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Ich bin frisch verlobt und lehne die Heiratsstrafe-Initiative trotzdem ab

Meine Liebe ist nicht mehr wert als die meines besten, schwulen Freundes. Liebe kennt kein Geschlecht. Liebe ist Liebe. Menschen sind Menschen.
Foto von Guillaume Paumie

Am 28. Februar stimmen die Schweizer Stimmbürger unter anderem darüber ab, ob die sogenannte „Heiratsstrafe" abgeschafft werden soll oder nicht. Was dem Namen dieser Initiative nicht anzusehen ist, ist die systematische Verhinderung der Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen. Die Initiative will eine Ehedefinition in die Verfassung aufnehmen, die die gleichgeschlechtliche Ehe ausschliesst.

Erst drei Wochen ist es her, seit mir mein Freund einen Heiratsantrag gemacht hat. Ich habe Ja gesagt. Ja zu ihm, Ja zu uns und Ja zu einem gemeinsamen Leben. Unsere Verlobung hat in meinem Freundeskreis für einigen Wirbel gesorgt. Man heiratet nicht mehr einfach so. Vorher wird man alt. Vorher backpackt man einmal um die Welt und konzentriert sich auf die ständig so hochgepriesene Selbstverwirklichung. Alles andere—vor allem die Ehe—ist in diesem Sinn ziemlich anti-progressiv. Impliziert wird ständig, dass man mit der Ehe auch die eigene Freiheit zu Grabe trägt.

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Für mich ist selbstbestimmte Selbstverwirklichung Lebensziel: Ich möchte mir von niemandem vorschreiben lassen, wann ich heiraten darf, nur um zu vermeiden, dass ich als konservativ und rückschrittlich abgestempelt werde. Ich vertrete nach wie vor meine Meinung, werde auch nach der Hochzeit meinen Laptop nicht gegen eine Kochschürze eintauschen und engagiere mich für fortschreitende Gleichstellung von Frau und Mann. Ich habe den Antrag aus dem für mich einzig legitimen Grund angenommen. Aus Liebe.

Foto: Tim Kossow | Flickr | CC BY 2.0

Die Verlobung hat ganz schön nervige Nebenwirkungen mit sich gebracht. Dazu gehört neben der Schubladisierung als Hausfrau auch der drohende Steuernachteil, den die Hochzeit mit sich bringen wird. Natürlich ist es ziemlich unangenehm, gemeinsam mehr Geld abdrücken zu müssen, bloss weil man sich entschieden hat, Wohnung, Essen und den Nachnamen zu teilen. Mehr Geld zu bezahlen nervt immer, aber weniger zu bezahlen ist halt auch nicht jeden Preis wert.

Finanziell ist eine Hochzeit eigentlich eine total hirnrissige Idee. Vor allem wenn es um das Ausrichten des eigentlichen Heirats-Fests geht. Je mehr Leute wir zur Hochzeit einladen, desto teurer wird der ganze Spass. Und trotzdem will ich die Menschen dabei haben, die ich liebe. Ich werde meinen besten Freund bitten, am Fest zu singen. Er hat eine aussergewöhnliche Bass-Stimme.

Foto: Dirk Olberz | Flickr | CC BY 2.0

Als ich 20 war, habe ich ein Semester in den USA verbracht. Via Skype hat er mir damals auf dem Klavier vorgespielt und seine neuesten Lieder vorgetragen. Er vertrieb mein Heimweh und ist für mich ein Stück Wahlfamilie. Obwohl er ein Mensch ist wie ich, gelten für ihn nicht dieselben Regeln wie für mich. Weil er Männer liebt.

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Mich macht es traurig, dass wir im Jahr 2016 noch darüber diskutieren müssen, ob Liebe unterschiedlich gewichtet werden darf. Ich heirate nicht aus Traditionsbewusstsein, nicht wegen einem Baby, das unterwegs ist und auch nicht, weil meine Eltern seit der Verlobung ruhiger schlafen könnten. Ich bin nicht religiös. Mein Motiv ist Liebe. Und die Grundvoraussetzung ist meine Selbstbestimmung. Zwei universell verständliche und in der heutigen Welt weitestgehend akzeptierte Ideale.

Wieso gelten also nicht dieselben Regeln für alle hier lebenden Menschen? Die Schweiz ist immer noch der Meinung, dass mein schwuler bester Freund seinen Zivilstand nicht selbst bestimmen darf. Und das in einem Land, in dem die Rechte des Einzelnen traditionellerweise einen hohen Stellenwert haben. Nicht die Ehe ist altmodisch, sondern der juristische Umgang mit ihr. Insbesondere wenn sie gemäss der CVP-Initiative definiert werden sollte. Die CVP sollte begreifen, dass die ihr so wichtige Institution „Ehe" sich selber abschafft, wenn sie weiterhin so konservativ konnotiert bleibt. Die Ehe braucht Innovation.

Am 28. Februar könnte möglicher Fortschritt für diese Form von Lebensgemeinschaft mit einer einzigen Abstimmung zunichte gemacht werden. Die Annahme der CVP-Initiative würde die Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung festlegen: „Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau". Somit erreicht die christlich-demokratische Volkspartei bei einem Ja nicht nur die Abschaffung der clever formulierten „Heiratsstrafe", sondern über eine Hintertür ein Heiratsverbot für alle Schwulen, Lesben, Bisexuellen und transgender Menschen. Ein Eheverbot für alle, die nicht in ein christlich konservatives Weltbild passen.

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Foto: Guillaume Paumier | Flickr | CC BY 2.0

Ich finde es beängstigend und falsch, dass in unserer Demokratie, mit der wir uns so gerne brüsten, Minderheiten noch immer benachteiligt werden. Man muss sich das mal vorstellen: Die Rechte der Schwulen, Lesben und nicht heterogepolten Menschen werden bewusst eingeschränkt, damit 80.000 Paare in der Schweiz weniger Steuern zahlen müssen. Die CVP-Initiative ist ein trojanisches Pferd: Die bestehende Heiratsstrafe ist ein Unding. Aber die CVP-Initiative lockt mit finanziellen Mitteln, um feige die Rechte einer schon benachteiligten Minderheit einzuschränken, ohne diesen Aspekt breit zu kommunizieren.

Aus egoistischen Gründen könnte ich mich entscheiden, die Initiative anzunehmen und Geld zu sparen. Damit schlage ich meinem besten Freund aber ebendiese Türe vor der Nase zu, die ich für mich gerade geöffnet habe. Ehe für mich, ohne Steuernachteil. Liebe ohne Möglichkeit auf Ehe für meinen besten Freund. Diese Initiative ist durch und durch teuflisch.

Wenn es dann soweit ist, soll meine Hochzeit ein Fest der Liebe werden. Ich werde meinen besten Freund einladen, er wird singen und sich hoffentlich inspirieren lassen können für seine eigene Hochzeits-Party. Dafür muss diese unehrliche Initiative allerdings erst scheitern.

Nadja nimmt Liebe auf Twitter entgegen: @NadjaBrenn

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Titelfoto: Guillaume Paumie | Flickr | CC BY 2.0