensschützern"—christlichen Fundamentalisten, die mit Transparenten wie "Babys welcome" oder "Babycaust" gegen Abtreibungen und Verhütungsmittel demonstrieren.

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Seit März 2015 ist die Pille danach in Deutschland rezeptfrei, so wie im Rest Europas. Die Europäische Kommission hatte das im letzten Jahr entschieden, Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) beugte sich. 2014 hatte der Minister noch gegen die Rezeptfreiheit gewettert, weil die ärztliche Beratung über die Nebenwirkungen aus seiner Sicht notwendig sei. (Erzähl das mal einer jungen Frau, die am Sonntagvormittag ins Krankenhaus fahren muss, weil die Arztpraxen nicht offen haben und sie Angst hat, schwanger zu werden.)

Kersten ist unseres Wissens nach der einzige Apotheker, der so weit geht, die Pille danach "aus Glaubensgründen" einfach nicht zu verkaufen. Unangenehme Situationen beim Kauf erleben Frauen aber auch in anderen Apotheken. Bei einem Test des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) erhielten 19 von 20 Pharmazeuten in Wien eine schlechte Bewertung für die Beratung über die "Pille danach". Die Tester durften sich Sprüche anhören wie "Kondom gerissen? Jaja, das sagen sie alle, das glaubt doch keiner." Kerstens Entscheidung, die Pille danach trotz der europaweiten Regelung nicht zu verkaufen, kritisieren nicht nur feministische Gruppen, sondern auch der [Präsident der deutschen Apothekerkammer](http://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/anschlag-weil-er-pille-danach-nicht-verkauft http://www.berliner-zeitung.de/23858368 ).

Susanne und die anderen vier Organisatorinnen schenken Glühwein aus Thermoskannen aus. Passanten bleiben stehen und lassen sich erklären, warum vor der Undine-Apotheke mit Tampons, Glitzer und Kondomen protestiert wird. Letztere verteilen die Organisatorinnen gerade: "Erst aufblasen, dann mit Edding eine Botschaft draufschreiben", sagt Susanne.

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Die Kondom-Ballons mit Sprüchen wie "My vagina is my own" hängt jeder Demonstrant an eine Schnur. Als nächstes bereiten sie die Tampons vor: Sie tunken sie in rote Marmelade und hängen sie ebenso an der Schnur auf.

Susanne, 23

"Ich wohne hier um die Ecke und weiß schon länger von der Apotheke. Ich bin hier, weil ich für körperliche Selbstbestimmung bin, weil ich gerne Sex habe und will, dass die Undine-Apotheke die Pille danach ausgibt."

Lukas, 27

"Ich bin hier, weil ich gegen die Politik der Apotheke bin, keine Verhütungsmittel an Frauen auszuteilen. Apotheken haben eine gesellschaftliche Aufgabe, die Menschen medizinisch zu versorgen. Dazu gehören auch Verhütungsmittel. Es geht nicht, dass hier eine persönliche Meinung über die körperliche Selbstbestimmung eines Menschen gestellt wird. Ich finde es wichtig, die Leute zu informieren, in welche Apotheke sie gehen. Besonders wenn dort christliche Fundamentalisten arbeiten."

Anna, 26

"Ich habe keine Lust, mir von einer Apotheke vorschreiben zu lassen, wie ich meine Sexualität auslebe."

Naemi, 23 und Serena, 30

"Wir sind fickende Frauen!"

Mittlerweile sprayen einige der Demonstranten auf den Boden: "Pussy Grabs Back". Und eine Vulva. Dann wird der Tampon-Weitwurf veranstaltet. Es ist bitterkalt, aber die Stimmung ist gut. Das Motto: "Wir wollen nicht nur mit dem Finger zeigen, sondern auch feiern!"

Am Ende gehe ich noch einmal in die Apotheke. Ich frage Herrn Kersten, ob er irgendwie auf das da draußen reagieren möchte. Aber Kersten winkt ab, er sei daran gewöhnt und habe sich bereits viel in den Medien geäußert. Auf die Frage, ob er denn etwas an seiner Apotheke verändern möchte, sagt er: "Wir verändern uns immer. Aber manche Überzeugung auch nie." Und als ich aus der Apotheke gehen möchte, holt er mich zurück und drückt mir einen Zettel in die Hand, der mich über die Pille danach und andere Verhütungsmittel "aufklärt".

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