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Deutschland Einig Naziland – Wie kommt es zur aktuellen Welle rechtsextremer Gewalt?

Was ist in diesem Land los? Wie kann es zu dieser Welle der rechten Gewalt kommen? Wir haben Menschen angerufen, die klüger sind als wir, um uns diese Frage zu beantworten.
NPD-Demo | Foto: Imagao / IPON

Wenn ich mir die Nachrichten aus diesem Land der letzen Tage, Wochen und Monate so ansehe, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Ein Staunen, das sich mit einem tiefen Unwohlsein, einem Gefühl von Angst vermischt. Ich komme mir fast dumm vor, dass ich diesem Land bis vor Kurzem einigermaßen vertraut habe, diesem Land, in dem mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit alle paar Jahre wieder Rechtsextreme den Ton angeben—passiv oder aktiv—unterstützt von Politikern, die entweder gar nichts tun oder die fremdenfeindliche Stimmung sogar noch befeuern.

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Fast 180 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte in nur sechs Monaten. Eine seit Jahren stetig steigende Zahl von rassistischen Übergriffen. Gewaltexzesse in Internetkommentaren, Hass und Drohungen gegen Flüchtlinge, Politiker, Ehrenamtliche, Journalisten und viele mehr. Die rechte Gewalt überrollt uns.

Klar spüre ich angesichts dessen Wut, aber in erster Linie spüre ich eine Mischung aus Scham, Ekel und Angst.

Deutschland macht mir Angst.

Was ist mit diesem Land los? Wie kann es zu dieser Welle der rechten Gewalt kommen? Diese Frage ging mir tagelang nicht aus dem Kopf. Daher habe ich mir ein Telefon geschnappt und Menschen angerufen, die vielleicht eine Antwort haben.

Mein erster Anruf galt Professor Dr. Andreas Zick, Sozialpsychologe an der Uni Bielefeld und einer der bekanntesten Extremismus- und Gewaltforscher Deutschlands. Zick schätzt die Situation als „extrem gefährlich" ein. Er denkt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis bei einem Anschlag Menschen zu Schaden kommen. Außerdem bezeichnet er die Anschlagsserie als Terrorismus.

„Wenn man das aus der Perspektive möglicher Opfer betrachtet, erleben die das als Terror!"

VICE: Wir beobachten in Deutschland aktuell eine Welle des Rechtsextremismus. Wie gefährlich ist das?
Andreas Zick: Ich halte das im Moment für extrem gefährlich. Man muss sich nur die Situation vor Flüchtlingsheimen ansehen. Es gibt Orte in Freital, da kommt die alte Idee der national befreiten Zone wieder auf. Das hatte man eigentlich im Griff, man dachte, die Idee national befreite Zonen zu schaffen, kriegen wir durch eine starke Zivilgesellschaft gebremst, aber nö! In Freital machen da jetzt auch sogenannte Normalbürger mit. Die suchen gewaltorientierte Gruppen und stellen sich in die zweite Reihe. Das ist wirklich gefährlich.

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Wir ernst die Lage ist, zeigen die vielen Anschläge auf Flüchtlingsheime.
Wenn wir uns diese Serie ansehen, sind wir längst jenseits der Nachahmungstaten. Man sagt immer, wenn etwas passiert, gibt es eine zweite, dritte Tat, dann sind wir im Bereich der Nachahmung. Aber das ist hier keine Nachahmung mehr. Diese Taten werden im Internet ausgehandelt, diese Taten werden miteinander kommuniziert und wir wissen aus der Forschung, dass mit jeder Tat das Ausmaß der Radikalisierung von anderen steigt.

Steht dahinter das Gefühl, dass die Politik passiv ist und daher das Volk selbst durchgreifen muss?
Ja, und diese Einstellung hat deutlich zugenommen und hat einen sehr deutlichen Schub bekommen durch das Vorbild Pegida. Was ich dramatisch finde, ist, dass das Motto „Maul halten, handeln!" immer mehr Anhänger findet. Leute werden bedroht, verfolgt. Wir sind ja alle davon betroffen, Sie als Journalist, ich als Wissenschaftler. Ich kenne kaum jemanden, der sich kritisch zu Pegida geäußert hat und nicht sofort und unmittelbare Bedrohungen erfahren hätte. Das war früher anders.

Das bedeutet, eigentlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Menschen durch solche Anschläge wirklich zu Schaden kommen?
Ja. Wir haben das ja in den 90ern erlebt. Wenn man die massiven Proteste in Freital sieht, da werden sich sicherlich in der Szene einzelne Gewaltorientierte, die mit dem Staat nichts mehr zu tun haben, sagen: Jetzt ist die Zeit günstig für eine Revolution. Die werden sich gut überlegen, was sie machen. Wenn man die Serie der letzten Monate zusammennimmt und mal aus der Perspektive von möglichen Anschlagsopfern betrachtet, dann erleben die das jetzt schon als Terror.

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Eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz nach einem Brandanschlag | Foto: Imago / Christian Schroedter

Zu Recht.
Ja, zu Recht, genau! Es gibt keine Unterkunft mehr, die nicht höchste Sicherheitsmaßnahmen benötigt. Die rechtsextreme Szene fühlt sich im Moment sehr beflügelt und das ist sehr gefährlich. Die Szene ist ja auch heute viel gebildeter, das muss man deutlich benennen. Das ist nicht mehr eine dumpfe, saufende Kameradschaft oder Skinhead-Szene, die tatorientiert ist. Diese Menschen haben aus dem NSU gelernt. Der Rechtsextremismus hat heute intelligente Systeme und das ist auch extrem bedenklich.

War die Politik in Bezug auf die Radikalisierung von Pegida zu spät dran?
Ja klar! Was ich der Politik vorhalten würde, ist, sie muss aggressive Sprache, aggressive Zeichen, und Gewaltorientierung ernster nehmen. Die Pegida-Bewegung war von Beginn an extrem aggressiv.

Es wurde dann aber als Sorgen normaler Bürger bezeichnet.
Es wurde heruntergeredet, ja. Es gibt auch so eine komische Meinung, die hat sich ganz schnell breitgemacht, da hieß es: Na ja, die Bürger haben Angst. Die haben Abstiegsängste. Und in der Folge kümmert man sich um diese Bürger und übersieht vollkommen, dass das mit Abstiegsängsten nichts zu tun hat. Da geht es um Erhalt von Status, um den Erhalt der etablierten Vorrechte, die man hat. Das Thema Flucht und Asyl ist eine Verunsicherung, maximal. Zur Angst wird das erst durch eine Propaganda. Und dann muss man die Propaganda ernst nehmen.

Das gibt's auch in der Musik: „Ich bin ja echt kein Nazi, aber …"

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Ein Reporter von der Dresdner Morgenpost hat in Freital Menschen zum Asylheim und den Protesten befragt. Eine Passantin meinte, sie hätte Angst vor den Asylbewerbern. Daraufhin fragte der Journalist, ob ihr die Leute, die mit Böllern und Steinen werfen, nicht mehr Angst machen würden, woraufhin sie antwortete: Die tun ja den Deutschen nichts. Da musste ich sofort an die Nazizeit denken. Nach dem Motto „Die bringen ja nur die Juden um". Sehen Sie da Parallelen?
Genau, absolut. Die meisten Menschen wissen ja gar nicht, wer da untergebracht wird. Wir verlassen uns da auf Stereotype. Wenn wir bei dem Protest mitmachen, dann brauchen wir natürlich genau jene Stereotype, die unser Handeln als legitim erscheinen lassen. Das ist eine extreme Vorurteils- oder Rassismusfalle. In so einer Situation ist Angst nur noch ein Argument für die eigene Sache. Da werden ja auch Bilder hochgespült, das haben wir jedes Mal, wenn Flüchtlinge aus dem syrischen Raum kommen, da kommen uralte rassistische Meinungen hoch.

Sehen Sie eine Parallele zum Beginn des Nationalsozialismus?
Na ja, wir erkennen in der Forschung, zum Beispiel wenn Menschen aus dem arabischen Raum kommen, immer wieder die gleichen Bilder: Die bringen Krankheiten, die bringen Gefahr, …

… die vergewaltigen unsere Frauen.
… genau. Das sind uralte Stereotype, die kommen zum Teil aus dem Mittelalter. Im Grunde genommen steht man ja da vor dem Asylbewerberheim und protestiert auf der Grundlage eines Bildes, das überhaupt nicht der Realität entspricht. Das ist so vorurteilsbasiert, und das ist die große Gefahr. Denn wenn ich vorurteilsbasiert handele, sehe ich die Realität nicht mehr und das erzeugt die Angst. Die Angst entsteht also aus den eigenen Vorurteilen. Es gibt Webseiten, auf denen massiv falsche Informationen verbreitet werden. Jeden Tag von morgens bis abends werden dort Informationen darüber erfunden, wie gefährlich jetzt gerade die Islamisierung des Abendlandes ist, und wenn Sie daran glauben, dann handeln Sie auf der Grundlage ihres Glaubens. Das ist Fundamentalismus.

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Dieser Fundamentalismus ist auch sehr, sehr faktenresistent.
[Lacht] Der ist extrem faktenresistent. Es geht da nicht um Fakten. Angst zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie mit der Realität überhaupt nicht übereinstimmen muss.

Nach diesem Gespräch habe ich einen zweiten Experten zu Rate gezogen, Johannes Kiess. Kiess ist Soziologe und einer der Autoren der Studie „Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland", die seit 2002 alle zwei Jahre rechtsextreme Strömungen in der deutschen Bevölkerung untersucht. Ich hatte gehofft, Kiess könnte mir sagen, warum die Rechte in Deutschland seit jeher so stark ist. Am Ende sprachen wir dann aber doch mehr über die Unfähigkeit der Politik. „Die checken es einfach nicht", sagte Kiess über die sächsische Landespolitik und ich denke, damit trifft er den Nagel auf den Kopf.

„Das ist ein überheblicher Nationalismus, der von Dummheit und Unreflektiertheit befeuert wird!"

VICE: Hat das deutsche Volk einen Hang zur Fremdenfeindlichkeit?
Johannes Kiess: Schwierig zu sagen. Im Moment haben wir in Deutschland eine Situation, in der ein überheblicher Nationalismus um sich greift, der vor allem von Dummheit und Unreflektiertheit befeuert wird. Das resultiert aus einer starken Wirtschaft, der guten Krisenbewältigung, den Problemen, die es drumherum gibt und der gleichzeitigen Notwendigkeit, sich gegen die Risiken der Modernisierung abzusichern. Auch wenn die wirtschaftliche Lage im Moment in Deutschland gut ist, fühlen sich die Menschen von den Risiken um Deutschland herum und auch in der ganzen Welt bedroht. Dagegen wird dann das Selbst und die eigene Psyche geschützt und das geschieht eben häufig in der Überbewertung und Aufwertung der eigenen Nation.

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Sie beobachten vor allem steigenden Hass gegen Flüchtlinge, Sinti und Roma und Muslime. Wie erklärt es sich, dass ausgerechnet diese Gruppen so im Fokus Rechtsradikaler stehen?
Diese Gruppen stellen genau dafür eine Gefahr dar, was aktuell überhöht wird. Die angeblich „kriminellen" Sinti und Roma gelten als „Armutszuwanderer"—übrigens ein Begriff, den Horst Seehofer im bayrischen Wahlkampf geprägt hat. Die Asylsuchenden sind ebenfalls ganz offensichtlich eine „Bedrohung" für den Wohlstand in den Augen vieler Menschen, sie bringen quasi das Elend von außen ins Innere. Und die Muslime stellen diesem Weltbild zufolge eine Kultur dar, die schlicht und einfach als nicht kompatibel zu der deutschen angesehen wird.

Rostock, Lichtenhagen, 1992 | Foto: Imago / Rex Schober

Sind Sie überrascht von der Welle der Gewalt, die aktuell Deutschland überrollt?
Die Gewalt, die wir jetzt beobachten, die Anschläge auf Flüchtlingsheime, ist letztendlich nicht überraschend. Diese Angriffe steigen kontinuierlich seit 2013. Damals gab es schon die NPD-Kampagnen unter dem Motto „Nein zum Heim". Angefangen im sächsischen Schneeberg, aber auch in anderen Städten, gab es dann Demonstrationen und erste Auseinandersetzungen, auch körperliche Auseinandersetzungen um Flüchtlingsheime. Durch Pegida ist das nochmal massiv verstärkt worden. Dass die gewalttätigen Übergriffe in so einer Situation nicht ausbleiben, ist eigentlich vollkommen klar und absehbar. Das haben wir schon in den 90er Jahren gesehen. Insofern ist eigentlich leider nicht überraschend, was wir hier gerade erleben. Es ist natürlich trotzdem erschreckend.

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Aber es geht auch anders: Die Berliner Plattform Workeer vermittelt Jobs an Flüchtlinge

Sie finden das erschreckend, ich finde das ebenfalls erschreckend, in der Politik scheint das aber noch nicht so ganz angekommen zu sein. Sie haben vorhin Horst Seehofer schon erwähnt, es gibt viele Politiker, die sich eher auf die Seite der Rechten stellen. Eine Welle der Empörung angesichts der Angriffe auf Flüchtlinge findet in der deutschen Öffentlichkeit bisher nicht statt.
Ja, es gibt da offensichtlich in weiten Teilen der Politik Probleme, die richtige Antwort zu finden. Offensichtlich sind viele Politiker der Meinung, dass sie diese Ressentiments bis zu einem gewissen Grad bedienen müssen. Ein Seehofer übernimmt rechte Parolen direkt, Sigmar Gabriel schwächt das ein bisschen ab, indem er sagt, wir müssen die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Dabei gibt es Untersuchungen dazu, dass es strategisch nicht klug ist, rechtspopulistische Kampagnen aufzunehmen und zu befeuern. Davon profitieren am Ende nur die Rechtspopulisten, weil sie das Thema überhaupt erst eingebracht haben und als kompetent angesehen werden.

Es würde ja schon helfen, sich mal deutlicher zu positionieren und auch deutliche Aussagen angesichts Gewalt gegenüber Schwächeren zu treffen. Denn wenn die politische Führung sich nicht äußert, haben die Täter, die einen Brandsatz oder Steine auf Flüchtlingsunterkünfte werfen, eventuell das Gefühl, dass sie im Namen des Volks handeln.
Ja, das stimmt. Andererseits gab es zumindest auf Bundesebene halbwegs klare Statements, von Justizminister Maas, von der Kanzlerin in der Neujahrsansprache, etwa gegen Pegida. Aber sobald Sie auf die Landesebene gehen, zum Beispiel, wenn Sie sich die sächsische Landespolitik ansehen, da sitzen die Probleme ja sehr viel tiefer. Die Politikerinnen und Politiker dort verstehen das Problem gar nicht. Wenn man sich Tillich oder auch den Innenminister Ulbig ansieht. Die checken überhaupt nicht, was da abläuft. Diese Gewalt ist eben nicht irgendwie zufällig, das ist kein Ausdruck von besorgten Bürgern, dahinter stecken knallharte Neonazi-Strukturen. Das sind Kameradschaften, die in Teilen des ländlichen Raumes Terror und Angst und Schrecken verbreiten. Und zwar nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Teilen Westdeutschlands.

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Die Entwicklung vom Aussprechen von „Meinungen" oder vermeintlichen „Wahrheiten" zum Demonstrieren auf der Straße bis zu Übergriffen auf Flüchtlingsheime wirkt wie eine stetige Radikalisierung.
Ja, das ist wie ein Spirale. Wenn Sie erstmal eine Stimmung erzeugt haben, in der wirklich viele Leute denken, dass es zum Beispiel viel zu viele Flüchtlinge gibt, wenn man sich ansieht, welche Hetze, welche Formulierungen und welche Ausbrüche von Hass zum Teil unter Klarnamen im Netz stattfinden, wie die Leute dort völlig blind sind vor Hass, da wird schon eine Schwelle überschritten. Wenn ich im Internet schreibe „Die Flüchtlinge gehören alle vergast", das ist ja schon eine Tat. Dann habe ich den Boden von reiner Einstellung und Fremdenangst bereits verlassen. Von den hundert Leuten, die so etwas schreiben, sind zehn eventuell bereit, das auch in die Tat umzusetzen. Faktisch tun das dann vielleicht ein oder zwei, aber auf ganz Deutschland hochgerechnet, kommen Sie da ganz schnell auf die inzwischen mehr als 200 Anschläge nur in diesem Jahr.

Mein letzter Anruf gilt David Begrich. Er arbeitet für den Verein Miteinander e.V. in Magdeburg, der sich um Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt kümmert. Er hat sowohl engen Kontakt zu Flüchtlingen als auch zu ehrenamtlichen Helfern. Obwohl er—im Gegensatz zu Andreas Zick—bewusst nicht von rechtem Terror spricht, sieht er die gegenwärtige Situation mit größter Sorge. Ihm fehlt es vor allem an Anerkennung der Politik von der Arbeit ehrenamtlicher Helfer.

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„Das sind Leute, die nach Möglichkeiten suchen, ihrem Rassismus endlich Ausdruck zu verleihen."

VICE: Wie gefährlich ist die Situation etwa für Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren?
David Begrich: Das kommt auf die Region an. Wir haben Regionen, in denen es eine seit anderthalb Jahrzehnten verankerte neonazistische Szene gibt, die äußerst handlungsfähig und auch in der Lage ist, nicht nur ein rhetorisches, sondern auch ein tatsächliches Bedrohungspotenzial aufzubauen. Das wirkt sich auf ehrenamtliche Helfer aus. Da muss man sich nur die Angriffe auf ehrenamtliche Helfer des Deutschen Roten Kreuzes in Halberstadt oder Dresden ansehen. Das ist eine Entwicklung, die ich mit Sorge betrachte.

Würden Sie sagen, dass solche Angriffe, oder auch Anschläge auf Flüchtlingsheime, von rechten Gruppierungen geplant, abgesprochen und organisiert werden?
Das ist im Moment noch nicht erkennbar. Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation. Ich würde das so beschreiben, dass wir uns am Vorabend einer breiten rassistischen Kampagne befinden, die aus dem rechten Spektrum entsteht. Ich glaube nicht, dass man hier nach einzelnen Drahtziehern und Organisatoren suchen muss, das ist viel breiter. Es gibt da auf der einen Seite eine militant organisierte Neonazi-Szene und das breite Spektrum der rechtsextremen Jugendkultur und auf der anderen Seite Gelegenheitsstrukturen. Das sind Leute, die nach Möglichkeiten suchen, ihrem Rassismus und ihren Ressentiments endlich Ausdruck verleihen zu können. In Form von Gewaltstraftaten, aber auch und sehr viel stärker im Moment in Form von Propaganda-Delikten und Drohungen.

Wie kann man dieser Entwicklung stoppen? Man hat ja das Gefühl, dass jegliche Diskussion, die man führt, die Ansichten nur verschlimmert.
Na ja, da bedarf es natürlich einem Bündel von Maßnahmen. Für die Mehrheit der Gesellschaft spielt die Frage eine ganz entscheidende Rolle, wie die Politik reagiert, welche Zeichen sie setzt. Man könnte beispielsweise denjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, ein Zeichen der Unterstützung und der Solidarität zukommen lassen. So etwas hätte eine Signalwirkung. Damit wäre man vielleicht in der Lage, die Zunahme von rassistischen Gewalttaten gesellschaftlich zu ächten.

Ihnen fehlt also die Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit.
Die ist zumindest ausbaufähig. Ich glaube, die Politik sollte jetzt jedes Wort auf die Goldwaage legen, das im Kontext Asyl- und Flüchtlingsfragen gesagt wird. Denn natürlich muss alles vermieden werden, was sozusagen eine brandbeschleunigende Wirkung hat—im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Leute den Eindruck bekommen, Rassismus ist salonfähig oder Gewalt ist salonfähig, dann entfaltet das eine Wirkung.

Viele Äußerung aus der Politik verharmlosen die Situation. Da wird von Einzeltätern gesprochen, von Sorgen der Bürger, von Armutszuwanderung.
Ja das sind Versuche der Politik, rassistische Ressentiments zu begrenzen und sie einzufangen. Damit erreicht man allerdings genau das Gegenteil. Nämlich, dass solche Äußerungen das Feuer erst anfachen, das sie vorgeben zu löschen!

Sie sprechen viel mit Flüchtlingen. Inwiefern können die überhaupt diese Situation einschätzen?
Was wir mitbekommen, ist, dass Flüchtlinge, die hier herkommen, eine große Dankbarkeit empfinden, dass sie hier zunächst erstmal aufgenommen werden und sich hier in einer relativen Sicherheit befinden. All diejenigen, mit denen wir sprechen, sagen uns immer wieder, dass sie nicht gekommen sind, um dem deutschen Staat auf der Tasche zu liegen. Sie wollen sich hier engagieren, sie wollen arbeiten, eine Berufsausbildung machen und sie wollen schlicht und ergreifend ihr Lebensrecht wahrnehmen. Ich glaube, diesen Aspekt sollte man versuchen, ganz, ganz ernst zu nehmen.

Haben die Flüchtlinge, die Sie treffen, Angst vor Rechtsextremen, vor Anschlägen?
Natürlich bekommen Flüchtlinge mit, was in den Regionen los ist. Da hat die Gesellschaft auch einen Verantwortung, für Transparenz zu sorgen, Flüchtlingen zu sagen, wie die Stimmung vor Ort ist. Wenn es rassistische Vorfälle gegeben hat, darf man das nicht verschweigen. Auf der anderen Seite merken Flüchtlinge natürlich auch ganz genau, wie es aussieht, wenn sie Unterstützung finden. Das halte ich für einen wesentlichen Punkt, dass Leute merken, dass sie nicht alleingelassen werden.