



Sebastien Carayol: 2011 bot sich mir die Gelegenheit, als Teil der „Public Domaine"-Kunstshow in Paris eine Ausstellung von Skateboards zu kuratieren. Ich wollte vermeiden, einfach nur Boards in chronologischer Reihenfolge zu zeigen. Deswegen entschied ich mich für das Thema „Provokation"—Skateboards, die etwas zu sagen hatten und sich mit klassischen Tabuthemen wie Sex, Religion, Gewalt, Rassismus, Politik und so weiter auseinander setzten. So konnte ich meine Bewunderung sowohl für die Größe der 90er (damals fing ich auch mit dem Skaten an) als auch für die Geschichte der Provokation im Allgemeinen zum Ausdruck bringen.

Das war das Schwierigste von allem, denn ich glaube, wir hätten auch 1000 Designs auswählen können und hätten damit wahrscheinlich immer noch nicht alles abgedeckt. Ich wollte auch nicht, dass das Ganze nur ein Abklatsch der Bücher wird, die Sean „Category Killer" Cliver bereits veröffentlich hatte. Außerdem war meine Idee, über den Tellerrand der auf der Hand liegenden Vintage-World Industries/Antihero/Alien Workshop/Consolidated-Designs hinauszublicken, damit auch die eingefleischten Skateboard-Sammler ein paar Decks zu sehen bekommen, die sie vorher vielleicht noch nicht kannten. Deshalb habe ich auch weniger bekannte Firmen wie Witchcraft, Politic, Boom Art, Trauma und Yama mit dazu genommen. Ich habe ebenfalls versucht, so viele moderne Decks dieser Kategorie wie möglich zu berücksichtigen, aber das ist nicht wirklich einfach. Wenn man all das bedenkt, dann bin ich mit der Endauswahl sehr zufrieden und kann es kaum erwarten, wütende Mails nach dem Motto „Warum hast du dieses oder jenes Board nicht mit aufgenommen?" zu bekommen. Obwohl, ein Paar sind schon in meinem Postfach gelandet.

Ich würde sagen hinter „Napping Negro" von World Industries, das Marc McKee für Jovontae Turner gemacht hat. Das war vielleicht das kontroverseste Deck aus der ganzen „Reverse Racism"-Reihe. In einer Thrasher-Werbeanzeige hieß es: „Die Schwarzen haben mit den Weißen schon immer eine tolle und schillernde Geschichte geteilt. Am Anfang des 17. Jahrhunderts wurden sie aus ihrer Heimat geholt, gefesselt, auf Schiffe verladen und nach Amerika gebracht. Im Laufe der darauffolgenden drei Jahrhunderte wurden sie gekauft, versklavt, gefoltert, vergewaltigt und getötet. 1954 wurde ihnen schließlich eingeräumt, aus den selben Brunnen zu trinken und damit hat so ziemlich der ganze Spaß aufgehört."Ein Deck mit all den Klischees über Schwarze klingt zwar wirklich schrecklich rassistisch, aber die Kritiker vergessen auch immer, dass Jovontae Turner—ein afroamerikanischer Pro-Skateboarder—die Idee von sich aus vorschlug. „Als World Industries mich fragte, wie mein Design aussehen sollte, wollte ich so altes Sklaven-Zeug, weißt du? Irgendetwas aus diesem Zeitalter", sagte Turner. „Im Grunde wollte ich etwas zurückgeben und mich irgendwie darüber lustig machen. Mein erstes Board hieß ‚Jovontae bei Nacht'. Ich traf mich mit ihnen und sagte: ‚Man behauptet doch, dass man Schwarze nachts nicht sehen kann, außer sie lächeln?' Dann haben wir ein Design mit einem ausgebüxten Sklaven gemacht, der sich in einem Baum versteckt. Danach kam ‚Napping Negro'. Meine Mutter und ich gaben Marc McKee all diese Postkarten mit schwarzer Folklore—im Grunde nur richtig schlechte Zeichnungen, die die Schwarzen darstellen. Ich mochte es, als es rauskam. Ich mochte die Kontroverse. Es verärgert die Leute. Ich bringe Leute gerne auf die Palme und es hat tatsächlich funktioniert."

Meinst du die, die Skateboards wie Skier aussehen lassen? Es ist meiner Meinung nach eine Schande, dass dieser billige Trick immer noch funktioniert. Aber in letzter Zeit fällt mir auch auf, dass einige Firmen wie Polar, Welcome, Palace oder $lave den Wert von richtigen Grafikdesigns weiterhin zu schätzen wissen. Ich finde es total verrückt, dass einige der Firmen mit den höchsten Verkaufszahlen die sind, die auch die langweiligsten Designs haben: „Ach, bei uns sind die besten Pros, der Rest ist egal. Die Kids scheißen drauf."

Darüber denke ich manchmal nach, aber es ist sehr schwer für einen 40-Jährigen, der im ländlichen Frankreich vor dem Zeitalter des Internets aufgewachsen ist, sich vorzustellen, was einen Teenager heute noch schockt. Das ist aber OK für mich—ich bin mir nicht sicher, ob sich ein moderner Teenager überhaupt noch ein Buch kaufen würde, oder? Es gibt ja immerhin die Street League, die ist viel aufregender!



Ich denke, dass das immer noch Sean ist. Aber auch Marc McKee und ein paar andere Veteranen wie Todd Francis enttäuschen nie. Was die Neulinge betrifft: Ich stehe total auf die Arbeiten von Ben Horton für $lave und die gelegentlichen skandalösen Geniestreiche von zum Beispiel SkateMental oder enjoi. Ach ja, beim Aufschrei wegen des „Gooks of Hazzard"-Decks von Baker aus dem Jahr 2012 (hier der TMZ-Artikel) musste ich alter Knacker ein paar Tränchen verdrücken—die Kids kriegen es auch heute noch hin! Es ist wirklich ein Wunder, dass Provokation in einer Zeit noch immer funktioniert, in der man dachte, dass die Leute schon alles gesehen hätten.

Einige Geschichten sind natürlich Klassiker und wurden hier und da auch schon gehört—zum Beispiel, dass nicht-rassistische Skinheads das Real-Team bei einer Demo beschützen, nachdem Jim Thiebauds „Hanging Klansman"-Board rausgekommen war. Ich fand Folgendes sehr schön: Mike Hill hat ein altes Alien Workshop-Deck entworfen, auf dem eine Puppe erstochen wird. Der Beweggrund dafür war der Wunsch, eine Grafik zu machen, „die so aussieht, wie Dinosaur Jr.s Album You're Living All Over Me klingt."

„Wir haben mit Zoo York ein gewisses Limit erreicht und wollten expandieren. Wir waren uns nicht sicher, ob wir uns darauf konzentrieren sollten, Zoo York zu einer Klamottenmarke zu machen, oder uns ‚breiter zu fächern' und mehr Skateboard-Marken zu erschaffen. Ricky Oyola und wir alle von Zoo York hielten das Gründen von Illuminati, die erste Ableger-Firma, für den richtigen Schritt. Im Rückblick haben ich es konzeptuell gesehen mit Illuminati vielleicht übertrieben. Ich hoffe, dass dem nicht so ist. Es macht mich wirklich richtig traurig, dass die Skater solche intelligenten Dinge wie unser Zeug von Illuminati gut fanden, aber dann letztendlich solche Sachen wie ‚Jackass' und ‚Rob's and Big's Fun Factory' die Oberhand gewinnen … Das ist blanke Ironie! Unser Ende war dann eine Abmahnung mit Unterlassungsaufforderung von diesem beschissenen Nerd-Kartenspiel ‚Illuminati'. Es stellte sich heraus, dass ‚Spiele und Sportzubehör' in den USA im gleichen Copyright- und Trademark-Bereich geführt werden. Laut unserer Regierung sind ‚Dungeons and Dragons' und die NFL quasi dasselbe. Stell dir das mal vor. Bis zum heutigen Tag werde ich noch gefragt: ‚Warum habt ihr Illuminati aufgegeben? Das war eine coole Firma!' Das waren nicht wir, mein Freund. Das Kartenspiel hat uns zur Aufgabe gezwungen. Oder? Ich glaube, dass da tiefer gehende, dunklere Machenschaften am Werk waren! Zuerst stellen uns die ganzen Kids diese Fragen und PLÖTZLICH wird ‚Jackass' auf MTV ausgestrahlt? Zufall? Ich glaube nicht!"

Da eins rauszusuchen, das wirklich in die Läden kam, ist zu schwer—ich liebe sie alle. Deshalb entscheide ich mich für das Einzelstück, dass Alyasha Moore 2012 geschaffen und bei einer Auktion verkauft hat. Er nahm dieses alte, kaputte 50er-Jahre-Skateboard mit Metallrädern her und schrieb einfach „Colored Only" (Nur Farbige) auf die Unterseite—er wollte damit zeigen, dass die ach so coolen 50er nicht nur eitel Sonnenschein waren. Das ist simpel, knallhart und erzählt mit einem Wort eine Geschichte. Perfekt. Tut mir Leid, dass das jetzt etwas Ernstes ist (ich stehe genau so wie jeder Andere auch auf nackte Rentner, die Volleyball spielen), aber für mich ist das Provokation in Perfektion: Mit einer cleveren Idee wird eine clevere Geschichte erzählt.

Und dann denkt man darüber nach, wie viel der Designer eines Staubsauger-Logos verdient, oder? Ich finde das ziemlich unfair, aber es sagt auch einiges über übereilte Grafiken aus. Wenn man bedenkt, dass Sean Cliver für ein handgezeichnetes Design mindestens eine Woche braucht, dann kannst du ja mal durchrechnen, was für ein Stundenverdienst das dann ist. Ich weiß nicht genau, wie man das ändern könnte; ich weiß nur, dass ich durch dieses Buch—oder Clivers oder jedes andere Skateboard-Design-Buch—zumindest dabei helfen will, den Grafiken einen Namen zu geben, die mehr verdient haben als ihr dreiwöchiges Leben im Regal eines Skateshops. Dadurch werden die Jungs wohl nicht besser bezahlt werden, aber sie werden zumindest bekannter—und so kriegen sie mehr dieser fantastischen 150-Dollar-Aufträge rein!