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Die Rache der Wiener Polizei an den deutschen „Krawalltouristen“

Zwei Deutsche haben ihre Teilnahme an den Protesten gegen den rechten Akademikerball in Wien besonders teuer bezahlt: der eine sitzt immer noch in U-Haft, der andere sagt, er sei auf der Wache zusammengeschlagen worden.

Dieser Artikel ist Teil unserer Berichterstattung zum Akademikerball.

Obwohl der Wiener Akademikerball bereits sieben Wochen zurückliegt, beschäftigt er die österreichische Justiz immer noch. Der Ball gilt als Nachfolger des WKR-Balls, und damit als Treffpunkt für die rechtsradikale Szene ganz Europas. Wie jedes Jahr haben sich auch 2014 hunderte linker Aktivisten aus Österreich und Deutschland versammelt, um dagegen zu protestieren. Unsere Doku „Die Rechten und ihr Ball" könnt ihr euch hier anschauen. Bei den darauffolgenden Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es zu Sachschäden in Höhe von rund einer Million Euro—und die Wiener Behörden brauchten dringend Schuldige.

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Gefunden haben sie den Deutschen Josef S., der seit sieben Wochen in Wien in U-Haft sitzt. Die österreichischen Behörden begründen die Länge der Haft mit seiner akuten „Tatbegehungsgefahr"—als ob sie glauben würden, Josef würde bei der nächsten Gelegenheit losrennen und Sparkassenfenster eintreten. Ich habe mich also sehr gefreut, als ich die Gelegenheit bekam, einen derart gefährlichen Anführer der deutschen „Krawalltouristen" im „Gefangenenhaus beim Landgericht für Strafsachen Wien" zu besuchen.

Foto aus Josefs Akte.

Als ich ihn endlich sehe, sieht der Sündenbock eher aus wie ein Unschuldslamm. Verstrubbelt und im Ringelpullover sitzt er mir hinter einer kleinen Scheibe gegenüber und lacht, das höre ich auch über den schwarze Telefonhörer, durch den wir uns unterhalten. Als er mir erzählt, dass er heute morgen schon um 7:30 Uhr Ministrant im Knastgottesdienst war, falle ich fast vom Stuhl. Ich halte mich aber zurück, weil der Praktikant des Richters neben mir sitzt und das Gespräch über einen anderen schwarzen Telefonhörer mithört. Das ist zwar ein ziemlicher Eingriff in die Privatsphäre, aber für hiesige Verhältnisse schon ein Fortschritt: seit sechs Wochen darf Josef abgesehen von seinen Eltern, die einmal in der Woche aus Thüringen anreisen, niemanden sehen—Verdunklungsgefahr.

Er ist tatsächlich katholisch, aber in erster Linie gelangweilt. Die Messe bringt eine Stunde mehr, die er nicht wie die restlichen 22 Stunden des Tages in der Einzelzelle verbringen muss. Das andere Highlight ist eine Stunde Hofgang im Gefangenenhaus. Sit-ups und Liegestützen macht er, weil sich sein Körper mittlerweile irgendwie seltsam anfühlt. In seiner Zelle gibt es zwar einen Fernseher, aber kein Internet oder Telefon. Briefe darf er schreiben und bekommen, auch wenn sie von den Behörden gelesen werden, auch Bücher hat er mittlerweile—vor allem Uni-Zeugs. Josef sagt, es geht ihm gut, er wirkt gefasst, optimistisch, oder er ist einfach der freundliche Typ. „Mit den Wärtern komme ich aus", erklärt er, „und die anderen Gefangenen, sind auch alle ganz in Ordnung—bis auf ihre Macken. Die meisten sind ja Profis, und nicht das erste Mal hier." Dann lacht er über sich selbst und sagt, dass er natürlich endlich raus will.

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Ich muss an den rechten Massenmörder Breivik denken, der kürzlich mit Hungerstreik gedroht hat, weil er seine Playstation 2 durch eine Playstation 3 ersetzt und einen neuen Computer und Schreibtischstuhl haben wollte.

Was hat Josef eigentlich getan? Er ist nach Wien gefahren, um gegen eine Riesenparty schlagender Burschenschaftler und den Stars der europäischen Rechten auf die Straße zu gehen, zu der die rechtspopulistische FPÖ in die Wiener Hofburg—den Sitz des österreichischen Bundespräsidenten geladen hatte.

Dabei hatte Josef eine schwarze Jacke an, auf deren Rückseite mit fetten weißen Großbuchstaben BOYKOTT stand. Gut erkennbar für zivile Ermittler, die sich zeitweise an seine Fersen hefteten und auf die interessante Idee kamen, dass diese gut erkennbare Jacke ihn als "Führungspersönlichkeit" für seine Begleitgruppe und den Schwarzen Block insgesamt machen würde. Der Ermittler will ihn beobachtet haben, wie er am Stephansplatz Schaufensterscheiben eingeworfen hat, wo genau, ist in dem Tumult aber untergegangen. Dann soll er versucht haben, Pflastersteine und Mistkübel auf Polizisten zu werfen, um sie zu verletzen. Ich habe interessanterweise wirklich einen Beitrag im ORF gesehen, in dem man Josef mit Mistkübel hantieren sieht: allerdings stellt er gerade einen wieder auf.

Ab 0:32 sieht man Josef mit dem Mistkübel

Das nächste Beweisstück in der Ermittlungsakte ist die Aussage des Ermittlers, dass er Josefs Stimme erkannt haben will, wie sie „Weiter, weiter, weiter, Tempo!" rief. Und das, obwohl er vorher noch nie mit Josef gesprochen hat. Mit Händen soll Josef außerdem angewiesen haben, mit allen greifbaren Gegenständen gegen die Polizei vorzugehen. Schlussendlich soll er dann dabei beobachtet worden sein wie er als erster—wieder mit einem Mistkübel—eine Polizeiwache entglaste, um im nächsten Augenblick mit einer Eisenstange die Front- und Seitenscheiben eines parkenden Polizeiautos einzuschlagen und noch eine Rauchbombe reinzuwerfen. Um es kurz zu machen, Josef soll mehr oder minder für alles verantwortlich sein, was an diesem Abend passiert ist. Ein Team von VICE war bei den Zusammenstößen vor der Polizeiwache dabei. Ich kann Josef auf diesem und anderen Videos nirgendwo entdecken. Festgenommen wurde er später wo ganz anders.

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Josef ist nicht der einzige Deutsche, den die österreichische Polizei an dem Abend festgenommen hat. Es dauerte danach eine kurze Zeit, bis eine Truppe einsatzbereiter Polizisten aus der belagerten Polizeiwache losstürmt. Man hätte also leicht fliehen können. Wozu, dachte sich Malte (Name geändert), der gerade die Straße entlang bummelt, als die Polizeitruppe ihn etwa 70 Meter von der Wache entfernt zu Boden reißt, mit den Händen hinter dem Rücken fesselt und zum Polizeirevier bringt. Das hat das VICE-Team auch gefilmt:

Auf der Wache wurde er zuerst in die rumliegenden Scherben auf den Boden gestoßen und angeschrieen: Er solle sich anschauen, was er da angerichtet hat. Dann wurde er wieder aufgehoben und in ein Zimmer gebracht, wo er durchsucht, fotografiert und „erkennungsdienstlich behandelt" wurde. Die Beamten, die ihn festgenommen hatten, gaben später zu Protokoll, er habe etwas auf sie geworfen. Als herauskam, dass Malte Deutscher ist, beschimpften ihn die Beamten als „Piefke", „Marmeladinger" und „Marmeladenfresser".

Marmeladenfresser Malte

Bei den Beleidigungen sollte es aber leider nicht bleiben. Die Wiener Polizei war schon im Vorfeld unglücklich über die Beteiligung „deutscher Extremisten" an den Protesten, und als sie dann so einen betrunkenen Marmeladenfresser in ihrer frisch zerstörten Wache vor sich hatten, wurde einer wohl richtig sauer.

Nach Maltes Darstellung passierte darauf folgendes: Nach den Beleidigungen verpasst der bärbeißige Polizist ihm erst einen Schlag in den Nacken, dann einen so derben Faustschlag seitlich gegen den Kiefer, dass er vom Sessel kracht. Als er am Boden liegt, treten ihm der bärbeißige und dann auch der jüngere Beamte in den Bauch und gegen die Wirbelsäule. Er sucht Blickkontakt zu der dabeistehenden dritten Beamtin, die schaut leider einfach nur nach oben. Malte schreit um Hilfe. Die Polizisten hören auf zu treten, warnen ihn aber: Liegen bleiben, sonst geht's weiter. Andere Polizisten kommen ins Zimmer und wollen wissen, was los ist. Der stellt sich tot, wurde gewitzelt.

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Kurz danach kamen Malte und dreizehn andere Inhaftierte noch am selben Abend wieder frei. Mit einer Anzeige wegen Landfriedensbruch und schwerer Sachbeschädigung. Ähnlich wie Josef—dem wird Landfriedensbruch, schwere Sachbeschädigung, und schwere Körperverletzung vorgeworfen.

Warum nur Josef in Untersuchungshaft bleiben musste, ist unklar. Glauben die österreichischen Behörden wirklich, dass man beim so genannten „Schwarzen Block" durch eine Jacke mit fettem Backprint zum Anführer wird? Dass es so funktioniert wie bei Rocker-Clubs, bei denen die Kutten eine so wichtige Rolle spielen? Und selbst wenn man an Kommandostrukturen bei Antifa-Demos glaubt— würde der Anführer der Deutschen aussehen wie Josef, der bei den Falken, einer sozialdemokratischen Jugendgruppe aus Jena ist?

Man könnte Zweifel an der Geschichte haben, die die österreichischen Ermittlungsbehörden bis jetzt aufgetischt haben. Und im Zweifel, so will es ein universelles rechtsstaatliches Prinzip, für den Angeklagten.

Josef sitzt seit nunmehr sieben Wochen eine Strafe ab, zu der er nicht verurteilt wurde, und ohne dass seine Schuld bewiesen wäre. Nur eins steht fest: Er hat gegen einen Ball von Rechtspopulisten, Burschenschaftler-Nazis und Holocaust-Leugnern demonstriert. Veranstaltet von einer Partei, deren Chef Heinz-Christian Strache—als er so alt war wie Josef—in einer neonazistischen Wehrsportgruppe aktiv war und auf Fotos mit dem Kühne-Gruss zu sehen ist, dem legalen Hilter-Gruß-Ersatz. Verurteilt wurde er für diese „Jugendsünden" allerdings nie.

Am Montag wurde Anklage gegen Josef erhoben, wann das Verfahren eröffnet wird, ist unklar. Heute wird wohl noch einmal über einen Enthaftungsantrag der Verteidigung entschieden. Im schlimmsten Fall muss Josef bis zur Hauptverhandlung in Haft bleiben.