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Die Proteste in Kairo und Schmerzen im Gesäß

Trotz aller Warnungen für Ausländer, nur nicht das Haus zu verlassen, musste ich in eine Apotheke, denn meine Schmerzen im Gesäß wurden langsam unerträglich.

Am Abend vor den Protesten in Kairo bekam ich eine Spritze in meinen Arsch. Die Gründe dafür möchte ich nicht nennen, doch am Morgen danach wachte ich mit grausamen Kopfschmerzen und Fieber auf. Als ich einen Blick von meiner Dachterrasse warf, sah ich Schwärme von Ägyptern mit der tunesische Flagge und Polizisten, die die Straßen füllten. Als hätten sie sich verabredet, rannten diese tausenden Menschen plötzlich gemeinsam los, an den Seiten viele, viele Polizisten. Ich kannte das Ziel dieses Aufmarschs, der Tharir-Platz in Downtown Kairo. Den heißen Tipp hatte ich von Freunden bekommen und nach einigen Telefonaten wusste ich, dass alle Hauptstraßen und Metrostationen gesperrt sind. Es war demnach unmöglich für mich in die Innenstadt zu kommen.

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Trotz aller Warnungen für Ausländer, nur nicht das Haus zu verlassen, musste ich in ein Apotheke,  denn meine Schmerzen  im Gesässs wurde langsam unerträglich. „Sie haben eine Spritze in den Arsch bekommen?“ fragte mich der Typ hinter der Ladentheke. Ich ging ein ein paar Sekunden in mich und antwortete, „na sicher.“ Die Geräusche der Prostestler draußen, drangen wie ein leichtes Gewehrfeuer zu uns herein. Ich realisierte das ich mich nicht besonders wohl fühlte, so halb nackt im Hinterzimmer einer Apotheke mit einem finsteren Mann der mit den Worten „sexy sexy Arsch“ näher kam. Ich glaube es machte keinen Unterschied ob ich hier in der Hölle saß oder draußen in Kessel der Unruhen.

Als ich die Apotheke verließ, rief mich ein ägyptischer Freund an und lud mich auf eine Tasse Kaffee Downtown ein. Mit meinem Arsch betäubt von Schmerzmitteln sagte ich zu. Wenn gefährliche Situationen auf mich warten, nehme ich immer meinen Hund mit. In Kairo gibt es zwei Brücken, die zur Überquerung des Nils dienen. Als ich die erste betreten wollte, zeigten sich mir an die 100 Polizisten die dabei waren, Ausweise zu kontrollieren. Ich nahm mein Hund auf den Arm und entfernte meinen Presseausweis, den er als Halsband trug. „Guck ganz niedlich“ flüsterte ich ihm zu.

Der Beamte, der mich zuerst sah, beäugte mich verdächtig und fragte „Wohin gehen sie?“ Meine freundlich, knappe Antwort „Nur ein Spaziergang mit meinem Hund.“ Er drehte sich zu den anderen Soldaten um „Hiyya aizia meshy bi kelb!" Alle fingen an laut zu lachen und ich durfte mit meinem Hund passieren, während die anderen mit samt ihren Ausweisen wieder weggeschickt wurden.

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Das erste was ich in der Innenstadt hörte, waren die Schüsse vor dem KFC. Dort versammelten sich 50 oder mehr Protestler und mehr als 100 Schaulustige. Ich überquerte die Straße und entdeckte weitere 20 oder 30 Menschen, die gerade von der Polizei abtransportiert wurden. Über den gesamten Platz brüllten die Demonstranten, die auf allen Seiten umringt von Polizisten waren, die stark in der Überzahl waren. Die Frau neben mir, die offensichtlich journalistische Fotos machte fragte mich „Warum um alles in der Welt bringst du einen Hund mit auf eine Demonstration?“ „Ich weiß nicht, er war neugierig.“

Als es offensichtlich wurde, das die Unruhen jetzt richtig los gehen, beschloss ich zu gehen, um einen Tee mit meinem Lieblingsmenschen in Wes El Balad zu trinken, einer ägyptischen Familie, die eine Parfümerie in der Straße haben, in der ich wohne. Auf dem Weg zu El Bustan, rannten wieder allen an mir vorbei, also nahm ich meinen Hund in den Arm und rannte eine Runde mit. Der Typ neben mir hieß Ali und auch er hatte keine Ahnung warum wir eigentlich rennen. Über das Geschrei hinweg fragte er „kann ich deine Telefonnummer haben?“ „Ich habe kein Telefon“ zu antworten, war das einzig sinnvolle.

Endlich in der Parfümerie angekommen, war ich komplett durchgeschwitzt. „Was zum Teufel tust du hier?“ „Natürlich euch besuchen“ antwortete ich. „Was ist mit all den Protesten auf der Straße?“ fragte ich, mich nach einer Antwort sehnend. „Ach du weißt doch, zu viel Regierung, aber es wird bald vorbei sein.“ erklärte einer der Söhne, Ahmed.

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„Das ist Blödsinn“ sagte Mohammad. „Seid den Unruhen kommen keine Touristen mehr her. Wir mussten den Shop gestern früher schließen und heute wahrscheinlich auch. Es ist sehr schlecht fürs Geschäft.“ Niemand gibt irgendeinen Scheiß auf den Protest und alle sehnen sich nach dem Ende. Der Laden ist nur zwei Minuten vom Tahrir Platz entfernt, doch keiner will sich an den Demonstrationen beteiligen.

Obwohl ich natürlich die Situation der ägyptischen Bevölkerung nicht runterspielen möchte, ist es manchmal schwer die wirkliche Notwendigkeit dieser politischen Aufstände zu finden. Die Proteste am Dienstag wurden von der Muslim-Bruderschaft mit organisiert (eine Oppositionsgruppe, die nach der Scharia lebt, was eigentlich verboten ist, aber von der Regierung geduldet wird) in Reaktionen auf die verdächtigen Parlamentswahlen im November, in denen Hosni Mubaraks regierende Nationaldemokratische Partei 209, die Oppositionsparteien fünf, und die Muslim-Bruderschaft keine Sitze bekam.

Der Aufstand in Tunesien war also der Katalysator für die Proteste von Dienstag. Viele muslimischen Länder sehen Ägypten als nächstes fallen. Viele Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, Arbeitslosigkeit und Inflation sind weiterhin ein Problem, und das Mubarak-Regime ist für seine autoritäre Herrschaft und Anwendung von Folter und Zensur der Medien bekannt. Das heißt, man kann die aktuelle Situation nicht unbedingt nur religiöser Spannung zuschreiben. Der Bombenanschlag auf die Kirche in Alexandria am Neujahrstag, hat viele Ägypter wirklich angepisst. Viele Menschen mit denen ich über den Vorfall gesprochen habe, meinten die Bombe könnte unmöglich das Werk von Ägyptern sein, auch wenn sie noch so Hardcore islamistisch sind. „Mein Volk wird euch betrügen, doch wenn ihr Hilfe braucht, werdet ihr sie bekommen,“ sagte mein ägyptischer Ex-Freund täglich. Das mag vielleicht etwas sentimental klingen, doch nach dem Anschlag haben sich alle vor der Kirche versammelt.

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Unabhängig von dem Fakt, dass Ägypten so wirkt, als stände es kurz vor der Revolution, so sind sich doch die meisten  Ägypter  nicht sicher, ob solche Aktionen wirklich die Regierung stürzen werden. Viele Ägypter in meinem Alter haben viel Zeit unter der Regierung von Mubarak verbracht. Ich kenne keinen einzigen, der wirklich im November zur Wahl gegangen ist. Niemand glaubt daran, dass sich wirklich etwas ändert, also warum jetzt? In Tunesien haben sich Polizei und Rebellen verbündet. Die Menschen in Ägypten glauben, dass die Polizei immer hinter Mubarak stehen wird. Obwohl die meisten  von ihnen auch zwischen 18 und 25 Jahren alt sind und ein beschissenes Gehalt kassieren.

Das einzige was dieses Gefühl der Selbstzufriedenheit verändert hat, sind die Berichte über Menschen die sich in Brand setzten, um ihre Unzufriedenheit mit der Regierung zu zeigen. Momentan bezweifeln viele, ob überhaupt noch ein Bruchteil der 75.000 angemeldeten Teilnehmer bei Facebook zum Protest auftauchen würde. Ich glaube jeder war ein wenig überrascht, was die Wahlbeteiligung angehst. Am Tahrir-Platz, verharrten tausende Menschen bis in die frühen Morgenstunden. Die Polizei versuchte alles, um sie da weg zu bekommen. Tränengas, Gummiknüppel usw. Hunderte wurden festgenommen und vier als tot gemeldet.

Nur einen kurzen Weg von der Gewalt entfernt, bekam ich einen Anruf von meinem Freund. Josh erzählte mir, dass die ägyptische Regierung Facebook lahm gelegt hat und das unser Freund Mohammed im Gefängnis gelandet ist. „Was ist passiert?“, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort schon vorstellen konnte.

„Er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Es war verrückt, wo warst du?“

„Ich habe eine Spritze in meinen Arsch bekommen,“ erklärte ich mein Fernbleiben.

„Ah Ok, wir sehen uns zum Essen heute Abend?“

„Klar!“