"Die Einführung der Pille war die wichtigste Errungenschaft nach der Zähmung des Feuers"
Bildaushang im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (Foto von Veronika Mathes​)

FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

"Die Einführung der Pille war die wichtigste Errungenschaft nach der Zähmung des Feuers"

Wir waren im weltweit einzigen Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien und haben mit Leiter Christian Fiala über Abtreibung, die Kirche und Fischblasen gesprochen.

Fotografin vor Ort: Veronika Mathes

Österreich liegt mit bis zu realistisch geschätzten 30.000 Abtreibungen pro Jahr im europäischen Spitzenfeld. Die Erklärung dafür ist einfach, dass bei uns schlecht verhütet wird. Christian Fiala ist Direktor des Gynmed Ambulatoriums in Wien, einer Praxis, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt.

2007 hat er im selben Gebäude auch das Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS) ins Leben gerufen—der weltweit einzigen Einrichtung dieser Art, die mit internationalen Ausstellungsstücken und einer ordentlichen Portion historischem Unterbau dokumentiert, wie die Menschheit gelernt hat, die natürliche Fruchtbarkeit den eigenen Wünschen und Möglichkeiten anzupassen.

Anzeige

In engem Kontakt mit internationalen Fachkräften und Kongressen hat Fiala hier Objekte, Geschichten und Zahlen aus aller Welt zusammengetragen, die die brutale Geschichte der kontrollierten Fruchtbarkeit dokumentieren.

Wir haben uns mit ihm über Verhütung, Abtreibung, deren gesellschaftlichen Status und darüber, warum katholische Sexualmoral lebensgefährlich sein kann, unterhalten.

VICE: Wie steht Österreich im Bezug auf Schwangerschaftsabbruch da—also im internationalen Vergleich?
Christian Fiala: Die gesetzliche Regelung ist klar formuliert und bietet große legale Entscheidungsautonomie—zumindest innerhalb der ersten 16 Wochen einer Schwangerschaft. Die Praxis ist hingegen schlecht bis katastrophal, da es keine Durchführungsbestimmungen gibt.

Wieso katastrophal? Was wären konkrete Fallbeispiele?
Im ganzen Burgenland gibt es keine einzige Praxis, die Abbrüche vornimmt, in Vorarlberg nur einen Arzt aus Lindau, der eine zweite Ordination in Bregenz hat und dort Abbrüche ermöglicht. Somit müssen Frauen, die oftmals bereits Familien zu versorgen haben oder ein geringes Einkommen, innerhalb Österreich herumfahren und alle einhergehenden Kosten selber übernehmen. Man spart ja nicht auf eine Abtreibung wie auf eine Urlaubsreise nach Kuba. Das ergibt sich immer unvorhergesehen wie ein Autounfall. Die Legalität nutzt nicht viel, wenn letztlich niemand bereit ist, die Abbrüche vorzunehmen.

Anzeige

Was erschwert Frauen in Österreich, die eine Abtreibung vornehmen wollen, darüber hinaus diese Entscheidung?
Überall dort, wo in Westeuropa Schwangerschaftsabbruch erlaubt ist—nur in Irland, Liechtenstein, Malta und Polen bleibt er noch gesetzlich verboten—, wird dieser von den Krankenkassen bezahlt. Nur nicht in Österreich. In der Schweiz hat es am 8. 2. 2014 eine Abstimmung gegeben, bei der medial nur über die Integrationsfrage gesprochen wurde. Aber das zweite Abstimmungsthema war, ob Schwangerschaftsabbrüche weiter von Krankenkassen bezahlt werden sollen. 70 % der Schweizer stimmten mit Ja, ein klares Votum, das eben durch Erfahrung mit und Vertrauen zu bestehenden Zuständen bedingt ist. Und dort muss Österreich auch hinkommen.

Wie viel kostet so eine Abtreibung?
Ab 530 Euro bis 600 Euro aufwärts. In Österreich kann jeder Arzt verlangen, was er will, da es keine gesetzlichen Regelungen gibt. Der niederösterreichische Landeshauptmann hat vor drei vier Jahren angeordnet, in den NÖ-Spitälern den Preis dieser Eingriffe raufzusetzen. Dort kostet ein Abbruch ab 800 Euro—die Uniklinik in Graz verlangt das gleiche. In Folge gibt es dort praktisch keine Abbrüche mehr, weil das nicht mehr leistbar ist.

Das Problem ist also der hohe Preis?
Nicht nur—es gibt hier auch das andere Extrem. Eine in Rumänien ausgebildete Ärztin aus dem 7. Wiener Gemeindebezirk—die inzwischen pensioniert ist—hat vor Jahren dort beispielsweise nur 300 Euro für eine Abtreibung verlangt. Eine korrekte Leistung kostet aber einen bestimmten Preis. Aufgrund des geringen medizinischen Standards kam es häufig zu Komplikationen und Frauen mussten nachbehandelt werden und die Ordination wurde im Sommer 2013 geschlossen. Das ist die Folge von fehlender Kostenübernahme der Krankenkassen. Das ist sozial ungerecht und gesellschaftlich unklug.

Anzeige

Bis 1900: Tötung nach der Geburt. Bis etwa 70er Jahre (in Europa): illegaler Abbruch im 4. - 5. Monat. Ab etwa 70er Jahre: Chirurgischer Abbruch bis zur 10. Schwangerschaftswoche. Ab 90er Jahre: Medikamentöser Abbruch bis zur 6. Woche. Heute: Prävention. Eine Erfolgsgeschichte.

Im Museum liegt eine Petition auf, die für die kostenlose Bereitstellung von Verhütungsmitteln in Österreich Unterschriften sammelt. Wie ist da die Lage?
Genau wie bei Abtreibungen ist Österreich in puncto Verhütung und Prävention ein Ausnahmefall in Westeuropa. Für alles Mögliche wird Geld ausgegeben, für Abfangjäger und Landesparlamente, aber Verhütung ist und bleibt Privatsache. Selbst Präsident François Hollande hat vor einem Jahr in Frankreich beschlossen, die staatliche Bereitstellung von Verhütungsmitteln von 80 % auf 100 % zu erhöhen. Das ist ein selbstverständlicher Standard. Bei uns hingegen werden Frauen ungewollt schwanger und im Nachhinein sagen alle: „Die waren unvorsichtig!" Das ist eine unglaubliche Doppel- und Scheinmoral.

Sex von hinten im computertomographischen Querschnitt. (Foto vom Autor)

Offenbar steht Österreich im Vergleich eher schlecht da. Aber wie hat sich Verhütung auf die Entwicklung der gesamten westlichen Gesellschaft ausgewirkt?
Die Einführung der Pille 1960, sozusagen die Zähmung der Fruchtbarkeit, war die zweitwichtigste Errungenschaft der Menschheitsgeschichte nach der Zähmung des Feuers. Dank wirksamer Verhütungsmethoden können wir unsere Fruchtbarkeit heute nach unserem Leben ausrichten und nicht umgekehrt. Da muss man sich vor Augen halten, dass das Ausmaß der natürlichen Fruchtbarkeit—von 15 bis 50 Jahren—im historischen Durchschnitt bei bis zu 15 Schwangerschaften pro Frau liegt.

Anzeige

Im Durchschnitt, das heißt …
15 Mal schwanger! Unsere ganze soziokulturelle Entwicklung der Gesellschaft seit 1960—auf allen Ebenen—war nur möglich, weil wir unsere Fruchtbarkeit selbst bestimmt leben können. Emanzipation wäre ansonsten nicht möglich gewesen. Wir beide würden nicht hier sitzen, weil wir Kinder hätten, die wir versorgen müssten. Die sexuelle Revolution wäre nach 9 Monaten vorbei und letztlich war sie ja zwangsweise eine logische Folge der Pille. Nur ein Beispiel, wir hatten neulich eine 17-Jährige, die zum Schwangerschaftsabbruch kam, die hatte aber schon zwei Kinder. Die hat eben nie verhütet und das war: Nature at Work.

Ein quasi „Fruchtbarkeits-Taschenrechner" half schon immer um die empfängnisfreien Tage genau zu kalkulieren—auch nur in Theorie eine wirksame Verhütungsmethode.

Die katholische Kirche vertritt immer noch Moralvorstellungen, die mit Abtreibung nicht vereinbar sind. Gibt es von dieser Seite aus spürbare Eingriffe?
Ja, natürlich. Vor einem Jahr hatte eine Frau in Irland, die sich in der 16ten Schwangerschaftswoche befand, einen Blasensprung und man hätte im Spital einen Notabbruch vornehmen müssen. Da der Fötus aber noch einen Herzschlag aufwies, weigerten sich die Ärzte dies zu tun. Die Frau ist einige Tage später an einer Blutvergiftung verstorben, letztlich aus religiösen Gründen. Die katholische Sexualmoral IST lebensgefährlich.

Bereits 1200 v. Chr. wurden von König Minos Fischblasen zur Kontrazeption verwendet.

Anzeige

Gibt es da Zahlen, wie viele Opfer solche Skandale schon gefordert haben?
Bevor in Europa der Abbruch erlaubt wurde, war so etwas Gang und Gäbe. Da sind Frauen vielfach verstorben, wegen der Selbstversuche abzutreiben und der schweren Komplikationen nach illegalen Abtreibungen. Aus Zeiten des Verbots gibt es natürlich keine Statistiken. Aber wir wissen, dass es bis 1975 in Krankenhäusern neben der Gynäkologie und der Geburtshilfe—zwei ähnlich große Stationen—eine isolierte, dritte Abteilung für Frauen mit Blutvergiftung gab. Diese septische Station war gleich groß wie die anderen beiden.

Der Schwangerschaftsabbruch mittels Seifen oder Seifenlaugen war bis zur Legalisierung weit verbreitet. Es löste meist eine Fehlgeburt aus, hatte jedoch auch oft den Tod der Frau zur Folge.

Weil mit Giftstoffen so häufig abgetrieben wurde?
Das Ausmaß an Fantasie, das die Menschen hatten, um der Fruchtbarkeit Herr zu werden, ist unglaublich. Beinahe jede Substanz und jeder Gegenstand dieser Erde wurde beim Versuch zu verhüten oder abzutreiben schon verwendet. Im Museum ist vieles davon ausgestellt, zusammengetragen aus der ganzen Welt.

Was ist für Sie das Wichtigste am Abtreibungsmuseum?
Zunächst muss man sagen, dass diese Hilflosigkeit gegenüber der eigenen Fruchtbarkeit, dem damals so benannten „Geburtszwang", einen enormen Leidensdruck und traumatisierende Verzweiflung geschaffen hat. Das ist für uns gar nicht mehr vorstellbar. Die Leute schütteln im Museum immer dankbar den Kopf, da solche existentiellen Ängste in unseren Breiten kein Thema mehr sind.

Anzeige

Was sind die ältesten und wahnwitzigsten Verhütungs- oder Abtreibungsmethoden?
Regenwürmern wurde Harn injiziert um Schwangerschaften nachzuweisen. Frösche waren vor den chemischen Methoden von 1945 bis 1965 sehr gebräuchliche und relativ gute Schwangerschaftstests. Es gab auch Seifenspülungen um einen Abbruch herbeizuleiten. Und bevor Charles Goodyear 1855 das erste vulkanisierte Kautschuk-Kondom aus Gummi entwickelte, hat man von Schafen den Blinddarm genommen oder auch Fischblasen. Darmhaut war gefühlsecht, aber nicht sehr stabil.

Stark vibrierende Haushaltsgeräte, wie dieses von Bosch für Schmutzwäsche, wurden mit in die Badewanne genommen und auf den Bauch gelegt um einen Abbruch einzuleiten.

Gab es auch weniger exotische Haushaltsgegenstände, die dafür zweckentfremdet wurden?
Scheidenspülung war auch eine beliebte wie wirkungslose Art der Verhütung. Bei uns gibt es ein französisches Modell zu sehen, das einem Bierkrug ähnelt. Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 50er-Jahre fand sogar Coca Cola als schäumende Scheidenspülung Anwendung—unpraktisch und obendrein wirkungslos, da das kohlensäurehaltige Getränk Spermien nicht angreift, wie damals gemutmaßt wurde. Ähnlich problematisch war das Schwamm-Diaphragma. Es wurde insgesamt viel probiert. 99,99 % der Versuche waren erfolglos, aber die 0,01 % sind die Revolution.

Gibt es eine verlässliche Form der „natürlichen" Verhütung, ganz ohne Chemie oder Hormone?
Wir haben heutzutage so viele wirksame Verhütungsmethoden wie noch nie zur Verfügung und paradoxerweise meinen Frauen immer öfter: „Ich will meinem Körper keine Hormone zuführen und lieber natürlich verhüten". „Natürlich" heißt aber: 15 teils ungewollte Schwangerschaften. Die Natur als das Paradies zu sehen ist romantische Verklärung. Natur ist brutal, rücksichtlos und schert sich wenig um das Individuum.

Anzeige

In Nepal war bis 2002 Abtreibung verboten und mit teilweise lebenslangen Haftstrafen geahndet. Auf 100.000 Lebendgeburten kamen 1.500 Todesfälle (laut WHO).

Sie sind Direktor des Gynmed Ambulatoriums und vertreten Abtreibung sowie Verhütung stark an allen Fronten. Gibt es einen persönlichen Hintergrund, warum Sie in diesem Gebiet so engagiert sind?
Ich habe in den 70er- und 80er-Jahren in Innsbruck Medizin studiert. Ich weiß nicht, ob man sich das heute vorstellen kann, aber Tirol in den 70ern war eine andere Welt—ich habe damals mit meiner Freundin keine Wohnung bekommen, weil wir nicht verheiratet waren. Kolleginnen sind schwanger geworden und hatten weder das Wissen, noch die Möglichkeit sich ausreichend zu schützen—obwohl sie Medizinerinnen in Ausbildung waren. Das hat mich dann schon sehr betroffen gemacht.

Hat auch Ihr Turnus-Jahr in Thailand etwas damit zu tun?

Definitiv. Dort ist der Abbruch verboten und die Frauen krepieren tagtäglich in „normaler", klinischer Routine. Das prägt einen schon. Frauen werden schwanger, bekanntlich durch Männer, und ich finde, da sollte Mann auch Verantwortung übernehmen—nicht nur im Fall einer Vaterschaft. Auch bei Entscheidungen zur Abtreibung braucht es Beistand und Unterstützung durch den Partner.

Es gab in den letzten Jahren immer wieder Demonstrationen gegen die Klinik und das Museum. Was genau hat sich da abgespielt?
Das hat 2003 angefangen, als die Klinik eröffnet wurde. Plötzlich sind diese Fundamentalisten von Human Life International (HLI) gekommen und haben die Frauen vor der Türe am Gehweg terrorisiert. Deren Wiener Chef, Dietmar Fischer, ist ein frühpensionierter, umtriebiger Lehrer aus Vorarlberg und hat Talent fürs Mobilisieren von Leuten.

Die Landesregierung hat jetzt seit mehreren Jahren eine Wegweiser-Regelung implementiert, eine Schutzzone, damit man bei Angriffen die Polizei holen kann und die Demonstranten auf der anderen Straßenseite bleiben müssen. 10 bis 20 Mal mussten wir die Polizei holen und dann haben sie es kapiert. Diese Menschen sind halt psychisch eingeengt, teilweise wie psychiatrische Patienten.

Noch heute stehen Gegner von der HLI Österreich vor den Türen des Museums. Auch die CSA-Austria machen verleumderische, reißerische Angriffe auf Dr. Fiala. (Foto vom Autor)

Ist da kein objektives, normales Gespräch möglich?
Ich hatte mal einen Patienten, der meinte, er sei Gott. Was soll man da noch normal reden? Er war sehr nett, aber das bringt ja nichts. Das Drama ist, dass die Gesellschaft zulässt, dass solche Leute bei uns vor der Tür stehen dürfen. Ich habe anonyme Todesdrohungen bekommen und die Hilfe suchenden Frauen sind terrorisiert worden. Aber es bringt uns nicht weiter, auf diese Menschen einzugehen. Man wirft Analphabeten auch nicht vor, die falsche Zeitung zu lesen. Wichtig ist, was Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft benötigen und die Erfahrung der sie betreuenden Fachkräfte.

Bildmaterial, Texte und Ausstellungsobjekte bereitgestellt vom Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch.

Josef auf Twitter: @theZeffo