Männer zeigen ihren Haarausfall und sprechen darüber

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Männer zeigen ihren Haarausfall und sprechen darüber

"Und plötzlich sagte ein Cousin zu mir: 'Na, lässt du dir die Stirn wachsen?'"

Normalerweise können Männer ihren Alterungsprozess gut wegwitzeln: Graue Schläfen? Endlich ähnelt man George Clooney. Falten? Machen einen interessant. Bierbauch? Ich brauche doch kein Sixpack, wenn ich ein ganzes Fass haben kann.

Aber Haarausfall? Oh oh, ein ganz heißes Eisen. Ein Thema, an dem man sich schnell verbrennen kann. Witze hört man darüber selten. Und es hat auch kein Mann in der Redaktion "Hier, ich!" geschrien, als es darum ging, wer diesen Text schreibt.

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Dabei ist Haarausfall auch bei jungen Kerlen vollkommen normal. Bei etwa einem Drittel der Männer beginnt er vor dem 30. Geburtstag. Zum Glück kaschieren ihn die wenigsten mit einem provinzdiscomäßigem Piratenkopftuch wie Berlusconi. Aber die Zahl der Mützen und Basecaps auf Männerköpfen ist—zumindest in Großstädten—ab Ende 20 wieder so hoch, wie seit den Vorabiturszeiten nicht mehr.

Die Kehrseite der Gleichberechtigung ist, dass Männer bei ihrem Äußeren in Sachen Komplexe aufholen: Studien zeigen, dass mehr Männer mit ihrem Körpergewicht unzufriedener sind als früher. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es mehr Kosmetikprodukte für Männer, um die Spuren zu glätten, die der Zahn der Zeit in den Körper nagt. Die Zahl der Haartransplantationen hat sich zwischen 2005 und 2011 verdoppelt.

Frauen sind es eher gewohnt, über ihre Alterungskomplexe zu reden. Viele Männer ertragen sie wie ein Mann, sprich: schweigen darüber. Aber traut man sich nachzuhaken, hört man raus, wie viele Gedanken sie sich über den Abschied ihres Haupthaars machen. Waren heute mehr Haare im Sieb als sonst? Soll ich mit einem Kahlschlag die Flucht nach vorne machen? Sehe ich danach wie Bruce Willis aus? Oder laufe ich Gefahr, dann wie einer dieser schwäbischen Mittelständler mit Glatze und gewiefter Designerbrille auszusehen? Ist alles vorbei, wenn ich mir den kahlen Kopf mit Sonnencreme eincremen muss? Bin ich noch heiß?

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Wir haben mit fünf Berlinern über ihren Haarausfall gesprochen.

Gregor, 30, Produktdesigner

Alle Fotos: Birgit von Bally

Ich habe das Gefühl, dass Frauen mich anders wahrnehmen, wenn ich eine Mütze trage. Aber vielleicht bilde ich mir das ein. Ich bin inzwischen auf jeden Fall öfter mit Mütze oder Basecap unterwegs als ohne. Auch weil ich im Winter am Kopf sehr friere. Mit 22 hat mir zum ersten Mal eine Kommilitonin gesagt, dass ich Geheimratsecke habe. Das hatte ich bis dahin nicht gemerkt. Plötzlich sagten mir immer mehr Leute, dass ich mit offenen Haaren aussehe wie David Guetta—und der Typ war damals schon 40. Seitdem trage ich oft einen Dutt. Den binde ich an einer lichten Stelle an meinem Hinterkopf zusammen, um sie zu kaschieren. Aber meine Haare sind nicht deshalb lang, weil ich damit die kahlen Stellen kompensieren will, sondern weil ich haarfaul bin. Ich muss sie nur waschen, brauche keine Stylingprodukte. Koffein-Shampoos oder gar eine Haartransplantation würde ich niemals machen, auch nicht gratis. Mein Motto: Lieber altere ich in Würde, als dass ich peinlich versuche, dagegen anzukämpfen.

Raúl, 33, Illustrator

Jeden Tag nach dem Duschen gucke ich ins Abflusssieb und prüfe, wie viele Haare ich verloren habe. Wenn es mehr sind als sonst, denke ich schon: Krass, ich kriege bald eine Glatze. Dass ich langsam kahl werde, habe ich das erste Mal vor fünf Jahren gemerkt. Ich versuchte damals, meine Haare lang wachsen zu lassen, aber oben waren sie einfach zu dünn. Ich habe den Friseur gefragt, was ich dagegen machen kann, und er sagte nur: Tja, du bist auch nicht mehr so jung. Und ich dachte nur: Was ich? Bitte nicht. Ich habe das Gefühl, mit meinem Haar ging auch ein Stück meiner Jugend. Und auch meine Eitelkeit leidet ein bisschen. Der Druck auf Männer, schön zu sein, ist heute größer als früher. Aber für Frauen ist es noch schwieriger, die Gesellschaft ist gnadenloser zu ihrem Alterungsprozess.

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Vor Kurzem habe ich auf einer Familienfeier meinen Cousin getroffen, den ich lange nicht gesehen habe. Er sagte: "Na, Raúl, lässt du dir die Stirn wachsen?" Mir hat es die Sprache verschlagen. Haarausfall ist kein Thema, auf das Menschen einen sonst ansprechen. Aber dann habe ich gelacht. Was soll man auch anderes machen? Ich hoffe, ich habe noch fünf, zehn Jahre mit Haaren. Aber wenn es doof aussieht, rasiere ich sie ganz ab. Ich habe das einmal ausprobiert und das sah nicht schlecht aus. Das hat mich beruhigt. Meine größte Angst ist nicht, dass die Haare viel weniger werden als jetzt, sondern eher der Weg dorthin. Das Schlimmste wären so Haarinseln über der Stirn.

Harry, 30, Musiker, Fotograf

Mir ist schon klar, dass Haarkomplexe absolut ein First-World-Problem sind. In den krassen Zeiten, in den wir leben: Was ist da schon eine Glatze? Aber man kann es drehen, wie man will: Ohne Haare sieht man einfach nicht so gut aus. Sie sind wie ein Rahmen für das Gesicht. Jedes Mal, wenn ich an einem Spiegel vorbeigehe, denke ich über meine Haare nach. Wenn ich unter Leute gehe, trage ich so gut wie immer einen Hut oder ein Basecap. Manchmal sogar wenn ich allein bin. Vor ein paar Jahren habe ich mich beraten lassen, was man gegen Haarverlust tun kann. Mir wurde ein Medikament empfohlen, das weiteren Ausfall verhindert. Aber das müsste ich bis zum Ende meines Lebens nehmen! Darauf hatte ich dann doch keinen Bock. Es ist verrückt, dass die Menschheit inzwischen Raumschiffe erfunden hat, aber nichts gegen Haarausfall, das richtig funktioniert. Meine Haare sind momentan mein größtes Problem. Aber das sagt wahrscheinlich nur etwas darüber aus, dass mein Leben sonst ziemlich gut ist. Was ich sagen will: Es gibt wichtigere Dinge als Haare, aber es tut dennoch weh.

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Elias, 30, Schauspieler

Ich habe schon mit 18 angefangen, Haare zu verlieren. Damals habe ich sie schulterlang getragen und beim Zusammenbinden festgestellt, dass da ein paar lichte Stellen sind. Mit 20 wurde klar, dass ich irgendwann die Frisur meines Großvaters mütterlicherseits erben werde—der hatte eine Vollglatze. Das war jetzt kein Weltuntergang. Aber ich habe schon mit Neid auf Leute mit vollem Haar geguckt—sie können damit so viel machen! Manchmal trage ich einen Hut oder ein Béret. Das ist die einzige Variante, wie ich meine Frisur variieren kann. Als Schauspieler bekomme ich auch öfter eine Perücke aufgeklebt. Am meisten hat mir die Faconfrisur Spaß gemacht—so eine Art Undercut. Das war schon geil. Aber im echten Leben würde ich so etwas nicht machen. Ich käme einfach nicht darüber hinweg, dass es eine Perücke ist.

Ich versuche nicht, dem Haarausfall entgegenzuwirken. Als die Sache mit Koffein-Shampoo aufkam, habe ich mir das kurz überlegt, aber mein Arzt verlachte das so, dass ich es gleich bleiben ließ. Das einzige Mittel, das wirklich gegen Haarverlust hilft, ist eh nur viel Selbstbewusstsein. Ich kann inzwischen gut darüber lachen. Es bringt nichts, die kahlen Stellen zu verstecken. Dann lieber die totale Flucht nach vorne.

Innocent, 26, Jugendkoordinator

Dass meine Haare ausfallen, habe ich zum ersten Mal mit 25 gemerkt. Beim Duschen war plötzlich alles voller Haare, meine Schläfen wurden lichter. Ich habe daraufhin meine Dreadlocks abrasiert. Früher habe ich viel Selbstbewusstsein aus meinen Haaren gezogen, heute muss ich das mit anderen Dingen ausgleichen. Ich spiele zum Beispiel mehr Fußball, damit ich fitter bin. Aber ich versuche nicht, meinen Haarausfall zu kaschieren. Ich arbeite mit Jugendlichen zusammen und will ihnen ein Vorbild sein. Zeigen, dass ich zu meinen Schwächen stehe. Ich denke schon, dass Männer heute den Schönheitsdruck stärker spüren als, sagen wir mal, vor 50 Jahren. Jetzt reicht es nicht mehr, als Mann hart zu arbeiten und für die Frau zu sorgen. Du musst auch gut aussehen, stylisch sein. Mein Vater hatte es damals definitiv einfacher. Die ersten kahlen Stellen sind schon ein wichtiger Punkt im Leben eines Mannes. Jetzt, wo die Haare gehen, habe ich das Gefühl, Bilanz ziehen zu müssen: Was habe ich erreicht? Bin ich schon da im Leben, wo ich sein wollte?