„Wenn man etwas gerne tut, dann fällt einem nicht auf, ob es schwer ist oder nicht”, sagt Clarisse. Die 25-Jährige ist Bäckerin bei Hot Bread Kitchen in East Harlem. Als ob sie mir das beweisen will, zieht sie mit ihren bloßen Händen ein knusprig-frisches Ciabatta aus dem riesigen Großofen, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken.
Heute zeigt sie mir, wie man nan-e barbari macht, ein beeindruckend schönes persisches Fladenbrot, das ein bisschen so aussieht, als hätte man ein Focaccia auf Skateboardlänge ausgestreckt. Bei dem Vergleich schreitet Clarisse sofort ein: „Es sieht viel schöner aus, als Focaccia!”, sagt sie mit hochgezogener Augenbraue. Das Fladenbrot wird mit roomal bestrichen, einer Mischung aus Mehl, Wasser und Zucker, und dann noch mit Sesam und Schwarzkümmel bestreut. Nach dem Backen hat es einen leicht goldenen Glanz und eine Textur wie eine weiche Brezel.
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Clarisse kommt aus Burkina Faso und wenn sie spricht, schwingt ihr anmutiger französischer Akzent immer leicht mit. Bevor sie die Brote ordentlich mit Sesam und Schwarzkümmel bestreut, drückt sie ganz sanft einige Mulden in die Hefelaibe. „Ich nehme gern viele Samen, damit man sie auch richtig schmecken kann”, lacht sie. Geschickt hievt sie den Teigling dann auf eine Brotschaufel und schiebt ihn in den Ofen. Nach kurzer Backzeit sieht das Brot dann so lecker aus wie auf dem Cover des neuen Kochbuchs der Bäckerei.
Allerdings ist Clarisse, wie die meisten der Frauen hier, keine typische Bäckerin. Eigentlich ist sie Backlehrling bei Hot Bread Kitchen und steht bereits am Ende ihrer 9-monatigen Ausbildung. Hot Bread Kitchen ist mehr als nur eine kleine Bäckerei, vielmehr ist es ein soziales Unternehmen, das in die USA immigrierte Frauen unterstützen will—durch den Verkauf von Brot.
Gegründet wurde die Bäckerei 2007 von Jessamyn Waldman-Rodriguez. Damals machte sie noch in ihrer kleinen Wohnung in Brooklyn Tortillas aus nixtamalisiertem Mais, die sie dann auf einem kleinen lokalen Markt verkaufte. Ab da wuchs ihr kleines Unternehmen ständig: Sie stellte Personal ein und mietete eine Großküche in Queens. 2010 zog Hot Bread Kitchen dann in das letzte übriggebliebene Gebäude von La Marqueta, einem historischen und einst viel besuchten Markt in East Harlem, direkt unter den Gleisen der Metro North Line. Dort sind sie bis heute.
In La Marqueta sind ansonsten noch ein paar kleine Geschäfte, unter anderem Mama Grace’s African Caribbean Food und Velez Groceries. Hot Bread Kitchen ist aber der größte Mieter und hat sein Ausbildungsangebot noch erweitert. Außerdem haben sie ein kleines Gründungszentrum für kulinarische Startups, das HBK Incubates, ins Leben gerufen.
Die Küche aber ist immer noch das Herzstück der Arbeit von Hot Bread Kitchen: Hier können Frauen, die oft auch aus Randgruppen der Gesellschaft kommen, alles lernen, um in der Welt des professionellen Backens Erfolg zu haben.
Clarisse hat Hot Bread Kitchen durch einen Freund entdeckt, der selbst hier Lehrling war. „Er sagte zu mir: ,Wenn du wirklich Bäckerin werden willst, dann fang dort an!’”, erinnert sie sich.
Sie kam vor fünf Jahren in die USA. Damals hat sie in einer Großbäckerei gearbeitet, wo Baguettes und Croissants gemacht wurden. Doch sie durfte das Brot nur formen: „Manchmal hab ich mich zu den Öfen geschlichen, wenn der Chef nicht da war. Ich wollte wirklich etwas lernen, aber das kann man dort nicht. Einer bäckt, der andere formt. Mehr nicht.”
Das ist in vielen Großbäckereien Standard. Hochmotivierte Bäcker wie Clarisse können ihre Fähigkeiten dort nicht entfalten. Bei Hot Bread Kitchen bekommt sie neben ihrer Arbeit in der Bäckerei auch Unterricht.
„Ich fühle mich schon wie eine Profi-Bäckerin! Ich weiß einfach alles”, lacht Clarisse und fügt hinzu, dass sie auch nach ihrem Abschluss ihre Kenntnisse weiter ausbauen möchte. „In anderen Bäckereien gibt es vielleicht auch noch etwas zu lernen und ich will alles wissen.”
Bei Hot Bread Kitchen durchläuft jede Bewerberin einen intensiven Bewerbungsprozess. Am Anfang steht ein Gruppengespräch, dann werden die Backkenntnisse, sofern denn vorhanden, getestet. Selbst wenn die Bewerberin keinerlei Erfahrungen hat, kann man so sehen, wie schnell sie arbeitet und welche Arbeitseinstellung sie hat. Kann sie überzeugen, beginnt das Ausbildungsprogramm, das sechs bis neun Monate dauert. Die Lehrlinge werden sowohl für ihre Arbeit in der Küche als auch die Zeit in der Schule bezahlt. Dort haben sie Unterricht in Englisch, Mathe, Backwissenschaft und persönlicher Entwicklung. Wenn sie die Ausbildung erfolgreich abschließen, werden sie von Hot Bread Kitchen an Bäckereien in der ganzen Stadt vermittelt, aber nur in höheren Position mit einem Mindestlohn von 12,50 Dollar pro Stunde.
„Sie wissen, dass ihr Brot verkauft wird, um das Programm zu finanzieren”, sagt Allegra Ben-Amotz, Marketing- und Eventmanagerin bei Hot Bread Kitchen. „Sie sehen ihr Brot dann bei Whole Foods oder auf den Märkten in der ganzen Stadt. Sie wissen, dass das Brot an viele Restaurants in ganz New York verkauft wird. Das macht sie stolz und sie identifizieren sich damit.”
Allegra Ben-Amotz fügt außerdem hinzu, dass die Vermittlungsrate von Hot Bread Kitchen bei 100 Prozent liegt. Seit 2011 gab es 40 Frauen, die das Ausbildungsprogramm absolviert haben.
Von außen sieht Hot Bread Kitchen aus wie eine kleine handwerkliche Bäckerei, aber eigentlich ist es eine Non-Profit-Organisaiton. Das Ausbildungsprogramm wird zu 67 Prozent durch den Verkauf von Brot finanziert, der Rest wird durch Spenden oder private Kooperationen eingebracht. An diesem Konzept hat sich seit dem Anfang nichts geändert.
Bevor Jessamyn Waldman-Rodriguez Hot Bread Kitchen gegründet hat, war sie zwar begeisterte Köchin, bevor sie sich ernsthaft mit der Eröffnung einer Bäckerei beschäftigte, hat sie sich zunächst zehn Jahre lang im Kampf für soziale Gerechtigkeit stark gemacht.
„Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, als mich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen”,erzählt sie mir. „Die Idee [zu Hot Bread Kitchen] konnte wirklich etwas bewegen. Dabei konnte ich meine persönliche und meine berufliche Leidenschaft kombinieren.”
Jessamyn Waldman-Rodriguez hat bei den Grundlagen angefagen: Sie lernte, wie man richtig bäckt. Sie hat Unterricht genommen und zwei Jahre lang bei der Bäckerei im Daniel gearbeitet, wo sie gelernt hat, einen perfekten Laib zu formen. Zurück zu Hause hat sie dann ihren ersten Mitarbeiter eingestellt, Elidia Ramos, und begonnen, Tortillas zu verkaufen.
Schon bald wollte sie sich jedoch erweitern. „Wir haben uns an andere Organisationen im Viertel gewendet, zum Beispiel an die Arab American Family Services, die uns sofort ein paar potenzielle Lehrlinge geschickt haben, und an das International Rescue Committee, die sich für die Flüchtlinge in den USA einsetzen”, erzählt Waldman-Rodriguez. „Uns kannte damals noch keiner, daher haben wir alles getan, um Organisationen zu erreichen, die sich um Migranten kümmern, denn die brauchen unsere Hilfe am meisten.
Die meisten werden durch Mundpropaganda auf Hot Bread Kitchen aufmerksam, auch wenn das soziale Ziel der Bäckerei für die Kunden nicht immer sofort erkennbar ist. „Hier wird nicht nur Brot verkauft, sondern hier geht es auch darum, mit den Menschen in Kontakt zu kommen”, so Waldman-Rodriguez. „Wir sind leisten Sozialarbeit, sind eine Bäckereischule und ein normaler Arbeitgeber zugleich.”
In einer von Männern dominierten und hart umkämpften Backwelt hilft Hot Bread Kitchen insbesondere talentierten jungen Frauen beim Sprung auf die Karriereleiter. Gleichzeitig schaffen sie so, gerade auch weil sie sich ständig erweitern, Arbeitsplätze für Hilfskräfte und Packer.
Waldman-Rodriguez hat es sich aber zum Hauptziel gesetzt, dass Frauen endlich auf gleicher Augenhöhe in der Backwelt mitmischen können, insbesondere Frauen aus gesellschaftlichen Randgruppen. „Um die Branche zu verändern, müssen Frauen endlich in den Stellen arbeiten, wo sie selbst einstellen”, so Waldman-Rodriguez.
Dadurch, so hofft sie, „handwerkliches Brot demokratischer werden”, eine Branche, die bis dato immer noch in starren Strukturen verharrt. Waldman-Rodriguez erinnert sich an ihre Zeit im Daniel: „Ich habe ganz schön viele Zwiebeln geschnitten, viele Baguettes gerollt und viel über gutes Brot gelernt. Aber ich habe das Brot nie aus dem Ofen genommen.” Nach ihrer Ausbildung war sie die erste Frau, die in der dortigen Bäckerei eingestellt wurde.
Für die Absolventen des Ausbildungsprogramms bei Hot Bread Kitchen liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Masse: Eine einzige Frau in einer männerdominierten Bäckerei scheint wie ein Tropfen auf den heißen Stein, aber wenn es mehrere Frauen gibt, kann das zu einem Kulturwandel führen. Nicht nur das: Vielleicht gehen sie irgendwann so weit und eröffnen ihr eigenes Unternehmen, das dann vielleicht von HBK Incubates gefördert wird.
Zurück in der Küche verrät mir Clarisse, dass sie irgendwann ihre eigene Bäckerei eröffnen möchte. Dort wird sie nicht nur bialy und nan e-barbari backen, wie sie es bei Hot Bread Kitchen gelernt hat, sondern auch Rezepte aus ihrer Kindeheit. „Auf jeden Fall afrikanisches Brot, mein Brot mit schwarzen Bohnen”, sagt sie. „Das ist wirklich superlecker.”