Wiener Originale: Der Pharao
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Wiener Originale

Wiener Originale: Der Pharao

Ein Interview, irgendwo zwischen sehr klugen Aussagen und komplett betrunkenem Irrsinn, bei dem ich nie ganz sicher war, was ich glauben sollte und was nicht.

Es gibt ein paar Menschen, denen du als Wiener früher oder später mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über den Weg laufen wirst. Bei Stevenson Anthony Maw (falls er tatsächlich so heißt), besser bekannt als der Pharao, stehen die Chancen aber besonders hoch, dass dir diese Begegnung auch in Erinnerung bleiben wird.

Ein sudanesischer Mann mit Dreadlocks, einem Anzug voller Abzeichen, roter Krawatte und einem Bundesheer-Barett am Kopf fällt eben auf—vor allem, wenn er mit einer Doppler-Flasche Wein, einem Megaphon und der Stimme eines betrunkenen Seeräubers ausgestattet lauthals auf sich aufmerksam macht.

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Aber der Pharao ist dann doch etwas mehr als ein stadtbekannter Trunkenbold, der ein bisschen loco zu sein scheint. Er ist auch mindestens so etwas ähnliches wie ein Aktivist. Man sieht ihn häufig auf Demonstrationen und Kundgebungen. Sich für Minderheiten und gegen soziale Ungerechtigkeit einzusetzen, scheint ihm ein großes Anliegen zu sein.

Nicht zuletzt ist der Mann seiner Aussage nach der „Präsident des Vereines Afrikanische Minderheit in Österreich". Außerdem gibt es wenige Leute, über die ich in dieser Stadt mehr Gerüchte gehört habe. So soll er wahlweise früher einmal hochrangiger Diplomat gewesen sein und/oder über zwei Doktorate verfügen. In einem etwas älteren Profil-Artikel wird er tatsächlich als Rechtsanwalt zitiert.

Die Entscheidung, ein Interview mit dem Pharao zu führen, habe ich getroffen, nachdem ich einen Flyer seines Vereines in die Hände bekam. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass es sich um den konfusesten Flyer handelt, den ich je in meinem Leben gesehen habe. Nehmt euch kurz die Zeit und studiert dieses Flugblatt. Jedes einzelne Element daran ist im höchsten Maße verwirrend.

Ich habe diesen Flyer sehr oft und sehr lange studiert, und ich habe mir dabei mehr und mehr Fragen gestellt. Was hat dieser Mann eigentlich mit dem österreichischen Jagdkommando zu tun? Was ist eine Tutjiengamun-ZVR-Zahl? Warum zur Hölle ist eine Landkarte von Israel auf diesem Flyer abgebildet? Und heißt der Pharao mit vollem Namen tatsächlich DDr. Stevenson Anthony Maw King Pharao Maw Pharao Maw Ton Aita Angog Maw Madir Tudijan Janga Denalig Den Malaw Janga Moir Jann Njalik Pinmon Tutjeng?

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Ich wollte ihn all das persönlich fragen. Also versuchte ich, ihn über die Mailadressen und Telefonnummern, die auf dem Flyer standen, zu erreichen. Eine der beiden Nummern landete in der Mobilbox, die andere Nummer war erst gar nicht vergeben. Auf eine Antwort per Mail wollte ich mich schon gar nicht verlassen. Also ging ich raus und machte mich auf die Suche nach dem Pharao. Selbst wenn man weiß, wo er sich meistens aufhält, ist es in einer Großstadt dann aber doch gar nicht so leicht, ihn auf gut Glück zu finden. Es dauerte ein paar Tage, bis ich ihm endlich—zufällig—über den Weg lief. Er saß abends in Gesellschaft einer Gruppe von etwa 10 jungen Leuten in einem Liegestuhl im Votivpark, trank Wein und brüllte Dinge, die ihm gerade einfielen, durch sein Megaphon.

Ich fragte ihn, ob er Lust hätte, sich in den nächsten Tagen für ein Interview zu treffen. Er meinte, er würde das natürlich sehr gerne machen. Aber möglichst bald, weil er nach London fliegen müsse—er habe dort einen Interview-Termin mit der BBC. Wir machten aus, uns am nächsten Tag um 14:00 Uhr genau am selben Platz wieder zu treffen. Er notierte sich meine Telefonnummer auf einer x-beliebigen Seite einer Gratis-Tageszeitung und steckte sie in seine Tasche.

Am nächsten Tag fuhr ich wieder in den Votivpark. Aber der Pharao tauchte nie auf. Das war im April. Wochenlang hoffte ich, ihm mal wieder zufällig über den Weg zu laufen, hatte aber kein Glück. Doch im September, fünf Monate nach meinem Votivpark-Treffen, ruft mich eine Nummer, die ich nicht kenne, auf meinem Handy an. „Hey Junge, wie geht's dir? Ich bins, der Pharao. Lang nix gehört!" Die nächsten 15 Minuten erzählt er mir in einem Monolog ungefähr alles, was in den letzten Monaten so bei ihm passiert ist, lacht sich dabei selbst stellenweise fast zu Tode (ich mich auch), und meint, wir sollten unser Interview bald mal machen. Kaum überraschend dauert es aber wieder Wochen, bis ich ihn wirklich treffe. Wieder zufällig, morgens, auf dem Weg in unser Büro. Er sitzt um 9:00 Uhr vormittags am Karlsplatz, neben ihm seine Aktentasche und ein Tetrapack Weißwein, das schon zu einem guten Teil geleert scheint. Ich spreche ihn wieder auf das Interview an.

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Er meint zwar, dass er sobald als möglich Richtung Niederösterreich aufbrechen müsste, weil er dabei sei, den verdächtigen Toden zweier Afrikaner nachzugehen. Für ein Interview habe er aber noch Zeit—Ein Interview, irgendwo zwischen sehr klugen Aussagen und komplett betrunkenem Irrsinn, bei dem ich nie ganz sicher war, was ich glauben soll und was nicht. Ein großer Teil der Aussagen des Pharaos ließ sich im Nachhinein jedenfalls nicht bestätigen und sollte eher als Fiktion angesehen werden.

VICE: Ich habe ziemlich viele Fragen. Bist du ein richtiger Pharao?
Pharao: Sicher! Ich stamme aus der 450.000 Jahre alten Familie Turidjan Amun aus dem Sudan—die Herrscher des Nils. Wir sind der Stamm der Pharaonen. Wir haben damals die Pyramiden gebaut. Viele Leute haben ja gar keine Ahnung, die müssen erst einmal lesen. Das ist eine Ur-Kultur, und wir haben damals keine Gesetze gegeben, die über Rasse oder Hautfarbe geurteilt haben. In den Hieroglyphen steht das nicht drinnen, da steht nur: Menschenwürde, Südpol bis Nordpol.
Die wussten damals auch: So etwas wie Kolonialismus und Sklaverei, das kann man nicht machen. Und die ursprünglichen Einwohner dort hatten auch bessere Nahrung. Weniger Fleisch, dafür Gemüse, Erdnüsse, Ananas, Papaya, Mango. Seit wann lebst du eigentlich in Wien?
Ich bin 1982 gekommen. Es war damals Krieg im Sudan und es war sehr schwierig. Konflikte zwischen Fundamentalisten, Christen und anderen Gruppen. Ein kompliziertes Land. Wie war es, aus dem Sudan direkt hierher zu kommen?
(Pharao lacht jetzt.) Die Menschen sind weggelaufen von mir! Wenn ich sagte: „Guten Tag!", sind sie losgelaufen! In Linz, Bad Ischl, Vorarlberg, Tirol, Steiermark. Weil sie keine Afrikaner kannten?
(Jetzt lacht er noch heftiger.) Ja! Ja, ja ja. Und es gab ein Freibad in Oberösterreich. Ich ging dort baden, stieg aus dem Wasser, und alle sind weggelaufen. Alle! Keine Ahnung warum (er lacht mittlerweile so heftig, dass er fast nicht mehr reden kann)! Schwierige Phase war das damals. Weil die Leute keine Afrikaner kannten. Jetzt ist es in Österreich viel besser. Jeder kennt Afrika. Männer, Frauen und Kinder haben gelernt: Ananas, Mango, Papaya und Ananas und Banana kommen aus Afrika. Ich hab mich ein bisschen mit deinen Anliegen beschäftigt. Du bist ja auch der Präsident des Vereines Afrikanische Minderheit in Österreich.
Dr. Bruno Kreisky war ein guter Bundeskanzler. Er hat mir auch den Vorschlag gegeben: Gründe deinen eigenen Verein. Du hast Bruno Kreisky getroffen?
Ja, persönlich! 1988 war das, in der Josefstadt. Wir haben über alles geredet. Ich glaub, die haben dort ein Interview gemacht, was weiß ich. Er hat mit mir geredet. Er hat gute Sachen geredet. Er war ein guter Mann, locker. Wir haben Käsekrainer gegessen. Helmut Zilk war auch da, der damalige Bürgermeister von Wien—Häupl war damals ja noch nicht Bürgermeister. Er war auch mit uns unterwegs, aber er ist immer ruhig geblieben. Er hat aber auch Würstl gegessen. Lange Geschichte.

Ich habe ziemlich viele Dinge über dich gehört, und ich weiß nicht, was ich glauben soll, und was nicht. Stimmt es, dass du zwei Doktortitel hast?
Ja, ich habe an der Universität von Alexandria Politikwissenschaften studiert. Dort gibt es die größte Bibliothek der Welt. Und ich bin Jurist. Menschenrechte. Das habe ich in Kairo studiert. Das heißt, du hast auch in Ägypten gelebt?
Genau, auf Befehl von meinem Vater. Vater sagte: „Mach das!" Ich so: „OK Papa, ich mach das." (Er beginnt wieder lauthals zu lachen.) Ich wollt das gar nicht, aber er hat gesagt: „Mach den Scheiß!" Politikwissenschaft und später Jus. Ich hab auch in Wien studiert. Aber irgendwann hat mich das alles nicht mehr interessiert. Immer mach dies, mach das. Zu viel ist zu viel! Ich wollte ein bisserl Spaß haben! Ich hab irgendwann diesen Flyer von dir in Hand bekommen, und ich hab ihn einfach nicht kapiert. Warum ist darauf zum Beispiel Israel eingezeichnet?
Na weil meine Mutter aus Israel kommt. Eine Jüderin, eine schwarze Jüderin. Und was hast du mit dem österreichischen Jagdkommando zu tun?
Als ich jung war und keinen Job hatte, haben sie zu mir gesagt: Du musst zur Militärakademie gehen. Also war ich dort, in Wiener Neustadt, und dann in Tirol. Da haben sie gesagt: „Bist kein Tiroler, bist kein Mensch! Tiroool! Tiroool!"
Ich war in den Bergen oben, mit 50 Kilo Gepäck am Rücken und einer STG 77. Da oben ist eine andere Welt. Aber 1991 hab ich gesagt: Ich will nicht mehr. Die Militärakademie war sehr sauer auf mich. Sie sagten: „Junge, bleib bei uns." Ich sagte: „Hey, interessiert mich nicht. Ich will meinen Kopf frei für andere Sachen haben, die auf der Welt passieren." Das war der Grund. Ich hatte keine Ahnung, warum ich schwarz bin, und andere hell, und der eine blond und der andere braunhaarig. Mit solchen Sachen war mein Kopf beschäftigt. Du scheinst viel Energie darin zu stecken, dich für Minderheiten einzusetzen. Was ist dein größtes Anliegen?
Mein Hauptanliegen ist menschliche Würde. Von Südpol bis Nordpol. Aborigines in Australien, die haben auch Rechte. Menschen in Papua-Neuguinea, die haben auch Rechte. Maoris in Neuseeland. Amazonas, Südamerika, Naturreligionen, die haben auch eigene Rechte. Viele Indianer sind tot, aber die, die noch leben, haben auch eigene Rechte. Ich bin nur für menschliche Würde.
Auch viele Afrikaner verstehen das nicht. Die meisten Afrikaner verstehen nur Waffen. Und ich sage: Nein, nicht schießen. Erst reden. Manche afrikanischen Länder haben das schon verstanden: Die Elfenbeinküste, Burkina Faso, Kenia, Uganda. Verständigung und menschliche Würde. Auch im Sudan wird es ganz langsam besser, die Stämme lernen langsam zusammenzuleben, vor allem die jungen Generationen. Die älteren Leute verstehen dafür die Kultur. Ich bin dagegen, Menschen umzubringen. Ich bin Idealist. Mich interessieren nur Liebe und Gerechtigkeit.

Kannst du dir vorstellen, noch einmal wo anders zu leben, als in Wien?
Ja, ich möchte einmal nach Skandinavien fahren. Ich möchte das kalte Wetter kennenlernen, die Kultur, die Geschichte, wie die Menschen dort leben. Das fasziniert mich.

Tori auf Twitter: @TorisNest