FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Ein Psychologe erklärt, was hinter Attacken wie jener in Würzburg steckt

Wie sich der IS Terroristen erschafft.

Foto: imago | Starmedia

Nach der Messerattacke von Würzburg war in den sozialen Medien sofort klar, dass der islamistische Terror spätestens jetzt Deutschland erreicht hat. Das bayerische Innenministerium teilte mit, dass der 17-jährige Täter "Allahu Akbar" gerufen hatte, und prompt bekannte sich der sogenannte Islamische Staat zu der Attacke. Beweise dafür, dass der Täter in irgendeiner Art Anweisungen der Terrororganisation bekommen hat, gibt es bisher aber keine. Allerdings ist ein Video aufgetaucht, das der 17-Jährige vor der Tat an den IS geschickt haben soll. Der IS scheint auf Einzeltäter zu setzen, die ihren Terror mit Gewalt nach Europa tragen.

Anzeige

Wir haben mit Gerd Reimann gesprochen, einem Notfallpsychologen, der Hinterbliebene und Überlebende von Terrorattacken wie jenen in Nizza oder Würzburg betreut. Er kümmert sich auch um Menschen, die Zeuge von Suiziden werden, wie Lokführer. Wir haben uns mit ihm über die Gründe für Terror und Amok unterhalten.

VICE: Was macht einen Menschen zum Amokläufer?
Gerd Reimann: Die Ursachen können vielfältig sein. Bei religiös motivierten Tätern kann man von einer gänzlich anderen Wertewelt ausgehen. Eine, die mit unserer westlichen nicht vereinbar ist. Diese Menschen haben ein klares Feindbild. Sie lehnen die westliche Vielfalt, die Demokratie und die Freiheit ab. Das ist verbunden mit der Vorstellung, dass der Tod nichts Endgültiges ist, sondern der Beginn eines Lebens mit vielen Genüssen. Islamistische Attentäter haben keine Angst vor Strafe, denn aus ihrer Sicht beginnt das Leben eigentlich erst nach dem Tod. Zum anderen kann ein Amoklauf auch die Folge einer Krankheit sein. Oft stecken da Allmachtsfantasien dahinter. Es gibt Erkrankungen, wo man glaubt, man wäre der Weltbeherrscher. Diese Menschen nehmen sich das Recht heraus, über das Leben anderer zu richten, und machen das dann auch.

Gibt es Faktoren, die so eine Tat auslösen können?
Manche Menschen empfinden aufgrund ihrer spezifischen Lebenssituationen eine tiefe Wut und Verzweiflung. Sie sehen keinen Ausweg und versuchen, ihrer Wut und Verzweiflung Raum zu schaffen. Auch auf die Gefahr hin, dass sie selbst getötet werden. Es gibt aber auch Menschen, die unrealistische Erwartungen haben an die Welt. Diese Erwartungen werden aber nicht von der Gesellschaft erfüllt, sodass man aus Wut und Aggression versucht, Blockaden, ob vermeintliche oder nicht, zu zerschlagen.

Gibt es bei solchen Attacken Nachahmer?
Es gibt auf alle Fälle Serientäter, die schlimme Verbrechen erfolgreich begehen und sie dann wiederholen, und es gibt natürlich auch Nachahmungstäter. Menschen, die möglicherweise nicht so sehr beachtet werden und wahrscheinlich von der Persönlichkeitsstruktur eher zurückgezogen leben, eher nicht selbstsicher sind, sehen, dass es Täter gibt, die einen solchen Anschlag verüben. Ein Anschlag, der dann teilweise zu einer weltweiten Medienpräsenz führt. Ähnlich wie beim Werther-Effekt ziehen sie daraus den Schluss: Das könnte ich auch machen, mein Leben ist so traurig und deprimierend. Wenn ich so einen Anschlag verübe, komme ich ans Licht der Öffentlichkeit und werde wahrgenommen.

Beim IS hat man oft das Gefühl, dass er laut HIER schreit, sobald ein Anschlag verübt wird. Motiviert das wiederum Menschen mitzumachen?
Tatsächlich ist es ja so, dass gerade der IS an die kleinen und großen Unzufriedenheiten anknüpft, die gerade junge Menschen haben, die sich noch in der Entwicklung befinden. Die versprechen ein relativ konfliktfreies und angenehmes Leben, wenn sich diese jungen Leute nur einer größeren Idee verpflichten. Wenn man ihnen sagt, dass sie sich, etwa bei einem geplanten Anschlag, beweisen müssen, um dazuzugehören, dann machen die das auch. Vor allem eben in der Verbindung damit, dass sie keine Angst vor dem Tod haben, der für sie eben nicht das Ende von allem ist, sondern der Beginn von etwas Schönem.

Haben Sie das Gefühl, dass der IS mit dieser Lone-Wolf-Taktik gezielt solche Leute anspricht?
Ja, Menschen, bei denen diese Seelenfänger merken, "da haben wir leichtes Spiel", sind dafür tatsächlich prädestiniert.