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Kann Polyamorie die Institution der Ehe retten?

Wenn es nach dem Gründer von Websites wie SeekingArrangement.com oder OpenMinded.com geht, dann ja.

Foto: Wikimedia Commons | Public Domain

Brandon Wade ist ein 44 Jahre alter MIT-Absolvent mit Brille und zurückgehendem Haaransatz. Wenn man sich einen Unternehmer im Bereich der Liebesbeziehungen vorstellt, dann schießt einem garantiert nicht zuerst sein Bild in den Kopf. Allerdings hat der ehemalige Software-Entwickler Websites wie WhatsYourPrice.com (dort können Männer auf ein erstes Date bieten), CarrotDating.com (dort schaffen Männer „Anreize" für Verabredungen) oder den ersten Sugar-Daddy-Treffpunkt SeekingArrangement.com ins Leben gerufen. Mit seinem neuesten Projekt OpenMinded.com versucht Wade jetzt, das wachsende Interesse an Polyamorie auszunutzen.

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Bei Polyamorie handelt es sich um eine Beziehung zwischen mehreren Leuten bzw. Pärchen. Von Fremdgehen kann nicht die Rede sein, weil jede beteiligte Person Bescheid weiß. Als normale offene Beziehung kann das Ganze allerdings auch nicht bezeichnet werden, da bei allen Involvierten Gefühle vorhanden sind. Brandon fiel dieser kulturelle Umschwung auf und er machte ihn sich zu Nutzen, indem er eine Website online stellte, wo sich treue, aber dennoch experimentierfreudige Pärchen kennenlernen können. Obwohl sich offene Beziehungen ohne Schuldgefühle erstmal ziemlich gut anhören, betont Wade auch schnell, dass die Erfüllung dieser intimen Wünsche einem eigentlich mehr Arbeit und Kommunikation abverlangt als die Beziehung mit nur einer einzigen Person. Wir haben uns mit dem Unternehmer unterhalten, um mehr über die ganze Sache herauszufinden.

Wade im Jahr 1989, als er noch ein MIT-Student war

VICE: Hey Brandon. Bist du verheiratet?
Brandon: Das bin ich. Meine Frau und ich haben uns vor drei Jahren das Ja-Wort gegeben und wir reden ganz offen darüber, in welche Richtung sich unsere Ehe eines Tages entwickeln wird. Wir sind zwar noch monogam, aber uns ist auch klar, dass sich das Ganze wohl irgendwann zu monoton anfühlen wird. Dann beziehen wir womöglich auch noch andere Leute mit ein.

Wie schafft man es, eine Beziehung zu führen, bei der man davon ausgeht, dass sie eines Tages wohl sowieso ziemlich beschissen sein wird?
Es ist wichtig, die Dinge auf eine intellektuellere Art und Weise anzugehen. Wenn man anfängt, auf einem solchen Level zu rationalisieren, dann wird man Eifersuchtsgefühle, Egoismus und die auf eine Person beschränkte Liebe schnell als selbstsüchtig ansehen. Man öffnet sich der Vorstellung, mehr als nur eine Art von Menschen lieben zu können—und dass das nichts Verwerfliches ist. Ich betrachte Beziehungen nicht nur aus einer strikt emotionalen Perspektive, sondern auch mit einer intellektuellen Denkweise.

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Wade und seine Frau, mit der er (noch) monogam lebt

Aber wie rationalisiert man Eifersucht?
Das ist der kniffligste Teil der Polyamorie, denn es gibt viele Faktoren, die Eifersucht begünstigen—der größte ist dabei die Angst davor, jemanden zu verlieren oder für eine andere Person sitzengelassen zu werden. Man muss sich nicht nur mit dem Partner oder der Partnerin sicher fühlen, sondern auch mit sich selbst. Eifersuchtsgefühle sind das Resultat von Verunsicherung.

Nehmen wir mal an, du kommst heute Abend nach Hause und deine Frau meint zu dir, dass sie mit deinem besten Freund schlafen will. Das wäre für dich dann vollkommen OK, weil du viel Selbstvertrauen hast?
Nun ja, in unserem Fall würden wir ein solches Thema offen bereden. Dabei würde mir klarwerden, dass sie vielleicht unglücklich oder gelangweilt ist, worüber wir aber wahrscheinlich vorher schon einmal diskutiert hätten. Also wäre ich wohl gar nicht so überrascht. Ihre Beweggründe würden mich natürlich trotzdem interessieren. Außerdem müssten wir für die Herangehensweise an und für die Lösung von ihren und meinen Problemen eine Art Konsens finden. Vielleicht liegt die Krux in meiner Verunsicherung, wenn ich eifersüchtig bin, weil sie mit meinem besten Freund schlafen will.

Munchies: Dein Beziehungsstress kann durch Essen beendet werden

Was genau meinst du mit Konsens?
Die Privatsphäre könnte vielleicht für Spannungen sorgen. Es mag vielleicht ganz unschuldig erscheinen, aber der anderen Person ist das unter Umständen peinlich. Außerdem muss man unbedingt über das Thema Safe Sex reden. Natürlich ist es ebenfalls unabdingbar, die Gefühlslage nach dem sexuellen Akt zu besprechen, denn die Frage ist doch: Gibt man hier nur seinen körperlichen Bedürfnissen nach, oder ist man doch mehr auf der Suche nach einer emotionalen Verbindung?

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Offene Beziehungen sind wahrlich nicht einfach. Die Leute denken sich immer so Sachen wie „Mann, diese Hippies springen ja quasi vom einen Bett ins andere", aber eigentlich stecken da eine Menge Kommunikation und viele emotionale Überlegungen dahinter. Bevor man erfolgreiche eine offene Beziehung führen kann, muss man sich mental darauf vorbereiten. Man besinnt sich auf die Grundlage der brutalen Ehrlichkeit: reden, reden, reden!

Wie unterschiedet sich das Ganze von einer einvernehmlichen „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß"-Beziehung?
So etwas bezeichnen wir als eine quasi-monogame Beziehung: Man gibt sich gegenseitig die Erlaubnis, mit anderen Leute auszugehen und zu schlafen. Allerdings ist nicht jede involvierte Person auch wirklich ein Teil der Beziehung, also ist die nicht polyamorisch. Das Ganze hat sich tatsächlich zu einem Trend entwickelt. Meiner Meinung nach ist das eine sehr moderne Herangehensweise an das Problem der Monotonie, die eintritt, wenn man eine gewisse Zeit lang nur mit einer Person zusammen ist. Eine quasi-monogame Beziehung ist dafür ein möglicher Lösungsansatz.

Ward bei einer Veranstaltung für seine Dating-Websites

Also ist Polyamorie so einzigartig, weil es mehr darum geht, eine Art Gemeinschaft aufzubauen, anstatt einfach nur für sich selbst mehrere Beziehungen zu führen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass eine solche Vernetzung viele Probleme mit sich bringt.
Nun, dann findest du es vielleicht auch interessant, dass ich mit meiner Rechtsabteilung gerade an einer Vereinbarung arbeite, die vor einer Beziehung unterschrieben wird. Das Ganze ist quasi vergleichbar mit einem Ehevertrag und wird hoffentlich bis Ende des Jahres veröffentlicht. Wenn man dann eine Beziehung eingeht, kann man vorher mit dem Partner oder der Partnerin über die Bedingungen reden und hat das Ganze schwarz auf weiß. So laufen die Dinge im Falle einer Trennung dann gut organisiert und ohne Stress ab.

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Wie genau macht dieser Vertrag die ganze Sache weniger kompliziert?
Betrachte es doch mal so: Wenn heutzutage zwei Menschen zusammen sind, dann teilen sie sich viele Dinge. Ich rede jetzt nicht nur von finanziellen Angelegenheiten oder Haustieren, sondern auch von Fotos, Liebesbriefen und so weiter. All das kann im Falle einer Trennung missbräuchlich verwendet werden. Hier ein Beispiel: Deine Ex-Freundin ist sauer auf dich und postet deswegen irgendwelche alten Nacktbilder von dir bei Instagram. Und schon wurde deine Privatsphäre verletzt.

Es ist wirklich das Beste, solche Dinge vorher zu bereden und schriftlich festzuhalten, bevor man emotional gesehen zu sehr in der Beziehung drin steckt.

Willst du damit letztendlich sagen, dass das traditionelle Ehe-Modell nicht mehr funktioniert?
Wenn man sich mal die Geschichte der Ehe anschaut, dann erkennt man schnell, dass dieses Konzept damals auch wegen des Fortbestehens der Menschheit zustande kam. Das Leben war hart und es war wichtig, eine Familie zu gründen. Heutzutage ist das jedoch anders. Männer und Frauen sind eigenständig geworden und wir können auch ohne „einander" überleben.

Das Ehe-Modell ist jetzt kein unabdingbarer Teil des menschlichen Überlebens mehr. In der heutigen Gesellschaft ist diese Institution für unsere Existenz nicht mehr zwingend notwendig.

Wird die quasi-monogame Beziehung diesen Platz einnehmen?
Es gibt Menschen, die an die Monogamie glauben und mit nur einem Partner oder einer Partnerin glücklich sind. Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass bei meinen Dating-Websites 50 Prozent der Mitglieder untreue Ehepartner sind, dann sollte das einem doch zu denken geben. Wenn man sie vor die Wahl stellen würde, dann hätten die meisten Leute kein Problem damit, eine quasi-monogame Beziehung zu führen.

Hat dich dieser Umstand überrascht?
Nicht wirklich. Ich habe am MIT studiert, was sich in der Nähe der Harvard-Universität befindet. Dort hat man eine Umfrage durchgeführt, wie viele der Absolventen ihren Partner oder ihre Partnerin betrügen würden. Dabei haben über 60 Prozent zugegeben, mindestens eine Affäre zu haben. Das liegt einfach in der Natur des Menschen.

Zu erwarten, dass eine Person den Rest des Lebens mit nur einer anderen Person verbringt, ist ein unnatürlicher Anspruch. Ich glaube wirklich, dass immer mehr Leute eine quasi-monogame Beziehung viel besser finden als eine komplett monogame Beziehung, bei der man dann fremdgeht.