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Was es bedeutet, transspezies zu sein

Wir haben uns mit einigen Mitgliedern der Otherkin-Community unterhalten—also mit Menschen, die sich als eine andere Spezies identifizieren.

„Ich habe das Gefühl, dass mein Ich und mein Körper zwei separate Dinge sind. Er repräsentiert mich nicht und ist eigentlich nur eine Hülle, die ich steuere. Was bedeutet es denn überhaupt, ein Mensch zu sein?" Riviera identifiziert sich als Drache. Diese Entscheidung traf er vor 15 Jahren, nachdem er laut eigener Aussage prophetische Träume von einem vergangenen Leben gehabt hatte. Als sogenannter Otherkin gehört er dabei zu der Gruppe Menschen, die sich als eine andere Spezies ansehen. Dabei ist es egal, ob es diese Spezies nun wirklich gibt oder nicht.

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Als wir zusammen vor der University of Melbourne sitzen, zeigt mir Riviera seine selbstgebastelte Elster-Kopfbedeckung. „Meiner Meinung nach verwechseln die Medien Otherkins oft mit Furrys", meint er dabei. „Für viele Otherkins ist das Ganze eine spirituelle Grundlage ihres Lebens und eben nicht etwas, das man einfach so an- und ausschalten kann." Anschließend setzt er sich eine andere aufwendige Kopfbedeckung auf und erklärt mir, dass es für ihn zum Ausleben seiner Identität gehört, Kostüme anzufertigen und zu tragen. Dazu kommen dann noch Meditationen, rituelle Tänze, luzides Träumen und Trance-Zustände.

„Meine heidnischen Glaubens- und Weltansichten stehen definitiv im Zusammenhang mit meiner Otherkin-Identität", erklärt mir Riviera. „Ich bin überzeugt davon, dass unsere Realität mit Platos Höhlengleichnis veranschaulicht werden kann: Wir sind Gefangene unseres eigenen Körpers und unsere Fähigkeit, die Realität wahrzunehmen, ist fehlerhaft und unvollständig, weil sie durch unser Fleisch gefiltert wird."

Eric, der sich als Werwolf identifiziert, erzählt mir, dass die meisten Otherkins, die in den Medien auftreten, im Vergleich zum Rest der Community sehr extrem sind. „Die nutzen das Ganze als Möglichkeit, um sich auszulassen oder um Aufmerksamkeit zu erhaschen", meint er. „Ich würde die meisten von ihnen gar nicht mal als Otherkins bezeichnen, denn sie haben gar keine wirkliche Ahnung von der Definition und der Materie."

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Er glaubt, dass sich eine Hälfte der Otherkins aus spirituellen Gründen so identifiziert, während bei der anderen Hälfte das Ganze eine neurologische Grundlage hat—und mit neurologischer Grundlage meint Eric, dass diese Identität von Geburt an im Gehirn eingepflanzt ist.

„Ich war an sich nie ein normales Kind", erzählt Eric. „Als ich jung war, wollte ich meine Eltern ständig davon überzeugen, dass ich ein Hund sei." So ging es bis zu seinem zehnten Lebensjahr und dann wurde Eric klar, dass seine Freunde ihren Körper anders wahrnahmen als er. „Ich unterhielt mich mit meinem Freund ganz locker darüber, dass ich bei mir Körperteile spürte, die gar nicht da waren. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die meisten Menschen diese Körperteile nicht spüren. Anschließend informierte ich mich darüber, welche Gründe das alles haben könnte, und stieß so letztendlich auf den Begriff ‚Otherkin'."

Menschen außerhalb der Community fragen sich bei Otherkins oft als Erstes, ob sie Sex mit Tieren haben. Eric empfindet diese Annahme als Beleidigung gegenüber der Transspezies-Gemeinschaft: „Das ist ekelhaft und illegal." Riviera, der in seiner Freizeit auch Moderator einer Otherkin-Facebook-Gruppe ist, meint zu mir, dass die tierische, sexuelle und geschlechtliche Identität für ihn und viele andere Otherkins drei verschiedene Dinge sind. „Sodomie und Zoophilie werden hier mit genauso viel Abscheu betrachtet wie in der allgemeinen Gesellschaft", erklärt er.

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Eine Sache, die in der Otherkin-Community jedoch häufiger vorkommt, sind Probleme mit der geistigen Gesundheit. „Viele der Otherkins, die keine mentalen Probleme haben, sind bereits älter und haben dementsprechend schon eine gewisse Identität aufgebaut. Sie sind sich genau darüber im Klaren, wer und was sie sind, und müssen so nicht mehr zwangsläufig online darüber reden."

Die 17-jährige Miranda nutzt Kunst, um sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen | Illustration: bereitgestellt von Miranda

Genau das trifft auch auf die 17 Jahre alte Miranda zu, die Mitglied in Rivieras Facebook-Gruppe ist und sich als Hund identifiziert. „Ich denke ständig über meine Identität nach. Die meisten Tiere haben viele Gemeinsamkeiten und dieser Umstand macht es für mich schwerer zu erkennen, was ich wirklich bin", meint sie. „Ich lerne jedoch ständig dazu und mache neue Erfahrungen. So hoffe ich, irgendwann Klarheit in Bezug auf meine Identität zu finden."

Zusätzlich wünscht sich Miranda, dass die Debatte zwischen Transgendern und Otherkins irgendwann ein Ende findet. „Es scheint so, als würden Mitglieder der Transgender-Community denken, dass sich Otherkins über sie lustig machen. Dementsprechend groß ist auch ihr Hass uns gegenüber", erzählt sie. „Das entspricht natürlich nicht der Realität, denn viele Otherkins gehören auch der LGBT-Gemeinschaft an."

Für Riviera mutet die Debatte darüber, ob sich Otherkins nun am Transgenderismus bedienen oder nicht, doch etwas frustrierend an, denn er ist selbst Transgender.

„Wenn der Großteil der Welt dir gegenüber ein feindliches Verhalten an den Tag legt, dann ist es völlig egal, wenn jemand versucht, dich aufgrund deines Transgender- oder Otherkin-Daseins in den Selbstmord zu treiben. Ich meine, das Ergebnis ist ja das gleiche.

Riviera zufolge besteht die größte Fehlvorstellung in Bezug auf die Transspezies-Community darin, dass die Mitglieder dieser Community nicht unterdrückt werden. Dabei sind Mobbing und Schikane dort quasi Alltag. „Die nicht enden wollende Flut an Online-Hassnachrichten zehrt schon an den Nerven", meint er. Nach 15 Jahren der Community-Zugehörigkeit hofft der Otherkin, dass die Welt irgendwann offener sein wird und die Leute sich so identifizieren können, wie sie das wollen.

„Einer anderen Fehlvorstellung nach handelt es sich hierbei um einen Kult, eine Wahnvorstellung oder um etwas Gefährliches", meint Riviera noch abschließend. „Dabei ist das Ganze keine bewusste Entscheidung. Ich verstehe nicht, wie man das Otherkin-Dasein einfach als eine Art Fantasie abtun kann."

„Für die meisten Menschen ist es nur ein Teil der persönlichen Erforschung der eigenen Identität."