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The Uganda Love This Issue

Stadt, Land, Flucht

Im Kärntner Drautal steht eine kleine Ortschaft Kopf, weil ihr einige Flüchtlinge bevorstehen.

Wer abends in den Gottesdienst will, muss künftig an einem Flüchtlingsheim vorbeigehen. Für den Seniorenverein eine „Zumutung". Alle Fotos von Gerhard Maurer.

In Aleppo fallen Schüsse, in Istanbul wird über den Frieden verhandelt und in Töplitsch im Kärntner Drautal—559 Meter über dem Meeresspiegel—bestellt einer namens „Ronacher" ein frisch Gezapftes und sagt: „Der Syrer soll für sein Vaterland kämpfen, wie auch wir das damals getan haben." Es ist 15:47 Uhr. Eigentlich zu früh für Bier an einem Donnerstag Nachmittag, aber die Theke im Gasthaus Louis ist voll. Es gibt eine Dartsscheibe, drei Jausen-Variationen und vierzehn verschiedene Zigarettenmarken. Seitdem „dieses Gerücht" die Runde macht, ist das kleine Gasthaus zum Podium des kollektiven Ärgeres und der Wut geworden. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Vom Seniorenverein und dem Fußballclub über den Verschönerungsverein und die Dorfjugend, auch „Zech" genannt, bis hin zur Feuerwehr und dem Eisstockschießclub. Jeder macht seinem Ärger anders Luft. Die Pensionisten klopften an die Haustüre von Senioren-Obfrau Hanni E. Sollte es soweit kommen, dann würden sie sich am Samstag zum Abendgottesdienst auf keinen Fall mehr aus dem Haus trauen. Die Jungen zogen von Haus zu Haus, sammelten Unterschriften und hängten Transparente an das Dorftor. Familienväter bangen um ihre Töchter, einer der Nachbarn hat Angst um seinen nagelneuen Wagen.

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Vier Kilometer Luftlinie entfernt, auf der anderen Seite des Drautals sitzt der Amtsleiter der SPÖ Ernst Glanzer und nennt das Ganze einen „Betriebsunfall". Ausgerechnet drei Tage vor der Gemeinderatswahl, hat der Sozialdemokrat Hermann Moser, der seit 17 Jahren den Bürgermeister stellt, ein ganzes Dorf gegen sich. In Töplitsch sollen 45 Flüchtlinge in einem alten Gasthof untergebracht werden. Und ausnahmslos jeder der 450 Bewohner, ist dagegen.

Kärnten hat seine Asylquote noch immer nicht erfüllt. 2.030 Asylwerber sind momentan in 62 Quartieren in 41 Gemeinden untergebracht. Exakt 180 Betten fehlen derzeit noch. Barbara Payer und ihr Team suchen diese Betten. Sie ist Kärntens Flüchtlingsbeauftragte und steht vor der nicht ganz einfachen Aufgabe, Kasernen, Gasthöfe oder Bauernhöfe in Brutstätten der Integration zu verwandeln. Seit sich die Landeshauptleute im Dezember 2014 einigten, zentralisierte Erstaufnahmestellen wie Traiskirchen in Zukunft entlasten zu wollen, kommen immer mehr Regionen Österreichs mit Flüchtlingen in Kontakt, die den Nahen Osten bisher nur von der ZIB 2 kennen: Ländliche Gebiete, die innerhalb weniger Wochen vor vollendete Tatsachen gestellt werden und sich nicht selten massiv dagegen wehren. Dass es schwerer sein dürfte, am Land Quartiere und Betreiber zu finden als in der Stadt, zeigt der Vergleich mit Wien: Dort nimmt man mit einer Quote von 118,2 Prozent mehr Flüchtlinge auf, als das Innenministerium anordnet. „Die Quote bleibt ein medial ausgeschlachteter Wert, mit realer Asylpolitik hat sie wenig zu tun", sagt Landeshauptmann Peter Kaiser.

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Für Payer ist die Quote eine tickende Zeitbombe. Wenn sie von ihrem Arbeitstag erzählt, dann spricht sie nicht nur von hitzigen Informationsveranstaltungen, Vorstellungsgesprächen mit neuen Betreibern und E-Mails von erzürnten Bürgern wie Hanni E., sondern auch von „Zyklen" und „stabilen Zahlen". Sie meint damit die Flüchtlingsströme nach Österreich und klingt dabei, als würde sie an der Börse spekulieren: „Gegen Sommer hin können wir wieder mit sprunghaft ansteigenden Zahlen rechnen. Das liegt daran, dass die Schlepperrouten leichter zu bewältigen sind". Trotzdem ist die Situation nicht abschätzbar. Bis es auch in den Ländern sogenannte „Verteilerzentren" gibt, die Traiskirchen entlasten sollen, bleiben vom Bund eingerichtete „Übergangslösungen" die unschöne Realität. So schlafen im Turnsaal des Villacher Polizeikommisariats in der Trattengasse 34 Flüchtlinge auf Feldbetten in einem Massenlager. Payer und ihr Team haben für sie noch keine Unterkunft in einem passenden Umfeld gefunden.

Töplitsch ist so ein Umfeld, findet Asim K. Seinen Namen kennt im Dorfgasthaus Louis inzwischen jeder. Er ist neuer Pächter des alten Gasthofes Adamhof in Töplitsch. Das ehemalige Hotel und seine 80 Betten, standen die letzten fünf Jahre leer. Ihn als „Hotel Garni" weiterzuführen, würde sich heute nicht mehr rentieren. Durch eine neue Infrastruktur wurde Töplitsch immer mehr ins Abseits gedrängt. Ging in den 50er-Jahren noch die Bundesstraße nach Spittal an der Drau direkt durch das Dorf, wurde sie später umgeleitet und irgendwann durch eine Autobahn ersetzt. Seitdem ist der Fremdenverkehr und Sommertourismus immer mehr eingebrochen. Heute brettern jeden Tag LKWs vorbei, ohne zu wissen, dass sich hinter dem Lärmschutzwall das einst als „schönstes Blumendorf Kärntens" ausgezeichnete Töplitsch versteckt. „Der neue Pächter hat den Braten gerochen und will nichts weiter als Geschäft machen", sagen die Leute im Louis. „Ich will helfen", sagte hingegen K. bei einer Infoveranstaltung. Er ist Bosnier und kam Anfang der 90er nach Österreich. Er weiß nur zu gut, wie es sich anfühlt, wenn ein Krieg eine Familie auseinanderreißt.

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„Rentiert es sich finanziell eigentlich, Flüchtlinge zu beherbergen?", fragt einer, der sich zum „Ronacher" an die Theke setzt. Die Antwort lautet: Nach einigen Jahren meistens ja. „Man kann eine Unterkunft natürlich wirtschaftlich führen und dabei Profit machen. Das ist auch nicht verwerflich, das ist freie Marktwirtschaft" sagt Payer. 19 € stehen einem Betreiber in Kärnten pro Tag für einen Flüchtling zur Verfügung. Mit diesem Betrag muss er sich um die Verpflegung kümmern und eine 24-Stunden-Hilfe—sogenannte „Basisbetreuer", wie zum Beispiel eine Köchin oder eine andere Fachkraft—bezahlen. Zusätzlich bekommt jeder Flüchtling 40 € Taschengeld im Monat. In der Grundversorgung dürfen Asylwerber keiner Arbeit nachgehen. Ausgenommen sind Saisonarbeit, gemeinnützige Beschäftigungen sowie Arbeit in der Selbstständigkeit. Am Land dürften die Beherbergten demnach eine bestimmte Anzahl an Stunden bei Landwirten oder anderen primären Dienstleistungssektoren aushelfen—in der Stadt bleiben Schwarzarbeit am Bau und nicht selten die Sexarbeit als die einzigen zwei Alternativen. Bei 45 Flüchtlingen würden dem Pächter monatlich demnach 25.650 € zur Verfügung stehen.

Man hört Sätze wie: „Töplitsch ist ein Negerdorf, ein kleines Nest. Warum ausgerechnet hier?".

Genau diese Anzahl, also 45 Flüchtlinge, ist den Töplitschern zu viel. Selbst eine Partei wie die ÖVP, die sich als „neutral" im Flüchtlingsheimkonflikt erweist, kritisiert: „45 Leute auf 450 Einwohner, das ist eine Zumutung. Das übersteigt den Verteilungsschlüssel um ein Vielfaches!" „Den Verteilerschlüssel hat es per Gesetz nie gegeben" meint dazu Barbara Payer. Da die Unterbringung der Flüchtlinge Ländersache ist und in jedem Bundesland auch mit eigenen, separaten Gesetzen gehandhabt wird, gibt es auch keine Vorschriften, wie viele Flüchtlinge auf Bürger kommen dürfen. In Töplitsch bekommt man auf diese Frage die unterschiedlichsten Antworten. Von „gar keine" über „bitte nur Frauen mit Kindern" bis „zwei Familien". Man hört aber auch Sätze wie: „Töplitsch ist ein Negerdorf, ein kleines Nest. Jeder kennt jeden. Warum ausgerechnet hier?"

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Einer, der am Ende darüber entscheiden wird, ob einmal „ausgerechnet" in Töplitsch Flüchtlinge leben werden, ist der Villacher Bezirkshauptmann Bernd Riepan. Für ihn ist der Konflikt ein bürokratischer Papierhaufen auf seinem Schreibtisch. Er überprüft durch Sachverständige, ob ein Objekt den behördlichen Standards entspricht, so dass dort ein Flüchtlingsheim eröffnet werden kann. Dass mit Auflagen nicht zu spaßen ist, weiß er nur zu gut. Als kurz nach Silvester ein Klagenfurter Flüchtlingsheim abbrannte, musste das Land Kärnten dafür haften und nicht etwa der Pächter. Auch im Adamhof müssten erst Sanitäranlagen, Fluchtwege und Brandschutz erneuert werden. Riepan schätzt die Investitionssumme auf mindestens 100.000. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand in so einen alten Schuppen so viel Geld investiert", sagt der Landwirt Steinkellner, dessen Hof direkt neben dem Adamhof liegt. Seine Augen huschen hin und her, seine Stimme verrät, dass er genau davor Angst hat.

Der Steinkellner ist der Einzige im Louis, der heute Nachmittag einen Spritzer bestellt. Man sagt über ihn, dass er einer der letzten erwerbsmäßigen Landwirte in Töplitsch ist. Er sagt über sich: „Ich bin einer der Gemäßigten", und meint damit wieder einmal das Flüchtlingsheim. Als seine Tochter einen BILD-Artikel in einer Töplitscher Facebook-Gruppe liket, nimmt er sie zur Seite und fragt, ob sie wirklich denke, dass alle Asylwerber Dschihadisten sind. Es war noch einer der harmlosen Beiträge.

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„Wenn Ratten im Hühnerstall Junge kriegen, weil es dort viel Futter gibt, dann werden das nicht automatisch Hühner. Es waren Ratten, es sind Ratten und es werden immer Ratten bleiben", postet ein Mitglied. Eine Grafik folgt, die Flüchtlinge auf einem Boot mit Unterschriften wie „Nix", „Dealer", „Zuhälter", „Einbrecher" und „Dschihadist" zeigt. Am Ende hat diese Gruppe mehr Mitglieder, als Töplitsch Einwohner.

Freitag Mittag ist Töplitsch wie ausgestorben. Dass kurz eine Kuh in Totenstarre über den Häusern „schwebt", bekommt keiner mit.

Zurück im Gasthaus Louis hat sich der Feuerwehrobmann inzwischen seiner Uniform entledigt. Der Rauch steht, es läuft irgendein Schlager und immer wieder geht die Tür auf und jemand setzt sich zum „Ronacher" an die Theke. Der Feuerwehrobmann blättert in der Krone. Dann sagt er: „Die Asylpolitik sollte nicht auf den Schultern der Bevölkerung ausgetragen werden. Wir sind alle gegen dieses Heim und können uns nicht wehren. Das soll Demokratie sein?" Er bekommt Zuspruch von allen Seiten.

Der Nächste, der sein Bier bestellt, wird „der Totengräber" genannt. Er arbeitet am kleinen Friedhof neben der Dorfkirche und kann daher früh Feierabend machen. Der „Totengräber" will bald in die Politik wechseln, er ist angehender Gemeinderat. Aber „bis die Asylanten do sind, bin i längst Bürgermeister", schmunzelt er. Noch wird über seinen Beruf gewitzelt: „Sog amol, wie viel Asylanten hostn eigentlich schon eingegroben?" Gelächter. Einem Mann, den man „Kicker" nennt, ist die aufgeheizte Stimmung sichtlich unangenehm. „Das sind nicht durchwegs schlechte Menschen, vergesst das nicht", sagt er. Der Sepp vom anderen Ende des Lokals glaubt „eh, dass 80 Prozent der Menschen gut sind". Aber letztens hat er einen mit Turban im Lidl gesehen, erzählt er. „Der war ganz bestimmt ein Salafist."

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„Es gibt immer wieder Aufklärungsbedarf verschiedener Intensität", sagt Landeshauptmann Peter Kaiser, aber „selten gehen die Wogen so hoch wie in Töplitsch". Und das, bevor man überhaupt beschlossen hat, ob das Heim errichtet werden soll oder nicht. „Es gibt drei Stimmungen, die man in Städten oder Dörfern bei der Integration von Flüchtlingen erkennen kann: Eine neutral-interessierte, eine positive und eine negative Grundstimmung", sagt Flüchtlingsbeauftragte Payer. Sie überlegt kurz und meint dann: „Töplitsch gehört zur letzten Gruppierung". Bei der dortigen Infoveranstaltung mussten vier Streifenwagen anfahren, so „aufgeheizt und aggressiv war die Stimmung", erinnert sich auch Bezirkshauptmann Riepan. Für die Töplitscher und Töplitscherinnen war die Veranstaltung ein weiterer Beweis dafür, dass man als Bürger nichts mehr zu melden hat. Als die „Zech" dem Landeshauptmann eine Unterschriftenliste überreicht, kontert dieser: „Diese Liste ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist". Da dreht sich der Obmann der Dorfjugend zum Publikum und fragt: „Dann ist das unsere Unterschrift auch nicht, wenn am 2. März Gemeinderatswahl ist, oder?"

Töplitsch reagiert auf sein „Schicksal" mit Politikverdrossenheit. Der SPÖ macht das Sorgen, für Parteien wie die FPÖ könnte es eine Chance sein. Amtsleiter Glanzer versteht das: „Vor der Wahl greift man nach jedem Strohhalm, der sich einem nur bietet." Mario Lackner, unabhängiger Gemeinderat der FPÖ kontert: „Wir hetzen nicht, sondern nehmen die Ängste der Bewohner ernst." In der Töplitscher Facebook-Gruppe findet man dann aber doch Postings wie diesen: „Am Sonntag einfach RICHTIG wählen, dann kommt da sicher kein Asylantenheim her".

Was Töplitsch in diesen Tagen näher zusammenrücken lässt, ist die Angst. Es ist ein seit Generationen gut eingespieltes Ökosystem, das jetzt droht, aus dem Gleichgewicht und der Norm zu fallen. Die einen denken an den Kirchtag, der Jahr für Jahr von der „Zech" organisiert wird. „Was sollen 50 Moslems mit unserer Kirchtags-Suppe? Die kennen doch nicht einmal unsere Kultur", hört man häufig. Und: „Wir Christen sind sowieso ein rotes Tuch für die!"

Die „Zech", der Seniorenverband, der Fußball- und Eisstockschießverein, die Feuerwehr, sogar der Verschönerungsverein—sie alle haben Angst, ein Stück Dorfkultur aufgeben zu müssen. Unter Vorurteile und Hetze mischen sich ernsthafte Bedenken. Wer sind diese Menschen, die kommen? Wie werden sie ihre Zeit im Dorf verbringen? Wer wird sich um sie kümmern? Es gibt unter den 450 Töplitschern niemanden, der bereit ist, seinem Nachbarn zu ermutigen, die Antworten auf diese Fragen zu finden.

Ins Louis ist inzwischen der Bürgermeister eingekehrt. Er trinkt ein Alkoholfreies, weil er noch im Dienst ist. Er schüttelt Hände. „Wenn ein Politiker so kurz vor der Gemeinderatswahl ins Gasthaus einkehrt, dann heißt das Freibier", wird freudig erklärt. Über das Flüchtlingsheim will der Bürgermeister nicht sprechen. Das nimmt man „dem Hermann" im Töplitsch sehr übel. Trotzdem wird er bei der Wahl am Sonntag seine rote Mehrheit verteidigen können. Aber wie lange noch? „Bis die Asylanten do sind, bin ich längst blauer Bürgermeister", sagte der „Totengräber". Ob ernst gemeint oder nicht: Viele, die heute im Louis an der Bar sitzen, wissen, dass beides miteinander zusammenhängt. Die Uhr im Louis zeigt kurz vor 18:00 Uhr. In Aleppo fallen Schüsse. In Istanbul wird über den Frieden verhandelt. In Klagenfurt versucht die Flüchtlingsbeauftragte Barbara Payer eine Unterkunft für eine neue, sechsköpfige Familie zu finden. Und in Töplitsch redet man sich darauf raus, „das kleine Negerdorf" zu sein.