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Carmine Amoroso: 2011 lernte ich bei einer Filmpremiere den Pornografen Riccardo Schicchi kennen und mit dieser Begegnung hat auch alles begonnen. Zwar war er mir schon aus dem Fernsehen bekannt gewesen, aber persönlich getroffen hatte ich ihn vorher noch nie. An diesem Abend wurde mir dann richtig bewusst, was für ein wunderbarer und kultivierter Mensch er war. Eigentlich sollte sich die Doku exklusiv um ihn drehen, aber dann fand ich heraus, dass er an einer lähmenden Krankheit litt. Dieser Umstand machte alle ursprünglichen Pläne zunichte. Deswegen entschloss ich mich letztendlich dazu, das ganze Projekt auszuweiten und zu untersuchen, welchen Einfluss die Porno-Industrie von den späten 60er bis hin zu den 80er Jahren auf die italienische Gegenkultur und Politik hatte. Dieser Zeitraum wird allgemeinen auch als die „politischen" Jahre der italienischen Erotikbranche angesehen, denn die Pornos erlebten ihre Hochphase, als auch die katholische Kirche sehr viel Macht besaß.
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Wer waren die Schlüsselfiguren dieser Revolution?Munchies: Pornos schauen und Schnitzel essen im Sado-Maso-Café
Die Dokumentation beginnt direkt mit einem unglaublichen Menschen, nämlich Lasse Braun. Er war einer der ersten Regisseure, die das gedreht und berühmt gemacht haben, was wir heute als „Mainstream-Pornos" bezeichnen würden. Er hat das Filmemachen mithilfe eines Handbuchs erlernt und seine Werke auch immer bei sich zu Hause geschnitten und fertig gemacht, um nicht verhaftet zu werden. Außerdem entwickelte er ein innovatives Vertriebssystem, das auf Magazinen und Postfächern basierte. Braun war dazu noch der erste Porno-Regisseur, dessen Werk auf dem Filmfestival Cannes gezeigt wurde.Zu dieser Zeit war Pornografie noch komplett verboten—und zwar jetzt nicht nur Pornografie im eigentlichen Sinn, sondern zum Beispiel auch Nacktbilder. Damals befand sich die Gesellschaft jedoch auch in einem Umbruch und man hat über alles diskutiert—von Scheidungen bis hin zu sexuellem Verhalten. Braun war dann der Erste, der diesen Umbruch in Form von Pornos verarbeitet hat. Man könnte ihn als eine Art Italienischen Larry Flint bezeichnen.
Genau! Das Gleiche ist dann auch Schicchi widerfahren. Er hat Pornos ins Fernsehen gebracht und Cicciolina sowie Moana Pozzi zu Stars gemacht. Sie waren im Mainstream angekommen und wussten genau, wie sie ihre Berühmtheit einsetzen konnten. Vor Braun waren Pornos noch eine Sache, die nur für reiche Leute zugänglich war, denn diese Leute konnten es sich leisten, illegale Filme zu kaufen.
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Die Filme von damals waren sehr ironisch und dezent gehalten. Außerdem gab es so etwas wie Porno-„Stars" noch nicht. Alles wirkte viel angenehmer und natürlicher—ästhetisch gesehen waren Erotikfilme damals noch sehr mit der Natur verbunden. Dazu herrschte noch ein Gefühl der Freiheit: Giuliana Gamba, die erste italienische Porno-Regisseurin, erinnert sich in der Dokumentation zum Beispiel daran, dass dieses Gefühl der Freiheit eigentlich alles ins Rollen gebracht hat.Wer war dann die erste richtige italienische Porno-Ikone? Ich meine, Braun war zwar ein echter Innovator, aber dennoch nicht wirklich berühmt.
Die erste Ikone war wohl Ilona Staller aka Cicciolina. Ihre Rolle wird auch in der Dokumentation ausführlich besprochen: Sie war ein unglaublich gut aufgebauter Charakter aus Schicchis Feder. Sie verkörperte quasi seine Fantasie und repräsentierte den italienischen Porno in all seinen Facetten. In anderen Worten: Cicciolina war ein Symbol der natürlich Schönheit von Sex.Wenn Braun der Begründer des italienischen Pornos war, was stellte dann Riccardo Schicchi dar?
Schicchi machte die Porno-Industrie zu dem, was sie war. Man kann ihn ruhigen Gewissens als den König des italienischen Pornos bezeichnen.
Pornos standen damals für die Befreiung des Körpers. Aber auch von einem konzeptuellen Standpunkt aus betrachtet muss sich der Körper entkleiden. Denk doch nur mal an die Hippie-Festivals in Mailand, bei denen sich Dutzende nackte Menschen in einem Park versammelt haben: Ein nackter Körper stellte damals einfach immer ein revolutionäres Element dar.Und welche politische Rolle haben Pornos gespielt?
Pornografen haben sich in einen anarchistischen und links-libertären Kontext eingeordnet: Sie standen der Partei Radicali Italiani nahe—und diese Partei spielte damals in der Bürgerrechtsdiskussion eine große Rolle. 1987 zog Ilona Staller für die Radicali Italiani auch ins italienische Parlament ein.
Die italienische Porno-Industrie befindet sich derzeit im Leerlauf. Wann hat dieser Negativtrend deiner Meinung nach angefangen?Motherboard: Hinter den Kulissen eines Virtual Reality-Pornos
Die italienische Porno-Kultur mit ihren konzeptuellen und politischen Untertönen, über die wir schon die ganze Zeit reden, ist 1994 mit dem Tod von Moana Pozzi zu Ende gegangen. Das hat dann auch eine große Veränderung mit sich gebracht. Pornos sind jedoch nicht nur irgendwelche Filme, sondern eine Sprache, die sich ständig weiterentwickelt. Der Umstand, dass es hier in Italien quasi keine Porno-Industrie mehr gibt, bedeutet nicht, dass das Genre tot ist. Nein, das Ganze ist nur ein Anzeichen dafür, dass wir uns nach vorne bewegen und dass sich der Konsum verändert hat.