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#GrimmePreisSoWhite – Was falsch läuft in der deutschen Medienlandschaft

„RTL räumt beim Grimme-Preis ab. Böhmi bedankt sich mit dem Stinkefinger. Weiße Medien mit weißen Inhalten für weiße Menschen mit weißen Werten. Grimme Preis? Who cares?!" – Ein Gastbeitrag von Ömer Mutlu.

Ömer Mutlu, Foto von Mirza Odabaşı mit freundlicher Genehmigung von Ömer Mutlu

Nur damit eins von vornherein klar ist: Im folgenden Text rede ich oft von „den Deutschen".

Mit „den Deutschen" meine ich aber nicht meine Freunde und Bekannte, mit denen ich aufgewachsen bin. Mit denen ich gefeiert, gearbeitet, gelacht oder geweint habe. Die mich so akzeptieren und mich so schätzen, wie „ICH" bin, und die ich akzeptiere und schätze, weil sie so sind, wie „SIE" sind. Auch nicht diejenigen, die sich auf eine ehrliche Art und Weise für ein faires, schöneres, besseres Miteinander einsetzen.

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Mit „den Deutschen" meine ich all die weißen Medien-Rambos in deutschen Talkshows, die sogenannte „Experten" einladen, die dann angeblich stellvertretend für uns ALLE sprechen sollen, oder die Macher von Zeitungen, Magazinen und generell den Mainstreammedien in Deutschland.

Ich lebe seit Ewigkeiten in diesem Scheißland und ja, ich liebe es, verdammt. Aber wie sieht es mit der medialen Repräsentation aus? Es geht nicht darum, über Menschen mit Migrationsgeschichte zu berichten, sondern darum, diese selbst für sich sprechen zu lassen. Obwohl die öffentlich-rechtlichen Sender durch die GEZ-Gebühren wahrscheinlich Millionen von diesen Menschen mit Migrationsgeschichte bekommen, gibt es Sparmaßnahmen beim interkulturellen Radiosender Funkhaus Europa. Und Cosmo TV, das Fernsehmagazin für junge Menschen mit Migrationshintergrund, gibt es auch nicht mehr wirklich. Ende 2015 wurde das Format eingestellt.

Wer soll und wird meine Geschichte und die meiner Vorfahren dokumentieren, meine Kultur widerspiegeln und über all jenes berichten? Wie viele Dokus haben wir schon über Südamerika gesehen und wie viele über Turkmenistan? Iran? Aserbaidschan? Ja, in diesen Ländern passiert viel Scheiße. Aber auch da gibt es eine Jugendkultur, die sich mit Kunst, Musik und Literatur beschäftigt. Krieg und Terror tragen zum vorherrschenden Bild in den Mainstreammedien bei, wenn es um die Regionen von Balkan bis Middle East geht. Wir von KuKü wollten eine Alternative schaffen: Die vielfältige Kunstszene und die farbenprächtige Kultur dieser Regionen zeigen und die Geschichte der Menschen vor Ort erzählen und den Lesern und Zuschauern die Möglichkeit geben, sich unabhängig zu informieren. Das kommt auch sehr gut an. Aber das sollte auch die Aufgabe der Sender sein, die die Kohle haben, und nicht nur von ehrenamtlichen Projekten. Wo bleibt dein Bildungsauftrag, Lan?

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Mehrsprachigkeit bereichert uns nicht nur, wenn es um Englisch und Französisch geht

Ich habe türkische Freunde, die viel Geld für Sprachkurse ausgeben, um ihre türkische Muttersprache wieder vernünftig zu lernen. Junge Eltern geben ihren Kindern deutsch klingende Namen, damit sie später in der Kita nicht ausgegrenzt werden und/oder damit er für die deutschen Kinder leichter auszusprechen ist. Ständig wurde uns von jedem gesagt, wir sollen deutsch sprechen und uns integrieren. Unsere Muttersprache wurde nie als Bereicherung angesehen. Wobei man bei einem deutsch-französischen Kind sowas nie sagen würde. Da heißt es eher: „Oh wie schön, du wächst zweisprachig auf."

Frohe Weihnachten und Bayram Mubarek

Wir verkleiden uns an Karneval und feiern gemeinsam zu kölschen Liedern, an Ostern lassen wir unsere Kinder die versteckten Ostereier suchen. An Weihnachten wünschen wir „fröhliche Weihnachten"—einige super integrierte Kanacks stellen sogar selbst Bäume auf und schmücken diese und schenken sich was. An Bayram jedoch sind wir alleine und bekommen kein „Bayram Mubarek".

Solche und andere Tatsachen machen mir Angst, dass ich irgendwann meine eigene Identität oder Kultur verliere und mich assimiliere. Ist meine Angst berechtigt? Kann ich nicht Türke, Kurde, Albaner bleiben und trotzdem anerkannt werden? Funktioniert nicht beides? Übertreibe ich? Bin ich jetzt der Anti-Deutsche? Zu krass in meiner Meinung? Deutschland, ich liebe dich doch.

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Medial sind wir trotzdem unsichtbar

Irgendwann habe ich mal einen Artikel über Haftbefehl gelesen. In einer seriösen Tageszeitung. Er wurde als „deutsch-kurdischer" Rapper betitelt. Die Bezeichnung „Deutschkurde" war mir damals neu. Denn jahrelang wurden Kurden einfach als Türken bezeichnet. (Schlägerei in der Disko, Ehrenmorde, der erfolgreiche Dönerverkäufer usw.) Abgesehen von der Tatsache, dass dadurch ein verfälschtes Bild generiert wurde, weil der deutsche Journalist sich zu schade war, genauer zu recherchieren, wurden—was viel schlimmer ist—Kurden jahrelang zu Unsichtbaren gemacht.

Jetzt jedoch, wo ein erfolgreicher Rapper auftaucht, der von allen—egal aus welcher sozialen oder Bildungsschicht sie kommen—gehört und hart abgefeiert wird, heißt es, er sei ein „Deutschkurde". Das ist weißer Neid. Kulturausbeutung. … denn nein, er ist ein „Dersim Tunceli - 62 Kurdi" und er ist auch verdammt nochmal stolz darauf. Erfolgreiche Migranten habt ihr also zu euren Deutschen erklärt.

Diversität? Immer noch Fehlanzeige

RTL räumt beim Grimme-Preis ab. Böhmi bedankt sich mit dem Stinkefinger. Weiße Medien mit weißen Inhalten für weiße Menschen mit weißen Werten. Grimme-Preis? Who cares?!

— Jan Böhmermann (@janboehm)March 9, 2016

Es sind ja auch nicht nur die Fernsehsender und Filme mit den immer selben Klischeerollen und die Magazine, Zeitungen oder Polit-Talkshows. Die Medien generell sind nicht annähernd divers genug und spiegeln die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht richtig wider. Bekommen muslimische Frauen keine Menstruation? Ich hab noch nie eine Frau mit Kopftuch in einem Werbespot für dm gesehen. Oder trinken Behinderte keine Buttermilch? Essen Schwule keine Butter? Wie kommt es, dass in dem „40 Jahre Ikea Deutschland"-Spot der einzige Schwarze der Lagerarbeiter ist?

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Warum interessiere ich mich nicht für Lanz, Maischberger, Focus Online, Spiegel oder die Bild? Wieso müssen es immer weiße schlaksige Hipster-Jungs sein wie Joko und Klaas? (Circus HalliGalli, ProSieben, Preisträger 2014) Wieso Böhmermann und Schulz? (NEO MAGAZIN, ZDF/ZDFneo, Preisträger 2014) Wieso bekommt Elyas M´Barek die Rolle des (Asi-)Türken bei Türkisch für Anfänger, obwohl er halb Österreicher, halb Tunesier ist? Gibt es keinen Türken in diesem Land, der diese Rolle vielleicht hätte besser, authentischer spielen können? Wieso gibt es keine Sendung von „Süleyman und Jamal" oder „Fatima und Esther"? Anscheinend können wir Kanacken die Deutschen nur unterhalten, zum Lachen bringen und für sie Tore schießen. Aktuelles Beispiel Enissa Amani. Super Frau, echt. Ich gönne ihr auch ihre Show, aber wieso ProSieben um diese beschissene Zeit und wieso wieder „nur" Comedy?

Wieso wird Bushido der Integrations-Bambi verliehen und wieso bekommt ein Format, in dem ein deutscher Journalist Flüchtlingen auf Arabisch Deutschland erklärt, den Grimme-Preis? Marhaba mag ja eine nette Idee sein, aber am Ende ist es ein doch recht kläglicher Versuch von n-tv, ein bisschen weltoffener zu wirken. Apropos Grimme-Preis. Hier die Liste der Nominierungskommission für 2016. Ich lese so gut wie nur deutsche Namen.

Natürlich gibt es die Paradebeispiele wie aktuell Dunja Hayali oder andere Journalisten mit einem Migrationshintergrund. Aber es geht mir um das Verhältnis und darum, wer am Ende am Entscheiderhebel sitzt. Wer das Interesse der Gesellschaft prägt und in welchem Ausmaße. Wer entscheidet, was gesendet wird, wie lange und in welcher Sprache? Wieso ist es selbstverständlich, dass Arte alle Inhalte bilingual sendet? Wieso gibt es so etwas nicht für meinen Kulturkreis?

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Warum wir trotzdem die Gewinner sind

Die eigentlichen Verlierer sind trotzdem genau diese weißen Medien. Denn „wir" haben mittlerweile unsere eigenen Medien. Unser Medium heißt Internet. Musliminnen, die bloggen, Kids, die youtuben, auf Instagram und Facebook ihre eigenen Seiten gründen und Millionen von anderen Kids erreichen. Es gibt auch mittlerweile unzählige türkische Sendungen im Internet. Sendungen für Kurden, sunnitische oder alevitische Sendungen. Aber auch da wieder: Bildungsauftrag. Wer prüft solche Medien und was diese Leute bringen? Wieso wird man gezwungen, alles selbst zu finanzieren?

Wer sind „wir" überhaupt?

Den meisten Migranten in meinem Umfeld geht es gut. Sie gehen arbeiten, um das Geld dann im türkischen Supermarkt oder im Rewe auszugeben. Selbstverständlich. Vom Zeitarbeiter zum Designer—einige gehen donnerstags in ein Cem-Haus, andere freitags zum Gebet und am Samstag wird hart abgefeiert. Sonntags kuriert man seinen Kater aus, geht die Eltern besuchen. Küsst ihre Hände beim Abschied und am Montag alles von vorne.

Ist es vielleicht zu spät für eine Anerkennung?

In der Schweiz und in Österreich gibt es ja auch Menschen mit einem „Migrationshintergrund", die ähnliche Forderungen haben. Warum reduziert man sich aufs „Deutsch"-sein? Wäre es nicht besser, europäischer zu denken? Die neuen „Europäer" vielleicht? Dann müsste man sich nicht streiten, ob Deutschkurde, Kurde, Türke, Deutscher, Ösi oder Mongole.

Déjà-Vu

Das sind Gedanken, die ich mir mit meinen 29 Jahren mache, und ich weiß nicht, ob ich der Verrückte bin oder die Mainstreammedien um mich herum. Es kommt mir so vor, als wäre ich die ganze Zeit in einem Déjà-Vu. Das Thema wird mal aufgekocht, dann versickert es wieder. Alle reden über Flüchtlinge, also bekommen sie auch ein eigenes Format: WDR for You und die Neujahrsrede von der Kanzlerin wird erstmalig arabisch untertitelt. Das ist gut, aber zack sind Themen wie Migrationsgeschichte dann auch wieder out. Trotzdem merke ich, dass die Medien sich bemühen und sich einiges ändert. Aber es gibt trotzdem noch viel zu tun. Und trotzdem und immer wieder: Deutschland, ich liebe dich. Du Fotze.

Ömer Mutlu ist Gründer von Kunst und Kültür, das er nicht als deutsch-türkische Plattform versteht, sondern betont, dass Sprache Kommunikation und Spiel ist, keine Barriere, sondern ein Türöffner. Gepostet wird auf Deutsch, Englisch, Türkisch manchmal Arabisch—so wie es zum Content passt. Hier gibt es mehr von KuKü.