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„Ich müsste schon einen schwulen Neger mit Aids heiraten, damit man mir glaubt“

Während im Bundestag ein neuerliches Verbotsverfahren gegen die NPD läuft, tobt auf den Straßen bereits der Kampf ums politische Erbe. Zur Tarnung nimmt pro Deutschland einen Schwarzen in ihren Reihen auf. Aber der weiß gar nicht, wie ihm geschieht.

„Ich bin kein Nazi“, sagt der freundliche Mann von der Bürgerbewegung pro Deutschland. „Schauen Sie mal auf unsere NRW-Seite, wir haben extra einen Schwarzen als Kandidaten für die Landesliste zur Bundestagswahl 2013 aufgestellt. Aber das reicht nicht. Ich müsste schon einen schwulen Neger mit Aids heiraten, damit man mir glaubt.“ Alles klar, dann wäre das ja geklärt.

Wer einen Neger, äh, Schwarzen zur Bundestagswahl aufstellt, kann nun wirklich kein Nazi sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es ja fast absurd, dass die Partei im Verfassungsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen im Bereich Rechtsextremismus genannt und als verfassungsfeindlich eingestuft wird.

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Doch der Reihe nach. Beim Bummel über den Berliner Alexanderplatz stoße ich vor einem Einkaufscenter auf das folgende vielversprechende Setting: Sechs uniformierte Polizeibeamte, davor drei Mitglieder der Bürgerbewegung pro Deutschland. Nummer 1 steht mit Ghettoblaster und Mikrofon vor einem Auto mit Parteilogo (natürlich ein Mercedes—eine M-Klasse, das symbolisiert Substanz) und predigt mit samtener Stimme Banalitäten aus Volkes Mitte—, untermalt von agitationsfreier Tanzmusik der Gruppe Frei.Wild.

In Schlagdistanz Nummer 2, adrett gekleidet und auf Menschenfang. Nummer 3 bewacht den Stehtisch, das Herz der Operation, um in Empfang zu nehmen, wen immer Nummer 2 ihm zuführt.

Und dann sind da noch Karl und Gregor, die sich spontan zum stummen Protest zusammentelefoniert haben. „Achtung rassistische Hetze“ steht auf ihrem Pappschild und „rassistische Hetze hier entsorgen“ auf einem anderen. Daneben spannen sie eine Mülltüte. Das Ziel ist klar: die Halbwertzeit der nebenan verteilten Druckerzeugnisse auf zehn Meter zu verkürzen.

Karl und Gregor heißen natürlich nicht wirklich so. Aus Angst vor „Racheaktionen“ der Bürgerbeweger halten sie sich aber lieber bedeckt. „Die haben uns schon fotografiert und auf ihre Facebook-Seite hochgeladen. Mit denen ist nicht zu spaßen.“ Als ich furchtlos an den Tisch trete, stehen da gerade zwei Rentner und ermuntern sich gegenseitig zur Mitnahme der druckfrischen „Parteizeitung“, mit den Worten: „Nimm das mal mit, die sind für die Demokratie!“ Richtig, das lese ich dann auch. So steht das sogar im Parteiprogramm. Man wolle außerdem „den abendländischen Charakter Deutschlands bewahren“ und sich stark machen „für die Freiheit des Bürgers von staatlicher Bevormundung“. Vor allem aber lehne man „den Herrschaftsanspruch des radikalen Islam in unseren Großstädten ab.“

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Ich frage nach. Nummer 2 entpuppt sich als das ehemaliges DVU-Mitglied Lars. S., inzwischen Landesvorsitzender und Bundesgeschäftsführer der Pro-Truppe. Angesichts seiner liberalen politischen Position, die er in der legitimen Nachfolge der prämerkelschen CDU sieht, kann er den Protest der beiden Pappschildaktivisten nicht verstehen. „Die klagen den Falschen an. Das habe ich auch versucht, denen zu sagen, aber mit Solchen kann man nicht reden“, beklagt er, während er versucht, einem Mädchen mit Antifa-Sweater eines seiner Flugblätter in die Hand zu drücken. Nice Try! Dann folgt der bereits erwähnte Verweis auf den schwarzen Kandidaten der Partei.

Den gibt es tatsächlich. Der aus Sierra Leone stammende Martin Saccoh lebt nach eigener Aussage seit 1998 in Deutschland. Duisburger Anschrift und Telefonnummer stehen im Internet. Die Verständigung am Telefon gestaltet sich jedoch etwas schwierig, da der Politiker kaum Deutsch spricht. Wie er als Zuwanderer dazu steht, dass die Partei für die er kandidiert, als rechtsextrem eingestuft wird? In seinem Verständnis stehe die Partei für Independence, also für Freiheit. Schließlich bedeute Pro im Englischen „For“, also für und das sei er: für Deutschland. Islamismuskritik? Ja, da sei er radikal—gegen Muslime. Er habe im Koran gelesen und der sei voll von falschen Behauptungen und Lügen. Schlechte Ausländer machten in Deutschland viel kaputt. Er wolle dafür Sorgen, dass terroristische Angriffe und „Suicide Bombings“ Konsequenzen hätten.

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Wie er dazu gekommen ist, für die Landesliste zu kandidieren? Er habe einen Brief bekommen mit einem Formular, das er ausfüllen und zurückschicken sollte. Mehr weiß er nicht. Komplettiert wird die Kandidatenliste übrigens vom Parteigründer und Bundesvorsitzenden Manfred Brouhs und der rüstigen Robertine Flink, Jahrgang 1927.

An dieser Stelle sei das Ziel der Drei-Mann-Einkaufscenter-Aktion genannt. Die Herren sammeln Unterschriften. Dafür, dass die Partei zur Bundestagswahl 2013 antreten kann, sprich auf den Wahllisten erscheint. Dabei bedient man sich einer altbewährten Rezeptur: Missstände und weit verbreitete Ängste pauschalisieren, schlagwortartig zuspitzen und undifferenziert miteinander vermischen. Dann wird auf Tugenden wie Rechtschaffenheit, Anstand und Ordnung verwiesen.

Um sich selbst als moralische Instanz und politische Ordnungskraft zu inszenieren, bedient man sich schon mal tagesaktueller Themen. Den Landtagswahlkampf in Berlin führte man unter dem Motto „Wählen gehen für Thilos Thesen“, einen Tag nach den durch einen rechtsradikalen Islamhasser verübten Anschlägen in Norwegen, bei denen insgesamt 77 Menschen ihr Leben verloren, hielt man eine Beileidsdemo vor der norwegischen Botschaft ab. Und als der islamfeindliche Film „Innocence of Islam“ zu blutigen Ausschreitungen in der arabischen Welt führte, kündigte man kurzerhand an, den Film in Berlin zur Aufführung bringen zu wollen. Es scheint also jedes Mittel Recht, wenn es darum geht, den äußersten rechten Rand der politischen Landkarte zu besetzen. Schließlich ist der Marktplatz heiß umkämpft und für den Durchschnittsrechtsradikalen dann ja auch nicht so einfach zu durchschauen. NPD, DVU, Republikaner, pro Deutschland, wer soll sich das denn alles merken, geschweige denn da irgendwo seine (Achtung Ironie!) politische Heimat finden?

Und während im Bundestag zum gefühlt achtundachtzigsten Mal ein neuerliches Verbotsverfahren gegen die NPD, den größten braunen Fleck im Parteiengefüge, diskutiert wird, tobt auf den Straßen bereits der Kampf ums politische Erbe und zwar „Bottom Up“ und bürgernah, wie man so schön sagt. Die Ideologieträger formieren sich im toten Winkel munter hin und her und träumen vom nächsten großen Ding. Auf dem rechten Auge blind? Solange mit dem linken nur die NPD verfolgt wird, auf jeden Fall.

Gregor und Karl halten ihre Schilder nun schon seit über zwei Stunden in die Höhe. Vor allem junge Passanten nehmen den Aufdruck „Lesen und weitergeben!“ auf dem Thesenblatt der Rechten ernst und füllen damit die Mülltüte der beiden Gegenaktivisten. Einer bringt ein belegtes Brötchen vorbei. „Damit ihr noch lange durchhaltet!“ Ich gehe meines Weges. Aus dem Ghettoblaster schallt es mir hinterher: „Ihr predigt Liebe, doch ihr säht nur Hass.“ Einsicht ist der erste Weg, denke ich kurz bei mir. Und dann noch: was für ein einfältiger Gedanke.